Michaela Kalusok

Tabernakel und Statue

Die Figurennische in der italienischen Kunst des Mittelalters und der Renaissance

Beiträge zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance
Band 3
Herausgegeben von Joachim Poeschke

1996, 328 Seiten, 104 Abbildungen, broschiert/Fadenheftung
1996, 328 pages, 104 figures, paperback/sewn

ISBN 978-3-930454-02-0
Preis/price EUR 45,–

17 × 24cm (B×H), 560g

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Kurzzusammenfassung/short summary
Inhaltsverzeichnis / table of contents
Eingrenzung des Themas
Zusammenfassung


Kurzzusammenfassung/short summary

Ein Leitmotiv römisch-antiker Architektur und Skulptur, das im Mittelalter und in der Renaissance mit dem Wiederaufleben der Monumentalskulptur zu neuer Bedeutung gelangt, ist die Figurennische. In ihrer Entwicklung durch die Jahrhunderte spiegelt sich geradezu exemplarisch der wechselvolle Zusammenhang zwischen den künstlerischen Gattungen der Architektur und der Skulptur, der in nachantiker Zeit seit dem 12. Jahrhundert einer neuen Synthese entgegengeführt wird.

Im Zentrum der vorliegenden Studie steht die Geschichte der Statuennische in Italien vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, von Antelami bis Donatello. Eine epochenübergreifende Sicht des Themas wird eröffnet durch ausführliche Exkurse zum Nischenmotiv in der Antike, in der französischen Gotik und in der Hochrenaissance. Ausgehend von einer breiten Materialbasis und in eingehenden Analysen einzelner Werke wird so ein gleichermaßen umfassendes wie differenziertes Gesamtbild von der Entwicklung der Figurennische im Mittelalter und in der Renaissance gewonnen.

* * *

An main motif in antique Roman architecture und sculpture is the niche for figures, which regained importance in the Middle Ages and the Renaissance with the return of monumental sculpturing. With its development over the centuries, the niche is an excellent example of the divers relationship between the artistic aspects of architecture und sculpturing, which were brought to a new synthesis in the post-antique era as of the 12th century.

This study is centered on the history of the niche in Italy from the 12th up to the 15th century, from Antelami to Donatello. A general introduction to the niche down through the ages is opened by a detailed excurse to the niche motif in the antique, French gothic, and renaissance periods. A consummate and differentiated view of the niche in the Middle Ages and the Renaissance is reached by a large material collection and in depth analysis of individual works.

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Inhaltsverzeichnis / table of contents

VORWORT
EINFÜHRUNG

1 Die Statuennische als Gegenstand kunstgeschichtlicher Forschung
2 Eingrenzung des Themas
3 Exkurs zur Terminologie

RÜCKBLICK

1 Die antike Figurennische
1.1 Zur Genese
1.2 Die Nische als reines Gliederungselement
1.3 Das Verhältnis von Figur und Nische
1.4 Rahmung und Innendekoration
2 Die Nische von der Spätantike bis zur Romanik
2.1 Die Nische als Gliederungselement
2.2 Die Verbindung von Figur und Nische in der Romanik
2.3 Die romanische Figurennische im Verband mit der Architektur

DIE ERSTEN MONUMENTALEN FIGURENNISCHEN IN DER MITTELALTERLICHEN KUNST ITALIENS

1 Die Nischen der Domfassade in Fidenza
1.1 Die Nischen und ihr Verband mit der Fassade
1.2 Form und Ausstattung der Nischen
1.3 Figur und Nische
2 Die Nischen des Baptisteriums in Parma
3 Exkurs: Die Fassadennischen von S. Vittoria bei Monteleone Sabina und die Formenanalogie von Fenster und Nische

DIE FIGURENNISCHE IM 13. JAHRHUNDERT

1 Antikenrezeption und Gotik: Die Nischen des Brückentors von Capua
1.1 Bau und Skulptur
1.2 Die Aufstellung der einzelnen Figuren
Die Sitzfigur Friedrichs II. – Die kleinen gegiebelten Nischen im ersten Fassadengeschoß – Die Nischentondi für die Büsten
2 Bedingungen für die Nischenbildung in der Skulptur und Architektur
2.1 Nicola und Giovanni Pisano
Die Eckfiguren der Kanzeln – Die Sieneser Domfassade – Der Wimpergkranz des Pisaner Baptisteriums
2.2 Arnolfo di Cambio
Die Tabernakelnischen am Ziborium von S. Paolo – Die Nischen des Annibaldi-Grabs in S. Giovanni in Laterano – Die Nischen der Florentiner Domfassade

DIE FIGURENNISCHE IM 14. JAHRHUNDERT

1 Die Tabernakelnische
1.1 Die Stephanusnische und die Nische des Johannes Evangelista an Orsanmichele in Florenz
Die Nischen im Verband mit der Architektur – Die Struktur der Nischen
1.2 Die Nischen am Campanile in Florenz
1.3 Figur und Nische
1.4 Vorstufen und Vergleiche
Die Nischen des Beltramo Porrina in Casole d'Elsa, Collegiata, und des Enrico Scrovegni in Padua, Arenakapelle – Die Nischen des Entwurfs für die Domfassade in Orvieto – Die Nischen an den Domlanghausflanken in Florenz – Die Nischen des Entwurfs der Baptisteriumsfassade in Siena
1.5 Die Nachfolge in der zweiten Hälfte des Trecento
Die Nischen der Cappella di Piazza in Siena – Die Strebepfeilernischen am Langhaus des Doms von Lucca
2 Die Baldachinnische
2.1 Die Nische der Madonna della Rosa an Orsanmichele in Florenz
2.2 Die Nischenreihe an der Westwand des Duomo Nuovo in Siena
3 Das venezianische Muschelmotiv des Trecento

DIE FIGURENNISCHE IN DER FRÜHRENAISSANCE

1 Die Quattrocentonischen von Orsanmichele in Florenz
1.1 Die Lukasnische und ihre Nachfolge
1.2 Die Nische der Quattro Coronati
1.3 Die Georgs- und Eligiusnische
Die Georgsnische – Die Eligiusnische
1.4 Die Jakobusnische
1.5 Die Ludwigs- und Matthäusnische
Die Ludwigsnische im Verband mit der Architektur – Ludwigs- und Matthäusnische im Vergleich – Das Verhältnis von Figur und Nische
1.6 Zusammenfassung
2 Die Evangelistennischen an der Florentiner Domfassade

BEDEUTUNGS- UND FUNKTIONSWANDEL DER NISCHE IM 15. UND FRÜHEN 16. JAHRHUNDERT

ZUSAMMENFASSUNG

EXKURS: URSPRUNG UND GENESE DER GOTISCHEN NISCHE IN FRANKREICH

Literatur / Abbildungsnachweis

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EINGRENZUNG DES THEMAS (ohne Anmerkung)

»Hier ist nicht von der Nische als wesentlichem Teil eines Grundplans die Rede, also nicht von Apsiden, auch nicht von jenen Nischen- oder Kapellenreihen, in welche bisweilen die ganze Langwand einer Kirche aufgelöst wird, sondern von der Nische für das Auge.« Jacob Burckhardt, der die Wandnische des 16. Jahrhunderts definiert, hebt darüber hinaus den Eigenwert der figurenlosen Nische hervor, die mit den Fenstern im Wechsel auftrete, »gleichviel ob ihr eine Statue gegönnt sei oder nicht«. Eine Nische im eigentlichen Sinne ist für Burckhardt nur die tiefe, halbzylindrische Nische, die trotz mancher Ansätze schon in der Gotik erst das 16. Jahrhundert hervorgebracht habe. Burckhardts Definition der Renaissancenische trifft sich mit derjenigen für die mittelalterliche Nische in zwei grundlegenden Punkten: In der Abgrenzung der Wandnische von der Bodennische und in dem wichtigsten Kennzeichen einer Nische, ihrer Einhöhlung in die Wand. Die mittelalterliche Nische tritt jedoch in weitaus reicherer Ausformung auf. Auch was ihre Funktion angeht, wäre die Definition Burckhardts zu erweitern, denn im Mittelalter und bis ins 15. Jahrhundert hinein begegnet die Wandnische ausschließlich als Figurenträger.

Definiert man die Nische als in die Mauer eingetiefte Öffnung von halbrundem, polygonalem oder rechteckigem Zuschnitt des Grundrisses, die im Aufriß rund- oder spitzbogig sowie rechteckig sein kann, so ist sie in ihrer reinsten Form erfaßt, in der sie als Figurennische allerdings auch am seltensten erscheint. In der Antike ist die Statuennische nach dem Bau ausgerichtet, der sie trägt. Sie ist inkrustiert im Inneren und außen mit einem Rahmen verblendet, während die Nische in der rohen Form als reine Wandgliederung oder schlichte Gebrauchsnische zur Aufstellung von Gegenständen Verwendung fand. Auch in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kunst ist die Figurennische zumeist von einer Rahmung umgeben und kann innen eine Auskleidung tragen, die wie eine dünne Schale die Mauer ummantelt.

Aufgrund der Ausstattung und der Rahmung sind Ähnlichkeiten zu und Überschneidungen mit anderen Aufstellungsarten für Figuren, dem Tabernakel oder Baldachin, insbesondere für die gotische Nische gegeben, die zu Begriffsverwirrungen im Fach führten. Sowohl die antike Kunstliteratur, die für den Aufstellungsort der Statue in der Regel den Begriff der aedicula verwendet, als auch mittelalterliche Quellen, die bis ins 17. Jahrhundert hinein den Begriff des Tabernakels mit dem der Nische synonym gebrauchen, zeigen, daß nicht die Nischenhöhlung, sondern der Rahmen als die eigentliche Auszeichnung für die Figur angesehen wurde. Wenn es auch der historische Wortgebrauch nahelegt, die Begriffe Nische und Tabernakel nicht allzu streng voneinander zu trennen, so verlangt doch eine gewisse Nachlässigkeit im modernen kunsthistorischen Sprachgebrauch nach terminologischer Präzisierung. Eine genauere begriffliche Unterscheidung ist zumal dann wichtig, wenn sich mit dem unterschiedlichen Aufstellungsmodus das Verhältnis der Figur zu Raum und Rahmen entscheidend ändert und entwicklungsgeschichtliche Fragen eng mit der Bestimmung der Nischenform verknüpft werden.

Während in der Forschung der Nischenbegriff auf die verschiedensten Arten der Figureneinbindung ausgedehnt wurde, geht es uns um eine genauere Abgrenzung dessen, was als Nische bezeichnet werden kann. Die Statuennische in vollem Sinne muß als eine künstlerisch gestaltete Form und als eigenwertiges Gehäuse in Raumhaltigkeit und Strukturierung erkennbar sein.

Die bisherigen Ausführungen zielten auf die monumentale Nische in der großen Architektur. Darüber darf nicht übersehen werden, daß auch an Kleinarchitekturen die Figurennische als ornamentum Aufnahme fand. Eine genaue Begrifflichkeit wird hier dadurch erschwert, daß die Nische in der Kleinarchitektur als Nischendarstellung im Relief Einzug hielt. Die mehr oder weniger tiefe Nischung hinter der Figur impliziert jedoch nicht immer einen selbständigen Figurenraum. Sie kann auch ein adäquates Mittel zur Einbettung der Figuren in den Grund sein. Die Bewertung einer solchen Nischung als Vorstufe einer tatsächlichen Zusammenführung von Figur und Nische birgt dabei immer die Gefahr eines entwicklungsgeschichtlichen Fehlschlusses. Kurt Badt hat sich gegen eine Überinterpretierung des Raumes in der Kunstgeschichte gewandt. Statt abstrakter, je nach den subjektiven Eindrücken wechselnder Raumbegriffe führt Badt den Begriff »Ort« ein, der sich erst durch die Dinge, die ihn füllen, definiert.

Da die Kleinform der Nische ähnlichen Entwicklungsgesetzen unterworfen ist wie die monumentale Nische, kann sie nicht ganz aus der Betrachtung ausgeklammert werden. Im Zentrum dieser Arbeit steht jedoch die Figurennische, die eindeutig in die Wand gehoben, zur Aufnahme einer Statue bestimmt ist und sich in ihren Ausmaßen nach der Figur richtet. Sie ist von der großen Bodennische zu trennen, da diese – auch wenn sie am Außenbau als Raumkörper nicht in Erscheinung tritt – in ihrer raumerweiternden Funktion eher zur Apsis oder Exedra in Beziehung zu setzen ist und zudem im Mittelalter nicht als Figurenträger fungierte. Weitgehend ausgeklammert bleibt ferner die vereinzelte Figurennische als Ehrenmal oder Grabmal. Nur soweit diese Einzelnischen für die Entwicklung der Nische allgemein nach Struktur und Formengut von Bedeutung sind, werden auch sie berücksichtigt. Primär jedoch geht es nicht um die Nische, die als bloßes Versatzstück einer schon bestehenden Architektur angeheftet wird, wobei ihr Ort mehr oder weniger beliebig und ihre Form austauschbar sein können, sondern um die Statuennische als einem integralen Bestandteil der Architektur, der sich auf deren Gesamterscheinung nachhaltig auswirkt oder deren Entwurf entscheidend prägt.

Die Untersuchung beschränkt sich auf eine Geschichte der Figurennische in Italien. Die Beweggründe dieser Begrenzung können angesichts mittelalterlicher Mobilität keine rein topographischen sein, sondern erklären sich aus der anders gearteten Qualität der italienischen Figurennische, die sich phänomenologisch in der Monumentalität integraler Nischenkonzepte und entwicklungsgeschichtlich in der weitaus größeren Variationsbreite zu erkennen gibt. Vor allem aber spielt die italienische Nische die zentrale Rolle im Schnittpunkt architektonischer und figuraler Erfindungen, an deren Ende die Renaissance steht – wenn auch nicht als Zielvorgabe –, und die eine folgerichtige Entwicklung – wenn auch keine kontinuierliche – sichtbar werden lassen.

Die Eingrenzung des Zeitraums wird durch das Material nahegelegt. Mit dem Auftreten der ersten italienischen Figurennische in monumentaler Form in Fidenza ist eine untere und mit der Ausformung der ersten Renaissancenische, der Ludwigsnische an Orsanmichele in Florenz, eine obere Grenze gesetzt. Damit wird im Mittelpunkt des Interesses die mittelalterliche, speziell die gotische Figurennische stehen. Die zeitliche Einschränkung erlaubt aber auch, einen Blick über die Grenzen hinaus auf die antike und die romanische Nische als mögliche Vorstufen zu werfen. Da die Vorbildhaftigkeit gerade der antiken Nische leicht überschätzt werden kann, steht die italienische Figurennische des 13. und 14. Jahrhunderts im Spannungsfeld zwischen Antikenrezeption und französisch-gotischem Einfluß zur Diskussion. Ein Exkurs zur Entstehung der gotischen Nische in Frankreich ist dazu unerläßlich. Als Ausblick wird ferner die Nische der Hochrenaissance zur Sprache kommen, die – obwohl stereotyper im Formengut – im Vergleich zu den früheren Nischen eine neue Wertigkeit in der Architektur erlangt, wie es Burckhardt in der eingangs zitierten Stelle bereits angedeutet hat.

Die vorliegende Arbeit will die Figurennische in ihrer Doppelfunktion als architektonisches Gliederungsmotiv und als Aufstellungsort einer Figur beleuchten. Sie versucht dabei, die in der wechselseitigen Beziehung von Skulptur und Architektur gegebenen Voraussetzungen für die Bildung von Nischen aufzudecken. Die Untersuchung kann keine rein motivgeschichtlich orientierte sein, die sich zwanglos – wie etwa die Geschichte des Kapitells – in die große Entwicklung der Architektur als deren logisches Derivat einreihte. Schon das Material, das sich nicht in einer dichten Reihe darbietet, verschließt sich einer solchen Vorgehensweise. Auch wenn daher eine erschöpfende Erfassung des gesamten, vor allem in der Qualität zu heterogenen und für eine Entwicklung irrelevanten Bestands nicht angestrebt ist, soll sich aus dem Blickwinkel der hinlänglich bekannten Hauptvertreter der italienischen Figurennische das Bild der Nische in Italien durch Einarbeitung eines reicheren als des bisher veröffentlichten Materials vervollständigen. Neben den wichtigsten Beispielen werden Nischen vorgestellt, die zumeist als Epigonen ihrer bedeutenderen Vorgänger zu werten sind, aber in ihrer variierenden Eigenleistung weitere Facetten der jeweiligen Stilepoche beisteuern. Eine den Rahmen der Themenstellung überschreitende Beschäftigung mit Einzelproblemen der Datierung, der Zuschreibung und Rekonstruktion nicht mehr im originalen Bestand erhaltener Nischen wird gegebenenfalls für ein tiefergehendes Verständnis des Phänomens Nische unerläßlich sein.

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ZUSAMMENFASSUNG (Ohne Anmerkungen)

Die Figurennische des italienischen Mittelalters stellt sich in ihrer Gestalt und Struktur sowie in ihrem Verhältnis zur Architektur als heterogenes Gebilde dar. Zu unterschiedlich waren die von der Architektur und von der Skulptur gestellten Bedingungen, zu verschieden jeweils die Intentionen der Künstler. Die gotische Nische wird in Italien kein sich durchsetzendes Mittel zur Aufstellung von Statuen wie in Frankreich. Die Gründe dafür sind primär in den anders gewichteten Aufgaben der Plastik zu suchen. In Italien fehlt die Hauptaufgabe der französischen figuralen Plastik, die Gewändefigur, die zu einer bestimmten Stilstufe die Ausprägung von Gewändenischen als einer lange konstanten Portalform zeitigte. Stattdessen hat die Nische in Italien außerhalb des Portals, in der flachen Wand oder am Strebepfeiler, ihren Ort. Sie kann je nach den Anforderungen des architektonischen Orts und skulpturalen Programms als einzelne, aber auch in der Reihung auftreten. Darin unterscheidet sie sich noch nicht von der französischen Nische. Die italienische Nische kommt jedoch im Gegensatz zu jener mitsamt ihrer Statue vorrangig als einzelne zur Wirkung, selbst wenn sie in ein übergreifendes Architektursystem – wie am Capuaner Brückentor oder am Campanile in Florenz – eingebunden wird.

Eine kontinuierliche Entwicklung ist zumindest im 13. Jahrhundert nicht zu verzeichnen, vielmehr endet der Weg oftmals in einer Sackgasse. So am Dom zu Fidenza, dessen antikisierende Nischen in ihrer halbrund einschwingenden Gestalt, die erst um 1220 an der Domfassade entstanden und die um einige Jahrzehnte älteren Wandpfeilerstatuen des Antelami aufnahmen, ebensowenig rezipiert wurden wie die gotischen Kastennischen am Baptisterium in Parma. Zum erstenmal aber seit der Romanik und wegweisend für die künftige Entwicklung war in Parma und Fidenza wieder zwischen der gliedernden Großform der Bodennische und der Wandnische als Figurenträger unterschieden und die Statuennische als Modul einer Fassadengestaltung verwendet worden. Auch das Capuaner Brückentor, an dem ein für Italien ungewöhnliches, die gesamte Fassade erfassendes Nischensystem ausgeformt wurde, ist aufgrund seines ungewöhnlichen Skulpturenprogramms ein Einzelfall geblieben. Die arkadengerahmte, verschattete Mauernische am Brückentor bleibt als Einzelnische bis weit ins Trecento hinein eine bescheidene Möglichkeit der Statuenaufstellung in der Wand. Nicola Pisano orientiert sich an der französischen Baldachinfigur. Ihm ist dabei jedoch die Einbindung der Figur in einen festen architektonischen Rahmen kein Anliegen, was sich aus seiner gleichzeitigen Orientierung an der Antike erklären mag. Seinem Sohn Giovanni gelingt dagegen mit den einzigartigen Nischen an der Sieneser Domfassade eine Verbindung von Skulptur und Architektur, die sowohl der Expressivität und Freiheit seiner Standfiguren als auch der inkrustierten Fassade Rechnung trägt. Den ebenso der Fassadengliederung wie der Figureneinbindung des Giovanni Pisano dienenden Architekturmotiven ist ein langes Nachleben beschert, das – vermittelt über Orvieto und in der Verbindung mit der tiefer einschwingenden französischen Baldachinnische – die eigentümlichen Nischenhülsen am Duomo Nuovo in Siena hervorbringt. Die für Italien charakteristische Diskrepanz von Mauernische und Inkrustation und der Kompromiß bei ihrer Verschmelzung konnten nirgends besser zum Ausdruck kommen als in den Sieneser Nischen.

In der »Nischenstadt« Florenz hält sich die Nische dauerhaft, seit Arnolfo di Cambio sie an der Domfassade eingeführt hat, und strahlt, nicht ohne ihr Formengewand zu wechseln, über die Stadt und später die Toskana aus. Als Ausgangspunkt einer scheinbar geradlinigen Entwicklung wird der Renaissancenische im trecentesken Florenz an einem einzigen Bau, an Orsanmichele, der Boden bereitet. Doch ist es nicht zuletzt der besonderen Aufgabe und den säumigen Auftraggebern zu verdanken, daß der gotische Nischenzyklus von Orsanmichele die erste Renaissancenische aufnehmen konnte.

Bereits Arnolfo di Cambio schuf monumentale Figurennischen für das wandhafte Sockelgeschoß seiner Florentiner Domfassade. Die Nischen haben sich nicht erhalten, doch lassen sie sich – wie im übrigen die Anteile Arnolfos an der gesamten Domfassade – aus des Meisters Bildhauerarchitektur rekonstruieren. Die breiten, wohl für Sitzfiguren geschaffenen Nischen der Domfassade haben ihr Ebenbild im kleinen Format in den Nischen des Annibaldi-Grabs, die zweifellos in Arnolfos Werk einzureihen sind. Die Domfassade und ihre Nischen sind uns indirekt durch ein Mosaik Cavallinis aus S. Maria in Trastevere tradiert, das den Formenschatz der arnolfianischen Domfassade reflektiert. Die statischen Kästen, die Arnolfo schuf, stehen in Einklang mit seiner Architektur, die vom Gegensatz körperhaft-massiger, wandhaft-glatter und kristallin-starrer Bauglieder geprägt wird. Daß diese unverschmolzen nebeneinander existieren können, demonstriert die Formenvielfalt der Florentiner Domfassade in den ersten beiden, Arnolfo zuzuschreibenden Geschossen. Arnolfos Wandnischen sind im Gegensatz zu seinen Statuentabernakeln schattige Nischenkästen ohne ausgeprägte eigene Räumlichkeit, in der Figur und Nische zu einer reliefhaften Einheit verwachsen.

Erst mit den Pfeilernischen von Orsanmichele und den Nischenreihen am Campanile wird den Figuren ein klar umgrenzter, einsehbarer Raum als ein eigenes, konkretes Gehäuse zugeteilt. Die Nische verschmilzt mit dem gotischen Statuentabernakel. Vorstufen dieser polygonal gebrochenen, von einer Wimpergarkade gerahmten Nische waren in Frankreich schon um 1250 ausgebildet, eine Form, von der Italien bis ins Trecento hinein unberührt blieb. Doch ist die neue Räumlichkeit der Florentiner Nischen als ein Gehäuse für die Figur, die neben ihrer bildhaften, durch einen Rahmen ausgezeichneten Erscheinung am Pfeiler auch ein strukturiertes Inneres auszeichnet, nicht aus der vorangegangenen oder zeitgleichen Architektur, sondern aus der Malerei Giottos herzuleiten, die an die französische Entwicklung anknüpfte und erstmals den geschlossenen Figurenraum in die italienische Kunst einführte. Obwohl Giotto selbst weder die Campanilenischen noch die Nischen von Orsanmichele geschaffen haben kann, ist es doch sein Erbe, das, von Andrea Pisano vermittelt, in den Nischen weiterwirkt. Die gotischen Nischen von Orsanmichele sind keine Zentralräume, keine Baldachinnischen wie das Tabernakel der Madonna della Rosa, das eine Ausnahme im ganzen Nischenzyklus darstellt, sondern kleine, tabernakelartige Gehäuse in den Pfeilern, die konzentrisch die Figuren umfassen und sie hinter den Rahmen zurückschließen. Die Baldachinnische, welche die Figur in streng vertikalem Achsenbezug zentriert, spielt für die italienische Kunst eine sekundäre, vorwiegend auf den venezianischen Bereich begrenzte Rolle.

Im Quattrocento ändert sich die Struktur der Nischen an Orsanmichele im Sinne einer Verstärkung des trecentesken Formenapparates. Der verstärkte Schematismus der in mehreren Stufen aufgebauten Gliederung des Nischenraums wirkt sich auch auf die in gotischem Schwung aufgebauten Figuren aus. Der Markus des Donatello dagegen beansprucht in seinem Aufbau nicht das Nischengerüst, sondern den konzentrisch ummantelnden Nischenraum und den Nischenrahmen, dem er sich in der Drehung entgegensetzt. Dieser neue Ansatz ist in der flachen und unverzierten Georgsnische gesteigert, indem dort konsequent das starre Nischengerüst aufgegeben wurde und die Nische als freier Bewegungsraum für die Statue wirkt. Zugunsten einer besseren Präsentation der Nischenstatue läßt sich zugleich eine Klärung der Formen feststellen, die das Auftreten des Ludwigstabernakels als der ersten Renaissancenische bereits anzukündigen scheint. Doch ist für Donatellos Statuen die Renaissancenische weder letztes Ziel noch eine beliebig austauschbare Folie wie in der folgenden Jahrhunderthälfte. Obwohl die Ludwigsnische speziell für die Ludwigsfigur geschaffen wurde, ist sie als Figurenraum, dem zwingende Achsenbezüge fehlen, vielseitiger nutzbar als das gotische Figurentabernakel. Verrocchios Christus-Thomas-Gruppe macht dies evident.

Im italienischen Mittelalter hat die Nische ausschließlich als Wandnische am Außenbau weitergelebt und war zudem ohne Ausnahme Figurenträger. Ein grundlegender Bedeutungs- und Funktionswandel der Nische setzt erst mit der Architektur der Frührenaissance ein. Die Wandnische als Figurennische und die Bodennische als kapellenartiges Gliederungselement beginnen sich nun zu vermischen. Das architektonische Motiv der Nische als Ornament wird selbständig und erfährt auch ohne die Figur eine Aufwertung. Die figurenbesetzte Nische dagegen wird aus der großen Architektur in den Bereich der Reliefskulptur verbannt. Selbst in der Fassadenskulptur, für die es nur wenige Beispiele gibt, bleibt die figurierte Nische im ausgehenden Quattrocento der Kleinkunst entlehnt. Neue Impulse für die Entwicklung der Fassadennische wären möglicherweise von der Fassade von S. Lorenzo in Florenz ausgegangen, wenn Michelangelo sie hätte vollenden können.

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