Aus dem Inhalt / from the book:
Kurzzusammenfassung
Inhaltsverzeichnis
Inhalt der begleitenden Musik-CD
Näheres zu den Beiträgen
Kurzzusammenfassung:
Der Band geht zurück auf eine interdisziplinäre
Tagung, die im Juni 2009 in Münster stattfand.
Beteiligt waren der Sonderforschungsbereich 495
»Symbolische Kommunikation und Gesellschaftliche
Wertesysteme«, das Exzellenzcluster »Religion und
Politik« und das Institut für Vergleichende
Städtegeschichte. Im Zentrum stand die Frage nach dem
konstitutiven Zusammenhang von Liturgie und Gesellschaft in
der Frühen Neuzeit. Reformation und
Konfessionalisierung als Prozesse der Ausdifferenzierung
konfessioneller Großgruppen sind, so die zentrale
Prämisse, ohne die spezifische Leistungskraft und Logik
religiöser, insbesondere kirchlicher Rituale nicht
denkbar. Von der Frühneuzeitforschung ist dieser
Zusammenhang jedoch bislang nicht systematisch untersucht
worden.
In einem ersten Teil des Buchs werden
interdisziplinäre Konzepte zur Analyse liturgischen
Handelns, vor allem seitens der Soziologie und der
systematischen Theologie, vorgestellt. In einem zweiten
Abschnitt geraten die liturgischen Konzepte der Konfessionen
anhand zentraler frühneuzeitlicher Theologen und
Institutionen in den Blickpunkt der historischen Theologie.
Anschließend führen geschichtswissenschaftliche
Fallstudien in drei Sektionen in spezifische Kontexte
religiösen Wandels.
Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen
liturgischem Handeln und der Entstehung und Fortschreibung
konfessioneller Gruppen fassen? Welche unterschiedliche
Rolle spielten soziale Strukturen und theologische
Prinzipien im Hinblick auf die Gestaltung der Liturgie?
Welche politischen Funktionen erfüllte Liturgie? Wie
veränderten sie sich zwischen 16. und
19. Jahrhundert? Welche unterschiedlichen
Wertvorstellungen wurden in der Liturgie artikuliert und
insofern auch perpetuiert? Inwiefern wurden konfessionelle
Grenzen, die immer auch soziale und politische Grenzen
waren, in der Liturgie gezogen oder gerade auch
überbrückt? Wo und unter welchen Bedingungen
führte die Liturgie zu konfliktreichen
Abgrenzungsvorgängen? Wo lassen sich Vorgänge der
äußeren Verstellung und Ambiguität
autopsieren? Was sagen solche Veränderungen über
den strukturellen Wandel von Gesellschaften aus?
Indem er liturgisches Handeln als soziale Praxis
auffasst, die wesentliche Funktionen für die
Stabilität sowohl religiöser Wertvorstellungen und
den Zusammenhalt sozialer Gruppen erfüllte, möchte
der vorliegende Band einen ersten Schritt für eine
frühneuzeitliche Liturgiegeschichtsforschung bieten.
Sie sollte sich nicht auf eine ideengeschichtliche
Untersuchung von Formularen beschränken oder allein
nach individuellen Deutungshorizonten fragen, sondern an
sozialen Strukturen interessiert sein, die sich in
liturgischem Handeln als sozialer Praxis artikulierten und
veränderten.
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Inhaltsverzeichnis:
Vorwort
Jan Brademann:
Anstelle einer Einleitung: Liturgie als soziale Praxis
– Konfessionalisierung als ritueller Prozess?
1. LITURGIE ALS RITUAL: SYSTEMATISCH-THEORETISCHE
SONDIERUNGEN
Volkhard Krech:
Systematisierende Überlegungen zur Bedeutung von
Liturgie in religionssoziologischer Perspektive
Edmund Arens:
Liturgisches Handeln als performativer Vollzug und
religiöse Praxis. Die Perspektive einer kommunikativen
Religionstheologie
Andreas Odenthal:
»Rituelle Erfahrung« im Zeitalter der
Konfessionalisierung. Zur Anwendung eines
praktisch-theologischen Paradigmas auf die
Liturgiegeschichte – ein Versuch
2. BEKENNTNIS UND SYMBOL: DIE LITURGIE AUS DER SICHT DER
THEOLOGEN
Dorothea Wendebourg:
Lust und Ordnung. Der christliche Gottesdienst nach Martin
Luther
Ralph Kunz:
Vom Schauspiel zum Sprachspiel. Ästhetische Kriterien
und theologische Prinzipien der reformierten
Gottesdienstreform im Zürich des frühen
16. Jahrhunderts
Benedikt Kranemann:
»in omnibus universi orbis Ecclesiis, Monasteriis,
Ordinibus«. Nachtridentinisches
Liturgieverständnis zwischen Programm und Praxis
3. LITURGISCHES HANDELN UND DIE GESELLSCHAFTLICHE
FORMIERUNG DER KONFESSIONEN
Natalie Krentz:
Von der Messestörung zur Gottesdienstordnung: Die
Anfänge evangelischer Liturgie in der Stadt
Wittenberg
Philippe Martin:
Die tridentinische Messe. Zur Konstruktion einer
katholischen Identität in Frankreich (um 1560–um
1580)
Christian Grosse:
Liturgische Praktiken und die Konfessionalisierung des
kollektiven Bewusstseins der Reformierten. Das Beispiel Genf
(16./17. Jahrhundert)
4. LITURGIE, SOZIALE INTEGRATION UND DISTINKTION
David M. Luebke:
Passageriten und Identität. Taufe und
Eheschließung in westfälischen Kleinstädten
(1550–1650)
Kristina Thies:
Inszenierung von Ordnung. Die Große Prozession in
Münster im Zeitalter der Konfessionalisierung
Lena Krull:
Demonstrativer Katholizismus und gleichberechtigtes
Geschlechterverhältnis – Studentische
Korporationen in der Großen Prozession in Münster
im 19. und 20. Jahrhundert
5. LITURGISCHES HANDELN UND DIE DIFFERENZ KONFESSIONELLER
WERTVORSTELLUNGEN
Jürgen Bärsch:
Ordo Exsequiarum und »ehrliches Begräbnis«.
Eine vergleichende Analyse katholischer und protestantischer
Begräbnisordnungen der frühen Neuzeit aus
liturgiewissenschaftlicher Sicht
Mareike Menne:
Profanierte Religion und sakralisierte Verwaltung? Ein Blick
auf Visitation und Liturgie in Paderborn und Lippe
Irmgard Scheitler:
Kirchengesang und Konfession. Die konfessionssymbolische
Bedeutung des Kirchenlieds von der Reformation bis zur
Aufklärung
6. INTERKONFESSIONELLER KONFLIKT, AMBIGUITÄT UND
ANPASSUNG
Andreas Pietsch:
»Wenn doch selbst Lipsius ein Marienbildnis preisen
kann!« Von der verflixten Uneindeutigkeit
religiöser Praktiken
Laurent Jalabert:
Die Aufteilung des religiösen Raumes. Konfessionelle
Differenzierung und sakrale Gewalt im
deutsch-französischen Grenzraum im 17. und
18. Jahrhundert
Martin Scheutz:
Das Offizielle und das Subkutane. Konfessionelle Symbole und
Rituale im Spannungsfeld von öffentlichem Katholizismus
und Geheimprotestantismus in den österreichischen
Erbländern um die Mitte des 18. Jahrhunderts
7. DIE CD: »KIRCHENLIED UND KONFESSION«
»Kirchenlied und Konfession« – die
Gesänge der CD
Englische Zusammenfassungen – English Abstracts
Die Autorinnen und Autoren
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Inhalt der begleitenden Musik-CD:
»Kirchenlied und Konfession«
Die Begleit-CD »Kirchenlied und Konfession« ist auch separat
erhältlich:
ASIN: B00KOE405S (Hauptvertrieb: oomoxx media, CD Produktion und DVD Produktion
www.oomoxx.com –
überall im Musikhandel – oder direkt beim Rhema-Verlag)
»Kirchenlied und Konfession« – Die Gesänge
der CD:
1) Dicit Dominus [3:56]
[Klangprobe – MP3]
Introitus zur Vigil des Festes Peter und Paul. Graduale
Romanum
2) Christ ist erstanden [1:33]
[Klangprobe – MP3]
12.–15. Jahrhundert
3) Christ lag ynn todes banden [1:31]
[Klangprobe – MP3]
Johann Walter, 1525
4) Allein Gott in der höhe sey ehr [1:39]
[Klangprobe – MP3]
Johann Kugelmann, 1540
5) Ach Gott von hymel sich dar eyn [2:11]
[Klangprobe – MP3]
1545
6) Pange lingua [0:45]
[Klangprobe – MP3]
Graduale Romanum
7) Mein Zung erklyng [0:54]
[Klangprobe – MP3]
Michael Vehe, 1537
8) Maria zart [1:30]
[Klangprobe – MP3]
Johann Leisentrit, 1567
9) Wie nach einem Wasserquelle [2:13]
[Klangprobe – MP3]
Ambrosius Lobwasser, 1577
10) Mein hirt ist Got der Herr [2:04]
[Klangprobe – MP3]
Conrad Hagius / Caspar Ulenberg, 1589
11) Christ ist erstanden [1:32]
[Klangprobe – MP3]
Orlando di Lasso, 1583
12) Ich will bei meinem Leben [2:56]
[Klangprobe – MP3]
Heinrich Schütz, 1628
13) Und durch das gantze Bayerlandt [3:07]
[Klangprobe – MP3]
1613
14) Es flog ein Täublein weisse [5:09]
[Klangprobe – MP3]
Nikolaus Beuttner, 1602
15) O Ewigkeit, du Donnerwort [2:52]
[Klangprobe – MP3]
Johann Rist, 1642
16) Die güldne Sonne [1:33]
[Klangprobe – MP3]
Jacob Hintze, 1690
17) O ihr Schutz Engel alle [1:44]
[Klangprobe – MP3]
1638
18) Eins ist noth [2:32]
[Klangprobe – MP3]
Johann Anastasius Freylinghausen, 1708
19) Wunderbarer König [1:42]
[Klangprobe – MP3]
Georg Christoph Strattner / Joachim Neandri 1708
20) Frew dich sehr, O meine Seele [1:05]
[Klangprobe – MP3]
Daniel Speer, 1692
21) Christ ist erstanden [1:34]
[Klangprobe – MP3]
Johann Balthasar König, 1738
22) Wie groß ist des Allmächtgen Güte [3:50]
[Klangprobe – MP3]
Carl Philipp Emanuel Bach, 1787
23) Kyrie. Wir werfen uns darnieder [4:33]
[Klangprobe – MP3]
Michael Haydn, 1800
24) Pange lingua [1:49]
[Klangprobe – MP3]
Caspar Ett, 1827
Konzeption: Irmgard Scheitler
Ausführende:
canticum novum,
Münster
Leitung: Michael Schmutte
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Näheres zu den Beiträgen:
Jan Brademann:
Anstelle einer Einleitung: Liturgie als soziale Praxis
– Konfessionalisierung als ritueller Prozess?
Abstract
Jan Brademann's paper is an introduction to the topic of
this book. It adresses a research gap in German
historiography with regard to early-modern liturgies, at the
same time demonstrating impulses on this field given
especially by American scholars. By building on sociologic
and ethnologic theories and using two short historical
examples, Brademann tries to conceptualize liturgical agency
as a social practice. In doing so, he extrapolates two
primary functions of this practice: the social construction
of transcendental values and rules and the constitution of
religious groups. By means of a third example, it is
underlined that these features not only have conserving
effects, but also potentially evoke changes in social
structures – structures that are at once precondition
and outcome of agency.
Tying in with this statement, the paper argues for a
history of religion as a cultural history, focusing on the
mutual transformations of agency and structure. The latter
both includes values and rules as well as regularities that
are outside of the meaningful use and the conscience of the
actors, like social ties or resources. The aim of research
should not only be to investigate the individual
interpretation of liturgical action which is preferred by
scholars of historical anthropology, but to also analyse the
structures and how these were created by analyzing the
practices themselves.
Finally, drawing on the initial conference theme,
Brademann turns to the concept of confessionalisation and
deals with the dynamics described within this framework with
regard to avenues by which they can be linked to this
approach. Though having being fundamentally criticized
during the last years, confessionalization, is still being
dealt with as an aggregation of religious structures by the
»confessio« and its claim to the absolute truth.
It is regarded as an enduring, dynamic, and open process.
Accordingly, its outcome was multilayered. Its results
depended on the interplay of the formation of religious
groups with the growth of early modern state and church and
the religious practice. Consequently, the power of
liturgical agency stands in the centre of these dynamics: It
both shapes confessional cultures by constructing
confessional values and rules as well as structures the
society by constituting confessional groups, and authority.
It is therefore important to deal with altering liturgical
agency not only as a distinct explanandum, but also as an
explanans for confessionalization. By asking if the latter
can be seen as a ritual process this papers thus argues for
advancing this concept for the sake of generalizability and
continuity of scientific progress.
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Volkhard Krech:
Systematisierende Überlegungen zur Bedeutung von
Liturgie in religionssoziologischer Perspektive
Zusammenfassung
Volkhard Krech entwirft in seinem Artikel thesenhaft
einen systematischen Rahmen für die
historisch-kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit
Liturgie. Zunächst werden acht zentrale Merkmale von
ritueller Kommunikation im Hinblick auf ihre Bedingungen,
ihren Verlauf und ihre sozialen Wirkungen angeführt, die
dann in Bezug auf die Liturgie als Sonderfall ritueller
Kommunikation spezifiziert werden. In einer historisch
ausgerichteten zweiten Hälfte deutet Krech die
Ausdifferenzierung der christlichen Liturgien im Gefolge der
Reformation ritualtheoretisch. Einerseits kam es zur
Variantenbildung, weil die Gesatztheit der schematischen
Abläufe erkannt, aber auch der Sinn der Liturgie infrage
gestellt wurde. Andererseits wurde die für das Gelingen von
Ritualen irrelevante innere Haltung der Teilnehmer zulasten
der performativen Wirkkraft der öffentlichen Liturgie aus
ihrem äußeren, korrekten Ablauf heraus aufgewertet. Über den
Verweisungszusammenhang von Transzendenz und Immanenz
bestand seither innerhalb des Christentums kein Konsens
mehr.
Abstract
In his paper, Volkhard Krech develops a systematic
framework for the historical and cultural study of liturgy.
First, eight central characteristics of ritual communication
with regard to their requirements, progression and social
effects are presented. These are then specified by applying
them to liturgy as a special case of ritual communication.
The second half of the paper provides a ritual-theoretical
interpretation of the differentiation of post-Reformation
Christian liturgy in historical perspective. Following the
realisation of the sedate character of the schematic
liturgical sequences, different liturgy variants emerged
and, what is more, the meaning of liturgy was called into
question. Furthermore, the inner disposition of the
participants – as such irrelevant for the success of
rituals – was given greater significance than the
performative power of public and properly held liturgy. The
link between transcendence and immanence has ever since been
disputed in Christianity.
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Edmund Arens:
Liturgisches Handeln als performativer Vollzug und
religiöse Praxis. Die Perspektive einer kommunikativen
Religionstheologie
Zusammenfassung
Der Beitrag von Edmund Arens führt sprachphilosophische,
soziologische und ethnologische Konzepte zum
wirklichkeitskonstitutiven Charakter von Sprache und
Ritualen mit religionstheologischen Reflexionen zum
christlichen Gottesdienst und vor allem seiner sprachlichen
Bestandteile zusammen. Der schillernde Begriff der
Performanz spielt hierbei eine Schlüsselrolle. Religion wird
als kommunikative Praxis einer Gemeinschaft konzipiert.
Dabei geht es nicht nur um die soziale Funktionalität, die
darin besteht, dass sich die Individuen wechselseitig
Überzeugungen über eine außerempirische Wirklichkeit
explizit benennen und implizit mitteilen. Aus theologischer
Sicht steht die Intentionalität religiöser Praxis im
Mittelpunkt, welche vor allem darauf zielt, die Wirklichkeit
Gottes mitzuteilen. Die Liturgie als ein besonders dichter,
gemeinschaftlicher und genormter Teil dieser Praxis hat mit
ihren Bestandteilen des Erinnerns, Erzählens, Betens,
Verkündigens, Bezeugens und Bekennens einen entscheidenden
Anteil daran, dass Religion soziale Wirklichkeit wird. Sie
benennt diese Überzeugungen nicht nur propositional, sondern
inszeniert, vergegenwärtigt und vollzieht sie. Die Liturgie
schreibt damit zugleich religiöse Praxis performativ fort
als tiefer liegenden Geltungsanspruch, der Teil sozialer
Regeln ist.
Abstract
Edmund Arens' paper brings together concepts from the
philosophy of language, sociology and social anthropology on
the constitution of reality through language and rituals, on
the one hand, and religio-theological reflections on
Christian worship with a particular focus on its linguistic
components, on the other. The colourful term
performance is of crucial importance in this
context. Religion is conceived as the communicative practice
of a community, not only in terms of social functionality,
i.e. individuals explicitly naming and implicitly
communicating to each other their convictions on a
non-empirical reality. What constitutes the real focus in
terms of theology is the intentionality of religious
practice, which is essentially about communicating the
reality of God. With its components of remembering,
relating, praying, preaching, attesting and confessing,
liturgy contributes significantly to religion as social
reality, as it is a particularly dense, communal and
standardised part of this religious practice. It does not
only name these convictions propositionally, it also stages
them, brings them to mind and executes them. Thus, liturgy
upholds religious practice in performance as a subjacent
claim to validity that is part of social rules.
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Andreas Odenthal:
»Rituelle Erfahrung« im Zeitalter der
Konfessionalisierung. Zur Anwendung eines
praktisch-theologischen Paradigmas auf die
Liturgiegeschichte – ein Versuch
Zusammenfassung
Andreas Odenthal stellt in seinem Beitrag die subjektive
Dimension von Liturgie in das Zentrum seines
Erkenntnisinteresses. Dabei wendet er seinen
praktisch-theologischen Ansatz »rituelle
Erfahrung« anhand dreier Quellen aus dem Bereich der
liturgischen Praxis und ihrer Wahrnehmung auf das
konfessionelle Zeitalter an. Dadurch wird der klassische
Quellenkorpus der Liturgiewissenschaft überschritten und
liturgische Ordnung mit dem Erleben der Teilnehmer in
Verbindung gesetzt. In Traditionen und soziokulturellen
Kontexten eingebettet sowie durch subjektive
Lebenserfahrungen beeinflusst, wurde das Erleben von
Liturgie durch Deutung zu Erfahrung. Auf diese Weise wurden
die normativen Vorgaben der Liturgie mit der
Lebenswirklichkeit der sie Praktizierenden vermittelt. Je
nach Stärke der Differenzerfahrung ergaben sich
unterschiedliche Modi des Umgangs mit der Tradition zwischen
Kontinuität, Adaption und Substitution. Hier, in der
Spannung zwischen objektiven Vorgaben und subjektiver
Aneignung, liegt ein zentraler Ansatzpunkt für die
Untersuchung religiös-konfessioneller Veränderungsprozesse,
wenngleich, wie Odenthal betont, die Innenseite religiöser
Erfahrung schwer zu fassen bleibt.
Abstract
In his paper, Andreas Odenthal's key interest lies with
the subjective dimension of liturgy. He applies his
practical-theology approach of ritual experience
to the confessional age by looking at three liturgy sources
and their perception. In doing so, the body of sources
usually called upon in liturgy research is widened and
liturgical order is linked with the experience of
participants. Embedded in traditions and socio-cultural
contexts and influenced by life stories, observed liturgy
became experience by means of interpretation. Hence, the
normative regulations of liturgy were communicated with the
everyday reality of the believers. Depending on the
intensity of experienced disparity, various ways of handling
the tradition developed, from continuity to adaptation and
substitution. It is this tension between objective
requirements and subjective appropriation that provides a
core point of departure for the study of
religio-confessional transformations, despite, as Odenthal
points out, any difficulties in defining the inner life of
religious experiences.
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Dorothea Wendebourg:
Lust und Ordnung. Der christliche Gottesdienst nach Martin
Luther
Zusammenfassung
In ihrem Beitrag skizziert Dorothea Wendebourg zunächst
die theologischen Grundlagen der Liturgiereform durch Martin
Luther zwischen 1523 und 1526. Seine im Vergleich zu anderen
Reformatoren späte Einführung neuer Liturgien und deren
konkrete Gestalten, die bei aller Korrektur an zentralen
Stellen überkommene Traditionen schonten und Vielfalt
begünstigten, speisten sich aus der Spannung von »Lust
und Ordnung«: Die rechte Liturgie, in deren Zentrum
die Mitteilung des Evangeliums in Verlesung und Auslegung
der Bibel und im Sakrament steht, entspringt nach Luther der
freien Gottesliebe des glaubenden Menschen. Der regulierte
Gottesdienst ist insofern nur ein Provisorium, der Tatsache
geschuldet, dass die überwiegende Zahl der Gläubigen
»laue« Christen sind, ja, dass jeder Christ
lebenslang »gerecht und Sünder zugleich« ist.
Darum muß der Gottesdienst immer auch eine missionarische
und erzieherische Aufgabe haben. Sodann stellt Wendebourg
die langfristigen Folgen dieser liturgischen Konzeption für
das Luthertum heraus. Dabei hebt sie den
»volkskirchlichen Charakter« des Gottesdienstes
und die Pluralität seiner Formen ebenso hervor wie die
sprach- und kulturgeschichtlichen Konsequenzen, die sich aus
seiner Orientierung am verstehenden Glauben ergaben. Und sie
betont die zentrale Bedeutung des gottesdienstlichen
Gesangs, bei dem die Spannung aus innerer, spontaner
Glaubensäußerung und äußerer Ordnung aufgehoben ist.
Abstract
Dorothea Wendebourg begins her paper with an outline of
the theological foundations of Martin Luther's liturgical
reforms undertaken between 1523 and 1526. Compared to other
reformers, Luther's new liturgies came rather late. Though
firm in correcting liturgical errors at theologically
crucial points, he was, wherever possible, soft on
traditions and encouraged liturgical diversity. Both, the
lateness of the reforms as well as their concrete results,
arose out of the tension between »spontaneity and
order«. According to Luther, proper liturgy, at the
core of which is the communication of the gospel through the
reading and interpretation of the bible as well as through
the sacraments, proceeds from the believers' free love of
God. In this respect regulated worship is only provisional;
it is necessary because the majority of believers are but
»lukewarm« Christians and, what is more, because
every Christian is both »saint and sinner«
throughout life. Therefore, worship always must include a
missionary and pedagogical function as well.
The subsequent sections of Wendebourg's paper deal with
the long-term consequences which this liturgical concept had
for Lutheranism. They focuse on the character of worship as
an institution which includes the entire community, not only
perfect Christians; on the plurality of liturgical forms;
and on the lingustic and cultural consequences which follow
from focusing on a faith which implies understanding.
Finally, Wendebourg stresses the fundamental role of singing
in worship, an activity in which the tension between
internal, spontaneous expression of faith and external order
is dissolved.
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Ralph Kunz:
Vom Schauspiel zum Sprachspiel. Ästhetische Kriterien
und theologische Prinzipien der reformierten
Gottesdienstreform im Zürich des frühen
16. Jahrhunderts
Zusammenfassung
Der Beitrag von Ralph Kunz untersucht die fundamentale
Umkonzeptionierung von Liturgie in der zwinglianischen
Reformation. Sie verschob den Akzent auf das Unsichtbare,
das es für die Gläubigen zu verstehen und in der Liturgie zu
inszenieren galt. Zwingli und seinen Nachfolgern ging es
darum, die symbolische Präsentation Gottes der sprachlichen
Vermittlung anzugleichen. Wer am Gottesdienst partizipiert,
soll verstehen, was geschieht. Kunz zeichnet die
konfliktreiche Entwicklung dieser Konzeption vor allem
anhand der Gottesdienstreformen in Zürich seit 1519, die
Ausdruck und gleichsam Motor dieser gewandelten
Vorstellungen waren, ihrer medialen Repräsentation und
Zwinglis Predigten nach. Einen Schwerpunkt der Analyse nimmt
der Ikonoklasmus ein, der einerseits von unten
kam und andererseits von obrigkeitlich verordnet wurde, um
eine humanistisch inspirierte »Hegemonie des
Wortes« in der Liturgie zu etablieren. Sie sollte im
metaphorisch gedeuteten, purifizierten Zeremoniell Gottes
Unsichtbarkeit anschaulich und glaubhaft erfahrbar machen.
Abstract
Ralph Kunz's paper examines the fundamental
reconceptualisation of liturgy during the Zwinglian
Reformation. Here the focus was shifted to the invisible,
which believers needed to understand and the liturgy needed
to stage. For Zwingli and his successors, two aspects had to
be brought to the same level: God's symbolic presentation
and its communication through language. Everyone who came to
mass should understand what was going on. Kunz traces the
conflict-laden development of this concept by looking at the
effects of the mass reforms in Zurich in 1519, which were
expression as well as driving force of these changed views,
at their medial representation and at Zwingli's sermons. One
of the key aspects of the paper is an analysis of
iconoclasm. This phenomenon came both from below
and as an order of the authorities so as to establish a
hegemony of the word in liturgy inspired by
humanistic ideas. This liturgy was to provide a vivid and
credible experience of an invisible God by means of a
metaphorically interpreted, purified ceremony.
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Benedikt Kranemann:
»in omnibus universi orbis Ecclesiis, Monasteriis,
Ordinibus«. Nachtridentinisches
Liturgieverständnis zwischen Programm und Praxis
Zusammenfassung
Der Artikel von Benedikt Kranemann fragt danach, welche
Veränderungen sich im Liturgieverständnis in Theorie und
Praxis nach dem Tridentinum ergaben. Ziel der Neuordnung
nach dem Konzil war es demnach vor allem, vorhandene
innerkirchliche Missstände, die zur Spaltung der Kirche
beigetragen hatten, zu beseitigen, gleichzeitig aber auch
die sehr unterschiedlichen Liturgien zu normieren. Mittels
neuer liturgischer Bücher (Breviarium Romanum, Missale
Romanum, Rituale Romanum) sowie Kontrollmechanismen
(Ritenkongregation, Visitationen und Synoden) sollten diese
Anliegen umgesetzt werden, etwa hinsichtlich der Messe, die
für die Gemeinde die zentrale Stellung einnahm.
In der Praxis ließen sich diese Ziele jedoch nicht
vollständig oder nur sehr verzögert realisieren, da die
kirchlichen Autoritäten vor Ort häufig auf eigene lokale
Traditionen beharrten. Aus diesem Grund wurde das Bild der
katholischen Kirche durch Eigen- bzw. Mischliturgien in den
Diözesen teilweise bis in das 19. Jahrhundert hinein
geprägt, allerdings ohne dass dabei gravierende Unterschiede
zwischen den römischen und den regionalen Liturgien
bestanden.
Abstract
Kranemann's paper investigates the changes that affected
the theory and practice of liturgical concepts after the
Council of Trent. The restructuring process that began with
the Council targeted two problems. For one, grievances that
had caused the rift in the church were to be resolved and,
for another, liturgical discrepancies were to be abolished
in favour of standardisation. This was to be achieved by
means of new liturgical publications (Breviarum Romanum,
Missale Romanum, Rituale Romanum) and control mechanisms
(Congregations of Rites, visitations and synods), e.g. in
mass, which was of crucial importance for the congregation.
In practice these measures could only be implemented in
part or with considerable delays since local church
hierarchies all too often insisted on their own traditions.
Thus, the image of the Catholic Church was marked by
individual and/or mixed liturgies in the dioceses – in
certain cases well into the 19th century, even if these
differences between the Roman and regional liturgies
remained superficial.
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Natalie Krentz:
Von der Messestörung zur Gottesdienstordnung: Die
Anfänge evangelischer Liturgie in der Stadt
Wittenberg
Zusammenfassung
Natalie Krentz (Erlangen) vollzieht in ihrem Beitrag die
Entwicklung der liturgischen Ordnungen der Wittenberger
Reformatoren von der ersten Messestörung 1521 bis zu den
lutherischen Gottesdienstordnungen, die vorbildhaft für
viele Gebiete des Alte Reiches und darüber hinaus waren. Sie
interpretiert die Wittenberger Gottesdienstordnungen als
Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen sozialen,
politischen und theologischen Akteuren der Stadt Wittenberg.
Die so entstandene lutherische Liturgie orientierte sich in
hohem Maße an praktischen Gesichtspunkten und basierte auf
der Erprobung in Wittenberg und auf dem Konsens zwischen
politischen Akteuren und Reformatoren.
Dabei wurden jene liturgischen Formen immer stärker
betont, die eine gemeinschafts- und damit
herrschaftsstabilisierende Integrationskraft erwiesen. Die
anfangs städtische Prägung musste einem stärkeren
landesherrlichen Einfluss weichen. Entscheidend war auch das
Kriterium der Abgrenzung, und zwar sowohl als Abgrenzung
gegenüber als »altgläubig«, sowie als
»radikal« wahrgenommenen liturgischen Formen.
Damit, sowie mit der gemeinsamen Wahrnehmung bestimmter
neuer Rituale als »evangelisch«, entwickelten
die neuen kirchlichen Rituale eine hohe soziale
Integrationskraft, auf deren Grundlage in den folgenden
Jahrzehnten eine umfassende Konfessionsbildung stattfinden
konnte.
Abstract
Natalie Krentz's paper traces the development of the
liturgical statutes of the Wittenberg Reformers from the
first disruption of a mass in 1521 to the Lutheran church
service statutes, which became to be exemplary for many
parts of the Holy Roman Empire and beyond. Krentz interprets
the Wittenberg church service statutes as the result of a
negotiation process between social, political and
theological stakeholders in Wittenberg. The resulting
Lutheran liturgy was much influenced by practical
considerations, was based on its trial implementation in
Wittenberg and on the consensus between political
stakeholders and Reformers.
Liturgical forms that worked towards stabilising the
community and thus also the sovereign were regarded as
increasingly significant. The strong civic tendencies of
initial liturgy had to be abandoned in favour of a clear
orientation on the sovereign. Drawing the line to liturgies
that were regarded both as orthodox and
radical was regarded as decisive. This and
developing a common identity of certain new rituals as
Protestant led to strong social integration
powers being exerted by these new church rituals that became
the basis for a comprehensive formation of a denomination in
the following decades.
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Philippe Martin:
Die tridentinische Messe. Zur Konstruktion einer
katholischen Identität in Frankreich (um 1560–um
1580)
Zusammenfassung
Die Reflexionen über die Messe und die Art sie zu feiern,
manifestierten sich seit der zweiten Hälfte des 15.
Jahrhunderts. Gleichwohl hielten sie sich lange Zeit bei
randständigen Themen auf. 1562 interessierte sich
schließlich das Konzil von Trient für die Messe. Nach
kurzen, aber heftigen Debatten erließen die Konzilsväter das
Decretum De sanctissimomissaesacrificio (1562). Der
daraus entstandene Reformprozess führte bis zur Bulle Quo
primum tempore (1570). Die katholische Konzeption der
Messe entwickelte sich in Orientierung an zwei Kriterien:
Zunächst einmal war sie gegen den Protestantismus
gerichtet. Dies erklärt die Zurückweisung der Vulgärsprachen
zugunsten des Lateinischen, obschon noch am Beginn des
Jahrhunderts eine Mehrheit von Klerikern erstgenannter
zugeneigt hatte. Schließlich wurde die Konzeption mit
den Katholiken erstellt. Seit 1562 versuchten die
Prälaten sich eines Feldes zu bemächtigen, das das
Tridentinum im Ungewissen gelassen hatte: den konkreten
Ablauf dieses Ritus'. Allerdings wies Rom schnell alle
lokalen Initiativen zurück, um ein römisches Ideal der
Messzelebration durchzusetzen, wurde die Messe zu einer
päpstlichen Angelegenheit. Jedermann wusste um ihre
Bedeutung. Die Messe wurde zu einem Symbol, mit dem man
seine Zugehörigkeit zum Katholizismus oder dessen
Zurückweisung ausdrücken konnte. Diese Frage, 1520 von
zweitrangiger Bedeutung, stand seither im Zentrum
konfessioneller Auseinandersetzungen: So sehr die Messe ein
liturgischer Akt oder eine religiöser Ausdrucksform war –
in erster Linie war sie doch eine Frage der Identität.
Abstract
With the second half of the 15th century, reflections on
the mass and its celebration started to manifest themselves,
even if marginal issues dominated for a considerable period
of time. In 1562 the mass became an issue at the Council of
Trent, and after short but intense debates the Council's
fathers mandated the Decretum De sanctissimo missae
sacrificio (1562). The ensuing reform process led to the
bull Quo primum tempore (1570). The development of
the Catholic concept of the mass was based on two criteria:
First, it was directed against Protestantism. This
explains the rejection of the vernacular in favour of Latin,
despite the fact that a majority of the clergy had tended to
the former at the beginning of the century. Second, the
concept was drawn up with Catholics. After 1562, the
prelates seized upon an issue that the Council of Trent had
not touched upon: the detailed sequence of this rite. But
Rome was quick to reject all local initiatives. So as to
establish a Roman ideal of celebrating mass, the issue
became a papal one. Everyone knew about its significance and
mass became a symbol by means of which a person could
express their affiliation with or rejection of Catholicism.
This question, in 1520 of secondary importance, emerged as
the core of subsequent confessional disputes: Regardless of
its character as liturgical act or form of religious
expression – mass was, first and foremost, a question of
identity.
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Christian Grosse:
Liturgische Praktiken und die Konfessionalisierung des
kollektiven Bewusstseins der Reformierten. Das Beispiel Genf
(16./17. Jahrhundert)
Zusammenfassung
Der Artikel von Christian Grosse verdeutlicht die
zentrale Rolle der liturgischen und kultischen Praxis für
die Formierung und die Fortschreibung einer kollektiven
Identität der Reformierten im 16. und 17. Jahrhundert. Er
zeigt, wie die liturgischen Formulare, die von Calvin für
die öffentlichen Gottesdienste wie für die Hausandachten
redigiert wurden, schnell einem Prozess der
Konfessionalisierung unterlagen. Auch außergewöhnliche
liturgische Erlasse – kollektive Dankandachten,
außerordentliche Gebete (prièresextraordinaires) und
Fasten – wurden sehr früh eingeführt. Sie wurden seit der
Mitte des 16. Jahrhunderts ausgebaut, um auf Ereignisse zu
reagieren, die mit dem Konfessionskonflikt (Religionskriege,
Verfolgungen) oder Naturereignissen zusammenhingen
(Epidemien, Hungerkrisen). Regulärer und außerordentlicher
Kult bildeten so ein System liturgischer Praxis, mittels
dessen die Reformierten ein kollektives Bewusstsein, eine
konfessionelle Solidarität und eine Sicht auf die Welt
ausdrücken konnten, die von der Vorsehung bestimmt war.
Dieses System wandelte sich indes seit dem beginnenden 17.
Jahrhundert, verstärkt nach 1650, in Richtung auf eine
Politisierung seiner Inhalte. Sein konfessioneller Charakter
schwächte sich mit den liturgischen Reformen, die zu Beginn
des Aufklärungsjahrhunderts stattfinden, weiter ab.
Abstract
Christian Grosse's paper illustrates the crucial
importance of liturgical and cultic practice for the
formation and perpetuation of a collective identity in the
Reformed Church of the 16th and 17th centuries. It shows how
the liturgical instructions, edited by Calvin for public
worship and family prayers, were quickly subjected to a
process of confessionalization. Exceptional liturgical
decrees, such as collective prayers of thanks, extraordinary
prayers (prieres extraordinaires) and fastings, were
also introduced at a very early stage. These measures were
extended since the mid-16th century as a reaction to events
associated with the confessional conflict (religious wars,
persecution) or natural phenomena (epidemics, famines).
Thus, the regular and extraordinary cult formed a system of
liturgical practice allowing adherents of the Reformed
Church to express a collective consciousness, a confessional
solidarity and a worldview determined by providence. From
the early 17th century on, though, and in particular after
1650, this system underwent further changes insofar as its
contents were politicised. The liturgical reforms at the
beginning of the century of Enlightenment resulted in its
confessional character being less pronounced.
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David M. Luebke:
Passageriten und Identität. Taufe und
Eheschließung in westfälischen Kleinstädten
(1550–1650)
Zusammenfassung
David M. Luebke erweitert in seinem Beitrag das
traditionelle, etatistisch geprägte
Konfessionalisierungsparadigma. Er untersucht den Umgang mit
den rituellen Angeboten der Kirchen, insbesondere
Passageriten wie Taufe und Eheschließung, in
multikonfessionellen, westfälischen Kleinstädten in den
Jahren von 1550 bis 1650.
Obgleich sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts
Konfessionskulturen ausbildeten, die sich auch in ihren
Ritualen unterschieden, wurden Taufe und Eheschließung von
Gemeindemitgliedern und Klerikern weniger stark als
konfessionelle Distinktionsmerkmale wahrgenommen. Vielmehr
handelte es sich um überkonfessionelle Rituale, die
Veränderungen im rechtlichen und sozialen Status des
Einzelnen innerhalb der kleinstädtischen Gemeinschaft
bewirkten.
Das so entwickelte System des konfessionellen
Arrangements, in dem etwa ein katholischer Kleriker ein Kind
nach reformiertem Ritus taufte, entstand in erster Linie
nicht als ad-hoc-Reaktion oder aus der sozialen und
politischen Notwendigkeiten heraus, sondern ist als das
Resultat einer scharfsinnigen Auslegung des Augsburger
Religionsfrieden zu lesen.
Abstract
In his paper, David M. Luebke broadens the traditional
statist paradigm of confessionalization. He looks at the
practice of church rituals, in particular rites of passage
such as baptism and marriage, in small, multi-confessional
Westphalian towns between 1550 and 1650.
Although the end of the 16th century saw the formation of
denominational cultures that followed their own distinct
rituals, parishioners and clergy did not see baptism and
marriage as markers of denomination. These were, instead,
regarded as supra-confessional rituals with consequences for
the legal and social standing of the individual within the
urban community.
The resulting system was a denominational arrangement,
which, for instance, permitted a member of the Catholic
clergy to baptise a child according to the Reformed rite.
This situation was neither the consequence of a haphazard
reaction nor born of social and political necessity, but
needs to be seen as a subtle interpretation of the Augsburg
Settlement.
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Kristina Thies:
Inszenierung von Ordnung. Die Große Prozession in
Münster im Zeitalter der Konfessionalisierung
Zusammenfassung
Kristina Thies vollzieht in ihrem Beitrag den Wandel der
Großen Prozession in Münster im Zeitalter der
Konfessionalisierung von einer Bußprozession in mahnender
Erinnerung an eine spätmittelalterliche Pest- und
Brandkatastrophe hin zu einer von jesuitischer Ästhetik und
Frömmigkeit beeinflussten Sakramentsprozession nach. Sie
setzt diesen mit den Veränderungen innerhalb der städtischen
Gesellschaft und im Verhältnis zwischen Landesherr und Stadt
im Rahmen der Verdichtung landesherrlicher Gewalt und der
Mediatisierung der Stadt in den Territorialstaat in
Beziehung.
Kennzeichneten die Große Prozession im Spätmittelalter
noch ihr kollektiver gesamtstädtischer Bußcharakter, ihre
schmucklose, einfache Gestaltung und die Armenspeisung aus
dem städtischen Almosenkorb sowie ihr Festcharakter im
Anschluss (Margarethenzeche des Rates), so setzte sich im
Laufe des 17. Jahrhunderts eine barocke Frömmigkeitspraxis
jesuitischer Prägung durch. Die Prozession avancierte zu
einer Manifestation des neuen Selbstverständnisses des
tridentinischen Reformkatholizismus und nicht zuletzt des
frühneuzeitlichen Konfessionsstaates.
Die neuen Gruppen in der westfälischen Stadt (Jesuiten,
ihre Schüler und Kongregationen) nutzten die Große
Prozession, um ihre eigenen Vorstellungen von einem Platz
innerhalb der sozialen, politischen und konfessionellen
Ordnung der Stadt zu inszenieren. Gleichzeitig bot sie den
traditionellen städtischen Gruppen weiterhin
»Haftpunkte der Identifikation«.
Abstract
In her paper, Kristina Thies traces the changes in
Münster's Grand Procession in the age of Confessionalization
from a procession of penitence in memory of a late medieval
plague and fire catastrophe to a sacramental procession
influenced by Jesuit aesthetics and piety. Thies discusses
this development in the context of a changing urban society
and the relationship between the sovereign and the urban
administration as part of the concentration process of
sovereign power and the integration (mediatisation) of the
town into the territorial state.
The late medieval Grand Procession was marked by a
collective pan-urban character of penitence, a plain
organisation and the feeding of the poor from the city poor
box followed by a feast (the town council's
Margarethenzeche). However, a Baroque practice of piety
showing Jesuit influence asserted itself in the
17th century. The Procession developed to become a
manifestation of the new identity of Tridentine Reform
Catholicism and, not least, the early modern confessional
state.
The new groups that emerged in the Westphalian town
(Jesuits, their students and congregations) used the Grand
Procession to stage their own ideas of place within the
social, political and confessional order of the town. At the
same time, the established urban groups still
benefited from it as it offered them anchors of
identification.
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Lena Krull:
Demonstrativer Katholizismus und gleichberechtigtes
Geschlechterverhältnis – Studentische
Korporationen in der Großen Prozession in Münster
im 19. und 20. Jahrhundert
Zusammenfassung
Lena Krull untersucht in ihrem Beitrag den Stellenwert
der Großen Prozession innerhalb der städtischen Gesellschaft
im Münster des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und die
Bedeutung der Teilnahme an der Prozession für die soziale
Repräsentation von Gruppen (Schüler, Professoren,
katholische studentische Korporationen und
Studentinnenvereine).
In Folge der Konjunktur stärker veräußerlichter
katholischer Frömmigkeitspraktiken (u.a.
Heilig-Rock-Wallfahrt nach Trier 1844) und die Förderung
durch Bischof Caspar Maximilian Droste zu Vischering wurde
in den 1830er Jahren damit begonnen, den Stellenwert der
Großen Prozession im städtischen Festkalender auszubauen. Im
Kulturkampf versuchte die preußische Verwaltung, die
Prozession einzuschränken, und machte die Beteiligung daran
zum Politikum für Kirche und Gläubige. Krull zeigt,
inwiefern die Professoren der Universität und katholische
Studentenverbindungen und -vereine mit ihrer Teilnahme ein
öffentliches Bekenntnis zum Katholizismus ablegten.
Anfang des 20. Jahrhunderts suchten mit der Zulassung des
Frauenstudiums in Preußen neu gegründete katholische
Studentinnenvereine ihren Platz in der akademischen und
städtischen Öffentlichkeit. Die Diskussion um ihre
Einordnung macht deutlich, dass die Integration in die
Großen Prozession während des Untersuchungszeitraumes nicht
starr fixiert war, sondern beständig zur Disposition stand.
Abstract
Lena Krull investigates the significance of the Grand
Procession (Große Prozession) in Münster's urban
society in the 19th and 20th centuries and looks at the
relevance of participating in the Procession in terms of
social representation of groups (schoolchildren, university
professors, Catholic student corporations and women's
student associations).
Following the rise in explicitly outwardly expressed
Catholic piety practices (e.g. the pilgrimage to the Holy
Robe in Trier in 1844) and its promotion by Bishop Caspar
Maximilian Droste zu Vischering, the Grand Procession grew
in significance in Münster's calendar of festivities in the
1830s. During the Kulturkampf, the Prussian
administration tried to contain the Procession, which
politicised participation both for the Church and for
believers. Krull shows to what extent participation in the
Procession became a public profession of faith for both
university professors and Catholic student corporations and
associations.
With the admission of female students to universities in
Prussia, newly founded Catholic associations for female
students sought to establish themselves in the academic and
urban landscape in the early 20th century. The ensuing
discussions on their representation illustrate how
integration into the Grand Procession during the period of
investigation was a constant process of negotiation.
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Jürgen Bärsch:
Ordo Exsequiarum und »ehrliches Begräbnis«.
Eine vergleichende Analyse katholischer und protestantischer
Begräbnisordnungen der frühen Neuzeit aus
liturgiewissenschaftlicher Sicht
Zusammenfassung
Der Beitrag von Jürgen Bärsch untersucht in
vergleichender Analyse frühneuzeitliche Begräbnisordnungen
katholischer und evangelischer Provenienz hinsichtlich
theologischer Bestimmungen und der rituellen Praxis.
Exemplarisch herangezogene lutherische Kirchenordnungen des
16. und 17. Jahrhunderts zeigen, dass man sich von dieser
Seite vorwiegend auf die Regelung äußerer Formen (Geläut,
Teilnahme, Prozession) beschränkte. Im Unterschied zur
vorreformatorischen Totenliturgie, welche die Angst vor dem
Fegefeuer ins Zentrum stellte, wurde der Glaube an die
Auferstehung des ehrlich bestatteten
Verstorbenen betont. Aufgrund der Vorstellung einer
Rechtfertigung durch den Glauben bedurfte er selbst keiner
Liturgie, so dass das Begräbnis allein auf die
Hinterbliebenen ausgerichtet wurde, um ihnen Trost zu
spenden und den Auferstehungsglauben zu stärken. Dagegen
zeichneten sich die nachtridentinischen Regelungen in
katholischen Diözesanritualien einerseits durch Kontinuität
zur mittelalterlichen Liturgie und andererseits durch einen
angestrebten hohen Vereinheitlichungsgrad aus, um die
Einheit innerhalb der römischen Kirche hervorzuheben und
sich vom konfessionellen Gegner abzugrenzen. Im Unterschied
zu den Protestanten zielte das Begräbnis vorwiegend auf den
Verstorbenen, welcher auf die Fürbitte der Lebenden bei und
nach diesem Akt angewiesen blieb, um den Läuterungsstrafen
zu entgehen.
Abstract
In his paper, Jürgen Bärsch undertakes a comparative
analysis of early modern Catholic and Protestant funeral
statutes with regard to their theological regulations and
ritual practice. An exemplary study of 16th and 17th-century
Lutheran church statutes reveals a predominant restriction
to controlling exterior forms (bells, attendance and
procession). As opposed to pre-Reformation funeral liturgy
and its focus on purgatorial fear, the resurrection of the
decently buried individual took centre stage.
Based on the idea of a justification through faith, the fate
of the deceased no longer depended on a liturgy. The
funeral, therefore, came to focus entirely on the bereaved,
their comforting and the strengthening of their belief in
resurrection.
In contrast, post-Tridentine regulations in Catholic
diocesan rituals were marked by two different trends. On the
one hand, a continuity of medieval liturgy can be observed
and, on the other hand, there was a strong move towards
standardisation so as to emphasise the unity of the Roman
Church and to draw a line to denominational opponents.
Unlike Protestant ritual, a Catholic funeral was mainly
about the deceased, who was dependent on the intercession of
the living during and after the ritual so as to avoid the
punishments of purification.
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Mareike Menne:
Profanierte Religion und sakralisierte Verwaltung? Ein Blick
auf Visitation und Liturgie in Paderborn und Lippe
Zusammenfassung
Der Beitrag von Mareike Menne beleuchtet Visitationen mit
dem Fokus auf liturgisches Handeln aus zwei Perspektiven: Es
geht um die Versuche konfessionsliturgischer
Homogenisierung, aber vor allem um die symbolische Bedeutung
der Visitation selbst. In relativ distinkter Weise wurden
hier konfessionskirchliche und soziale Hierarchien
erfahrbar. Staatliche Geltungsansprüche in Bezug auf die
Erfassung bestehender Verhältnisse wurden ebenso
artikuliert, wie sich durch symbolisches Handeln den
Gemeinden Möglichkeiten zur Identitätsstiftung eröffneten.
Ist ersteres vor allem in der reformierten Grafschaft Lippe
mit deutlicher Präferenz des Schriftlichen sichtbar, so
tritt der zweite Aspekt in den Visitationen des Hochstifts
Paderborn stärker hervor. Zum Teil in Gegenwart des
zelebrierenden Fürstbischofs vollzogene Gottesdienste und
Volksfeste waren immer auch Teil der Vermittlung von
Herrschaft, und die Liturgie bildete gleichsam den Rahmen,
mit dem die Geltungsansprüche des Konfessionsstaates mit
einer sakralen Aura versehen wurden. Menne fragt
schließlich, ob nicht dadurch zwangsläufig die Liturgie
einer gewissen Profanierung unterlag, weil sie stärker als
sonst sozial und politisch instrumentalisiert wurde.
Abstract
Mareike Menne's paper considers visitations with a focus
on liturgical action and applies two perspectives: their
attempted homogenisation in terms of denominational liturgy
and, in particular, the symbolic significance of the
visitation itself. Visitations made denominational and
social hierarchies tangible in a rather distinct way.
Authorities asserted their power with regard to assessing
the status quo, in particular in the Reformed County Lippe
and mostly in writing. Visitations in the Prince-Bishopric
Paderborn, on the other hand, tended to give congregations
the chance to establish identity by means of symbolic
actions. One way of communicating power was in the
celebration of mass and the organisation of fairs often by
the prince bishop himself. The liturgy was the frame within
which the claims to power of the confessional state received
a sacral aura. Finally, Menne considers the question of
whether liturgy was not bound to experience a certain degree
of profanation due to its increased social and political
instrumentalisation.
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Irmgard Scheitler:
Kirchengesang und Konfession. Die konfessionssymbolische
Bedeutung des Kirchenlieds von der Reformation bis zur
Aufklärung
Zusammenfassung
Irmgard Scheitler zeichnet in ihrem Beitrag die komplexen
Entwicklungslinien auf dem Gebiet des Kirchengesangs von der
Reformation bis in die Aufklärungszeit nach. Der in die
Liturgie integrierte deutsche Gemeindegesang wurde zu einem
zentralen Kennzeichen der Reformation. Symbolcharakter
hatten einerseits die Lieder Luthers, seiner Freunde und
Anhänger, auf seiten der reformierten Kirche aber die
Psalmlieder mit den Genfer Melodien. Versuche, den
volkssprachlichen Gesang auch in der katholischen Kirche
auszuweiten, waren wenig erfolgreich, so dass das deutsche
Kirchenlied in der Liturgie zu einem klaren
Abgrenzungsmerkmal der Konfessionen avancierte.
Interkonfessionelle Polemik fehlte zwar nicht, besonders im
16. Jahrhundert, jedoch liegt die Bedeutung des
Kirchenliedes eindeutig in der Frömmigkeitsübung, der
religiösen Wissensvermittlung und Bewusstseinsbildung. Das
17. Jahrhundert brachte eine große Zahl zunächst für den
privaten Gebrauch gedachter geistlicher Lieder in moderner
musikalischer Gestalt, von denen viele nach und nach in die
als Kirchen- und Hausgesangbücher konzipierten Sammlungen
eingingen. Im 18. Jahrhundert schliffen sich die
Konfessionsgrenzen ab. In den Kirchen der Reformation
gerieten die alten Lieder unter Legitimitätsdruck. Der
Katholizismus öffnete sich mit der Singmesse der
Volkssprache. Insbesondere seit der zweite Hälfte des 19.
Jahrhunderts sind rekonfessionalisierende Tendenzen
unübersehbar.
Abstract
In her paper, Irmgard Scheitler traces the complex
developments in the field of church hymns from the
Reformation to the Enlightenment. The German-language
congregational singing that was part of the liturgy became
one of the key characteristics of the Reformation. Luther's
hymns, those of his friends and followers had a symbolic
character; the same was true for psalms and the Geneva
melodies in the Reformed Church. Attempts to extend
vernacular singing into the Catholic Church did not succeed,
so that the liturgy-integrated German hymn developed into a
clear distinction between the confessions. Although the
16th century in particular saw considerable
interdenominational polemics, the crucial aspect of the hymn
was in practised piety, in the imparting of religious
knowledge and the forming of the consciousness. The
17th century saw the publication of an extensive number of
spiritual songs in modern musical form. These were initially
intended for private purposes but, over time, many of them
found their way into collections of hymns designed as
domestic or church hymnals. The once clear line between the
denominations became less pronounced in the 18th century.
The old and established songs came under pressure in the
churches of the Reformation, whereas Catholicism opened up
to vernacular hymns during mass. Pronounced
re-confessionalizing tendencies emerged particularly since
the second half of the 19th century.
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Andreas Pietsch:
»Wenn doch selbst Lipsius ein Marienbildnis preisen
kann!« Von der verflixten Uneindeutigkeit
religiöser Praktiken
Zusammenfassung
Andreas Pietsch analysiert zeitgenössische Debatten und
forschungsgeschichtliche Diskurse über die eindeutige
Konfessionszugehörigkeit des niederländischen Gelehrten
Justus Lipsius (1547–1606), der Zeit seines Lebens zwischen
den Konfessionen lavierte. Im Zentrum der
Auseinandersetzungen um die Bestimmung der
Konfessionszugehörigkeit standen dabei drei Parameter, die
von Zeitgenossen und Forschern unterschiedlich interpretiert
wurden. Erstens boten die Aufenthaltsorte des Gelehrten
(Köln, Leuwen, Rom, Jena und Leiden)wie zweitens seine
Schriften und Werke (De Constantia, Politica)
Anhaltspunkte. Drittens wurden seine persönliche
Frömmigkeitspraktiken, wie etwa seine Marienverehrung, auf
eindeutige Bekenntnisse hin untersucht, was Pietsch am
Beispiel der Stellungnahmen des reformierten Theologen
Adrianus Saravia (1531–1613) in der Causa Lipsius
ausführt. Saravia diagnostizierte bei Lipsius jene
verflixte Uneindeutigkeit und ordnete ihn auf
Grund dessen einer spiritualistischen Sekte, der Familia
Charitatis, zu. Konfessionelle Uneindeutigkeiten seien
weder auf die gelehrten Eliten noch auf die Niederlande
beschränkt. Pietsch zeigt, dass konfessionelle Ambiguität um
die Wende zum 17. Jahrhundert die Ambiguität zwar ein
Epiphänomen der Konfessionalisierung war, aber gerade als
die notwendige Kehrseite zur Vereindeutigung zu fassen ist.
Abstract
Andreas Pietsch analyses contemporary debates and
research discourses on the true confessional affiliation of
the Dutch scholar Justus Lipsius (1547–1606), who
alternated between the denominations throughout his entire
life. The conflicts about the determination of Lipsius'
denominational affiliation centred on three parameters that
have been interpreted differently by contemporaries and
scholars: Lipsius' places of residence and research
(Cologne, Leuven, Rome, Jena and Leyden), his writings
(De Constantia, Politica) and, finally, his
personal practices of piety, such as his veneration of the
Virgin Mary. All of these were examined in search of clear
evidence, and Pietsch takes the example of the Reformed
theologian Adrianus Saravia (1531–1613) and his comments to
illustrate this aspect. In Lipsius, Saravia diagnosed what
he called a tricky ambiguity and thus associated
him with a spiritualist sect, the Familia Charitatis.
According to Pietsch, confessional ambiguities were neither
restricted to the learned elites alone nor to the
Netherlands. He shows that towards the end of the
16th century, confessional ambiguity had become an
epiphenomenon of confessionalization, but can be understood
as the necessary obverse of disambiguation.
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Laurent Jalabert:
Die Aufteilung des religiösen Raumes. Konfessionelle
Differenzierung und sakrale Gewalt im
deutsch-französischen Grenzraum im 17. und
18. Jahrhundert
Zusammenfassung
Der Beitrag fokussiert auf die gemeinsame Nutzung, die
Aufteilung, des öffentlichen Raumes durch Katholiken und
Lutheraner im deutsch-französischen Grenzgebiet im 17. und
18. Jahrhundert. Sie stehen im Zusammenhang mit den
politischen Folgen des bourbonisch-habsburgischen
Gegensatzes, machen aber allgemeine Strukturmuster
konfessioneller Koexistenz deutlich. Am Beispiel von
Simultaneum-Gemeinden vor allem in den Grafschaften
Nassau-Saarbrücken und -Saarwerden zeigt Jalabert, wie
einerseits zwar durch schriftliche Fixierungen
alternierender Religionsausübung ein Grundlage
konfessioneller Koexistenz gelegt wurde, andererseits sich
auf dieser Basis immer wieder, vermehrt seit Mitte des 18.
Jahrhunderts, Konflikte entzündeten. Die Untersuchung ordnet
sich in jüngere Forschungen ein, die die
Konfessionalisierung als lebensweltlich-kulturelle Festigung
innerchristlich ausdifferenzierter Gruppen als wesentlich
noch im 18. Jahrhundert sich vollziehen sehen. Gleichzeitig
macht er nachdrücklich darauf aufmerksam, wie an diesem
Prozess die symbolische Abgrenzung im öffentlichen Raum
konstitutiv beteiligt war, indem hier ephemer, durch die
Liturgie, oder dauerhaft, durch feste Zeichen, symbolische
Identitätsmarker platziert und wahrgenommen wurden.
Abstract
The paper focuses on the shared use, the partitioning, of
public space by Catholics and Lutherans in the 17th and
18th-century Franco-German border area. While this
phenomenon needs to be seen in the context of the political
consequences of Bourbon-Habsburg antagonism, it also reveals
broader patterns of denominational co-existence. In a focus
on bi-confessional congregations (
Simultaneum-Gemeinden), in particular in the Counties
Nassau-Saarbrücken and Nassau-Saarwerden, Jalabert shows how
denominational co-existence was made possible by means of
written regulations for the alternating use of religious
space by the two congregations. This, however, also led to
repeated conflicts, particularly so since the
mid-18th century. This paper is in line with more recent
studies and regards confessionalization as an 18th-century
process of everyday and cultural consolidation of groups
having undergone inner-Christian differentiation. At the
same time, Jalabert shows how symbolic differentiation in
public space became constitutive for this process, namely in
how ephemeral symbolic identity markers were set and
observed, in liturgy and as permanent elements in the
landscape.
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Martin Scheutz:
Das Offizielle und das Subkutane. Konfessionelle Symbole und
Rituale im Spannungsfeld von öffentlichem Katholizismus
und Geheimprotestantismus in den österreichischen
Erbländern um die Mitte des 18. Jahrhunderts
Zusammenfassung
Martin Scheutz stellt in seinem Beitrag konfessionelle
Symbole, Rituale und religiöse Praktiken des obrigkeitlich
subventionierten Katholizismus und des verbotenen
Protestantismus in den österreichischen Erbländern um
die Mitte des 18. Jahrhunderts gegenüber.
Während sich die geheimprotestantische
praxispietatis durch häusliche Andachten und
intensive Bibellektüre in kleineren Gruppen jenseits des
Offiziellen auszeichnete, definierte sich die katholische
Mehrheitsgesellschaft über liturgische Riten (Taufe,
Begräbnisse, Hochzeiten) und semiliturgische, performative
Akte (Wallfahrten, Prozessionen) im öffentlichen Raum. Im
Sinne der pietasaustriaca wurden durch Missionen,
Bruderschaften und Pfarrer vor Ort besonders die Marien- und
Eucharistiefrömmigkeit sowie die Verehrung neuer
habsburgischer Landesheiliger gefördert.
Als Reaktion auf die Restriktionen der
Habsburgermonarchie und auf die Zunahme der konfessionell
bedingten Konflikte in den 1730er bis 1750er Jahren
entwickelten die Geheimprotestanten eine
Überlebensstrategie und suggerierten Konformität
nach außen und Zugehörigkeit zum Mehrheitskatholizismus,
indem sie etwa ihre Wohnräume mit dezidiert katholischen
Konfessionssymbolen ausstatteten.
Abstract
In his paper, Martin Scheutz contrasts confessional
symbols, rituals and religious practices of authority-backed
Catholicism and prohibited Protestantism in Austria's
hereditary lands around the middle of the 18th century.
The praxis pietatis of secret Protestants avoided
the official sphere by means of domestic prayers and
intensive bible study in small groups. The Catholic
majority, on the other hand, defined itself through
liturgical rites (baptisms, funerals, weddings) and
semi-liturgical, performative acts (pilgrimages,
processions) in the public space. Particular features of the
pietas austriaca were the adoration of the Virgin
Mary and Eucharist piety as well as the veneration of new
saints of the Habsburg territories, all realised through
missions, brotherhoods and local priests.
In answer to the restrictions of the Habsburg monarchy
and the growing number of confessional conflicts between the
1730s and 1750s, the secret Protestants developed a
survival strategy. They suggested their
conformity with and membership in the majority religion by
displaying decidedly Catholic symbols in their houses.
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