Jan Brademann, Kristina Thies (Hgg.)

Liturgisches Handeln als soziale Praxis

Kirchliche Rituale in der Frühen Neuzeit

Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme –
Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496
Band 47

2014, 464 Seiten, 20 Beiträge, 17 Abbildungen, inkl. begleitende Musik-CD mit 24 Stücken (CD auch separat erhältlich), Harteinband
2014, 464 pages, 20 essays, 17 figures, includes a music CD with 24 pieces (the CD can also be purchased separately), hardcover

ISBN 978-3-86887-023-7
Preis/price EUR 52,–

17 × 24cm (B×H), 1100g

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Aus dem Inhalt / from the book:

Kurzzusammenfassung
Inhaltsverzeichnis
Inhalt der begleitenden Musik-CD
Näheres zu den Beiträgen


Kurzzusammenfassung:

Der Band geht zurück auf eine interdisziplinäre Tagung, die im Juni 2009 in Münster stattfand. Beteiligt waren der Sonderforschungsbereich 495 »Symbolische Kommunikation und Gesellschaftliche Wertesysteme«, das Exzellenzcluster »Religion und Politik« und das Institut für Vergleichende Städtegeschichte. Im Zentrum stand die Frage nach dem konstitutiven Zusammenhang von Liturgie und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Reformation und Konfessionalisierung als Prozesse der Ausdifferenzierung konfessioneller Großgruppen sind, so die zentrale Prämisse, ohne die spezifische Leistungskraft und Logik religiöser, insbesondere kirchlicher Rituale nicht denkbar. Von der Frühneuzeitforschung ist dieser Zusammenhang jedoch bislang nicht systematisch untersucht worden.

In einem ersten Teil des Buchs werden interdisziplinäre Konzepte zur Analyse liturgischen Handelns, vor allem seitens der Soziologie und der systematischen Theologie, vorgestellt. In einem zweiten Abschnitt geraten die liturgischen Konzepte der Konfessionen anhand zentraler frühneuzeitlicher Theologen und Institutionen in den Blickpunkt der historischen Theologie. Anschließend führen geschichtswissenschaftliche Fallstudien in drei Sektionen in spezifische Kontexte religiösen Wandels.

Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen liturgischem Handeln und der Entstehung und Fortschreibung konfessioneller Gruppen fassen? Welche unterschiedliche Rolle spielten soziale Strukturen und theologische Prinzipien im Hinblick auf die Gestaltung der Liturgie? Welche politischen Funktionen erfüllte Liturgie? Wie veränderten sie sich zwischen 16. und 19. Jahrhundert? Welche unterschiedlichen Wertvorstellungen wurden in der Liturgie artikuliert und insofern auch perpetuiert? Inwiefern wurden konfessionelle Grenzen, die immer auch soziale und politische Grenzen waren, in der Liturgie gezogen oder gerade auch überbrückt? Wo und unter welchen Bedingungen führte die Liturgie zu konfliktreichen Abgrenzungsvorgängen? Wo lassen sich Vorgänge der äußeren Verstellung und Ambiguität autopsieren? Was sagen solche Veränderungen über den strukturellen Wandel von Gesellschaften aus?

Indem er liturgisches Handeln als soziale Praxis auffasst, die wesentliche Funktionen für die Stabilität sowohl religiöser Wertvorstellungen und den Zusammenhalt sozialer Gruppen erfüllte, möchte der vorliegende Band einen ersten Schritt für eine frühneuzeitliche Liturgiegeschichtsforschung bieten. Sie sollte sich nicht auf eine ideengeschichtliche Untersuchung von Formularen beschränken oder allein nach individuellen Deutungshorizonten fragen, sondern an sozialen Strukturen interessiert sein, die sich in liturgischem Handeln als sozialer Praxis artikulierten und veränderten.

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Inhaltsverzeichnis:

Vorwort

Jan Brademann:
Anstelle einer Einleitung: Liturgie als soziale Praxis – Konfessionalisierung als ritueller Prozess?

1. LITURGIE ALS RITUAL: SYSTEMATISCH-THEORETISCHE SONDIERUNGEN

Volkhard Krech:
Systematisierende Überlegungen zur Bedeutung von Liturgie in religionssoziologischer Perspektive

Edmund Arens:
Liturgisches Handeln als performativer Vollzug und religiöse Praxis. Die Perspektive einer kommunikativen Religionstheologie

Andreas Odenthal:
»Rituelle Erfahrung« im Zeitalter der Konfessionalisierung. Zur Anwendung eines praktisch-theologischen Paradigmas auf die Liturgiegeschichte – ein Versuch

2. BEKENNTNIS UND SYMBOL: DIE LITURGIE AUS DER SICHT DER THEOLOGEN

Dorothea Wendebourg:
Lust und Ordnung. Der christliche Gottesdienst nach Martin Luther

Ralph Kunz:
Vom Schauspiel zum Sprachspiel. Ästhetische Kriterien und theologische Prinzipien der reformierten Gottesdienstreform im Zürich des frühen 16. Jahrhunderts

Benedikt Kranemann:
»in omnibus universi orbis Ecclesiis, Monasteriis, Ordinibus«. Nachtridentinisches Liturgieverständnis zwischen Programm und Praxis

3. LITURGISCHES HANDELN UND DIE GESELLSCHAFTLICHE FORMIERUNG DER KONFESSIONEN

Natalie Krentz:
Von der Messestörung zur Gottesdienstordnung: Die Anfänge evangelischer Liturgie in der Stadt Wittenberg

Philippe Martin:
Die tridentinische Messe. Zur Konstruktion einer katholischen Identität in Frankreich (um 1560–um 1580)

Christian Grosse:
Liturgische Praktiken und die Konfessionalisierung des kollektiven Bewusstseins der Reformierten. Das Beispiel Genf (16./17. Jahrhundert)

4. LITURGIE, SOZIALE INTEGRATION UND DISTINKTION

David M. Luebke:
Passageriten und Identität. Taufe und Eheschließung in westfälischen Kleinstädten (1550–1650)

Kristina Thies:
Inszenierung von Ordnung. Die Große Prozession in Münster im Zeitalter der Konfessionalisierung

Lena Krull:
Demonstrativer Katholizismus und gleichberechtigtes Geschlechterverhältnis – Studentische Korporationen in der Großen Prozession in Münster im 19. und 20. Jahrhundert

5. LITURGISCHES HANDELN UND DIE DIFFERENZ KONFESSIONELLER WERTVORSTELLUNGEN

Jürgen Bärsch:
Ordo Exsequiarum und »ehrliches Begräbnis«. Eine vergleichende Analyse katholischer und protestantischer Begräbnisordnungen der frühen Neuzeit aus liturgiewissenschaftlicher Sicht

Mareike Menne:
Profanierte Religion und sakralisierte Verwaltung? Ein Blick auf Visitation und Liturgie in Paderborn und Lippe

Irmgard Scheitler:
Kirchengesang und Konfession. Die konfessionssymbolische Bedeutung des Kirchenlieds von der Reformation bis zur Aufklärung

6. INTERKONFESSIONELLER KONFLIKT, AMBIGUITÄT UND ANPASSUNG

Andreas Pietsch:
»Wenn doch selbst Lipsius ein Marienbildnis preisen kann!« Von der verflixten Uneindeutigkeit religiöser Praktiken

Laurent Jalabert:
Die Aufteilung des religiösen Raumes. Konfessionelle Differenzierung und sakrale Gewalt im deutsch-französischen Grenzraum im 17. und 18. Jahrhundert

Martin Scheutz:
Das Offizielle und das Subkutane. Konfessionelle Symbole und Rituale im Spannungsfeld von öffentlichem Katholizismus und Geheimprotestantismus in den österreichischen Erbländern um die Mitte des 18. Jahrhunderts

7. DIE CD: »KIRCHENLIED UND KONFESSION«

»Kirchenlied und Konfession« – die Gesänge der CD

Englische Zusammenfassungen – English Abstracts

Die Autorinnen und Autoren

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Inhalt der begleitenden Musik-CD: »Kirchenlied und Konfession«

Die Begleit-CD »Kirchenlied und Konfession« ist auch separat erhältlich:
ASIN: B00KOE405S (Hauptvertrieb: oomoxx media, CD Produktion und DVD Produktion www.oomoxx.com – überall im Musikhandel – oder direkt beim Rhema-Verlag)

»Kirchenlied und Konfession« – Die Gesänge der CD:

1) Dicit Dominus [3:56] [Klangprobe – MP3]
Introitus zur Vigil des Festes Peter und Paul. Graduale Romanum

2) Christ ist erstanden [1:33] [Klangprobe – MP3]
12.–15. Jahrhundert

3) Christ lag ynn todes banden [1:31] [Klangprobe – MP3]
Johann Walter, 1525

4) Allein Gott in der höhe sey ehr [1:39] [Klangprobe – MP3]
Johann Kugelmann, 1540

5) Ach Gott von hymel sich dar eyn [2:11] [Klangprobe – MP3]
1545

6) Pange lingua [0:45] [Klangprobe – MP3]
Graduale Romanum

7) Mein Zung erklyng [0:54] [Klangprobe – MP3]
Michael Vehe, 1537

8) Maria zart [1:30] [Klangprobe – MP3]
Johann Leisentrit, 1567

9) Wie nach einem Wasserquelle [2:13] [Klangprobe – MP3]
Ambrosius Lobwasser, 1577

10) Mein hirt ist Got der Herr [2:04] [Klangprobe – MP3]
Conrad Hagius / Caspar Ulenberg, 1589

11) Christ ist erstanden [1:32] [Klangprobe – MP3]
Orlando di Lasso, 1583

12) Ich will bei meinem Leben [2:56] [Klangprobe – MP3]
Heinrich Schütz, 1628

13) Und durch das gantze Bayerlandt [3:07] [Klangprobe – MP3]
1613

14) Es flog ein Täublein weisse [5:09] [Klangprobe – MP3]
Nikolaus Beuttner, 1602

15) O Ewigkeit, du Donnerwort [2:52] [Klangprobe – MP3]
Johann Rist, 1642

16) Die güldne Sonne [1:33] [Klangprobe – MP3]
Jacob Hintze, 1690

17) O ihr Schutz Engel alle [1:44] [Klangprobe – MP3]
1638

18) Eins ist noth [2:32] [Klangprobe – MP3]
Johann Anastasius Freylinghausen, 1708

19) Wunderbarer König [1:42] [Klangprobe – MP3]
Georg Christoph Strattner / Joachim Neandri 1708

20) Frew dich sehr, O meine Seele [1:05] [Klangprobe – MP3]
Daniel Speer, 1692

21) Christ ist erstanden [1:34] [Klangprobe – MP3]
Johann Balthasar König, 1738

22) Wie groß ist des Allmächtgen Güte [3:50] [Klangprobe – MP3]
Carl Philipp Emanuel Bach, 1787

23) Kyrie. Wir werfen uns darnieder [4:33] [Klangprobe – MP3]
Michael Haydn, 1800

24) Pange lingua [1:49] [Klangprobe – MP3]
Caspar Ett, 1827

Konzeption: Irmgard Scheitler
Ausführende: canticum novum, Münster
Leitung: Michael Schmutte

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Näheres zu den Beiträgen:

Jan Brademann:
Anstelle einer Einleitung: Liturgie als soziale Praxis – Konfessionalisierung als ritueller Prozess?

Abstract

Jan Brademann's paper is an introduction to the topic of this book. It adresses a research gap in German historiography with regard to early-modern liturgies, at the same time demonstrating impulses on this field given especially by American scholars. By building on sociologic and ethnologic theories and using two short historical examples, Brademann tries to conceptualize liturgical agency as a social practice. In doing so, he extrapolates two primary functions of this practice: the social construction of transcendental values and rules and the constitution of religious groups. By means of a third example, it is underlined that these features not only have conserving effects, but also potentially evoke changes in social structures – structures that are at once precondition and outcome of agency.

Tying in with this statement, the paper argues for a history of religion as a cultural history, focusing on the mutual transformations of agency and structure. The latter both includes values and rules as well as regularities that are outside of the meaningful use and the conscience of the actors, like social ties or resources. The aim of research should not only be to investigate the individual interpretation of liturgical action which is preferred by scholars of historical anthropology, but to also analyse the structures and how these were created by analyzing the practices themselves.

Finally, drawing on the initial conference theme, Brademann turns to the concept of confessionalisation and deals with the dynamics described within this framework with regard to avenues by which they can be linked to this approach. Though having being fundamentally criticized during the last years, confessionalization, is still being dealt with as an aggregation of religious structures by the »confessio« and its claim to the absolute truth. It is regarded as an enduring, dynamic, and open process. Accordingly, its outcome was multilayered. Its results depended on the interplay of the formation of religious groups with the growth of early modern state and church and the religious practice. Consequently, the power of liturgical agency stands in the centre of these dynamics: It both shapes confessional cultures by constructing confessional values and rules as well as structures the society by constituting confessional groups, and authority. It is therefore important to deal with altering liturgical agency not only as a distinct explanandum, but also as an explanans for confessionalization. By asking if the latter can be seen as a ritual process this papers thus argues for advancing this concept for the sake of generalizability and continuity of scientific progress.

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Volkhard Krech:
Systematisierende Überlegungen zur Bedeutung von Liturgie in religionssoziologischer Perspektive

Zusammenfassung

Volkhard Krech entwirft in seinem Artikel thesenhaft einen systematischen Rahmen für die historisch-kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit Liturgie. Zunächst werden acht zentrale Merkmale von ritueller Kommunikation im Hinblick auf ihre Bedingungen, ihren Verlauf und ihre sozialen Wirkungen angeführt, die dann in Bezug auf die Liturgie als Sonderfall ritueller Kommunikation spezifiziert werden. In einer historisch ausgerichteten zweiten Hälfte deutet Krech die Ausdifferenzierung der christlichen Liturgien im Gefolge der Reformation ritualtheoretisch. Einerseits kam es zur Variantenbildung, weil die Gesatztheit der schematischen Abläufe erkannt, aber auch der Sinn der Liturgie infrage gestellt wurde. Andererseits wurde die für das Gelingen von Ritualen irrelevante innere Haltung der Teilnehmer zulasten der performativen Wirkkraft der öffentlichen Liturgie aus ihrem äußeren, korrekten Ablauf heraus aufgewertet. Über den Verweisungszusammenhang von Transzendenz und Immanenz bestand seither innerhalb des Christentums kein Konsens mehr.

Abstract

In his paper, Volkhard Krech develops a systematic framework for the historical and cultural study of liturgy. First, eight central characteristics of ritual communication with regard to their requirements, progression and social effects are presented. These are then specified by applying them to liturgy as a special case of ritual communication. The second half of the paper provides a ritual-theoretical interpretation of the differentiation of post-Reformation Christian liturgy in historical perspective. Following the realisation of the sedate character of the schematic liturgical sequences, different liturgy variants emerged and, what is more, the meaning of liturgy was called into question. Furthermore, the inner disposition of the participants – as such irrelevant for the success of rituals – was given greater significance than the performative power of public and properly held liturgy. The link between transcendence and immanence has ever since been disputed in Christianity.

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Edmund Arens:
Liturgisches Handeln als performativer Vollzug und religiöse Praxis. Die Perspektive einer kommunikativen Religionstheologie

Zusammenfassung

Der Beitrag von Edmund Arens führt sprachphilosophische, soziologische und ethnologische Konzepte zum wirklichkeitskonstitutiven Charakter von Sprache und Ritualen mit religionstheologischen Reflexionen zum christlichen Gottesdienst und vor allem seiner sprachlichen Bestandteile zusammen. Der schillernde Begriff der Performanz spielt hierbei eine Schlüsselrolle. Religion wird als kommunikative Praxis einer Gemeinschaft konzipiert. Dabei geht es nicht nur um die soziale Funktionalität, die darin besteht, dass sich die Individuen wechselseitig Überzeugungen über eine außerempirische Wirklichkeit explizit benennen und implizit mitteilen. Aus theologischer Sicht steht die Intentionalität religiöser Praxis im Mittelpunkt, welche vor allem darauf zielt, die Wirklichkeit Gottes mitzuteilen. Die Liturgie als ein besonders dichter, gemeinschaftlicher und genormter Teil dieser Praxis hat mit ihren Bestandteilen des Erinnerns, Erzählens, Betens, Verkündigens, Bezeugens und Bekennens einen entscheidenden Anteil daran, dass Religion soziale Wirklichkeit wird. Sie benennt diese Überzeugungen nicht nur propositional, sondern inszeniert, vergegenwärtigt und vollzieht sie. Die Liturgie schreibt damit zugleich religiöse Praxis performativ fort als tiefer liegenden Geltungsanspruch, der Teil sozialer Regeln ist.

Abstract

Edmund Arens' paper brings together concepts from the philosophy of language, sociology and social anthropology on the constitution of reality through language and rituals, on the one hand, and religio-theological reflections on Christian worship with a particular focus on its linguistic components, on the other. The colourful term ›performance‹ is of crucial importance in this context. Religion is conceived as the communicative practice of a community, not only in terms of social functionality, i.e. individuals explicitly naming and implicitly communicating to each other their convictions on a non-empirical reality. What constitutes the real focus in terms of theology is the intentionality of religious practice, which is essentially about communicating the reality of God. With its components of remembering, relating, praying, preaching, attesting and confessing, liturgy contributes significantly to religion as social reality, as it is a particularly dense, communal and standardised part of this religious practice. It does not only name these convictions propositionally, it also stages them, brings them to mind and executes them. Thus, liturgy upholds religious practice in performance as a subjacent claim to validity that is part of social rules.

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Andreas Odenthal:
»Rituelle Erfahrung« im Zeitalter der Konfessionalisierung. Zur Anwendung eines praktisch-theologischen Paradigmas auf die Liturgiegeschichte – ein Versuch

Zusammenfassung

Andreas Odenthal stellt in seinem Beitrag die subjektive Dimension von Liturgie in das Zentrum seines Erkenntnisinteresses. Dabei wendet er seinen praktisch-theologischen Ansatz »rituelle Erfahrung« anhand dreier Quellen aus dem Bereich der liturgischen Praxis und ihrer Wahrnehmung auf das konfessionelle Zeitalter an. Dadurch wird der klassische Quellenkorpus der Liturgiewissenschaft überschritten und liturgische Ordnung mit dem Erleben der Teilnehmer in Verbindung gesetzt. In Traditionen und soziokulturellen Kontexten eingebettet sowie durch subjektive Lebenserfahrungen beeinflusst, wurde das Erleben von Liturgie durch Deutung zu Erfahrung. Auf diese Weise wurden die normativen Vorgaben der Liturgie mit der Lebenswirklichkeit der sie Praktizierenden vermittelt. Je nach Stärke der Differenzerfahrung ergaben sich unterschiedliche Modi des Umgangs mit der Tradition zwischen Kontinuität, Adaption und Substitution. Hier, in der Spannung zwischen objektiven Vorgaben und subjektiver Aneignung, liegt ein zentraler Ansatzpunkt für die Untersuchung religiös-konfessioneller Veränderungsprozesse, wenngleich, wie Odenthal betont, die Innenseite religiöser Erfahrung schwer zu fassen bleibt.

Abstract

In his paper, Andreas Odenthal's key interest lies with the subjective dimension of liturgy. He applies his practical-theology approach of ›ritual experience‹ to the confessional age by looking at three liturgy sources and their perception. In doing so, the body of sources usually called upon in liturgy research is widened and liturgical order is linked with the experience of participants. Embedded in traditions and socio-cultural contexts and influenced by life stories, observed liturgy became experience by means of interpretation. Hence, the normative regulations of liturgy were communicated with the everyday reality of the believers. Depending on the intensity of experienced disparity, various ways of handling the tradition developed, from continuity to adaptation and substitution. It is this tension between objective requirements and subjective appropriation that provides a core point of departure for the study of religio-confessional transformations, despite, as Odenthal points out, any difficulties in defining the inner life of religious experiences.

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Dorothea Wendebourg:
Lust und Ordnung. Der christliche Gottesdienst nach Martin Luther

Zusammenfassung

In ihrem Beitrag skizziert Dorothea Wendebourg zunächst die theologischen Grundlagen der Liturgiereform durch Martin Luther zwischen 1523 und 1526. Seine im Vergleich zu anderen Reformatoren späte Einführung neuer Liturgien und deren konkrete Gestalten, die bei aller Korrektur an zentralen Stellen überkommene Traditionen schonten und Vielfalt begünstigten, speisten sich aus der Spannung von »Lust und Ordnung«: Die rechte Liturgie, in deren Zentrum die Mitteilung des Evangeliums in Verlesung und Auslegung der Bibel und im Sakrament steht, entspringt nach Luther der freien Gottesliebe des glaubenden Menschen. Der regulierte Gottesdienst ist insofern nur ein Provisorium, der Tatsache geschuldet, dass die überwiegende Zahl der Gläubigen »laue« Christen sind, ja, dass jeder Christ lebenslang »gerecht und Sünder zugleich« ist. Darum muß der Gottesdienst immer auch eine missionarische und erzieherische Aufgabe haben. Sodann stellt Wendebourg die langfristigen Folgen dieser liturgischen Konzeption für das Luthertum heraus. Dabei hebt sie den »volkskirchlichen Charakter« des Gottesdienstes und die Pluralität seiner Formen ebenso hervor wie die sprach- und kulturgeschichtlichen Konsequenzen, die sich aus seiner Orientierung am verstehenden Glauben ergaben. Und sie betont die zentrale Bedeutung des gottesdienstlichen Gesangs, bei dem die Spannung aus innerer, spontaner Glaubensäußerung und äußerer Ordnung aufgehoben ist.

Abstract

Dorothea Wendebourg begins her paper with an outline of the theological foundations of Martin Luther's liturgical reforms undertaken between 1523 and 1526. Compared to other reformers, Luther's new liturgies came rather late. Though firm in correcting liturgical errors at theologically crucial points, he was, wherever possible, soft on traditions and encouraged liturgical diversity. Both, the lateness of the reforms as well as their concrete results, arose out of the tension between »spontaneity and order«. According to Luther, proper liturgy, at the core of which is the communication of the gospel through the reading and interpretation of the bible as well as through the sacraments, proceeds from the believers' free love of God. In this respect regulated worship is only provisional; it is necessary because the majority of believers are but »lukewarm« Christians and, what is more, because every Christian is both »saint and sinner« throughout life. Therefore, worship always must include a missionary and pedagogical function as well.

The subsequent sections of Wendebourg's paper deal with the long-term consequences which this liturgical concept had for Lutheranism. They focuse on the character of worship as an institution which includes the entire community, not only perfect Christians; on the plurality of liturgical forms; and on the lingustic and cultural consequences which follow from focusing on a faith which implies understanding. Finally, Wendebourg stresses the fundamental role of singing in worship, an activity in which the tension between internal, spontaneous expression of faith and external order is dissolved.

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Ralph Kunz:
Vom Schauspiel zum Sprachspiel. Ästhetische Kriterien und theologische Prinzipien der reformierten Gottesdienstreform im Zürich des frühen 16. Jahrhunderts

Zusammenfassung

Der Beitrag von Ralph Kunz untersucht die fundamentale Umkonzeptionierung von Liturgie in der zwinglianischen Reformation. Sie verschob den Akzent auf das Unsichtbare, das es für die Gläubigen zu verstehen und in der Liturgie zu inszenieren galt. Zwingli und seinen Nachfolgern ging es darum, die symbolische Präsentation Gottes der sprachlichen Vermittlung anzugleichen. Wer am Gottesdienst partizipiert, soll verstehen, was geschieht. Kunz zeichnet die konfliktreiche Entwicklung dieser Konzeption vor allem anhand der Gottesdienstreformen in Zürich seit 1519, die Ausdruck und gleichsam Motor dieser gewandelten Vorstellungen waren, ihrer medialen Repräsentation und Zwinglis Predigten nach. Einen Schwerpunkt der Analyse nimmt der Ikonoklasmus ein, der einerseits ›von unten‹ kam und andererseits von obrigkeitlich verordnet wurde, um eine humanistisch inspirierte »Hegemonie des Wortes« in der Liturgie zu etablieren. Sie sollte im metaphorisch gedeuteten, purifizierten Zeremoniell Gottes Unsichtbarkeit anschaulich und glaubhaft erfahrbar machen.

Abstract

Ralph Kunz's paper examines the fundamental reconceptualisation of liturgy during the Zwinglian Reformation. Here the focus was shifted to the invisible, which believers needed to understand and the liturgy needed to stage. For Zwingli and his successors, two aspects had to be brought to the same level: God's symbolic presentation and its communication through language. Everyone who came to mass should understand what was going on. Kunz traces the conflict-laden development of this concept by looking at the effects of the mass reforms in Zurich in 1519, which were expression as well as driving force of these changed views, at their medial representation and at Zwingli's sermons. One of the key aspects of the paper is an analysis of iconoclasm. This phenomenon came both ›from below‹ and as an order of the authorities so as to establish a ›hegemony of the word‹ in liturgy inspired by humanistic ideas. This liturgy was to provide a vivid and credible experience of an invisible God by means of a metaphorically interpreted, purified ceremony.

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Benedikt Kranemann:
»in omnibus universi orbis Ecclesiis, Monasteriis, Ordinibus«. Nachtridentinisches Liturgieverständnis zwischen Programm und Praxis

Zusammenfassung

Der Artikel von Benedikt Kranemann fragt danach, welche Veränderungen sich im Liturgieverständnis in Theorie und Praxis nach dem Tridentinum ergaben. Ziel der Neuordnung nach dem Konzil war es demnach vor allem, vorhandene innerkirchliche Missstände, die zur Spaltung der Kirche beigetragen hatten, zu beseitigen, gleichzeitig aber auch die sehr unterschiedlichen Liturgien zu normieren. Mittels neuer liturgischer Bücher (Breviarium Romanum, Missale Romanum, Rituale Romanum) sowie Kontrollmechanismen (Ritenkongregation, Visitationen und Synoden) sollten diese Anliegen umgesetzt werden, etwa hinsichtlich der Messe, die für die Gemeinde die zentrale Stellung einnahm.

In der Praxis ließen sich diese Ziele jedoch nicht vollständig oder nur sehr verzögert realisieren, da die kirchlichen Autoritäten vor Ort häufig auf eigene lokale Traditionen beharrten. Aus diesem Grund wurde das Bild der katholischen Kirche durch Eigen- bzw. Mischliturgien in den Diözesen teilweise bis in das 19. Jahrhundert hinein geprägt, allerdings ohne dass dabei gravierende Unterschiede zwischen den römischen und den regionalen Liturgien bestanden.

Abstract

Kranemann's paper investigates the changes that affected the theory and practice of liturgical concepts after the Council of Trent. The restructuring process that began with the Council targeted two problems. For one, grievances that had caused the rift in the church were to be resolved and, for another, liturgical discrepancies were to be abolished in favour of standardisation. This was to be achieved by means of new liturgical publications (Breviarum Romanum, Missale Romanum, Rituale Romanum) and control mechanisms (Congregations of Rites, visitations and synods), e.g. in mass, which was of crucial importance for the congregation.

In practice these measures could only be implemented in part or with considerable delays since local church hierarchies all too often insisted on their own traditions. Thus, the image of the Catholic Church was marked by individual and/or mixed liturgies in the dioceses – in certain cases well into the 19th century, even if these differences between the Roman and regional liturgies remained superficial.

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Natalie Krentz:
Von der Messestörung zur Gottesdienstordnung: Die Anfänge evangelischer Liturgie in der Stadt Wittenberg

Zusammenfassung

Natalie Krentz (Erlangen) vollzieht in ihrem Beitrag die Entwicklung der liturgischen Ordnungen der Wittenberger Reformatoren von der ersten Messestörung 1521 bis zu den lutherischen Gottesdienstordnungen, die vorbildhaft für viele Gebiete des Alte Reiches und darüber hinaus waren. Sie interpretiert die Wittenberger Gottesdienstordnungen als Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen sozialen, politischen und theologischen Akteuren der Stadt Wittenberg. Die so entstandene lutherische Liturgie orientierte sich in hohem Maße an praktischen Gesichtspunkten und basierte auf der Erprobung in Wittenberg und auf dem Konsens zwischen politischen Akteuren und Reformatoren.

Dabei wurden jene liturgischen Formen immer stärker betont, die eine gemeinschafts- und damit herrschaftsstabilisierende Integrationskraft erwiesen. Die anfangs städtische Prägung musste einem stärkeren landesherrlichen Einfluss weichen. Entscheidend war auch das Kriterium der Abgrenzung, und zwar sowohl als Abgrenzung gegenüber als »altgläubig«, sowie als »radikal« wahrgenommenen liturgischen Formen. Damit, sowie mit der gemeinsamen Wahrnehmung bestimmter neuer Rituale als »evangelisch«, entwickelten die neuen kirchlichen Rituale eine hohe soziale Integrationskraft, auf deren Grundlage in den folgenden Jahrzehnten eine umfassende Konfessionsbildung stattfinden konnte.

Abstract

Natalie Krentz's paper traces the development of the liturgical statutes of the Wittenberg Reformers from the first disruption of a mass in 1521 to the Lutheran church service statutes, which became to be exemplary for many parts of the Holy Roman Empire and beyond. Krentz interprets the Wittenberg church service statutes as the result of a negotiation process between social, political and theological stakeholders in Wittenberg. The resulting Lutheran liturgy was much influenced by practical considerations, was based on its trial implementation in Wittenberg and on the consensus between political stakeholders and Reformers.

Liturgical forms that worked towards stabilising the community and thus also the sovereign were regarded as increasingly significant. The strong civic tendencies of initial liturgy had to be abandoned in favour of a clear orientation on the sovereign. Drawing the line to liturgies that were regarded both as ›orthodox‹ and ›radical‹ was regarded as decisive. This and developing a common identity of certain new rituals as ›Protestant‹ led to strong social integration powers being exerted by these new church rituals that became the basis for a comprehensive formation of a denomination in the following decades.

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Philippe Martin:
Die tridentinische Messe. Zur Konstruktion einer katholischen Identität in Frankreich (um 1560–um 1580)

Zusammenfassung

Die Reflexionen über die Messe und die Art sie zu feiern, manifestierten sich seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Gleichwohl hielten sie sich lange Zeit bei randständigen Themen auf. 1562 interessierte sich schließlich das Konzil von Trient für die Messe. Nach kurzen, aber heftigen Debatten erließen die Konzilsväter das Decretum De sanctissimomissaesacrificio (1562). Der daraus entstandene Reformprozess führte bis zur Bulle Quo primum tempore (1570). Die katholische Konzeption der Messe entwickelte sich in Orientierung an zwei Kriterien: Zunächst einmal war sie gegen den Protestantismus gerichtet. Dies erklärt die Zurückweisung der Vulgärsprachen zugunsten des Lateinischen, obschon noch am Beginn des Jahrhunderts eine Mehrheit von Klerikern erstgenannter zugeneigt hatte. Schließlich wurde die Konzeption mit den Katholiken erstellt. Seit 1562 versuchten die Prälaten sich eines Feldes zu bemächtigen, das das Tridentinum im Ungewissen gelassen hatte: den konkreten Ablauf dieses Ritus'. Allerdings wies Rom schnell alle lokalen Initiativen zurück, um ein römisches Ideal der Messzelebration durchzusetzen, wurde die Messe zu einer päpstlichen Angelegenheit. Jedermann wusste um ihre Bedeutung. Die Messe wurde zu einem Symbol, mit dem man seine Zugehörigkeit zum Katholizismus oder dessen Zurückweisung ausdrücken konnte. Diese Frage, 1520 von zweitrangiger Bedeutung, stand seither im Zentrum konfessioneller Auseinandersetzungen: So sehr die Messe ein liturgischer Akt oder eine religiöser Ausdrucksform war – in erster Linie war sie doch eine Frage der Identität.

Abstract

With the second half of the 15th century, reflections on the mass and its celebration started to manifest themselves, even if marginal issues dominated for a considerable period of time. In 1562 the mass became an issue at the Council of Trent, and after short but intense debates the Council's fathers mandated the Decretum De sanctissimo missae sacrificio (1562). The ensuing reform process led to the bull Quo primum tempore (1570). The development of the Catholic concept of the mass was based on two criteria: First, it was directed against Protestantism. This explains the rejection of the vernacular in favour of Latin, despite the fact that a majority of the clergy had tended to the former at the beginning of the century. Second, the concept was drawn up with Catholics. After 1562, the prelates seized upon an issue that the Council of Trent had not touched upon: the detailed sequence of this rite. But Rome was quick to reject all local initiatives. So as to establish a Roman ideal of celebrating mass, the issue became a papal one. Everyone knew about its significance and mass became a symbol by means of which a person could express their affiliation with or rejection of Catholicism. This question, in 1520 of secondary importance, emerged as the core of subsequent confessional disputes: Regardless of its character as liturgical act or form of religious expression – mass was, first and foremost, a question of identity.

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Christian Grosse:
Liturgische Praktiken und die Konfessionalisierung des kollektiven Bewusstseins der Reformierten. Das Beispiel Genf (16./17. Jahrhundert)

Zusammenfassung

Der Artikel von Christian Grosse verdeutlicht die zentrale Rolle der liturgischen und kultischen Praxis für die Formierung und die Fortschreibung einer kollektiven Identität der Reformierten im 16. und 17. Jahrhundert. Er zeigt, wie die liturgischen Formulare, die von Calvin für die öffentlichen Gottesdienste wie für die Hausandachten redigiert wurden, schnell einem Prozess der Konfessionalisierung unterlagen. Auch außergewöhnliche liturgische Erlasse – kollektive Dankandachten, außerordentliche Gebete (prièresextraordinaires) und Fasten – wurden sehr früh eingeführt. Sie wurden seit der Mitte des 16. Jahrhunderts ausgebaut, um auf Ereignisse zu reagieren, die mit dem Konfessionskonflikt (Religionskriege, Verfolgungen) oder Naturereignissen zusammenhingen (Epidemien, Hungerkrisen). Regulärer und außerordentlicher Kult bildeten so ein System liturgischer Praxis, mittels dessen die Reformierten ein kollektives Bewusstsein, eine konfessionelle Solidarität und eine Sicht auf die Welt ausdrücken konnten, die von der Vorsehung bestimmt war. Dieses System wandelte sich indes seit dem beginnenden 17. Jahrhundert, verstärkt nach 1650, in Richtung auf eine Politisierung seiner Inhalte. Sein konfessioneller Charakter schwächte sich mit den liturgischen Reformen, die zu Beginn des Aufklärungsjahrhunderts stattfinden, weiter ab.

Abstract

Christian Grosse's paper illustrates the crucial importance of liturgical and cultic practice for the formation and perpetuation of a collective identity in the Reformed Church of the 16th and 17th centuries. It shows how the liturgical instructions, edited by Calvin for public worship and family prayers, were quickly subjected to a process of confessionalization. Exceptional liturgical decrees, such as collective prayers of thanks, extraordinary prayers (prieres extraordinaires) and fastings, were also introduced at a very early stage. These measures were extended since the mid-16th century as a reaction to events associated with the confessional conflict (religious wars, persecution) or natural phenomena (epidemics, famines). Thus, the regular and extraordinary cult formed a system of liturgical practice allowing adherents of the Reformed Church to express a collective consciousness, a confessional solidarity and a worldview determined by providence. From the early 17th century on, though, and in particular after 1650, this system underwent further changes insofar as its contents were politicised. The liturgical reforms at the beginning of the century of Enlightenment resulted in its confessional character being less pronounced.

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David M. Luebke:
Passageriten und Identität. Taufe und Eheschließung in westfälischen Kleinstädten (1550–1650)

Zusammenfassung

David M. Luebke erweitert in seinem Beitrag das traditionelle, etatistisch geprägte Konfessionalisierungsparadigma. Er untersucht den Umgang mit den rituellen Angeboten der Kirchen, insbesondere Passageriten wie Taufe und Eheschließung, in multikonfessionellen, westfälischen Kleinstädten in den Jahren von 1550 bis 1650.

Obgleich sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts Konfessionskulturen ausbildeten, die sich auch in ihren Ritualen unterschieden, wurden Taufe und Eheschließung von Gemeindemitgliedern und Klerikern weniger stark als konfessionelle Distinktionsmerkmale wahrgenommen. Vielmehr handelte es sich um überkonfessionelle Rituale, die Veränderungen im rechtlichen und sozialen Status des Einzelnen innerhalb der kleinstädtischen Gemeinschaft bewirkten.

Das so entwickelte System des konfessionellen Arrangements, in dem etwa ein katholischer Kleriker ein Kind nach reformiertem Ritus taufte, entstand in erster Linie nicht als ad-hoc-Reaktion oder aus der sozialen und politischen Notwendigkeiten heraus, sondern ist als das Resultat einer scharfsinnigen Auslegung des Augsburger Religionsfrieden zu lesen.

Abstract

In his paper, David M. Luebke broadens the traditional statist paradigm of confessionalization. He looks at the practice of church rituals, in particular rites of passage such as baptism and marriage, in small, multi-confessional Westphalian towns between 1550 and 1650.

Although the end of the 16th century saw the formation of denominational cultures that followed their own distinct rituals, parishioners and clergy did not see baptism and marriage as markers of denomination. These were, instead, regarded as supra-confessional rituals with consequences for the legal and social standing of the individual within the urban community.

The resulting system was a denominational arrangement, which, for instance, permitted a member of the Catholic clergy to baptise a child according to the Reformed rite. This situation was neither the consequence of a haphazard reaction nor born of social and political necessity, but needs to be seen as a subtle interpretation of the Augsburg Settlement.

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Kristina Thies:
Inszenierung von Ordnung. Die Große Prozession in Münster im Zeitalter der Konfessionalisierung

Zusammenfassung

Kristina Thies vollzieht in ihrem Beitrag den Wandel der Großen Prozession in Münster im Zeitalter der Konfessionalisierung von einer Bußprozession in mahnender Erinnerung an eine spätmittelalterliche Pest- und Brandkatastrophe hin zu einer von jesuitischer Ästhetik und Frömmigkeit beeinflussten Sakramentsprozession nach. Sie setzt diesen mit den Veränderungen innerhalb der städtischen Gesellschaft und im Verhältnis zwischen Landesherr und Stadt im Rahmen der Verdichtung landesherrlicher Gewalt und der Mediatisierung der Stadt in den Territorialstaat in Beziehung.

Kennzeichneten die Große Prozession im Spätmittelalter noch ihr kollektiver gesamtstädtischer Bußcharakter, ihre schmucklose, einfache Gestaltung und die Armenspeisung aus dem städtischen Almosenkorb sowie ihr Festcharakter im Anschluss (Margarethenzeche des Rates), so setzte sich im Laufe des 17. Jahrhunderts eine barocke Frömmigkeitspraxis jesuitischer Prägung durch. Die Prozession avancierte zu einer Manifestation des neuen Selbstverständnisses des tridentinischen Reformkatholizismus und nicht zuletzt des frühneuzeitlichen Konfessionsstaates.

Die neuen Gruppen in der westfälischen Stadt (Jesuiten, ihre Schüler und Kongregationen) nutzten die Große Prozession, um ihre eigenen Vorstellungen von einem Platz innerhalb der sozialen, politischen und konfessionellen Ordnung der Stadt zu inszenieren. Gleichzeitig bot sie den ›traditionellen‹ städtischen Gruppen weiterhin »Haftpunkte der Identifikation«.

Abstract

In her paper, Kristina Thies traces the changes in Münster's Grand Procession in the age of Confessionalization from a procession of penitence in memory of a late medieval plague and fire catastrophe to a sacramental procession influenced by Jesuit aesthetics and piety. Thies discusses this development in the context of a changing urban society and the relationship between the sovereign and the urban administration as part of the concentration process of sovereign power and the integration (mediatisation) of the town into the territorial state.

The late medieval Grand Procession was marked by a collective pan-urban character of penitence, a plain organisation and the feeding of the poor from the city poor box followed by a feast (the town council's Margarethenzeche). However, a Baroque practice of piety showing Jesuit influence asserted itself in the 17th century. The Procession developed to become a manifestation of the new identity of Tridentine Reform Catholicism and, not least, the early modern confessional state.

The new groups that emerged in the Westphalian town (Jesuits, their students and congregations) used the Grand Procession to stage their own ideas of place within the social, political and confessional order of the town. At the same time, the ›established‹ urban groups still benefited from it as it offered them ›anchors of identification‹.

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Lena Krull:
Demonstrativer Katholizismus und gleichberechtigtes Geschlechterverhältnis – Studentische Korporationen in der Großen Prozession in Münster im 19. und 20. Jahrhundert

Zusammenfassung

Lena Krull untersucht in ihrem Beitrag den Stellenwert der Großen Prozession innerhalb der städtischen Gesellschaft im Münster des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und die Bedeutung der Teilnahme an der Prozession für die soziale Repräsentation von Gruppen (Schüler, Professoren, katholische studentische Korporationen und Studentinnenvereine).

In Folge der Konjunktur stärker veräußerlichter katholischer Frömmigkeitspraktiken (u.a. Heilig-Rock-Wallfahrt nach Trier 1844) und die Förderung durch Bischof Caspar Maximilian Droste zu Vischering wurde in den 1830er Jahren damit begonnen, den Stellenwert der Großen Prozession im städtischen Festkalender auszubauen. Im Kulturkampf versuchte die preußische Verwaltung, die Prozession einzuschränken, und machte die Beteiligung daran zum Politikum für Kirche und Gläubige. Krull zeigt, inwiefern die Professoren der Universität und katholische Studentenverbindungen und -vereine mit ihrer Teilnahme ein öffentliches Bekenntnis zum Katholizismus ablegten.

Anfang des 20. Jahrhunderts suchten mit der Zulassung des Frauenstudiums in Preußen neu gegründete katholische Studentinnenvereine ihren Platz in der akademischen und städtischen Öffentlichkeit. Die Diskussion um ihre Einordnung macht deutlich, dass die Integration in die Großen Prozession während des Untersuchungszeitraumes nicht starr fixiert war, sondern beständig zur Disposition stand.

Abstract

Lena Krull investigates the significance of the Grand Procession (Große Prozession) in Münster's urban society in the 19th and 20th centuries and looks at the relevance of participating in the Procession in terms of social representation of groups (schoolchildren, university professors, Catholic student corporations and women's student associations).

Following the rise in explicitly outwardly expressed Catholic piety practices (e.g. the pilgrimage to the Holy Robe in Trier in 1844) and its promotion by Bishop Caspar Maximilian Droste zu Vischering, the Grand Procession grew in significance in Münster's calendar of festivities in the 1830s. During the Kulturkampf, the Prussian administration tried to contain the Procession, which politicised participation both for the Church and for believers. Krull shows to what extent participation in the Procession became a public profession of faith for both university professors and Catholic student corporations and associations.

With the admission of female students to universities in Prussia, newly founded Catholic associations for female students sought to establish themselves in the academic and urban landscape in the early 20th century. The ensuing discussions on their representation illustrate how integration into the Grand Procession during the period of investigation was a constant process of negotiation.

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Jürgen Bärsch:
Ordo Exsequiarum und »ehrliches Begräbnis«. Eine vergleichende Analyse katholischer und protestantischer Begräbnisordnungen der frühen Neuzeit aus liturgiewissenschaftlicher Sicht

Zusammenfassung

Der Beitrag von Jürgen Bärsch untersucht in vergleichender Analyse frühneuzeitliche Begräbnisordnungen katholischer und evangelischer Provenienz hinsichtlich theologischer Bestimmungen und der rituellen Praxis. Exemplarisch herangezogene lutherische Kirchenordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts zeigen, dass man sich von dieser Seite vorwiegend auf die Regelung äußerer Formen (Geläut, Teilnahme, Prozession) beschränkte. Im Unterschied zur vorreformatorischen Totenliturgie, welche die Angst vor dem Fegefeuer ins Zentrum stellte, wurde der Glaube an die Auferstehung des ›ehrlich‹ bestatteten Verstorbenen betont. Aufgrund der Vorstellung einer Rechtfertigung durch den Glauben bedurfte er selbst keiner Liturgie, so dass das Begräbnis allein auf die Hinterbliebenen ausgerichtet wurde, um ihnen Trost zu spenden und den Auferstehungsglauben zu stärken. Dagegen zeichneten sich die nachtridentinischen Regelungen in katholischen Diözesanritualien einerseits durch Kontinuität zur mittelalterlichen Liturgie und andererseits durch einen angestrebten hohen Vereinheitlichungsgrad aus, um die Einheit innerhalb der römischen Kirche hervorzuheben und sich vom konfessionellen Gegner abzugrenzen. Im Unterschied zu den Protestanten zielte das Begräbnis vorwiegend auf den Verstorbenen, welcher auf die Fürbitte der Lebenden bei und nach diesem Akt angewiesen blieb, um den Läuterungsstrafen zu entgehen.

Abstract

In his paper, Jürgen Bärsch undertakes a comparative analysis of early modern Catholic and Protestant funeral statutes with regard to their theological regulations and ritual practice. An exemplary study of 16th and 17th-century Lutheran church statutes reveals a predominant restriction to controlling exterior forms (bells, attendance and procession). As opposed to pre-Reformation funeral liturgy and its focus on purgatorial fear, the resurrection of the ›decently‹ buried individual took centre stage. Based on the idea of a justification through faith, the fate of the deceased no longer depended on a liturgy. The funeral, therefore, came to focus entirely on the bereaved, their comforting and the strengthening of their belief in resurrection.

In contrast, post-Tridentine regulations in Catholic diocesan rituals were marked by two different trends. On the one hand, a continuity of medieval liturgy can be observed and, on the other hand, there was a strong move towards standardisation so as to emphasise the unity of the Roman Church and to draw a line to denominational opponents. Unlike Protestant ritual, a Catholic funeral was mainly about the deceased, who was dependent on the intercession of the living during and after the ritual so as to avoid the punishments of purification.

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Mareike Menne:
Profanierte Religion und sakralisierte Verwaltung? Ein Blick auf Visitation und Liturgie in Paderborn und Lippe

Zusammenfassung

Der Beitrag von Mareike Menne beleuchtet Visitationen mit dem Fokus auf liturgisches Handeln aus zwei Perspektiven: Es geht um die Versuche konfessionsliturgischer Homogenisierung, aber vor allem um die symbolische Bedeutung der Visitation selbst. In relativ distinkter Weise wurden hier konfessionskirchliche und soziale Hierarchien erfahrbar. Staatliche Geltungsansprüche in Bezug auf die Erfassung bestehender Verhältnisse wurden ebenso artikuliert, wie sich durch symbolisches Handeln den Gemeinden Möglichkeiten zur Identitätsstiftung eröffneten. Ist ersteres vor allem in der reformierten Grafschaft Lippe mit deutlicher Präferenz des Schriftlichen sichtbar, so tritt der zweite Aspekt in den Visitationen des Hochstifts Paderborn stärker hervor. Zum Teil in Gegenwart des zelebrierenden Fürstbischofs vollzogene Gottesdienste und Volksfeste waren immer auch Teil der Vermittlung von Herrschaft, und die Liturgie bildete gleichsam den Rahmen, mit dem die Geltungsansprüche des Konfessionsstaates mit einer sakralen Aura versehen wurden. Menne fragt schließlich, ob nicht dadurch zwangsläufig die Liturgie einer gewissen Profanierung unterlag, weil sie stärker als sonst sozial und politisch instrumentalisiert wurde.

Abstract

Mareike Menne's paper considers visitations with a focus on liturgical action and applies two perspectives: their attempted homogenisation in terms of denominational liturgy and, in particular, the symbolic significance of the visitation itself. Visitations made denominational and social hierarchies tangible in a rather distinct way. Authorities asserted their power with regard to assessing the status quo, in particular in the Reformed County Lippe and mostly in writing. Visitations in the Prince-Bishopric Paderborn, on the other hand, tended to give congregations the chance to establish identity by means of symbolic actions. One way of communicating power was in the celebration of mass and the organisation of fairs often by the prince bishop himself. The liturgy was the frame within which the claims to power of the confessional state received a sacral aura. Finally, Menne considers the question of whether liturgy was not bound to experience a certain degree of profanation due to its increased social and political instrumentalisation.

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Irmgard Scheitler:
Kirchengesang und Konfession. Die konfessionssymbolische Bedeutung des Kirchenlieds von der Reformation bis zur Aufklärung

Zusammenfassung

Irmgard Scheitler zeichnet in ihrem Beitrag die komplexen Entwicklungslinien auf dem Gebiet des Kirchengesangs von der Reformation bis in die Aufklärungszeit nach. Der in die Liturgie integrierte deutsche Gemeindegesang wurde zu einem zentralen Kennzeichen der Reformation. Symbolcharakter hatten einerseits die Lieder Luthers, seiner Freunde und Anhänger, auf seiten der reformierten Kirche aber die Psalmlieder mit den Genfer Melodien. Versuche, den volkssprachlichen Gesang auch in der katholischen Kirche auszuweiten, waren wenig erfolgreich, so dass das deutsche Kirchenlied in der Liturgie zu einem klaren Abgrenzungsmerkmal der Konfessionen avancierte. Interkonfessionelle Polemik fehlte zwar nicht, besonders im 16. Jahrhundert, jedoch liegt die Bedeutung des Kirchenliedes eindeutig in der Frömmigkeitsübung, der religiösen Wissensvermittlung und Bewusstseinsbildung. Das 17. Jahrhundert brachte eine große Zahl zunächst für den privaten Gebrauch gedachter geistlicher Lieder in moderner musikalischer Gestalt, von denen viele nach und nach in die als Kirchen- und Hausgesangbücher konzipierten Sammlungen eingingen. Im 18. Jahrhundert schliffen sich die Konfessionsgrenzen ab. In den Kirchen der Reformation gerieten die alten Lieder unter Legitimitätsdruck. Der Katholizismus öffnete sich mit der Singmesse der Volkssprache. Insbesondere seit der zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sind rekonfessionalisierende Tendenzen unübersehbar.

Abstract

In her paper, Irmgard Scheitler traces the complex developments in the field of church hymns from the Reformation to the Enlightenment. The German-language congregational singing that was part of the liturgy became one of the key characteristics of the Reformation. Luther's hymns, those of his friends and followers had a symbolic character; the same was true for psalms and the Geneva melodies in the Reformed Church. Attempts to extend vernacular singing into the Catholic Church did not succeed, so that the liturgy-integrated German hymn developed into a clear distinction between the confessions. Although the 16th century in particular saw considerable interdenominational polemics, the crucial aspect of the hymn was in practised piety, in the imparting of religious knowledge and the forming of the consciousness. The 17th century saw the publication of an extensive number of spiritual songs in modern musical form. These were initially intended for private purposes but, over time, many of them found their way into collections of hymns designed as domestic or church hymnals. The once clear line between the denominations became less pronounced in the 18th century. The old and established songs came under pressure in the churches of the Reformation, whereas Catholicism opened up to vernacular hymns during mass. Pronounced re-confessionalizing tendencies emerged particularly since the second half of the 19th century.

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Andreas Pietsch:
»Wenn doch selbst Lipsius ein Marienbildnis preisen kann!« Von der verflixten Uneindeutigkeit religiöser Praktiken

Zusammenfassung

Andreas Pietsch analysiert zeitgenössische Debatten und forschungsgeschichtliche Diskurse über die eindeutige Konfessionszugehörigkeit des niederländischen Gelehrten Justus Lipsius (1547–1606), der Zeit seines Lebens zwischen den Konfessionen lavierte. Im Zentrum der Auseinandersetzungen um die Bestimmung der Konfessionszugehörigkeit standen dabei drei Parameter, die von Zeitgenossen und Forschern unterschiedlich interpretiert wurden. Erstens boten die Aufenthaltsorte des Gelehrten (Köln, Leuwen, Rom, Jena und Leiden)wie zweitens seine Schriften und Werke (De Constantia, Politica) Anhaltspunkte. Drittens wurden seine persönliche Frömmigkeitspraktiken, wie etwa seine Marienverehrung, auf eindeutige Bekenntnisse hin untersucht, was Pietsch am Beispiel der Stellungnahmen des reformierten Theologen Adrianus Saravia (1531–1613) in der Causa Lipsius ausführt. Saravia diagnostizierte bei Lipsius jene ›verflixte Uneindeutigkeit‹ und ordnete ihn auf Grund dessen einer spiritualistischen Sekte, der Familia Charitatis, zu. Konfessionelle Uneindeutigkeiten seien weder auf die gelehrten Eliten noch auf die Niederlande beschränkt. Pietsch zeigt, dass konfessionelle Ambiguität um die Wende zum 17. Jahrhundert die Ambiguität zwar ein Epiphänomen der Konfessionalisierung war, aber gerade als die notwendige Kehrseite zur Vereindeutigung zu fassen ist.

Abstract

Andreas Pietsch analyses contemporary debates and research discourses on the true confessional affiliation of the Dutch scholar Justus Lipsius (1547–1606), who alternated between the denominations throughout his entire life. The conflicts about the determination of Lipsius' denominational affiliation centred on three parameters that have been interpreted differently by contemporaries and scholars: Lipsius' places of residence and research (Cologne, Leuven, Rome, Jena and Leyden), his writings (De Constantia, Politica) and, finally, his personal practices of piety, such as his veneration of the Virgin Mary. All of these were examined in search of clear evidence, and Pietsch takes the example of the Reformed theologian Adrianus Saravia (1531–1613) and his comments to illustrate this aspect. In Lipsius, Saravia diagnosed what he called a ›tricky ambiguity‹ and thus associated him with a spiritualist sect, the Familia Charitatis. According to Pietsch, confessional ambiguities were neither restricted to the learned elites alone nor to the Netherlands. He shows that towards the end of the 16th century, confessional ambiguity had become an epiphenomenon of confessionalization, but can be understood as the necessary obverse of disambiguation.

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Laurent Jalabert:
Die Aufteilung des religiösen Raumes. Konfessionelle Differenzierung und sakrale Gewalt im deutsch-französischen Grenzraum im 17. und 18. Jahrhundert

Zusammenfassung

Der Beitrag fokussiert auf die gemeinsame Nutzung, die Aufteilung, des öffentlichen Raumes durch Katholiken und Lutheraner im deutsch-französischen Grenzgebiet im 17. und 18. Jahrhundert. Sie stehen im Zusammenhang mit den politischen Folgen des bourbonisch-habsburgischen Gegensatzes, machen aber allgemeine Strukturmuster konfessioneller Koexistenz deutlich. Am Beispiel von Simultaneum-Gemeinden vor allem in den Grafschaften Nassau-Saarbrücken und -Saarwerden zeigt Jalabert, wie einerseits zwar durch schriftliche Fixierungen alternierender Religionsausübung ein Grundlage konfessioneller Koexistenz gelegt wurde, andererseits sich auf dieser Basis immer wieder, vermehrt seit Mitte des 18. Jahrhunderts, Konflikte entzündeten. Die Untersuchung ordnet sich in jüngere Forschungen ein, die die Konfessionalisierung als lebensweltlich-kulturelle Festigung innerchristlich ausdifferenzierter Gruppen als wesentlich noch im 18. Jahrhundert sich vollziehen sehen. Gleichzeitig macht er nachdrücklich darauf aufmerksam, wie an diesem Prozess die symbolische Abgrenzung im öffentlichen Raum konstitutiv beteiligt war, indem hier ephemer, durch die Liturgie, oder dauerhaft, durch feste Zeichen, symbolische Identitätsmarker platziert und wahrgenommen wurden.

Abstract

The paper focuses on the shared use, the partitioning, of public space by Catholics and Lutherans in the 17th and 18th-century Franco-German border area. While this phenomenon needs to be seen in the context of the political consequences of Bourbon-Habsburg antagonism, it also reveals broader patterns of denominational co-existence. In a focus on bi-confessional congregations ( Simultaneum-Gemeinden), in particular in the Counties Nassau-Saarbrücken and Nassau-Saarwerden, Jalabert shows how denominational co-existence was made possible by means of written regulations for the alternating use of religious space by the two congregations. This, however, also led to repeated conflicts, particularly so since the mid-18th century. This paper is in line with more recent studies and regards confessionalization as an 18th-century process of everyday and cultural consolidation of groups having undergone inner-Christian differentiation. At the same time, Jalabert shows how symbolic differentiation in public space became constitutive for this process, namely in how ephemeral symbolic identity markers were set and observed, in liturgy and as permanent elements in the landscape.

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Martin Scheutz:
Das Offizielle und das Subkutane. Konfessionelle Symbole und Rituale im Spannungsfeld von öffentlichem Katholizismus und Geheimprotestantismus in den österreichischen Erbländern um die Mitte des 18. Jahrhunderts

Zusammenfassung

Martin Scheutz stellt in seinem Beitrag konfessionelle Symbole, Rituale und religiöse Praktiken des obrigkeitlich subventionierten Katholizismus‹ und des verbotenen Protestantismus‹ in den österreichischen Erbländern um die Mitte des 18. Jahrhunderts gegenüber.

Während sich die geheimprotestantische praxispietatis durch häusliche Andachten und intensive Bibellektüre in kleineren Gruppen jenseits des Offiziellen auszeichnete, definierte sich die katholische Mehrheitsgesellschaft über liturgische Riten (Taufe, Begräbnisse, Hochzeiten) und semiliturgische, performative Akte (Wallfahrten, Prozessionen) im öffentlichen Raum. Im Sinne der pietasaustriaca wurden durch Missionen, Bruderschaften und Pfarrer vor Ort besonders die Marien- und Eucharistiefrömmigkeit sowie die Verehrung neuer habsburgischer Landesheiliger gefördert.

Als Reaktion auf die Restriktionen der Habsburgermonarchie und auf die Zunahme der konfessionell bedingten Konflikte in den 1730er bis 1750er Jahren entwickelten die Geheimprotestanten eine ›Überlebensstrategie‹ und suggerierten Konformität nach außen und Zugehörigkeit zum Mehrheitskatholizismus, indem sie etwa ihre Wohnräume mit dezidiert katholischen Konfessionssymbolen ausstatteten.

Abstract

In his paper, Martin Scheutz contrasts confessional symbols, rituals and religious practices of authority-backed Catholicism and prohibited Protestantism in Austria's hereditary lands around the middle of the 18th century.

The praxis pietatis of secret Protestants avoided the official sphere by means of domestic prayers and intensive bible study in small groups. The Catholic majority, on the other hand, defined itself through liturgical rites (baptisms, funerals, weddings) and semi-liturgical, performative acts (pilgrimages, processions) in the public space. Particular features of the pietas austriaca were the adoration of the Virgin Mary and Eucharist piety as well as the veneration of new saints of the Habsburg territories, all realised through missions, brotherhoods and local priests.

In answer to the restrictions of the Habsburg monarchy and the growing number of confessional conflicts between the 1730s and 1750s, the secret Protestants developed a ›survival strategy‹. They suggested their conformity with and membership in the majority religion by displaying decidedly Catholic symbols in their houses.

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