Aus dem Inhalt / from the book:
Inhaltsverzeichnis:
Vorwort
Nils Bock, Georg Jostkleigrewe, Bastian Walter:
Politische Grenzen als Faktum und Konstrukt.
Einführung
TRANSGRESSIONEN UND VERDICHTUNGEN
Robert Gramsch:
Politische als soziale Grenzen. Nationale und
transnationale Heiratsnetze des deutschen
Hochadels im Hochmittelalter
Laurence Moal:
Le duc et la frontière. Formes et fonctions du
contrôle des frontières bretonnes sous la
dynastie des Montforts (1364–1514)
Andreas Rüther:
Grenzenlos. Die Machtträger Dänemarks, Schleswigs
und Holsteins im Spätmittelalter als Diener zweier
Herren
Maria Narbona Carceles:
La solidité d'une frontière. Les limites entre
Navarre et Aragon au xv-e siècle à travers la
correspondance entre les reines
SYMBOLISIERUNGEN
Martin Kintzinger:
Der neutrale Ort: Konstruktion einer diplomatischen
Realität. Ein methodisches Experiment
Christian Frey:
Die Grenzlandschaft als Burgenlandschaft. Sachsens Osten
zwischen Peripherie und Mittelpunkt
Claudius Sieber-Lehmann:
Das Unsichtbare sichtbar machen. Symbolische und memoriale
Praktiken der Grenzziehung
REFLEXIONEN
Frédérique Laget:
La frontière de mer anglaise à la fin du Moyen
Âge. L'exemple du Libelle of Englyshe Polycye
(1436)
Isabelle Guyot-Bachy:
Eine Grenze – zwei Betrachtungsweisen. Die Grenze
zwischen Frankreich und Flandern in der französischen
und flämischen Historiographie
Jean-Marie Moeglin:
La frontière comme enjeu politique à la fin du
xiii-e siècle. Une description de la frontière
du Regnum et de l'Imperium au début des
années 1280
ERFINDUNGEN
Georg Jostkleigrewe:
Die Erfindung mittelalterlicher Grenzen. Kaiser
Karl IV., Frankreich und die zweifache Konstruktion der
Reichsgrenze bei Cambrai
Julia Dücker:
Una gens, unum regnum, unus populus?
Grenzüberschreitende Politik im
spätmittelalterlichen Polen und Ungarn
Klara Hübner:
Le parler du Suisse et du François –
Projektionen einer Sprachbarriere. Das Beispiel Freiburg im
Uechtland
Georg Jostkleigrewe:
Politische Grenzen des Mittelalters als Faktum und
Konstrukt. Ergebnisse und Ausblick
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Näheres zu den Beiträgen:
Robert
Gramsch:
Politische als soziale Grenzen. Nationale und
transnationale Heiratsnetze des deutschen
Hochadels im Hochmittelalter
Zusammenfassung
Wie eine umfassende Bestandsaufnahme und
netzwerkanalytische Untersuchung des Heiratsnetzwerkes des
deutschen Hochadels im 13. Jahrhundert ergibt, bestehen
innerhalb dieses Netzes charakteristische Verdichtungen.
Diese »Cluster« sind durch einen auffällig
hohen Grad an Verschwägerungen zwischen den
betreffenden Adelsfamilien gekennzeichnet. Sie bilden
gewissermaßen »endogame Verbände«, von
ca. fünf bis 12 agnatischen Geschlechtern, deren
Heiratspolitik eng aufeinander bezogen ist. Eine
interessante Eigenschaft dieser »endogamen
Verbände« besteht darin, dass sich ihre Entstehung
nicht einfach aus räumlichen Gegebenheiten
erklärt, wenngleich der Aspekt der Nähe bei der
Auswahl der Heiratspartner natürlich eine Rolle spielt.
Vielmehr gibt es spezifische politische Bezugspunkte, um die
herum sich der Verband jeweils gruppiert.
Besonders spannend ist die Untersuchung derjenigen
endogamen Verbände, die grenznahe Adelgeschlechter
umfassen – denn selbstverständlich machen diese
heiratspolitischen Cluster nicht notwendig an den
politischen Außengrenzen des Reiches halt. Der Beitrag
untersucht daher das Heiratsverhalten des lothringischen und
burgundischen Hochadels in der ersten Hälfte des
13. Jahrhunderts und stellt die Frage, inwiefern dieses
durch das politische Faktum der Grenze zwischen Frankreich
und dem Reich beeinflusst wurde.
Im Blick auf die je einzelnen Eheverbindungen erweist
sich die politische Grenzziehung dabei als bemerkenswert
durchlässig. Bei einer umfassenden Betrachtung aller
einschlägigen Beziehungen zeigt sich hingegen, dass die
Reichsgrenze das Heiratsverhalten des regionalen Hochadels
durchaus beeinflußte. Schließlich wird zugleich
auch deutlich, wie sehr die Grenze selbst als ein
politisches Faktum das Produkt komplexer Prozesse in einem
Netzwerk von Akteuren darstellt, das Hochadelsfamilien
beider Seiten umfasst.
* * *
Résumé
Comme le montrent l'inventaire complet et l'analyse des
réseaux matrimoniaux de la haute noblesse allemande
au XIIIe siècle, il existe au sein de ce
réseau des concentrations spécifiques. Ces
»clusters« se caractérisent de
manière frappante par un degré
élevé de parenté par alliance entre les
familles nobles concernées. Ils forment des
»groupements endogames« de 5 à
12 familles agnatiques dont la politique matrimoniale
dépend étroitement des unes des autres. Fait
intéressant, ce n'est pas la proximité
géographique qui explique ces »groupements
endogames«, même si elle joue évidemment
un rôle dans le choix du conjoint. Ce sont au
contraire des aspects politiques spécifiques qui
régissent ces groupements.
L'analyse des groupements endogames comprenant des
familles nobles d'une région frontalière
s'avère particulièrement passionnante, car
bien sûr ces clusters matrimoniaux ne s'arrêtent
pas nécessairement aux frontières politiques
de l'Empire. Quelle influence la frontière politique
entre la France et l'Empire a-t-elle eue sur le comportement
matrimonial de la haute noblesse lorraine et bourguignonne
dans la première moitié du
XIIIe siècle?
Si l'on considère chaque union matrimoniale de
manière individuelle, la frontière politique
se révèle remarquablement poreuse. En
revanche, si l'on étudie la totalité des
mariages, on observe que la frontière de l'Empire a
une véritable influence sur le comportement
matrimonial de la haute noblesse de la région. On
s'aperçoit finalement à quel point la
frontière elle-même est, en tant que fait
politique, le produit de processus complexes au sein d'un
réseau d'acteurs dont font partie les familles
aristocratiques de part et d'autre de la
frontière.
* * *
Abstract
As a comprehensive evaluation and network-analytical
study of the marriage networks of German high nobility in
the 13th century reveals, there are characteristic
concentrations within this system. These clusters are marked
by a strikingly high degree of marriage relations between
the respective noble families. They virtually form
»endogamous clusters« of approximately five to
twelve agnatic families whose marriage politics are closely
connected with each other. It is an interesting feature of
these »endogamous clusters« that their development
cannot only be explained by their spatial relations, even
though aspects of proximity certainly did play a role in
choosing a marriage partner. Rather, there are specific
political reference points around which the respective
cluster groups itself.
Particularly striking is the analysis of those endogamous
clusters that consist of noble families close to borders
– because those political marriage clusters certainly
did not necessarily stop at the Empire's external political
borders. This contribution thus examines the marriage
behavior of the Lorrainese and Burgundian high nobility in
the first half of the 13th century and poses the
question to what extent this was influenced by the political
reality of the border between France and the Empire.
Focusing on the respective marriage unions separately,
the political demarcation proves to be remarkably permeable.
A comprehensive analysis of all pertinent relations,
however, shows that the Empire's border indeed influenced
the marriage behavior of the regional high nobility. It
ultimately also becomes clear how much the border itself, as
a political fact, is the product of complex processes in a
network of actors comprising families of high nobility on
both sides.
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Laurence Moal:
Le duc et la frontière. Formes et fonctions du
contrôle des frontières bretonnes sous la
dynastie des Montforts (1364–1514)
Zusammenfassung
Ob als Zone des Durchgangs, der Begegnung oder des
Konflikts – im Kontext der bretonischen Staatswerdung
(1364–1491) erlangt die Grenze eine hohe symbolische
und politische Bedeutung und trägt wesentlich zur
Konstruktion eines bretonischen Nationalgefühls bei.
Der vorliegende Aufsatz befasst sich mit der Frage, wie die
Herzogsgewalt die Grenzen erschafft, sie instrumentalisiert
und inwiefern dies zur Entstehung eines Grenzbewusstseins
beiträgt.
In der bretonischen Literatur des frühen
Mittelalters bildet sich nach und nach ein Grenzdiskurs
heraus, der zur Ausbildung einer bretonischen Identität
beiträgt. Die Grenze erscheint hier als klar
festgelegte Linie, welche die Bretagne von ihren Feinden
trennt. Zahlreiche Zeugnisse verweisen auf die große
Angst vor Invasionen und zeichnen das Bild einer von Feinden
umringten Bretagne. Die Realität ist jedoch weitaus
komplexer: Die spätmittelalterliche Bretagne ist ein
Land der Grenzmarken (»marches«), wobei dieser
Begriff sehr viel vager ist als der Begriff der Grenze
(»frontière«). Im Laufe der Jahrhunderte
erhalten die alten Begrenzungen eine neue Bedeutung. Durch
das immer stärkere Eingreifen des Herzogs wird die
Grenze zunehmend zu einem wirtschaftlichen und steuerlichen
Faktor, was zu Protesten und Aufbegehren führt. Das
Bestreben des französischen Königs, die Konflikte
innerhalb der Bretagne zu seinen Gunsten zu nutzen,
trägt zusätzlich zur Erosion der alten Grenzmarken
bei. Auf diese Weise führen die
französisch-bretonischen Konflikte zu einer
schärferen Definition der bretonischen Grenzen und
stärken gleichzeitig deren Bedeutung.
Die bretonische Grenze ist keine abstrakte Konstruktion.
Sie ist ein Produkt sowohl feodaler Strukturen wie auch des
entstehenden modernen Staates. Am Ende des Mittelalters
gewinnt die Grenze zusehends deutlichere Konturen, wobei sie
sich als gleichermaßen militärisches,
fiskalisches wie juristisches Faktum definieren lässt.
Gleichzeitig erzeugt die Verfestigung staatlicher Strukturen
innerhalb des Herzogtums ideologische Konzepte, die die
historischen Abgrenzungen der Bretagne hervorheben. All dies
wird jedoch vom Triumph der französischen Monarchie in
Frage gestellt, die den bretonischen Staat auf den Rang
einer Provinz verweist.
* * *
Résumé
Qu'elle soit une zone de passage, de contact ou de
conflit, la frontière est une ligne qui prend toute
sa dimension, politique et symbolique, au moment de
l'apogée de l'État breton (1364–1491).
Elle occupe ainsi une place importante dans le processus de
la construction nationale. Il s'agit de se demander comment
le pouvoir ducal créé les frontières,
comment il les instrumentalise, et en quoi les actions
ducales contribuent à faire émerger une
conscience des frontières.
Dans la littérature du bas Moyen Âge breton,
il s'élabore peu à peu un discours de la
frontière, une conscience des limites qui contribue
à forger l'identité. Les frontières y
apparaissent comme un tracé linéaire bien
fixé. Elles sont le lieu qui sépare des
ennemis et de nombreuses expressions les associent à
la hantise de l'invasion, forgeant l'image d'une Bretagne
forteresse. Mais la situation est plus complexe dans la
réalité car la Bretagne du bas Moyen Âge
reste un pays de »marches«, terme plus flou que
celui de »frontière«. Au cours des
siècles, ces anciennes limites gagnent un poids
nouveau et la frontière se matérialise par les
actions ducales de plus en plus marquées sur le plan
économique et fiscal, ce qui entraîne des
contestations. Le roi de France, lui, cherche à
exploiter les forces centrifuges bretonnes, ce qui contribue
à éroder les limites du duché. Aussi
les conflits franco-bretons attestent-ils de la
précision des limites bretonnes et les renforcent
dans le même temps.
La frontière bretonne n'est pas une notion
abstraite. À la fois l'héritage de la
féodalité et de la naissance de l'État
moderne, sa définition se fait plus précise
à la fin du Moyen Âge. Elle se définit
autant par la guerre, la fiscalité ou les pratiques
judiciaires. En même temps, l'affermissement des
structures étatiques à l'intérieur du
duché nécessite l'appui de concepts
idéologiques qui mettent en relief les
frontières historiques de la Bretagne. Tout cela,
pourtant, est remis en cause par le triomphe de la monarchie
française qui relègue l'État breton au
rang d'une identité provinciale.
* * *
Abstract
Whether as a zone of transition, of encounter, or of
conflict – in the context of the formation of the
Breton state (1364–1491) the border attained great
symbolic and political importance and contributed
significantly to the construction of a Breton sense of
national identity. The present paper deals with the question
of how ducal power creates borders, instrumentalizes them,
and in what way this is a factor in the development of a
border consciousness.
In Breton literature of the Early Middle Ages, a border
discourse gradually develops that plays a part in the
formation of a Breton identity. Here, the border emerges as
a clearly defined line separating Brittany from its enemies.
Various sources refer to the great fear of invasion and draw
a picture of a Brittany encircled by enemies. The reality,
however, is far more complex: Late medieval Brittany is a
country of boundary marks (»marches«), this term
being much more vague than the term border
(»frontiére«).
Over the course of the centuries, the old boundaries
receive a new meaning. Due to the ever increasing
intervention of the duke, the border is progressively
becoming an economic and tax factor, leading to protests and
revolts. Attempts by the French King to use the conflicts
within Brittany to his advantage add to the erosion of the
old boundary marks. The Breton-French conflicts thus lead to
a tighter definition of the Breton borders and at the same
time reinforce their importance.
The Breton border is not an abstract construction. It is
the product of both feudal structures as well as the
emerging modern state. At the end of the Middle Ages, the
border noticeably takes a more clearly defined shape, as it
can equally be defined as a military, fiscal, as well as
legal fact. At the same time, the stabilization of
governmental structures within the duchy generates
ideological concepts emphasizing the historical separation
of Brittany. All of this, however, is questioned by the
triumph of the French monarchy which relegates the Breton
state to the rank of a province.
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Andreas
Rüther:
Grenzenlos. Die Machtträger Dänemarks, Schleswigs
und Holsteins im Spätmittelalter als Diener zweier
Herren
Zusammenfassung
Wenn sich Schleswig-Holstein als Land zwischen den Meeren
bezeichnet, dann ist damit zumeist ein weltoffenes und
freiheitliches Selbstverständnis verbunden, das auf den
offenen Zugängen nach Osten und Westen gründet.
Wenn man hingegen die Bewohner dieses Landes als Diener
zweier Herren bezeichnet, zeigt man nach Norden und
Süden Begrenzungen, Abhängigkeiten und
Konfliktpotential auf, vermutet man doch den Diener im
Streit mit sich selbst und seinen Herren. Und
tatsächlich wird insbesondere die mittelalterliche
Beziehungsgeschichte zwischen Schleswig, Holstein und
Dänemark gemeinhin als Konfliktgeschichte
erzählt.
Tatsächlich sah die Realität der
grenzüberschreitenden Verbindungen anders aus. Die
Beziehungen zwischen schleswigschen und holsteinischen
Akteuren, dem Königreich Dänemark und dem Reich
umfassten neben gelegentlichen Konflikten und
Abgrenzungsbemühungen auch vielfältige Formen der
Kooperation. Der Beitrag untersucht daher die
grenzüberschreitenden Interaktionen und
Verpflichtungshorizonte des weltlichen Hochadels, der
Prälaten, der Reichsstädte und königlichen
Landstädte des schleswig-holsteinischen Raumes.
Eine derartige akteurszentrierte Landesgeschichte
orientiert sich also nicht an national- oder auch
territorialstaatlichen Grenzziehungen, wie sie gerade in
einem hegemonialen Konstrukt »Schleswig-Holstein«
preußischer Prägung zu fassen sind. Sie sucht
vielmehr in den Beziehungsgeflechten transterritorialer
Personenverbände nach alternativen Formen
räumlicher Vergesellschaftung und fragt danach, welche
Bedeutung politischen Grenzziehungen bei der Untersuchung
grenzüberschreitender Netzwerke zuzumessen ist.
* * *
Résumé
Lorsque le Schleswig-Holstein se décrit comme pays
entre les mers, cela correspond à l'image qu'il se
fait de lui-même, ouvert au monde et libéral,
comme ses façades est et ouest. En revanche, lorsque
l'on qualifie les habitants de cette région de
serviteurs de deux maîtres, on insiste sur les
limites, les relations de dépendance et le potentiel
conflictuel au nord et au sud. Et en effet, on raconte
d'ordinaire l'histoire des relations entre Schleswig,
Holstein et Danemark au Moyen Âge comme une histoire
des conflits.
Dans les faits, la réalité des liens
transfrontaliers était tout autre. Les relations
entre acteurs schleswigois et holsteinois, Royaume du
Danemark et Empire englobaient, outre des conflits
occasionnels et des velléités de
démarcation, des formes multiples de
coopération. C'est la raison pour laquelle cette
contribution analyse les interactions
transfrontalières et l'horizon de contraintes de la
noblesse séculière, des prélats, des
villes d'Empire et des villes princières de l'espace
schleswig-holsteinois.
Une histoire régionale, centrée à ce
point sur ses acteurs, ne se définit donc pas par
rapport à des frontières nationales ou
territoriales, comme c'est le cas pour une construction
hégémonique »Schleswig-Holstein«
d'inspiration prussienne. Elle s'intéresse
plutôt, dans l'ensemble des relations des groupes
transterritoriaux entre eux, à des formes
alternatives de sociation dans l'espace et pose la question
suivante: quelle importance doit-on accorder aux
frontières politiques dans l'analyse de
réseaux transfrontaliers?
* * *
Abstract
If Schleswig-Holstein calls itself the country between
the seas, this is usually connected to an open-minded and
liberal self-understanding based on the open access to the
east and the west. If, however, one calls the inhabitants of
this state the servants of two masters, one uncovers
demarcations, dependencies, and potential for conflict
towards the north and the south, as the servant is assumed
to be in conflict with both himself and his masters. And
indeed, the history of the relations between Schleswig,
Holstein, and Denmark, particularly during the Middle Ages,
is commonly regarded to be one of conflict.
The reality of the cross-border connections was, in fact,
a different one. Next to occasional conflicts and attempts
at demarcation, the relationship between the actors in
Schleswig and Holstein, the Kingdom of Denmark, and the
Empire included various forms of cooperation. This
contribution thus examines the border-crossing interactions
and range of commitments of the secular high nobility, the
prelates, the imperial cities, and the royal territorial
cities of the Schleswig-Holstein territory.
Such an actor-centric regional history is thus not
orientated on governmental demarcations on a national or
territorial level, as they are particularly visible in a
hegemonial construct »Schleswig-Holstein« of
Prussian creation. It rather looks for alternative forms of
spatial socialization in the relational networks of
trans-territorial personal connections and asks about the
importance of political demarcations in the study of
border-crossing networks.
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Maria Narbona
Carceles:
La solidité d'une frontière. Les limites entre
Navarre et Aragon au xv-e siècle à travers la
correspondance entre les reines
Zusammenfassung
In den Akten des 2001 in der Casa de Velázquez
veranstalteten Kolloquiums zum Thema Identidad y
representación de la frontera en la España
Medieval haben Pierre Toubert und Miguel Ángel
Ladero Quesada darauf hingewiesen, dass die Grenze
der mittelalterlichen iberischen Halbinsel die Grenze gegen
den Islam war. Tatsächlich schuf die Reconquista das
Konzept einer Grenze, die zwei vollständig
unterschiedliche Welten trennte. Darüber hinaus fand
man neben dieser aber auch andere Grenzen, die in den
nördlichen christlichen Territorien vorhanden waren und
sich im Verlauf der Jahrhunderte als Demarkationslinien
festigten. Diese hatten weniger kulturelle denn vielmehr
juristisch-politische, steuerliche und militärische
Bedeutung und führten dazu, dass sich die so
abgegrenzten Territorien schrittweise als Staaten im
christlichen Europa festigen konnten.
Die Grenze zwischen dem Königreich von Navarra und
der Krone Aragón trennt noch heute im spanischen
Staat die autonomen Regionen Navarra und Aragón.
Diese Grenze hat ihren Verlauf seit dem Anfang des
13. Jahrhunderts nur wenig geändert; im
nördlichen Teil ist sie sogar noch länger stabil
geblieben. Das soll allerdings nicht bedeuten, dass diese
Grenze kein Konfliktpotential vor allem in den Perioden
stärkerer kriegerischer Tätigkeit dargestellt
hätte. Dennoch ist dieser Verlauf heutzutage noch
derselbe wie um das Jahr 1200.
Der Briefwechsel zwischen Maria de Castille, der
Königin von Aragon, und Blanche de Navarre zwischen
1416 und 1458, der in den Archivos de la Corona de
Aragón in Barcelona aufbewahrt ist, bietet hier
einige zusätzliche Informationen. Blanche und Maria
bekunden in den Papieren Besorgnis für das Leben und
die Geschäfte der Menschen in dieser Grenzzone. Die
Probleme der Bewohner entlang der Grenze und der
Grenzgänger zwingen die Königinnen, einen
ständigen Briefwechsel aufrechtzuerhalten. Einige
dieser Briefe bieten Hinweise auf die Problematik der Grenze
in Friedenszeiten, welche Antworten auf die Fragestellung
des Sammelbandes geben können.
* * *
Résumé
En 2001, dans les actes du colloque
célébré dans la Casa de
Velázquez intitulé Identidad y
representación de la frontera en la España
Medieval, Pierre Toubert et Miguel Ángel Ladero
Quesada, coïncidaient en affirmant que la
Frontière (avec majuscules), au Moyen âge, dans
la Péninsule Ibérique, avait été
la frontière contre l'Islam. En effet, la
Reconquête a crée la conception d'une
frontière qui séparait deux mondes
complètement différents. Mais, à
côté de cette »frontière« par
antonomase, on trouve d'autres frontières (avec
minuscule), qui apparaissaient dans les territoires
chrétiens du nord et qui se sont consolidées
aussi comme des lignes de démarcation tout au long
des siècles, même si dans ce cas-là,
elles n'avaient pas une signification culturelle si forte,
mais plutôt une signification juridico-politique,
fiscale et militaire, qui allait amener ces territoires a se
consolider progressivement comme les États de
l'Europe de l'Occident Chrétien.
La frontière existante entre le royaume de Navarre
et la Couronne d'Aragon, sépare encore les actuelles
communautés autonomes espagnoles du même nom,
Navarre et Aragon. Cette frontière a changé
très peu sa physionomie depuis le commencement du
XIII siècle, et même, dans la partie nord,
depuis des époques antérieures. Cela ne veut
pas dire que cette frontière n'ait pas posé de
problèmes, surtout dans les périodes d'une
activité guerrière plus intense. Mais,
malgré les problèmes frontaliers, cette ligne
de démarcation a survécu jusqu'à nos
jours suivant le même tracé qu'elle avait
déjà en 1200.
La correspondance de Marie de Castille, reine d'Aragon
entre 1416 et 1458, avec Blanche de Navarre,
conservée dans les Archivos de la Corona de
Aragón, à Barcelone, offre quelques
données à ce propos. Blanche et Marie
manifestent dans les documents une préoccupation pour
la vie et les affaires dans cette zone frontalière.
Les problèmes des habitants des frontières et
de ceux qui traversaient la ligne frontalière,
obligèrent les reines à maintenir une
correspondance à ce sujet. Quelques-unes de ces
lettres offrent des pistes sur la problématique de la
frontière en temps de paix, qui peuvent donner des
réponses aux questions soulevées par les
directeurs de ce volume.
* * *
Abstract
In the proceedings of the colloquium held at the Casa de
Velázquez in 2001 on the topic Identidad y
representación de la frontera en la España
Medieval, Pierre Toubert and Miguel Ángel Ladero
Quesada have pointed out that the border of the
medieval Iberian Peninsula was the border against Islam.
Indeed, the Reconquista created the concept of a border
separating two completely different worlds. In addition,
however, other borders existed in the northern Christian
territories which became consolidated as demarcation lines
over the course of the centuries. These were less of
cultural than of legal, political, fiscal, and military
importance, and caused the thus distinguished territories to
gradually become consolidated as states within a Christian
Europe.
Until today, the border between the Kingdom of Navarre
and the Crown of Aragon separates the autonomous regions of
Navarre and Aragon in the Spanish state. This border has
changed its course only little since the beginning of the
13th century; in its northern part it even remained the
same since previous epochs. This, however, is not to imply
that this border did not have the potential for conflicts,
particularly during periods of more pronounced military
activity. Nevertheless, its course is the same today as it
was around the year 1200.
The correspondence between Maria of Castile, the Queen of
Aragon, and Blanche of Navarre between 1416 and 1458, which
is preserved in the Archivos de la Corona de
Aragón in Barcelona, offers some additional
information on this. In the letters, Blanche and Maria
express their concern for the lives and the businesses of
the people in this border area. The problems of the
inhabitants along the border and of the border crossers
force the queens to maintain a continuous exchanges of
letters. Some of these letters offer clues as to the
problems of the border during periods of peace, thus
providing answers to the questions posed by the organizers
of the workshop.
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Martin
Kintzinger:
Der Neutrale Ort: Konstruktion einer diplomatischen
Realität. Ein methodisches Experiment
Zusammenfassung
Wenn bei einem Fürstentreffen einer der Gastgeber,
der andere aber der Gast war, gab es keine Gleichrangigkeit:
Nur einer hatte die Grenze überschritten – der
Gastgeber blieb der Hausherr, der andere der fremde Gast. Im
Gegenzug hieß das: Für eine Begegnung der
Gleichrangigkeit bedurfte es eines Ortes, an dem beide
Seiten als fiktiv gleichrangig gezeigt werden konnten.
Dieser Ort mußte notwendig neutral sein, da er keinem
der beiden Fürsten und überhaupt keinem Herrn
zugehören durfte. Einen solchen neutralen Ort konnte es
aber in der Realität nicht geben, er mußte
inszenatorisch imaginiert werden. Die Neutralität des
Ortes wird so zum Schlüssel für das
Verständnis der symbolischen Inszenierungen der
Diplomatie (nicht erst und nicht nur) im späten
Mittelalter.
Die Erforschung der Neutralität eines Ortes
– wie der vormodernen Neutralitätskonzepte
überhaupt – steht noch am Anfang. Eine
umfassende Phänomenologie der Konstruktion neutraler
Räume im Kontext der mittelalterlichen Diplomatie ist
hier daher nicht zu leisten. Vielmehr stellt der vorliegende
Beitrag ein geschichtswissenschaftliches Gedankenexperiment
dar, das Kernfragen der Kulturgeschichte des Politischen
unter einem neuen Gesichtspunkt zu erschließen
versucht. Daß die inszenierte Imagination des
neutralen Ortes ein typisch mittelalterliches Phänomen
war und doch allemal in eine Geschichte der Longue
durée einzuordnen ist, eröffnet
Perspektiven auch für die Auseinandersetzung mit
unserer eigenen Zeit.
* * *
Résumé
Lors d'une rencontre de deux princes, l'un étant
l'hôte, l'autre l'invité, il n'y avait pas
d'égalité de rang. Un seul avait
traversé la frontière et se retrouvait
à l'étranger. L'hôte, en revanche,
restait maître en sa demeure. Inversement cela
signifie que si l'on voulait se rencontrer sur un pied
d'égalité, il fallait un lieu qui permît
la mise en scène de cette égalité de
rang. Nécessairement, ce lieu devait être
neutre et ne devait appartenir à aucun des deux
princes, ni même à un tiers. Or, dans la
réalité, un tel endroit n'existait pas. Il
fallait donc l'imaginer et le mettre en scène. La
neutralité du lieu constitue ainsi la clé pour
comprendre la symbolique des mises en scène de la
diplomatie au Bas Moyen Âge et au-delà.
L'étude de la neutralité d'un lieu (tout
comme le concept pré-moderne de neutralité
lui-même) en est à ses débuts. C'est la
raison pour laquelle on cherchera ici en vain une
phénoménologie globale de la construction de
lieux neutres dans le contexte de la diplomatie
médiévale. Cette contribution relève
bien plutôt de l'expérience intellectuelle
d'historien. Il s'agit de découvrir sous un jour
nouveau des questions fondamentales de l'histoire culturelle
du politique. Le fait que l'imagination et la mise en
scène du lieu neutre soit à la fois un
phénomène typique du Moyen Âge et
participe également de la longue durée n'est
pas sans ouvrir de perspectives pour l'étude de notre
époque actuelle.
* * *
Abstract
If during a meeting of sovereigns one of them was the
host but the other the guest, they did not have equal
status: Only one had crossed the border – the host
stayed the landlord, the other one remained the foreign
guest. This meant in reverse that for a meeting of
coequality a place was needed at which both sides could be
represented as notionally equal. This place necessarily had
to be neutral as it could neither be the property of either
one of the sovereigns nor of any sovereign at all. Such a
neutral place, however, could not exist in reality, it had
to be performatively imagined. The neutrality of the place
is thus key to the comprehension of symbolic performances of
diplomacy in the late Middle Ages – but not only
then.
Research into the neutrality of a place (as of premodern
concepts of neutrality in general) is only at its beginning.
A comprehensive phenomenology of the construction of neutral
spaces in the context of medieval diplomacy is thus
impossible to achieve. The present contribution is thus
rather a historiographic thought experiment attempting to
examine core questions of the cultural history of the
political from a perspective. The fact that the performative
imagination of a neutral place was a typically medieval
phenomenon and yet needs to be included in a history of the
Longue durée also opens up new
perspectives for the study of our own age.
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Christian Frey:
Die Grenzlandschaft als Burgenlandschaft. Sachsens Osten
zwischen Peripherie und Mittelpunkt
Zusammenfassung
Die mittelalterlichen Grenzen des ostfränkischen
Reiches waren keine linearen Trennungen, sondern Räume,
die das Reich mit seinen Nachbarn verbanden. Dies ist
besonders gut im Osten Sachsens während des
früheren Mittelalters zu beobachten, denn hier kam es
über eine lange Zeit immer wieder zu
Auseinandersetzungen. Innerhalb dieser Grenzräume
spielten Burgen aus verschiedenen Gründen eine
große Rolle. Sie waren militärische
Stützpunkte, Handelsposten und Mittelpunktsorte
für die umwohnende Bevölkerung, die sich aus
Sachsen und Slawen zusammensetzte. Ein besonders gutes
Beispiel ist Magdeburg. Diese Befestigung an der Elbe wurde
trotz ihrer Lage an der äußersten Peripherie des
Reiches durch den gezielten Ausbau Ottos des Großen zu
dem wichtigsten Zentrum der ottonischen Herrschaft.
* * *
Résumé
Les frontières médiévales du royaume
de la Francie orientale ne sont pas des séparations
linéaires, mais des espaces qui relient le royaume
avec ses voisins. Ce phénomène est
particulièrement visible à l'Est de la Saxe
pendant le Haut Moyen Âge, car c'est une zone de
conflits récurrents. A l'intérieur de cet
espace frontalier, les châteaux forts jouent un
rôle important, et ce pour différentes raisons.
Ils étaient bases militaires, lieu de commerce et
lieu central tout court pour la population alentour
composée de Saxons et de Slaves. Magdebourg en est un
bon exemple. Cette fortification sur l'Elbe devient,
malgré sa situation très en
périphérie du royaume, le centre principal du
pouvoir ottonien grâce à la politique
d'expansion ciblée d'Otto le Grand.
* * *
Abstract
The medieval borders of the Kingdom of the East Franks
were not made up of linear divisions but spaces connecting
the kingdom with its neighbors. This can be seen
particularly well in early medieval eastern Saxony as it was
here that conflicts repeatedly occurred over a longer period
of time. Within these border areas, castles played an
important role for various reasons. They were military
outposts, trading posts, and central places for the
surrounding population consisting of Saxons and Slavs.
Magdeburg is a particularly good example of this. Despite
its location at the very periphery of the kingdom, because
of the deliberate development by Otto I the Great, this
fortification on the river Elbe became the most important
center of Ottonian rule.
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Claudius
Sieber-Lehmann:
Das Unsichtbare sichtbar machen. Symbolische und memoriale
Praktiken der Grenzziehung
Zusammenfassung
Grenzen und Demarkationslinien stellen sich als
unverrückbare Tatsachen dar, die durch Zeichen,
Grenzsteine und Mauern symbolisiert sind. Allerdings
präsentieren sie sich häufig nur als greifbare
Materialisation eines symbolischen Konzepts, das den realen
Raum strukturiert und dominiert. Der vorliegende Artikel
behandelt dieses Paradoxon auf der Grundlage von zwei
Aspekten: Erstens anhand der sogenannten
»Luftlinien«, zweitens durch die Analyse einer
vormodernen Institution, den so genannten
»Gescheidleuten«. Letztere waren eine Gemeinschaft
ehrenvoller Bürger, welche die Grenzsteine ihres
jeweils spezifischen Territoriums kontrollierten und
Streitsachen im Zusammenhang mit den Grenzen schlichteten.
Des Weiteren waren sie Hüter der wahren
Geheimnisses der Grenzsteine, deren Authentizität durch
ein Objekt garantiert wurde, das man unter dem Stein
platzierte. Die realen Zeichen einer Grenze weisen daher auf
eine verborgene Wahrheit hin, deren Geheimnis noch bis Ende
des 20. Jahrhunderts in einigen Kommunen der Schweiz
weitergegeben wurde.
* * *
Résumé
Frontières, limites et démarcations se
présentent comme des données immuables,
marquées par des clôtures, bornes et des murs.
Or, ce ne sont souvent que des réalisations tangibles
d'une conception symbolique qui structure et domine l'espace
réel. L'article aborde ce paradoxe par deux aspects:
Premièrement le phénomène de la
démarcation à vol d'oiseau (en allemand:
»Luftlinien«), ensuite par l'analyse d'une
institution prémoderne, les
»Gescheidleute«. C'était une association
des hommes honorables qui contrôlaient
régulièrement les bornes et réglaient
des litiges autour des limites. En plus, ils
détenaient le secret de la »vraie« borne
dont la véracité était garantie par des
objets-témoins sousjacents. Les marques visibles
d'une limite renvoient donc à une
vérité cachée dont le secret se
transmettait jusqu'à la fin du XXème
siècle dans quelques communes Suisses.
* * *
Abstract
Border and demarcation lines appear to be immutable
facts, symbolized by signs, border stones, and walls.
However, they often only present themselves as tangible
materializations of a symbolic concept that structures and
dominates actual space. The present article deals with this
paradox on the basis of two aspects: First, on the basis of
so-called »beelines«, second through an analysis
of the pre-modern institution of the so-called
»Gescheidleute«. The latter were a community of
honorable citizens who controlled the border stones of their
respective territory and arbitrated legal disputes connected
to the borders. They also were guardians of the
»true« secrets of the border stones, the
authenticity of which was guaranteed by an object that was
placed beneath the stone. The real signs of a border thus
refer to a hidden truth, the secret of which was passed on
in some Swiss municipalities up to the end of the
20th century.
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Frédérique
Laget:
La frontière de mer anglaise à la fin du Moyen
Âge. L'exemple du Libelle of Englyshe Polycye
(1436)
Zusammenfassung
Der Libelle of Englysche Polycye ist ein langes,
mittelenglisch geschriebenes Gedicht aus dem Jahre 1436, das
zur Kontrolle des Meeres durch England aufruft und die
wirtschaftlichen und politischen Vorteile einer solcher
Seeherrschaft unterstreicht. Dieser
außergewöhnliche Text zeugt von der Bedeutung des
Meeres beim Aufbau einer englischen Identität im
Spätmittelalter. Der anonyme Autor macht sich zum
Sprachrohr einer seit dem 14. Jahrhundert zunehmend
verbreiteten Forderung der englischen Führungsschicht
nach Herrschaft über die Seegebiete zwischen England
und dem Kontinent. Er fordert, dass sie »regiert«
würden – in erster Linie, um England vor seinen
Feinden zu schützen. Diese narowe see wird als
ein Raum englischer territorialer Ausdehnung betrachtet,
welche die Grenzen Englands bis an die Küsten des
Festlandes verlagert. Der Libelle ruft auch zur
wirtschaftlichen Beherrschung des Meeres auf, wobei dieser
Gedanke aber mit dem einer Bewachung der Grenze
verschwimmt.
Das Werk verteidigt die Idee, dass der Ärmelkanal zu
England gehört. Es wurde nach der Eroberung der
Normandie im Jahre 1417 verfasst; dieses Ereignis schien die
Leistungsfähigkeit der englischen Seemacht zu
bestätigen. Die Neuinterpretation der Vergangenheit,
die in ihm zum Ausdruck kommt, deutet an, dass England die
Verschiebung seiner politischen Grenzen auf die andere Seite
des Meeres anstrebt. Das Meer wäre demnach also eine
breite Zwischenzone, die von der englischen Krone beherrscht
wird.
Tatsächlich scheint dieser englische Ehrgeiz aber
eine recht junge Forderung des 13. und 14. Jahrhundert
zu sein. Im Hochmittelalter wird das Meer auf den britischen
Inseln zwar mehr als Weg denn als natürliches Hindernis
wahrgenommen. Ab dem 13. Jahrhundert dann wird die
Küstenlinie jedoch zunehmend als Grenze betrachtet.
Dies gilt zunächst für die britischen Küsten,
später dann für die Küste Nordfrankreichs.
Die englische Führungsschicht hat mittlerweile den
Ehrgeiz, den Ärmelkanal dem englischen Territorium
einzuverleiben, was die offensivere Haltung der Neuzeit
vorwegnimmt. Wie jede Grenze schützt diese Seegrenze
England vor seinen Feinden, erlaubt der englischen Krone
aber gleichzeitig, ihre Macht zu einem Zeitpunkt zu
behaupten, an dem sie ihren Nachbarn gegenüber
zunehmend aggressiver auftritt.
* * *
Résumé
Le Libelle of Englysche Polycye est un long
poème en moyen anglais, daté de 1436, appelant
au contrôle de la mer par l'Angleterre et soulignant
les avantages politiques et commerciaux d'une telle
maîtrise. Ce texte exceptionnel témoigne de
l'importance de la mer dans la construction nationale et
identitaire anglaise à la fin du Moyen Âge. Son
auteur anonyme se fait l'écho d'une revendication
croissante des milieux dirigeants anglais, et ce dès
le XIVe siècle, à savoir la
maîtrise des mers qui la séparent du continent
(la Manche et une partie de la mer du Nord). L'auteur
réclame qu'elle soit »gouvernée«,
mais avant tout pour protéger l'Angleterre de ses
ennemis. Cette mer, ou narowe see, est alors
considérée comme un espace d'expansion
territoriale anglaise, qui repousserait sur les côtes
continentales les frontières de l'Angleterre.
Le Libelle appelle à une maîtrise
économique de la mer, mais cette maîtrise se
confond pour lui avec la garde d'une frontière.
L'ouvrage cherche à défendre l'idée que
la Manche appartient à l'Angleterre, et il est
rédigé après la conquête de la
Normandie (1417) qui a accrédité l'idée
de la puissance maritime de l'Angleterre. La
réinterprétation du passé dont fait
preuve le Libelle of Englysche Polycye laisse
entendre que l'Angleterre ambitionne de repousser sa
frontière politique au-delà de la mer. La mer
serait donc une large zone intermédiaire
contrôlée par la Couronne.
En réalité, cette ambition anglaise semble
répondre à une revendication assez
récente (XIIIe et XIVe siècles). La mer,
dans les îles Britanniques, était au haut Moyen
Âge une route plus qu'un obstacle naturel; or,
à partir du XIIIe siècle, on peut
observer que la ligne de rivage devient une
frontière, d'abord sur les côtes britanniques
(lors de la conquête du pays de Galles à la fin
du XIIIe siècle, notamment), puis sur celles du
nord de la France. Les dirigeants anglais ambitionnent alors
d'intégrer la Manche dans le territoire anglais, ce
qui préfigure leur attitude offensive de
l'époque moderne. Comme toute frontière, cette
frontière maritime protège l'Angleterre de ses
ennemis, mais elle lui permet également d'affirmer sa
puissance au moment où l'État anglais se
montre de plus en plus agressif envers ses voisins.
* * *
Abstract
The Libelle of Englysche Polycye is a long poem
written in Middle English from 1436 calling for English
control of the seas and emphasizing the economic and
political advantages of such a naval supremacy. This
exceptional text bears witness to the importance of the sea
in the development of an English identity in the late Middle
Ages.
The anonymous author makes himself the mouthpiece for an
increasingly widespread demand among the English elite since
the 14th century that insisted on the domination of the seas
between England and the Continent (the English Channel and
parts of the North Sea). The author demands that they be
»governed« – most importantly to protect
England from its enemies. This narrowe see is
regarded as a space of English territorial expansion that
moved England's borders up to the continental coasts. The
Libelle also calls for the economic domination of the
sea, the idea of which, however, becomes blurred with the
one of the border protection. The text defends the idea that
the English Channel belongs to England. It was written after
the conquest of Normandy in 1417; this event seemed to
affirm the potential of English naval power. The
reinterpretation of the past that is expressed in the
Libelle of Englysche Polycye suggests that England
sought to extend its political borders to the other side of
the sea. The sea would thus be a wide intermediary zone
dominated by the English crown.
Yet, this English ambition appears in fact to be a fairly
recent ambition of the 13th and 14th centuries. In the
High Middle Ages, the sea is rather considered to be a
pathway than a natural obstacle on the British Isles. Since
the 13th century, however, the coastline is
increasingly regarded as a border. Initially, this applies
to the British coasts, especially since the conquest of
Wales at the end of the 13th century, later it is
extended to the coast of Northern France. By then, the
English ruling elite had the ambition to incorporate the
English Channel into English territory, preempting the more
offensive position of modern times. Like every border, this
maritime border protects England from her enemies but at the
same time permits the English crown to assert its power at a
time during which it behaves progressively more aggressive
toward its neighbors.
[nach oben / to the top]
Isabelle
Guyot-Bachy:
Eine Grenze – zwei Betrachtungsweisen. Die Grenze
zwischen Frankreich und Flandern in der französischen
und flämischen Historiographie
Zusammenfassung
Der Beitrag vergleicht die Wahrnehmung der
französisch-flämischen Grenze in der
königsnahen französischen Historiographie des 13.
und 14. Jahrhunderts mit derjenigen der Quellen aus
Flandern, dem Hennegau und Artois. Die Untersuchung
früherer französischer und flämischer Quellen
über die königlichen Interventionen im Flandern
des 12. und 13. Jahrhunderts ergibt, dass zwar das
Eindringen des Königs in Flandern und die Rückkehr
in die Krondomäne vermerkt werden, dass jedoch die
Grenze selber an keiner Stelle als solche markiert wird.
Durch den 1297 entstandenen Konflikt verändert sich
die Wahrnehmung der Grenze sowohl in der französischen
als auch in der flämischen Historiographie.
Während das Konzept der »Grenze« in der
königsnahen Geschichtsschreibung erst spät Gestalt
annimmt, die französischen Chronisten die Grenze nur
zögerlich benennen und noch zögerlicher
Anhaltspunkte für deren Verortung liefern, ist das Wort
»frontière« ein geläufiger Begriff
für die flämischen, artesischen und hennegauischen
Chronisten, die so die Grenzen zwischen den verschiedenen
Lehensfürstentümern wie auch zwischen den Lehen
und der Krondomäne bezeichnen. Diese Chronisten
können die Grenzlinie problemlos verorten und Angaben
dazu machen, wo sie überschritten werden kann. Die
Grenze wird hier als Verteidigungslinie betrachtet, deren
Überschreitung einer offenen Aggression gleichkommt.
Vor allem in den flämischen Quellen erhält die
Grenze zunehmend auch eine politische Konnotation.
(Unabhängigkeitsbestreben, Anerkennung der
flämischen Identität etc.).
Die Reibungen, die durch die Ausweitung der
königlichen Jurisdiktionskompetenz entstanden, sind
für die Bewohner dieser Fürstentümer der
Anlass, sich der Existenz der »Grenze« bewusst zu
werden und sich, wenn auch nicht ihren genauen Verlauf, so
doch zumindest einige Merkpunkte einzuprägen. Auf
königlicher Seite führt die Dauer des Konflikts
und die wiederholten militärischen Einsätze dazu,
dass den »französischen« Chronisten die
Bedeutung der feodalen Grenzen wieder bewusst wird, die
zugunsten der »Grenzen des Königreichs« zuvor
in Vergessenheit geraten waren.
* * *
Résumé
L'étude confronte la perception qu'ont de la
»frontière« au tournant du
XIVe siècle les sources
»françaises«, produites dans l'entourage du
pouvoir royal, et les sources flamandes, artésiennes
et hennuyères. En effet, pour la période
précédente, à l'occasion des
interventions royales en Flandre aux XIIe et
XIIIe siècles, il apparaît, aussi bien
dans les chroniques françaises que dans les chroniques
flamandes, que l'entrée du roi en Flandre et son
retour dans le domaine royal sont notés, sans que
l'on use jamais de termes se référant à
une limite territoriale que l'on pourrait localiser.
Le conflit qui se met en place en 1297 permet d'observer
une mutation dans la perception de la frontière, et
ce dans les deux catégories de sources. Alors que les
sources composées à proximité du
pouvoir royal tardent à concevoir la
»frontière«, hésitent à
trouver les mots pour en parler et hésitent plus
encore à donner des éléments pour la
localiser, les chroniqueurs flamands, artésiens et
hennuyers emploient couramment le terme de
»frontières« pour désigner la limite
entre les différents fiefs et entre les
différents fiefs et le domaine royal. Parfaitement
capables de localiser cette limite, d'indiquer les lieux
où l'on peut la franchir, ils la perçoivent
comme une ligne de défense dont le franchissement
constitue une véritable agression. Cette limite tend
aussi chez ces auteurs, en particulier chez les Flamands,
à prendre une connotation politique (revendication
d'émancipation, reconnaissance d'une
identité …)
Les frictions de juridiction suscitées par les
progrès de l'autorité royale ont
été autant d'occasions pour les habitants de
ces fiefs de prendre conscience de l'existence d'une
»frontière« et d'en mémoriser, sinon
le tracé, du moins des repères. En revanche,
du côté du pouvoir royal, la durée du
conflit, les engagements militaires
répétés ont progressivement
rappelé à la mémoire des chroniqueurs
»français« l'importance des limites
féodales dont le souvenir tendait alors à
s'estomper au profit de la notion de »frontières
du royaume«.
* * *
Abstract
The contribution compares the perception of the
French-Flemish border in French historiography of the 13th
and 14th centuries in sources close to the King with
the perception in sources from Flanders, Hainaut, and
Artois. The study of early French and Flemish sources about
the royal interventions in Flanders during the 12th and the
13th centuries shows that while the King's invasion in
Flanders and the return into the royal demesne was noted,
the border itself is not identified as such anywhere.
The conflict developing since 1297 changed the perception
of the border both in French as well as in Flemish
historiography. While the concept of the »border«
in historiography close to the King only takes shape very
late, and the French chroniclers label the border only
tentatively and provide indications as to its location even
more hesitantly, the word »frontiere« is a common
term among the Flemish, Artesian, and Hainaut chroniclers
who call the borders between the various royal fiefdoms as
well as those between the fiefdoms and the royal demesne by
that name. These chroniclers are easily able to locate the
borderline and provide information as to where it can be
crossed. The border is here regarded as a defensive line,
the crossing of which is to be regarded as an act of open
aggression. Especially in the Flemish sources, the border
increasingly also obtains a political connotation
(independence efforts, recognition of Flemish identity,
etc.).
The tensions created due to the expansion of the royal
jurisdiction are a reason for the inhabitants of these
principalities to become aware of the existence of the
»border« and to memorize if not its precise
course, at least some of its landmark points. On the side of
the King, the lengthy duration of the conflict and the
repeated military operations lead the »French«
chroniclers to once again become aware of the importance of
the feudal borders that had previously been forgotten in
favor of the »borders of the Kingdom«.
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Jean-Marie
Moeglin:
La frontière comme enjeu politique à la fin du
xiii-e siècle. Une description de la frontière
du Regnum et de l'Imperium au début des
années 1280
Zusammenfassung
Zu Beginn der 1280er Jahre beschreibt ein Autor im
Dienste des Kapitels von Cambrai die Grenze zwischen
Regnum und Imperium in ihrer Gesamtheit und
fordert den römischen König dazu auf, der
heimlichen Umwandlung von Teilen des Reichs in Besitzungen
des Königreichs und den Übergriffen
französischer Amtsträger Einhalt zu gebieten.
Fünfzig Jahre später überreicht der Dekan von
Cambrai den Schreibern des Grafen von Hennegau eine
Abschrift dieses Dokuments, die daraus eine
Propagandaschrift verfassen, welche die
Rechtmäßigkeit der Gebietsansprüche dieses
Fürsten beweisen soll. Auf dieser Abschrift aus dem
14. Jahrhundert, die in den burgundischen Archiven
überliefert wurde, beruht unsere Kenntnis des
Textes.
Der Beitrag untersucht zunächst den Zeitpunkt und
die Umstände der Abfassung des erwähnten
Dokuments. Anschließend erfolgt die detaillierte
Darstellung und Analyse der Inhalte, um die Interpretation
des Textes zu vereinfachen. Das Dokument lässt sich
zweifelsohne in den Kontext der politischen und sogar
militärischen Konflikte einreihen, die ab der zweiten
Hälfte des 13. Jahrhunderts das Gebiet Lothringens
erschüttern, und den genauen Verlauf der Grenze
zwischen dem Königreich Frankreich und dem Reich zum
Gegenstand haben.
Es stellt sich die Frage, wie sich diese Konflikte
interpretieren lassen. Handelt es sich um den Beginn eines
französischen Expansionismus auf Kosten des Reichs? Dem
widerspricht die Tatsache, dass der Verlauf der Grenze bis
ins 16. Jahrhundert hinein nur unwesentliche
Veränderungen erfährt. Eine andere Interpretation
dieser Konflikte bietet sich an: Sie sind
Begleiterscheinungen der Festigung staatlicher Strukturen.
Die Konflikte entstehen durch lokale Akteure, die sich
– je nach Opportunität – an den
König oder den Kaiser wenden, um ihre eigenen Ziele zu
verfolgen; sie sind insofern nur Symptome der Entstehung
zwischenstaatlicher Grenzen am Ende des
13. Jahrhunderts.
* * *
Résumé
Au début des années 1280 un auteur au
service du chapitre de Cambrai décrit l'ensemble de
la frontière entre le Regnum et l'Imperium et invite
le roi des Romains à réagir contre les
transformations subreptices de terres d'Empire en terres du
Royaume et contre les empiètements des gens du roi de
France. Cinquante ans plus tard, une copie de ce document
est donnée, par le doyen de Cambrai, aux clercs du
comte de Hainaut qui y puisent pour rédiger un
mémoire de propagande prouvant les droits
territoriaux de ce prince. C'est cette copie du
14e siècle qui nous est parvenue à
travers les archives bourguignonnes.
Dans un premier temps, sont établies la date et
les circonstances de la rédaction du document en
question. Ensuite, nous en donnons l'édition et
l'analyse détaillée des contenus, afin de
mieux pouvoir l'interpréter. Il est évident
que le document est à situer dans le contexte des
conflits politiques, voire militaires, qui ébranlent,
dès la deuxième moitié du
XIIIe siècle l'espace lorrain et qui ont comme
enjeu le tracé exact de la frontière entre le
royaume de France et l'Empire.
Comment interpréter ces conflits? S'agit-il des
premiers éléments d'un expansionnisme
français en direction de l'Empire? Une telle vision se
heurte au fait que le tracé de la frontière,
pourtant, n'a pas sensiblement changé jusqu'au
XVIe siècle. Nous proposerons donc une autre
interprétation de ces conflits: Il faut les
considérer comme des effets concomitants de
l'affermissement des structures étatiques.
Déclenchés par des acteurs locaux qui, en
faisant appel à l'empereur ou au roi de France,
poursuivent leurs propres objectifs, les conflits sont
simplement les signes de la mise en place à la fin du
XIIIe siècle de frontières
inter-étatiques.
* * *
Abstract
During the early years of the 1280s, an author in the
service of the chapter of Cambrai describes the border
between Regnum and Imperium in its entirety
and asks the Roman King to put a stop to both the secret
conversion of parts of the Empire into property of the
kingdom as well as to the incursions of French officials.
Fifty years later, the dean of Cambrai presented the clerks
of the Count of Hainaut with a transcript of this document,
the latter of whom wrote a propaganda treatise intended to
prove the legitimacy of the territorial claims of the count.
Our knowledge of the original text is based on this
transcript from the 14th century, which survived in the
Burgundian archives.
This contribution first examines the date and the
circumstances of the writing of said document, followed by
the detailed description and analysis of the contents in
order to facilitate the interpretation of the text. The
document doubtlessly belongs into the context of the
political and even military conflicts affecting the area of
Lorraine from the second half of the 13th century on,
and which revolve around the precise course of the border
between the Kingdom of France and the Empire.
How may these conflicts be interpreted? Do they mark the
beginnings of a French expansionism at the expense of the
Empire? This is contradicted by the fact that the course of
the border was only marginally altered until the
16th century. Another interpretation of these conflicts
is possible: They are side effects of the stabilization of
governmental structures. The conflicts arise due to local
actors who – depending on expedience –
turn to the Emperor or to the King to advance their own
goals. The conflicts are thus only symptoms of the formation
of inter-state borders at the end of the
13th century.
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Georg
Jostkleigrewe:
Die Erfindung mittelalterlicher Grenzen. Kaiser
Karl IV., Frankreich und die zweifache Konstruktion der
Reichsgrenze bei Cambrai
Zusammenfassung
Bei der Reise Karls IV. nach Frankreich im Jahre
1377 spielte die Grenze bekanntlich eine wichtige Rolle. Den
Grandes Chroniques de France zufolge wurde der
Kaiser noch vor Cambrai von Gesandten des französischen
Königs begrüßt. Diese teilten ihm mit,
daß er innerhalb der Grenzen des französischen
Königreiches auf jede zeremonielle Darstellung seines
kaiserlichen Ranges verzichten müsse – zumal
während der bevorstehenden Weihnacht. Karl feierte
dieses Fest unter Vollzug genuin kaiserlicher Rituale daher
in der zum Reich gehörigen Stadt Cambrai, bevor er nach
Paris weiterreiste.
Im Bericht der Grandes Chroniques erhält die
Grenze eine besondere Bedeutung. Sichtbar gemacht und in
Szene gesetzt wird sie durch die Inszenierungen der
kaiserlichen Majestät, die nur im Reich, jenseits der
Grenzen des Königreichs stattfinden. Die Grenze
erscheint so als französischer Schutzwall gegen die
symbolische Darstellung bzw. Herstellung kaiserlicher
superioritas und als Verteidigungslinie der
französischen Unabhängigkeit. Indes ist zu
bezweifeln, ob die Logik des französischen Berichts
auch der Logik der Ereignisse entspricht. Tatsächlich
gibt es keinen unabhängigen Beleg dafür, daß
der Kaiser seine Herrschaft innerhalb Frankreichs
inszenieren wollte. Seine Handlungen zielten vielmehr
darauf, die eigene Herrscherstellung in der reichsfernen
Stadt und dem Stift Cambrai wieder zur Geltung zu bringen,
mit denen das französische Königtum seit langem
eng verbunden war.
Vermutlich veranlaßte dies den französischen
Chronisten dazu, die gelungene kaiserliche Inszenierung in
Cambrai umzudeuten und historiographisch zu einem
mißlungenen symbolischen Angriff auf die
französische Grenze zu erklären. Auf der Grundlage
knapper theoretischer Überlegungen exploriert der
Beitrag die Rahmenbedingungen und Parameter einer solchen
nachträglichen »Erfindung von Grenzen« im
Mittelalter.
* * *
Résumé
Lors du voyage de Charles IV. en France en 1377, la
frontière joue un rôle important.
D'après les Grandes Chroniques de France, c'est avant
Cambrai que les envoyés du Roi de France accueillent
l'Empereur. Ils lui annoncent qu'à l'intérieur
des frontières du Royaume de France, il doit renoncer
à toute démonstration
cérémonielle de son rang impérial, et
ce notamment pendant la période de Noël,
imminente. Charles célèbre donc cette
fête suivant le rituel impérial à
Cambrai, ville qui appartient à l'Empire, avant de
continuer son voyage vers Paris.
Dans le récit des Grandes Chroniques, la
frontière revêt une importance
particulière. Ce sont les mises en scènes
impériales qui n'ont lieu que dans l'Empire,
au-delà des frontières du royaume, qui la
rendent visible. Ainsi la frontière apparaît
comme un rempart français devant la
représentation et la production symboliques de
superioritas impériale, et comme ligne de
défense de l'indépendance française.
Cependant, on peut douter que la logique du récit
français corresponde à la logique des
événements. En effet, il n'existe pas de
preuve indépendante qui accréditerait la
thèse selon laquelle l'Empereur ait voulu mettre en
scène son pouvoir en France. Ses actes visaient bien
plutôt à mettre en scène sa propre
position de souverain à Cambrai et dans le
Cambrésis, province lointaine de l'Empire,
liée depuis longtemps au royaume de France.
C'est probablement ceci qui amena le chroniqueur
français à modifier la signification de la mise
en scène impériale réussie de Cambrai
et à l'interpréter historiographiquement comme
une attaque symbolique manquée sur la
frontière française. Sur la base de
réflexions théoriques concises, cette
contribution explore le cadre général et les
paramètres d'une telle »invention de
frontières« après-coup au Moyen
Âge.
* * *
Abstract
During Charles' IV journey to France in 1377, the
border played an important role, as is well known. According
to the Grandes Chroniques de France, the Emperor was
greeted by envoys of the French King already before reaching
Cambrai. They informed him that, within the borders of the
Kingdom of France, he would have to abstain from any
ceremonial representation of his imperial status –
especially during the coming Christmas season. Charles thus
celebrated Christmas with genuinely imperial rituals in the
imperial town of Cambrai before continuing his journey to
Paris.
In the account of the Grandes Chroniques, the
border obtains a special meaning. It is visualized and
represented through the performances of the imperial majesty
only taking place in the Empire, beyond the Kingdom's
borders. The border thus emerges as a French protective
barrier against the symbolic representation and creation of
imperial superioritas and as a defensive line of
French independence. It is, however, doubtful whether the
logic of the French account also corresponds to the logic of
the events. There is, in fact, no independent evidence that
the Emperor wanted to perform his sovereignty within France.
His actions rather aimed at reasserting his own position as
a ruler in the town and the diocese of Cambrai, which were
estranged from the Empire but which had long been closely
connected to the French monarchy.
This probably caused the French chronicler to reinterpret
the successful imperial performance in Cambrai and
historiographically proclaim it to have been a failed
symbolic attack against the French border. On the basis of
brief theoretical reflections, this contribution explores
the general framework and the parameters of such a
retroactive »invention of borders« in the Middle
Ages.
[nach oben / to the top]
Julia
Dücker:
Una gens, unum regnum, unus populus?
Grenzüberschreitende Politik im
spätmittelalterlichen Polen und Ungarn
Zusammenfassung
Im späten Mittelalter entstand in Ungarn und Polen
die Vorstellung einer engen, brüderlichen Verbindung
zwischen den beiden Königreichen bzw. Völkern, die
bis ins 21. Jahrhundert nachwirkt. Unterschiedlichen
ethnischen und sprachlichen Wurzeln entsprossen, seien die
beiden Völker im Laufe einer langen gemeinsamen
Geschichte zu einer organischen Einheit zusammengewachsen,
die sich immer wieder in der Abgrenzung gegenüber
äußeren Gegnern oder Unterdrückern
bewähren mußte.
Der Beitrag untersucht sowohl die Entstehung dieses
Konzeptes im späten 14. und 15. Jahrhundert wie
auch dessen Nutzung in Früher Neuzeit, Moderne und
Postmoderne. Die Vorstellung der polnisch-ungarischen
Brüderfreundschaft entwickelt sich im Zusammenhang mit
der zweimaligen Personalunion von ungarischer und polnischer
Krone (1370–1382, 1440–1444). Auch nach dem Ende
der Unionen prägte sie die Kommunikation zwischen
polnischen und ungarischen Magnaten. Während das
Konzept in der Frühen Neuzeit seine besondere
Akzentuierung zunächst durch die gemeinsame
Frontstellung gegenüber den Osmanen erfuhr, diente es
im 19. Jahrhundert dagegen vor allem dazu, die geteilte
Erfahrung der Unterdrückung durch die russischen bzw.
österreichischen Fremdherrscher zu reflektieren und
nutzbar zu machen. So unterstützten sowohl polnische
wie auch ungarische Gruppierungen unter Verweis auf die alte
Brüderfreundschaft die revolutionäre Agitation im
jeweiligen Nachbarland. In der Zwischenkriegszeit des
20. Jahrhunderts lag das Konzept schließlich
polnisch-ungarischen Konföderationsplänen
zugrunde, die nicht zuletzt der Rückversicherung und
Abgrenzung gegenüber der bedrohlichen Macht
Deutschlands und Sowjet-Russlands dienten. Im Ergebnis zeigt
der Beitrag, wie unter Berufung auf die polnisch-ungarische
Freundschaft in verschiedenen Epochen argumentativ eine
Einheit geschaffen wurde, welche die Position beider
Länder stützte und ihrer gemeinsamen Abgrenzung
gegen äußere Herausforderungen diente.
* * *
Résumé
A la fin du Moyen Âge apparaît en Hongrie et
en Pologne l'idée d'une relation étroite et
fraternelle entre les deux royaumes et les deux peuples, une
idée vivace aujourd'hui encore. Bien qu'ayant des
racines ethniques et linguistiques distinctes, les deux
peuples en seraient venus, au cours d'une longue histoire
commune, à ne former qu'un seul et même corps
qui aurait dû sans cesse faire ses preuves en
s'affirmant face aux ennemis extérieurs ou aux
oppresseurs qui les gouvernaient. L'objectif de cette
contribution est d'étudier la naissance de ce concept
à la fin du XIVe siècle et tout au long
du XVe ainsi que son usage à l'époque moderne
et contemporaine.
L'idée de l'amitié fraternelle
polono-hongroise apparaît lors de l'union personnelle
des couronnes hongroise et polonaise, à deux
reprises, en 1370–1382 et en 1440–1444. De
même, après la fin de ces unions, la
communication entre magnats polonais et hongrois en est
toute imprégnée. Mais c'est à
l'époque moderne que ce concept prend de l'ampleur,
les Ottomans menaçant les deux peuples aux
frontières de leurs territoires. Au
XIXe siècle, en revanche, il sert surtout
à mener une réflexion sur l'expérience
commune de l'oppression sous domination russe ou
autrichienne et à en tirer des conclusions utiles.
Ainsi, ce sont autant des groupes de Polonais que des
organisations de Hongrois qui soutiennent l'agitation
révolutionnaire dans le pays voisin, avec comme motif
explicite le vieux lien fraternel qui unit les deux pays.
Pendant l'Entre-deux-guerres, ce concept fut à
l'origine des projets de confédération entre
les deux pays qui devaient notamment servir de garantie et
d'affirmation face aux puissances menaçantes de
l'Allemagne et de la Russie soviétique.
En définitive, cette contribution montre comment
la référence à l'amitié
polono-hongroise a permis, à différentes
époques et de manière argumentative, de
créer une unité pour renforcer la position des
deux pays et servir, ensemble, à s'affirmer face aux
défis extérieurs.
* * *
Abstract
In late medieval Hungary and Poland, the notion of a
close, fraternal relationship between both kingdoms and
peoples was developed that continues to have an effect up to
the 21st century. Sprouting from different ethnic and
linguistic roots, it was assumed that in the course of a
long shared history both peoples had grown together to an
organic entity that repeatedly had to prove itself in the
demarcation against outside enemies or oppressors.
This contribution examines both the origin of this
concept in the late 14th and the 15th century as well
as its utilization in the early modern era, in the modern
age, and in postmodern times. The notion of a
Polish-Hungarian fraternal friendship emerged in connection
with the two-time personal union of the Hungarian and the
Polish crown (1370–1382, 1440–1444). Even after
the end of the union, it shaped the communication between
Polish and Hungarian magnates. In the early modern era, the
concept was particularly influenced by the shared opposition
against the Ottomans.
In the 19th century, however, it was mainly employed
to reflect and utilize the common experience of oppression
through the Russian and Austrian foreign rule. Both Polish
and Hungarian groups thus supported the revolutionary
movement in their respective neighboring country with
reference to their old fraternal friendship. During the
interwar period of the 20th century, the concept was
the basis of Polish-Hungarian plans of confederacy which
also functioned as reassurance and demarcation against the
threatening powers of Germany and Soviet Russia. This
contribution finally shows how with reference to the
Polish-Hungarian friendship, during various eras a unity was
argumentatively created that supported the position of both
countries and that served their common demarcation against
challenges from outside.
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Klara
Hübner:
Le parler du Suisse et du François –
Projektionen einer Sprachbarriere. Das Beispiel Freiburg im
Uechtland
Zusammenfassung
Sprachliche Zugehörigkeit stellt eine der Kategorien
dar, die in modernen Abgrenzungsdiskursen am häufigsten
ins Feld geführt werden – sei es als kulturelles
Problem oder als Konstrukt. Für das Mittelalter ist
solches wesentlich schwieriger nachzuvollziehen. Einerseits
ist die Quellenlage vielfach dünn, andererseits ist die
bisherige Forschung stark durch nationalistische Vorurteile,
aber auch durch methodische Vorentscheidungen etwa der
Nationalismusforschung geprägt.
Am Beispiel des zweisprachigen Freiburg i. Uechtland,
dessen Geschichte von seiner geographischen Lage an der
romanisch-germanischen Sprachgrenze geprägt war,
lässt sich die Sprachwahrnehmung über mehr als
acht Jahrhunderte beobachten. Der historische Umgang mit der
Sprachenfrage wie auch dessen wissenschaftliche Erforschung
stellte stets eine Gratwanderung zwischen Alltagsgebrauch
und politischer Propaganda dar. Insgesamt aber lässt
sich feststellen, dass die Freiburger Sprachgrenze als
politisches Problem weitgehend eine Erfindung der letzten
beiden Jahrhunderte darstellt.
* * *
Résumé
L'appartenance linguistique est une des catégories
les plus utilisées dans les discours modernes
d'affirmation et ce, qu'il s'agisse d'un problème
culturel ou d'une construction. Concernant le Moyen
Âge, ce phénomène est bien plus
difficile à saisir. D'un côté, les
sources sont très rares, d'un autre
côté, la recherche a été
jusqu'ici fortement influencée à la fois par
des préjugés nationalistes et les
présupposés méthodiques de la recherche
sur le nationalisme.
L'exemple de Fribourg en Suisse (Freiburg im
Üechtland), ville bilingue située sur la
frontière entre pays romands et germanophones, permet
d'observer la perception des langues sur plus de huit
siècles. Le rapport historique à la question
linguistique, tout comme son étude scientifique, a
oscillé de tout temps entre usage quotidien et
propagande politique. Mais retenons finalement que la
frontière linguistique fribourgeoise comme
problème politique est une invention des deux
derniers siècles.
* * *
Abstract
Linguistic connections are one of the categories most
often invoked in modern demarcation discourses – be it
as a cultural problem or as a construct. For the Middle
Ages, this is much more difficult to assess. On the one
hand, the sources are often scarce, on the other,
scholarship has so far been strongly influenced not only by
nationalistic prejudices but also by preliminary
methodological decisions by, for instance, research on
nationalism.
The example of bilingual Fribourg in Üechtland, the
history of which was shaped by its geographic location in
the French-German border area, lends itself to examine the
linguistic perception over more than eight centuries. The
historic approach to questions of language as well as their
academic research were always tantamount to a balancing act
between everyday use and political propaganda. Overall,
however, it can be established that, as a political problem,
the language border of Fribourg is largely an invention of
the past two centuries.
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