Zum Inhalt:
Der vorliegende Band enthält die Beiträge zur
fünften Tagung, die im Rahmen des seit Januar 2000 in
Münster bestehenden Sonderforschungsbereichs
»Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche
Wertesysteme« von dessen kunstgeschichtlichem
Teilprojekt im Mai 2006 veranstaltet wurde. Sie war jener
Gruppe besonders anspruchsvoller Denkmäler, durch die
in der Vergangenheit vor allem verdiente Heerführer
geehrt wurden, gewidmet. Ebenso wie in der Antike standen
Reitermonumente auch in der Neuzeit hoch im Kurs.
Dagegen waren sie sie zwischenzeitlich, im Mittelalter, in dem ihnen
das Odium der superbia anhaftete, fast völlig
von der Bildfläche verschwunden. Erst vom
13. Jahrhundert an, vor dem Hintergrund der
aufblühenden höfischen Kultur und der ritterlichen
Ideale, kam es zu einer Wiederkehr der Reiter. Von da an
nahmen sie unter den Denkmälern, die der Erinnerung an
die Virtus der durch sie geehrten Personen dienten
und dementsprechend von Petrarca lapidar als insignia
virtutum bezeichnet wurden, erneut einen hervorragenden
Platz ein, zumal sie nicht nur durch schiere
Größe und materiellen Aufwand beeindruckten,
sondern auch an die künstlerische Gestaltungskraft und
die technischen Fähigkeiten der mit ihrer Planung und
Ausführung betrauten Künstler die
größten Ansprüche stellten.
Welch hohen Kunst- und Symbolgehalt die Reitermonumente durch die
Jahrhunderte hatten, wird in dem vorliegenden Band an einer
Vielzahl bedeutender Beispiele aufgezeigt. Die in ihm
enthaltenen Beiträge schlagen den Bogen von der Antike
bis zum Klassizismus. Sie stellen damit die im
Spätmittelalter und in der Renaissance sich
vollziehende Entwicklung des Reitermonuments in einen
größeren Referenzrahmen, legen den Schwerpunkt
jedoch auf jene vom 13. bis zum 16. Jahrhundert
reichende Epoche, in welcher sich das Reiterdenkmal
neuzeitlichen Typs herausgebildet hat.
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Die Autoren und ihre Beiträge:
Vorwort
Johannes Bergemann:
Virtus – Antike Reiterstatuen als politische und
gesellschaftliche Monumente
Saverio Lomartire:
La statua del Regisole di Pavia e la sua fortuna tra
Medioevo e Rinascimento
Stephan Selzer:
Reitende Macht – Italienische Condottieri und ihre Pferde
im 14. und 15. Jahrhundert
Volker Hunecke:
»Dux aetatis suae cautissimus« –
Feldherrntugenden und republikanische Reitermonumente im
langen Quattrocento
Peter Seiler:
Praemium virtutis oder abominabile idolum?
– Zur zeitgenössischen Rezeption des Reitermonuments des
Bernabò Visconti in Mailand
Raphael Beuing:
Grabmal und Reiterbild des Paolo Savelli in Venedig
Joachim Poeschke:
Reiterbilder und Wertesymbolik in der Frührenaissance –
Zum Gattamelata-Monument Donatellos
Martin Gaier:
Hölzerne Pferde als goldene Kälber – Zu den
Reitermonumenten in venezianischen Kirchen
Victoria Avery:
Virtue, Valour, Victory – The Making and Meaning of Bronze
Equestrian Monuments (ca. 1440 – ca. 1640)
Claudia Echinger-Maurach:
Michelangelos und Daniele da Volterras Reiterdenkmal für
König Heinrich II. von Frankreich
Dietrich Erben:
Die Krise des Reiterdenkmals und das Wachstum der
Staatsgewalt im 16. Jahrhundert
Johannes Myssok:
Der vertauschte Reiter – Zum Standbild Napoleons für
Neapel und seinem Schicksal
Personenregister
Ortsregister
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Näheres zu den Beiträgen:
Raphael Beuing:
Grabmal und Reiterbild des Paolo Savelli in Venedig
Das Grabmal des 1405 verstorbenen Condottiere Paolo Savelli
in S. Maria Gloriosa dei Frari in Venedig galt bislang
zumeist als das früheste Reiterbild des
15. Jahrhunderts. In zeitlicher Nähe zum Tode
Savellis ist der stilistischen Sprache nach zu urteilen
jedoch allein der Sarkophag mitsamt den Nischenfiguren
entstanden. Hingegen verweist die hölzerne Reiterfigur
deutlich in die späten Jahre der Internationalen Gotik
und ist wegen der Gestalt der Rüstung und der
Darstellung des elegant schreitenden Pferdes in die Jahre
zwischen 1420 und 1445 zu datieren, mithin vielleicht
beeinflußt durch das frühere Reiterbild des
Cortesia da Serego in Verona.
Womöglich wurde die Statue dem zuvor unfertigen Grabmal
hinzugefügt, als um 1435 das nunmehr eingewölbte
Querhaus der Franziskanerkirche einer größeren
Ausstattungskampagne unterzogen wurde und mit Savelli, der
Stiftungen für den Neubau der Frari hinterlassen hatte,
ein Wohltäter der Kirche geehrt werden sollte. Als
Auftraggeber ist eher der für den Kirchbau
verantwortliche Personenkreis zu vermuten, sicher aber nicht
der venezianische Senat, da in der Serenissima im
Quattrocento eine öffentlich Ehrung in Gestalt eines
Monuments vollkommen unüblich war.
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Joachim Poeschke:
Reiterbilder und Wertesymbolik in der Frührenaissance –
Zum Gattamelata-Monument Donatellos
Das 1453 von Donatello vor dem Santo in Padua errichtete
Denkmal des Gattamelata gehört fraglos zu den
prominentesten und am besten erforschten Reitermonumenten
der Renaissance. In dem vorliegenden Beitrag wird der Blick
jedoch weniger auf die oft diskutierten Fragen der
Auftraggeberschaft und Gattungszugehörigkeit des
Monuments gelenkt als vielmehr auf die ungewöhnliche
Konzeption des Reiterbildes, genauer auf jene von anderen
zeitgenössischen Reitermonumenten abweichenden
Besonderheiten inhaltlicher und formaler Art, die letztlich
einer bewußten Sichtbarmachung bestimmter ethischer
Normen und gesellschaftlicher Wertevorstellungen dienten.
Die Leitfrage lautet: Mit welchen gestalterischen Mitteln
und mit welchen inhaltlichen Implikationen wurde an dem
Monument das Thema der Virtus zur Anschauung
gebracht, inwieweit mit den individuellen Zügen des
Condottiere ein dem Status seiner Person entsprechendes
ideales Charakterbild verknüpft und damit neben der
mimetischen auch der normativen Komponente, auf die an
keinem Denkmal verzichtet werden konnte, Rechnung getragen?
Es wird im einzelnen aufgezeigt, daß Donatello auf
sehr reflektierte Weise solchen Idealvorstellungen nicht nur
in den Attributen, sondern auch und vor allem im
körperlichen Gebaren des Dargestellten, in dessen
Haltung, Gestik und Mimik, sichtbaren Ausdruck verliehen
hat.
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Martin Gaier:
Hölzerne Pferde als goldene Kälber – Zu den
Reitermonumenten in venezianischen Kirchen
Der Beitrag untersucht die Entstehung und Wahrnehmung
einiger Grabmäler mit Reiterstatuen für
Söldnerführer im Dienste der Republik Venedig, die
im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert an den
Wänden venezianischer Kirchen angebracht wurden. Dabei
wird zunächst die Rolle des Staates bei der Errichtung
der Monumente, dann aber vor allem ihre Rezeption im Zuge
der Gegenreformation beleuchtet.
Das Grabmal des Feldherrn Taddeo della Volpe gerät in
die Kritik, da es als Heiligenbild angebetet wird. Die
Dominikaner von Santi Giovanni e Paolo versuchen, nachdem
das vierte Standbild in ihrer Kirche errichtet wurde, alle
Monumente dieser Gattung mit einem Schlag aus dem Sakralraum
zu entfernen. Ihr – vergebliches –
Gesuch an den Senat argumentiert mit visueller Irritation,
Profanierung und Idolatriegefahr und ist ein lebendiges
Zeugnis für die zeitgenössische Wahrnehmung
repräsentativer Kunst im öffentlichen Raum.
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Victoria Avery:
Virtue, Valour, Victory – The Making and Meaning of Bronze
Equestrian Monuments (ca. 1440 – ca. 1640)
Between ca. 1440 and ca. 1640, equestrian
monuments in bronze became fashionable in Western Europe
with nearly thirty projected – although only thirteen
were actually realised. Representing collaboration between
the most important rulers, sculptors and casters of the
epoch, such monuments constitute a significant genre within
the field of sculpture. This essay begins by investigating
the reasons why bronze was the ideal material for such
monuments (inherent strength, natural ruddy tonality, kudos
due to its exorbitant expense and all'antica
connotations, and symbolic associations with victory,
invincibility and power).
The respective roles of the sculptor and bronze founder are
then discussed, concluding that authorship was invariably
defined in terms of design rather than execution. The ways
in which a sculptor could demonstrate his virtus are
analysed (scale, pose, liveliness and beauty of the horse;
and physiognomy, expression, pose and costume of the rider),
as are the ways in which a caster could show-case his
virtuosity (through a flawless casting, with thin and even
walls, preferably executed in a single pouring). The essay
concludes by musing on the genre's current popularity in
Eastern Europe, Central Asia, North Africa and the Americas,
focussing on two recent North American projects, both of
which set out to create a Leonardesque super horse in
bronze.
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Claudia Echinger-Maurach:
Michelangelos und Daniele da Volterras Reiterdenkmal für
König Heinrich II. von Frankreich ca. 1640)
Zu den bedeutenden Aufträgen der Königin von
Frankreich, Katharina de' Medici, zählt das in der
Französischen Revolution zerstörte und daher nur
wenig bekannte, aber von 1559 bis 1792 umfassend
dokumentierte Reiterstandbild für ihren Gatten
Heinrich II., das Michelangelo entworfen und dessen
Pferd Daniele da Volterra ausgeführt hat. Der Aufsatz
gibt einen Überblick über Konzeption und Rezeption
des Monumentes vom ersten Entwurf Michelangelos bis zu den
späteren Versuchen, das Bronzeroß für
Reiterdenkmäler anderer Herrscher zu erwerben; zuletzt
wurde es mit der Figur König Ludwigs XIII.
komplettiert und auf der place Royale aufgestellt.
Veranlaßt hat diese Studie erstens das genaue Studium
einer bisher kaum beachteten Skizze des
16. Jahrhunderts in der Staatlichen Graphischen
Sammlung, München, die das Werk mit Standbild und
Sockel in zwei Ansichten vollständig wiedergibt,
zweitens der Fund mehrerer Zeichnungen von Edmé
Bouchardon nach dem zerstörten Roß mit seinem
neuen Reiter, Ludwig XIII., die der
Michelangelo-Forschung bisher entgangen waren und die ein
deutliches Bild des Bronzerosses von allen Seiten
überliefern. Bouchardons genaue Kotierungen geben des
weiteren Aufschluß über die Maße des
verlorenen Werkes, das als aemulatio des Marc Aurel
konzipiert und vom Tempesta in einer Radierung als modernes
Gegenstück zu diesem antiken Vorbild publiziert worden
ist. Vergleicht man allerdings Tempestas graphische
Wiedergabe des Herrschers auf seinem Roß mit einer
zersplitterten Lanze in der erhobenen Hand mit dem ganz
anders gearteten Bild Heinrichs II. auf der
Münchener Zeichnung, die den König mit einem
Szepter zeigt, legt sich die Vermutung nahe, der Lothringer
habe hier die ursprüngliche Ikonographie für seine
eigenen Zwecke stark verändert. Michelangelo hat
darüber hinaus im Widerspruch zu Katharinas Auftrag,
die das Denkmal im Hof eines ihrer Paläste aufstellen
wollte, ein aufwendiges Grabmal und kein reines
Reiterdenkmal entworfen, dessen komplexe Ikonographie und
Gestalt ich, so weit möglich, zu rekonstruieren
versuche.
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Dietrich Erben:
Die Krise des Reiterdenkmals und das Wachstum der
Staatsgewalt im 16. Jahrhundert
Die Fragestellung des Aufsatzes geht von dem Sachverhalt
aus, daß im Verlauf des 16. Jahrhunderts in
Europa kein einziges als Freidenkmal auf einem Platz
postiertes Reitermonument zur Verwirklichung gelangte. War
das Denkmal für den Condottiere Bartolomeo Colleoni in
Venedig bereits 1496 enthüllt worden, so begann die
europäische Erfolgsgeschichte des barocken
Reiterdenkmals erst mit der Vollendung des Monuments
für den Großherzog Cosimo de' Medici im Jahr 1594
in Florenz. Das Scheitern der Projekte für
öffentliche Reiterdenkmäler läßt sich
als ein grundsätzliches Krisensymptom für die
Spannungen deuten, denen der Denkmaltypus im Hinblick auf
seinen Repräsentationsgehalt ausgesetzt war.
Im 16. Jahrhundert lassen sich zahlreiche Projekte
für dauerhafte Monumente nachweisen, während sich
die Reiterfigur als fester Bestandteil von ephemeren
Festapparaten etablierte. In beiden Funktionskontexten
folgte der Typus einem Modus der antikisierenden oder
allegorischen Verhüllung des Reiters. Im Gegensatz dazu
wird bei den seit dem Ende des 16. Jahrhunderts
realisierten öffentlichen Monumenten ein Modus der
abbildhaften, wenngleich weiterhin symbolisch aufgeladenen
Darstellung des Reiters gewählt.
Der Aufsatz verfolgt die These, daß der Konflikt zwischen diesen beiden
unterschiedlichen Modi der Darstellung erst dadurch
bereinigt wurde, daß Roß und Reiter auf eine
neue Ebene der Bedeutung gehoben wurden. Auf der einen Seite
ist der Bedeutungswandel des Pferdes vom aktiven Mitstreiter
des Reiters zu einem Symbol der Untertanenschaft als eine
Konsequenz aus dem Funktionswechsel des Pferdes von einer
strategischen Primärwaffe zu einem subalternen
Dienstleister im militärischen Gebrauch zu verstehen.
Auf der anderen Seite handelte es sich bei den Reitern,
denen Denkmäler gewidmet wurden, nicht mehr um
Capitani, sondern um Fürsten. Auch diese Steigerung an
Exklusivität in der personalen Darstellung resultiert
aus der militärischen Praxis, in der der Fürst
nicht mehr die Rolle des beritten Schlachtenlenkers, sondern
diejenige des planenden Strategen innehat. Erst eine
Bedeutungszuweisung, die diesem doppelten Funktionswandel
von Roß und Reiter Rechnung trug, eröffnete den
Weg zum frühbarocken Reiterdenkmal. Mit dieser
semantischen Neukonstituierung des Reiterdenkmals war auch
ein Werte- und Normenwandel im Hinblick virtus
militaris verbunden. Dieser läßt sich
schlagwortartig dahingehend bezeichnen, daß die von
Cicero inspirierte, auf den Feldherrn bezogene Virtus-Lehre
von einem vor allem mit Tacitus begründeten und auf den
Fürsten orientierten Normendiskurs der
Staatsraisonlehre abgelöst wurde.
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Johannes Myssok:
Der vertauschte Reiter – Zum Standbild Napoleons für
Neapel und seinem Schicksal
Denkmalsprojekte in der napoleonischen Ära hatten einen
schwierigen Stand. Wie für Napoleon selbst im
politischen Bereich, war es auch für die Aufstellung
von Statuen und anderen Denkmalsformen durch den mit der
französischen Revolution hervorgerufenen
Traditionsbruch grundsätzlich problematisch, an
Traditionen des Ancien Régime anzuknüpfen. Auf
der anderen Seite hatte Paris durch die
Revolutionsereignisse seine Reiterdenkmäler
eingebüßt, die jedoch durch das sich zu eben
dieser Zeit verstärkt ausbildende kunsthistorische
Bewusstsein eben nicht mehr nur als Schöpfungen eines
verhassten politischen Systems begriffen, sondern zunehmend
auch als bedeutende künstlerische Werke anerkannt
wurden. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich die
bereits 1802 geäußerte Anregung des
französischen Kunsttheoretikers Quatremère de
Quincy an den berühmtesten Bildhauer der Zeit, seinen
Freund Antonio Canova, ein Reiterstandbild Napoleons zu
schaffen. Während Canova dann zwar zunächst sein
berühmtes Standbild des nackten Napoleon als
friedensbringender Mars schuf, bot sich doch ab 1806 erneut
die Gelegenheit, ein Reiterstandbild des Imperators für
dessen Bruder Joseph in Neapel zu gestalten.
Der Beitrag untersucht dieses Projekt und seine
Weiterführung in der Zeit der Restauration, als es
schließlich zu einem Reiterstandbild des Bourbonen
Karl III. umgewandelt und mit einem Pendant versehen
vor S. Francesco di Paola in Neapel zur Aufstellung
gelangte. Neben den ungewöhnlichen
Entstehungsumständen und neuen Erkenntnissen zu den
Skulpturen Canovas wird breit die kunsttheoretische
Diskussion Canovas mit Quatremère einbezogen, die
sich zum Teil sogar direkt auf die Form des entstehenden
Werks auswirkte. Die weiterführende Besprechung des
Monuments bei Cicognara erweitert die Perspektive sodann in
dezidiert nationalistisch-romantischer Weise, wodurch der
Beitrag die Wandlungen des Reiterstandbildes zwischen
Klassizismus und Romantik einerseits, zwischen Empire und
Restauration andererseits aufzuzeichnen in Lage ist.
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