Kurzzusammenfassung:
Die Beiträge widmen sich, in interdisziplinärer
Perspektive und vornehmlich mit westfälischen
Beispielen, einem bisher kaum systematisch erforschten Ort:
dem ländlichen Bestattungsplatz der Vormoderne. Das
Gros der städtischen Friedhöfe war seit der
Reformation »ausgelagert« worden; diesem Prozess
hat sich die Forschung, vor allem in
mentalitätsgeschichtlicher Sicht, intensiv gewidmet.
Auf dem Lande, und damit für die meisten Menschen im
Reich, blieb jedoch der um die Parochialkirche herum
liegende Kirchhof bis ins 19. Jahrhundert Ort des
Begräbnisses. In kleinen Dörfern besteht dieser
Zustand bis heute fort. Die Vielschichtigkeit und
Intensität, mit der der Kirchhof, von Wohnhäusern
und Speichern gesäumt, teilweise selbst bewohnt, in der
Vormoderne in das Alltagsleben einbezogen war, ist jedoch
auch dort nicht mehr spürbar.
Im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen die mannigfachen
Funktionen dieser öffentlichen Plätze, ihr
topographisches und architektonisches Aussehen und die
soziale Situation ihrer Bewohner. Schwerpunkt liegt auf der
Wahrnehmung des Kirchhofs durch die Gemeindeglieder und die
Vertreter der Kirche, ihrem mit Formen symbolischer
Kommunikation verbundenen Umgang mit dem Tod und den Toten.
Der nicht nur in der Liturgie, sondern in vielfältigen
disziplinarischen Reglementierungen sichtbare Zugriff der
Kirche, der alles Profane von diesem heiligen Ort verbannen
wollte, bedingte Konflikte, ähnlich wie die Kopplung
der Begräbnis- und Gedächtniskultur an die soziale
Ordnung. Beide Komplexe werden ebenso thematisiert wie
kultur- und religionsgeschichtliche Kontinuitäten,
Konjunkturen und Brüche, insbesondere nach der
Ausbildung mehrerer Konfessionen.
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Inhaltsverzeichnis:
Vorwort
Jan Brademann:
Leben bei den Toten – Perspektiven einer Geschichte
des ländlichen Kirchhofs
1. Verbindungen nach außen: Rechts-, siedlungs-,
und sprachgeschichtliche Aspekte
Gerhard Franke:
»Praecipimus etiam ut in eos, qui ad ecclesiam vel
coemeterium confugerint, nullos omnino manum mittere
audeat« – Zur Asylschutzfunktion von
Friedhöfen seit der Spätantike
Manfred Balzer:
Pfarrkirche und Kirchhof während des mittelalterlichen
Siedlungsgangs im westfälischen Raum
Leopold Schütte:
Cimeterium – Kirchhof – Friedhof:
Wörter und Sachen – Sprachgeschichtliche
Überlegungen zu Bedeutung und Wahrnehmung von
Kirchhöfen
2. Provisoren und Statuten. Der Kirchhof als
Gegenstand gemeindlicher Eigenverantwortung und kirchlicher
Normierung im Spätmittelalter
Arnd Reitemeier:
Die Kirchhöfe der Pfarrkirchen in der Stadt des
späten Mittelalters
Wilhelm Janssen:
Kirchhof und Begräbnis in kölnischen
Diözesan- und Dekanatsstatuten des späten
Mittelalters
3. Communio vivorum et mortuorum.
Totenbrauchtum, liturgische Vorgaben und
Konfessionskonflikt
Christoph Daxelmüller:
Der Friedhof als Kommunikationsraum, der Tote als
Familienmitglied – Historische und anthropologische
Stratigraphien des Umgangs mit dem Tod
Jürgen Bärsch:
Der Kirchhof als Ort des Gottesdienstes –
Liturgiegeschichtliche Beobachtungen anhand
nachtridentinischer Diözesanritualien aus Köln,
Münster, Osnabrück und Paderborn
David M. Luebke:
Churchyard and confession – Grave desecration, burial
practice and the social order during the Confessional Age
– The case of Warendorf
4. Memoria und Topographie. Der Kirchhof als Ort
sozialer Distinktion in Zeiten gesellschaftlichen
Wandels
Vera Isaiasz:
Adlige Memorialkultur und dörfliches Begräbnis
– Bestattungstopographie und Repräsentation
sozialer Ordnung am und im Dom zu Brandenburg
Bärbel Sunderbrink:
Dörfliche Eliten, Unterschichten und das Ende des
Begräbnisses im Dorf – Kirchhöfe des
Ravensberger Landes als Orte gesellschaftlicher
Konfliktlagen im 19. Jahrhundert
Heike Düselder:
»O ewich is so lanck« – Die
Sozialtopographie des Kirchhofs in einem lutherischen
Territorium – Das Beispiel der Grafschaft
Oldenburg
5. Topographie, Bau- und Sozialstruktur:
Bestandsaufnahmen in Westfalen
Peter Ilisch:
Kirchhöfe in Dörfern und Kleinstädten des
westlichen und südlichen Münsterlandes. Eine
Übersicht
Fred Kaspar:
Der Kirchhof als religiöser und sozialer Ort –
Bauhistorische Überlegungen an westfälischen
Beispielen
Thomas Spohn:
Bezüge zwischen Kirchhof und Pfarrhof. Beobachtungen
vorwiegend zum Sauerland und Münsterland im 18. und 19.
Jahrhundert
Jochen Ossenbrink:
Der Kirchhof in Herzebrock – Bauhistorische, rechts-
und sozialgeschichtliche Mikroperspektiven
6. Kirchhofräume und symbolische Kommunikation.
Zwei westfälische Mikrostudien
Philipp Dotschev:
Spieker, Schweinestall und Simultaneum –
Sozialtopgraphie und Raumwahrnehmung des Kirchhofs von
Badbergen um 1800
Werner Freitag / Jan Brademann:
Heilig und profan – Der Kirchhof als Ort symbolischer
Kommunikation – eine Forschungsskizze
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Rezensionen:
»Wer [den vorliegenden Band] gelesen hat, wird speziell
ländliche Kirchhöfe mit anderen Augen sehen und mit einem
kritischeren Bewusstsein betreten.«
Marion Kobelt-Groch, Online-Rezension in
www.hsozkult.de
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Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 2009.
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Zeitschrift für Kirchengeschichte 2009.
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Barbara Happe, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2009, S. 274.
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Wolfgang Schmid, in: Rheinisch-westfälische
Zeitschrift für Volkskunde 54 (2009),
S. 305f.
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Westfälische Forschungen. Zeitschrift des
westfälischen Instituts für Regionalgeschichte des
Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe 2009.
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