Kurzzusammenfassung
Inhaltsverzeichnis
Begründung und Eingrenzung des Themas (Auszug)
Zusammenfassung und Ausblick
Kurzzusammenfassung:
Das Bibeldrama der Reformationszeit bringt Figuren auf
die Bühne, die im Kontext der meist bekannten
Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament Vorbilder und
Negativbeispiele menschlichen Verhaltens darstellen. In der
Monographie von Wolfram Washof »Die Bibel auf der
Bühne« werden nicht weniger als
120 Stücke dieser im Rahmen der konfessionellen
Aus-einandersetzungen des 16. Jahrhunderts besonders
beliebten Dramenart untersucht. Die Textauswahl bezieht sich
auf den deutschen Sprachraum (ergänzt durch
einschlägige Beispiele aus den Niederlanden und aus
England) sowie auf die Zeit von der ersten Entstehung
reformatorischer Dramen um 1530 bis zum Abschluß des
Konfessionalisierungsprozesses um 1580.
Der Neuansatz der Fragestellung in einem Bereich, der
seit mehr als hundert Jahren immer wieder das Interesse der
Forschung, aber auch inadäquate Abwertungen nach
epochefremden Kriterien erfahren hat, besteht in der
Konzentration auf eine Wertepropagierung, wie sie von den
Autoren und Trägern des Theaters intendiert wurde, d.h.
auf die von den Bibeldramen aufbereitete Erläuterung
protestantischer Theologie und Ethik. Durch vergleichendes
Einbeziehen der biblischen Vorlagen, der mittelalterlichen
Deutungstradition, der reformatorischen Theologie, wie sie
sich u.a. in den Bekenntnisschriften der
evangelisch-lutherischen und der reformierten Kirche
darstellt, sowie in Einzelfällen auch des
zeitgenössischen katholischen Bibeldramas wird
versucht, die spezifisch protestantische Sicht der
Exempelfiguren zu präzisieren. Dabei ergibt sich ein
Gesamtbild der wertevermittelnden Leistung der über die
Exempelfiguren auf das Theaterpublikum erzieherisch
einwirkenden protestantischen Theologen, Pfarrer und Lehrer,
die die Großzahl der Dramatiker stellen.
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Inhaltsverzeichnis (gekürzt):
Vorwort
A. Zur Vermittlung protestantischer Theologie durch
Exempelfiguren des Bibeldramas: gesellschaftliche
Bedingungen, literarische Formen, theologische Themen
- I. Begründung und Eingrenzung des Themas. Methodische
Vorüberlegungen
II. Die Dramatiker: Beruf, sozialer Status und Funktionen
als Autoren, Bearbeiter, Übersetzer und
Aufführungsleiter
III. Das Bibeldrama in der zeitgenössischen
Terminologie
IV. Legitimierung und Relevanz des Bibeldramas
- 1. Die Verortung des Bibeldramas in der Theatergeschichte
und seine Abgrenzung von dem Fastnachtspiel, der Palliata
sowie dem geistlichen Schauspiel
2. Homiletisch-katechetische Funktionen und liturgische
Elemente des protestantischen Bibeldramas der
Reformationszeit
- V. Die Begriffe »Exempel« und
»Exempelfigur«
- 1. »historia« (»Histori«) als
»exemplum« (»Exempel«)
2. »Exempel« als Funktionsbegriff
- a. Das Exempel als Funktionsbegriff im Bibeldrama der
Reformationszeit
b. Zur Theorie des Exempels und zu seiner Verwendung von der
Antike bis zur Reformationszeit
- 3. Dramenfigur als Exempel, Typus und Allegorie
- VI. Themen und Strukturierung der reformatorischen
Theologie
- 1. Dogmatik
- a. Erbsünde
b. Gesetz und Evangelium
c. Rechtfertigung
d. Letzte Dinge (Eschatologie)
- 2. Ethik
- a. Gottes Ordnungen (ordines Dei)
b. Geistliches oder Kirchenregiment (ordo
ecclesiasticus)
c. Weltliches Regiment (ordo politicus)
- d. Hausstand (ordo oeconomicus oder parentum)
- VII. Esther als Paradigma einer Exempelfigur des
Bibeldramas im Kontext ihrer Vor- bzw. Auslegungsgeschichte
- 1. Die biblische Esther
2. Zur Deutung der Estherfigur und des Estherbuches von den
Kirchenvätern bis zu den Reformatoren
- a. Esther in der Literatur und Kunst der Patristik und des
Mittelalters
b. Esthers Stellenwert und Deutung in der reformatorischen
Theologie
- 3. Esther als Exempelfigur im Bibeldrama der
Reformationszeit
- a. Gründe für die Attraktivität des
Estherstoffes im Zeitalter der Reformation
b. Esthers Funktionen als Dramenfigur
B. Untersuchungen zu den dogmatischen Exempeln
- I. Exempel zur Erbsünde
- 1. Entstehung der Erbsünde und Verlust des himmlischen
Vaterlandes als Grundsituation der Menschheit: Die Adam
und Eva-Dramen von Hieronymus Ziegler (1545) und Hans Sachs
(1548)
2. Fortpflanzung der Erbsünde über die Menschheit:
Jacob Ruoffs Adam und Heva-Spiel (1550)
3. Macht der Erbsünde
- a. Wesen des Sünders: Hans Sachs' Mephibosetkomödie
(1557)
b. Warnung vor den Lüsten: Petrus Papeus'
Komödie vom barmherzigen Samariter (1539)
- 4. Geschichte und Aufhebung der Erbsünde: Valten Voiths
Spiel von der Heilsgeschichte (1538)
- II. Exempel zu Gesetz und Evangelium als den beiden
Worten Gottes: Hans Sachs' Jonakomödie (1551) und
seine Tragödie vom auferweckten Lazarus (1551)
III. Exempel zur Rechtfertigung
- 1. Wesen des rechtfertigenden Glaubens
- a. Glaube und Vernunft: Hans Sachs' erste
Abrahamtragödie (1533)
b. Glaube und Arten des Unglaubens: Hans Sachs' zweite
Abrahamtragödie (1558)
c. Glaube und Scheinglaube: Herman Haberers Abrahamspiel
(1562)
- d. Glaube und Anfechtung: Joachim Greffs Abrahamspiel
(1540)
- 2. Heilswirkung des Glaubens als Prinzip der
Rechtfertigung: Die Dramen vom verlorenen Sohn
- a. Die konfessionspolemischen Prodigusdramen
b. Konfessionell-pädagogische Prodigusdramen: Die
Prodigusdramen von Wilhelm Gnapheus (1529), Georg Binder
(1536), Hans Ackerman (1536 und 1540), Jörg Wickram
(1540), Wolffgang Schmeltzl (1545) und Georg Macropedius
(1537)
c. Die Exempelfunktion des verlorenen Sohnes und die
Wirtshaus- bzw. Bordellszene
- IV. Exempel zu den letzten Dingen: Die Dramen vom
auferweckten Lazarus von Johannes Sapidus (1540), Joachim
Greff (1545), Hans Sachs (1551), Jacob Funckelin (1552) und
Anthonius Obernberger (1558)
C. Untersuchungen zu den ethischen Exempeln
- I. Der göttliche Ursprung der Stände und
Regimente (ordines Dei): Heinrich Knausts
Tragödie von den Kindern Evas (1539) und Wolffgang
Schmeltzls Drama von Samuel und Saul (1551)
II. Das geistliche oder Kirchenregiment (ordo
ecclesiasticus)
- 1. Pflichten und Funktionen des bestellten Predigers
- a. Der Dienst des Predigtamtes am weltlichen Regiment:
Die Szenen von David und Abiathar in Rudolf Gwalthers
Nabalkomödie (1549)
b. Die Erziehungspflicht des Predigers gegenüber der
Gemeinde: Hans Sachs' Elitragödie (1553)
c. Die Zurückgewinnung der vom Satan verführten
Seele in die christliche Gemeinde als Aufgabe des Predigers:
Hans Sachs' Thamartragödie (1556)
- 2. Grundsituation und Aufgaben der christlichen Gemeinde
(ecclesia)
- a. Ecclesia cum ministris Sathanae luctans: Martin
Balticus' Tragikomödie von Daniel in der Löwengrube
(1558)
b. Funktionen der verschiedenen Gemeindeglieder im Kampf
gegen die immerwährende Christenverfolgung durch die
Weltkinder: Hans Sachs' erste David und
Saul-Tragödie (1557)
- c. Standhaftigkeit und Gottvertrauen der christlichen
Gemeinde in Zeiten äußerster Glaubensverfolgung:
Hans Sachs' Judas Machabeus-Tragödie (o.D.)
- III. Das weltliche Regiment (ordo politicus)
- 1. Das Wesen des gottseligen weltlichen Regimentes:
Leonhard Culmans Widmungsvorrede seines Spiels von der
Witwe mit dem Ölkrug (1544), die Salomodramen von Sixt
Birck (1547), dessen englischem Bearbeiter (1565/6), Jacob
Funckelin (o.D.), Hans Sachs (1550) und Johan Baumgart
(1561) sowie Sachs' zweite David und Saul-Tragödie
(1557)
2. Pflichten der Obrigkeit
- a. Pflichten der Obrigkeit im Frieden
b. Gottvertrauen statt Selbstvertrauen als wichtigste
Pflicht der Obrigkeit im Krieg: Die Judithdramen
- 3. Gefahren für die Obrigkeit
- a. Tyrannentum und Machtmißbrauch: Die
Tragödien von Johannes dem Täufer von Hans Sachs
(1550), George Buchanan (1579), Simon Gerengel (1553),
Daniel Walther (1559), Jacob Schöpper (1546) und
Johannes Aal (1549) sowie Sachs' Tragödie von Ahab und
Nabot (1557)
b. Katholische Abgötterei: Die Beltragödien von
Sixt Birck (1539), Martin Osterminch (1547) und Hans Sachs
(1559)
c. Mißachtung der Warnungen der Prediger bzw. des
kirchlichen Regimentes: Die Jeremiastragödien von
Thomas Naogeorg (1551) und Hans Sachs (o.D.)
d. Hochmut der Obrigkeit gegenüber den Untertanen:
Hans Sachs' Tragödie von Rehabeam und Jerobeam
(1551)
- IV. Der Hausstand (ordo oeconomicus)
- 1. Ehe
- a. Ehe als heiliger Stand unter Gottes Schutz: Die
Tobiaskomödien von Thomas Brunner (1569) und Georg
Rollenhagen (1576)
b. Bewährung in der Ehe gegen Anfechtungen: Die
Susannadramen von Sixt Birck (1532 und 1537), Paul Rebhun
(1535) und Mattheus Creutz (1552) sowie die Nürnberger
Susanna (o.D.)
c. Versagen in der Ehe angesichts Anfechtungen: Hans
Sachs' David und Bathseba-Komödie (o.D.)
- 2. Pflichten in der Hausgemeinschaft
- a. Elternpflichten
b. Kindespflichten
c. Gesindepflichten: Die Dienerszenen in Rudolf Gwalthers
Nabalkomödie (1549)
- 3. Eigentum und Handel
- a. Eigentum und Handel als Gottes Ordnung im Dienst der
Nächstenliebe: Hans Ackermans Spiel vom barmherzigen
Samariter (1546) und Leonhard Culmans Drama von der Witwe
mit dem Ölkrug (1544)
b. Gefahren des Eigentums
Zusammenfassung und Ausblick
Primärliteratur
- 1. Dramentexte nach Exempelfiguren
2. Dramentexte nach Autorennamen
3. Theologische Schriften der Reformationszeit
4. Texte der griechischen und lateinischen Antike
Sekundärliteratur
Abbildungsverzeichnis
Bibelstellenregister
Personen-, Orts- und Sachregister
Abkürzungsverzeichnis
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Begründung
und Eingrenzung des Themas (Auszug):
Die ältere Forschung hat das lateinische und
volkssprachige Drama des 16. Jahrhunderts in erster
Linie unter Gesichtspunkten beurteilt, die aus der als
mustergültig betrachteten griechisch-römischen
Antike und der deutschen Klassik abgeleitet waren. Mit
epochefremden Kriterien – wie dem von den
vermeintlich gültigen aristotelischen drei Einheiten
von Handlung, Ort und Zeit, dem der strikten Trennung der
Dramengattungen Komödie und Tragödie sowie dem der
Stoffwahl – konnte sie der Eigenart der Dramatik
der frühen Neuzeit nicht gerecht werden. Das zeigt sich
besonders an ihrem Umgang mit den zahlreichen eindringlichen
Ermahnungen und Lehren der Stücke, denen sie
bestenfalls distanziert-neutral, häufig jedoch in
schroffer Ablehnung gegenüberstand. So spricht sie von
»einer etwas ledernen Moral«,
»Lehrstücke[n] mit dem unerträglich drohenden
Zeigefinger«, dem »allzu starke[n] hervortreten
des didactischen elements, das [...] die handlung
übermäßig aufhält«, und hebt
lobend hervor, wenn ein Dramatiker in der Beschlußrede
im Gegensatz zu seinen Vorgängern »die Moral«
verkürzt und vereinfacht. Daher werden diese Lehren oft
nicht im einzelnen genannt, sondern nur in pejorativer
Zusammenfassung als »Moral« abgetan. Aber gerade
dieses als störend und allzu moralisierend empfundene
didaktische Element ist ein wesentlicher Zweck und eine
wichtige Entstehungsursache der Dramen der frühen
Neuzeit. Die Differenz zwischen einer den historischen
Kontext vernachlässigenden Interpretation und dem
eigenen Anspruch der Dramatiker des 16. Jahrhunderts
tritt deutlich hervor, wenn man z.B. den in der
Forschungsliteratur hochgeschätzten Humanisten Thomas
Naogeorg heranzieht. Denn dieser »Tendenzdramatiker der
Reformationszeit« lehnt die Anwendung zeitfremder, den
Bedürfnissen seiner Epoche nicht entsprechender
Kunstkriterien auf seine Dramen strikt ab.
Daher bildet die Frage nach der Qualität der
dramatischen Kunst in der folgenden Untersuchung keinen
leitenden Gesichtspunkt. Auch geht es weder um eine rein
nacherzählende Darstellung der einzelnen Dramen noch um
eine – bereits weitgehend
abgeschlossene – Analyse ihrer literarischen
Abhängigkeiten. Vielmehr soll das den Autoren
Wichtigste im Mittelpunkt stehen, d.h. ihre durch die Dramen
vermittelten Lehren und Werte. Dies ist v.a. deshalb
interessant, weil das Theater unter den breitenwirksamen
Medien der frühen Neuzeit ein Propagandainstrument
ersten Ranges für dogmatische, ethisch-sittliche und
religionspolitische Überzeugungen und Wertvorstellungen
ist. Dabei bedient es sich besonderer Dramenfiguren, die als
positive oder negative Exempel dem Publikum eine
Handlungsanleitung oder eine Warnung vor Augen stellen.
Insofern derartige Exempelfiguren Tugenden oder Laster
verkörpern, stehen sie in ihrer dramatischen und
wirkungsästhetischen Funktion allegorischen
Spielfiguren nahe. Darüber hinaus wächst das
Interesse an historischen Exempelfiguren, die auch in
eigenen Sammlungen zusammengetragen werden.
Bisher sind diese Exempelfiguren als solche in ihrer
Vielzahl und Vielfalt nicht umfassend untersucht worden,
weshalb mit dieser Untersuchung zugleich ein von Wolfgang
Friedrich Michael konstatiertes Forschungsdesiderat
erfüllt werden kann. Dieser hat in seinem
Forschungsbericht zum deutschen Drama der Reformationszeit
kritisiert, daß die meisten bisher publizierten
Arbeiten zum Theater dieser Epoche einzelnen Autoren und
ihrem Werk (wie dem genannten Thomas Naogeorg) oder einem
einzigen Dramenstoff (wie dem des verlorenen Sohnes oder
Josephs) galten. Demgegenüber stellt er einen
großen Mangel an Untersuchungen fest, die diese
Stücke unter einem übergreifenden Gesichtspunkt
behandeln. Sucht man diese Lücke zu schließen,
erfordert die große Zahl der erhaltenen Dramen der
Reformationszeit und ihrer Exempelfiguren jedoch eine
spezifische Themenstellung, die sich aufgrund stofflicher,
konfessioneller, geographischer und zeitlicher
Gesichtspunkte rechtfertigen läßt.
Diese Untersuchung beschränkt sich auf die im
Bibeldrama auftretenden Exempelfiguren und läßt
Dramatisierungen anderer Stoffe unberücksichtigt. Denn
der hohe Stellenwert der Bibel und der neue Umgang mit ihr
in Theologie und Gesellschaft der Reformationszeit
– es seien nur das sola scriptura-Prinzip
(die Schrift als alleinige norma normans), der Primat
des literalen Schriftsinns in der Bibelexegese und die
Lutherbibel als Volksbuch sowie die von ihr geprägten
katholischen Konkurrenzübersetzungen
genannt – machen die Frage besonders reizvoll,
wie die Personen biblischer Stoffe, zumeist
alttestamentlicher Erzählungen und neutestamentlicher
Parabeln, zu Exempelfiguren gestaltet, gesteigert und als
solche gedeutet worden sind. Hierfür bietet das
Bibeldrama – der weitaus größte
Stoffbereich im Drama der Reformationszeit – ein
reiches Forschungsmaterial von über 200 Spielen,
von denen ungefähr 120 in die Untersuchung Eingang
gefunden haben. In diesen treten zahlreiche Figuren wie z.B.
Esther, Abraham, Absalom, Daniel, Salomo, Ahab und Nabot,
Tobias, der barmherzige Samariter und der verlorene Sohn
auf.
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Zusammenfassung und
Ausblick
Das Bibeldrama bildet eine Dramenart, die in den
konfessionellen Auseinandersetzungen des
16. Jahrhunderts mit weiter geographischer Verbreitung
und hoher Quantität eine Spitzenposition in der Gattung
erreicht. Nach Luthers Empfehlung des Dramas als
Erziehungsmedium im Glaubensumbruch und seiner
– am Altersbeweis orientierten –
Herleitung aus jüdischer statt aus griechischer
Tradition erhalten auf protestantischer Seite Dramen mit
biblischen Stoffen etwa durch das sola
scriptura-Prinzip eine Vorrangstellung, die sich in
einer großen Zahl von lateinischen und deutschen
Dramen niederschlägt.
Die Fragestellung dieser Arbeit konzentrierte sich v.a.
auf jenen Aspekt der Dramen, den ihre Schöpfer und
Träger vor anderem intendierten: auf die
Wertevermittlung, d.h. auf die dramatisch aufbereitete
Erläuterung protestantischer Theologie und Ethik. Im
Gegensatz zu früherer Orientierung der Forschung an
aristotelischer oder klassisch-neuzeitlicher
Dramenauffassung und -theorie, die sich für die
Bewertung des 16. Jahrhunderts oft mit einer dieser
Epoche inadäquaten Polemik gegenüber den
theologischen und ethischen Aussagen der Dramen verband und
diese daher mit Urteilen wie Tendenz-Dramatik
oder lederne Moral diffamierte oder die
Wirkungsabsichten des Bibeldramas bei dessen Behandlung
möglichst umging, wurde hier gerade das Hauptgewicht
auf die differenzierte Erschließung der in der
theatralen Kommunikationsform transportierten Botschaft oder
Lehre gelegt. Sie gab dem Theater der Reformation seinen
genuinen Ort im gesellschaftlichen Handeln, d.h. in der
Vermittlung der neuen Lehre wie auch im Kampf der
Konfessionen.
Die Exempelfiguren der Bibeldramen sind in dieser
Untersuchung den Hauptpunkten der protestantischen Dogmatik
und Ethik zugeordnet; dabei wurden die Themen der
reformatorischen Theologie anhand der bewährten
Kompendien von Paul Althaus erfaßt. Das weite Panorama
theologischer Grundfragen, das sich so zeigte, erstreckt
sich vom Sündenfall über die Rechtfertigung bis zu
den Letzten Dingen. Die ethischen Modellfälle reichen
von der Einrichtung der gottgewollten gesellschaftlichen
Ordnung bis zu den im Dramenpersonal inkorporierten
Pflichtenlehren, die für die verschiedenen sozialen
Stände und Funktionsträger vom Kirchenregiment
über die Amtsträger der Politik bis zum Haus als
privatem Kosmos von Ämtern und Pflichten gelten. Die
biblische Exempelgestalt wird so in der theatralen
Performanz zum Vorbild oder abschreckenden Beispiel für
das Theaterpublikum oder den Leser des Textes wie zum
lebhaft erklärenden Vermittler der in dieser Form
präsentierten intellektuellen und moralischen
Orientierung.
Ein wichtiges Ziel dieser Untersuchung ist erreicht, wenn
deutlich geworden ist, daß die Bibeldramen der
Reformationszeit als theologisch-didaktische Werke im
Theatergewand, als ausführliche Illustrationen
einzelner Loci auf der Bühne, zu verstehen und in
erster Linie unter diesem Aspekt zu bewerten sind.
Unabhängig davon, wie man den Protestantismus und den
Katholizismus der Reformationszeit beurteilt, verdient das
bei vielen Dramatikern erkennbare mutige Eintreten für
ihre Glaubensüberzeugungen große Achtung.
Stellvertretend für viele sei an die leidvollen
Schicksale des Niederländers Wilhelm Gnapheus
(Verbannung), des Bayern Thomas Naogeorg (Flucht aus
Kursachsen und unstetes Leben) und des Österreichers
Simon Gerengel (Kerkerhaft) erinnert, die von einem
ehrlichen Bemühen um die Erziehung der Jugend und der
Gesamtgesellschaft in den für notwendig erachteten
biblischen Normen erfüllt waren und dafür auch in
der Verfolgung einstanden.
Mit dem Ende der Reformationszeit schwindet
allmählich auch die theatergeschichtliche Bedeutung des
vom Protestantismus geprägten Dramas dieser bewegten
Epoche mit seiner »bunten Vielfalt« an Stoffen,
Formen, Genres, Zwecken und Ideen, das sich darum anders als
das Drama des Mittelalters einer einfachen Klassifizierung
nach stofflichen, soziologischen,
topographisch-geographischen, religiösen oder
bühnentypologischen Gesichtspunkten entzieht. Zwar
fahren zahlreiche Autoren schon aufgrund der in den
evangelischen Schulordnungen institutionalisierten
Aufführungen in der gewohnten Art mit der Produktion
von Bühnenspielen fort. Weiterhin ordnen sie Historien
biblischer Personen als Exempel für dogmatische oder
ethische Lehren unter Anwendung von Melanchthons
Lokalmethode theologischen Themen zu und bringen sie auf die
Bühne und in den Druck. Aber die bisher fast
erdrückende Dominanz protestantischer Theologen im
Pfarrer- oder Lehrerberuf unter den Dramatikern nimmt ab.
Die durch die Gegenreformation und die mittlerweile
defensive Haltung des Protestantismus veränderte
gesellschaftliche Situation spiegelt sich in einem Wandel
der Theaterlandschaft im Konfessionellen Zeitalter bzw. im
Frühbarock wider. Während das protestantische
Bibeldrama – wie auch das geistliche Spiel
mittelalterlicher Prägung des 16. Jahrhunderts in
den katholisch gebliebenen Gebieten – kaum noch
Impulse bringt, setzt das aufkommende Jesuitentheater mit
seinen meist anonym bleibenden Autoren kraftvoll Akzente, so
durch eine technische und multimediale Perfektionierung der
Inszenierung, die Einrichtung fester Bühnen und die
hauptsächliche Ausrichtung auf die Beeinflussung der
gesellschaftlichen Eliten anstelle der Unterweisung
möglichst weiter Volkskreise. Neu ist auch die
Professionalisierung von Schauspielern durch das aus
Frankreich, Italien und besonders England stammende
Berufsschauspielertum, das im Deutschland des
17. Jahrhunderts Einzug hält und die zunehmende
Emanzipation des Theaters von religiösen und
konfessionellen Bindungen begleitet.
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Rezensionen:
»Die [...] Arbeit leistet [...] einen wichtigen
Beitrag zum Verständnis der Dramen dieser
Zeit.«
Veronika Marschall, in: Germanistik 49, Heft
3–4 (2009), S. 755f.
* * *
»[...] ein literaturgeschichtlich wichtiges Buch [...]«
»[...] eine herausragende philologische Arbeit [...]«
Kai Bremer, in: Arbitrium 27, Heft 3 (2009), S. 297f.
* * *
Regina Toepfer, in: Beiträge zur Geschichte
der deutschen Sprache und Literatur 132, Heft 1
(2010), S. 148–152.
* * *
Anna Linton, in: Modern Language Review 105, Heft 1 (2010), S. 271f.
* * *
Zeitschrift für Kirchengeschichte 2009.
* * *
Literaturwissenschaftliches Jahrbuch. Im Auftrage der
Görres-Gesellschaft herausgegeben 2009.
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