Inhaltsverzeichnis
Einleitung (Auszug)
Zusammenfassung der Ergebnisse (Auszug)
Kurzzusammenfassung:
Die Studie untersucht anhand eines im Lateinischen wie in
den Volkssprachen weit verbreiteten Textes
spätmittelalterliche Wege der Moralerziehung. Im
Mittelpunkt stehen dabei der Liber de moribus hominum
et de officiis nobilium sive de ludo scaccorum des
Genueser Dominikaners Jacobus de Cessolis und dessen
deutsche Übersetzungen. Diese
Schachzabelbücher heben sich von der Masse
der damaligen Moralschriften ab, insofern sie in einmaliger
Weise die Tradition der Exempel- und Sentenzensammlung mit
einer auf dem Schachspiel basierenden Ständeallegorie
verknüpfen. Die Schachbildlichkeit erfüllte in den
Schachzabelbüchern eine Doppelfunktion als
textprägendes Strukturmerkmal und als
Gesellschaftsmetapher. Durch eine rezeptionsgeschichtliche
Analyse wird vorgeführt, wie der Text, der im
Lateinischen zunächst als Handreichung für
Prediger entstand und dies auch für die gesamte Dauer
des Mittelalters blieb, mit dem Übergang in die
Volkssprache neue Leserschichten erreichte. Deren ganz
eigene Annäherung an den Text hinterließ
deutliche Spuren in der Ausgestaltung von Handschriften und
Drucken. Trotz des im Kern immer gleichen Textbestands
ergaben sich markante Verschiebungen im Verhältnis von
Symbolik und Wertevermittlung. Ein detaillierter und auf die
spezifische Fragestellung ausgerichteter Katalog der
Textzeugen ergänzt den Textteil der Studie.
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Inhaltsverzeichnis (gekürzt):
Einleitung
1. Die Schachbildlichkeit als mittelalterliche
Gesellschaftsmetapher
2. Der Liber de moribus des Jacobus de
Cessolis
- 2.1 Jacobus de Cessolis als Autor des Liber de
moribus
2.2 Zur Datierung des Liber de moribus
2.3 Überlegungen zur Formgebung und zur Struktur des
Liber de moribus
2.4 Der Liber de moribus in der Forschung
2.5 Der Liber de moribus und seine
Übertragungen ins Mittelhochdeutsche und
Mittelniederdeutsche
3. Die Schachzabelbücher im Spiegel ihrer
spätmittelalterlichen Rezeption
- 3.1 Die Breite der Überlieferung
3.2 Die zeitliche Ausbreitung im deutschen Sprachraum
3.3 Die räumliche Ausbreitung im deutschen Sprachraum
3.4 Die Träger der Überlieferung
4. Zugriffsmechanismen und Orientierungshilfen
- 4.1 Glossierungen und Unterstreichungen
4.2 Register und komplexe Verweissysteme
5. Die Rolle der Illustration
- 5.1 Perspektiven
5.2 Der Anteil der illustrierten Handschriften in den
unterschiedlichen Schachzabelbüchern
5.3 Der Illustrationszyklus in den unterschiedlichen
Schachzabelbüchern
5.4. Die Sprengung des Zyklus
5.5 Volkssprache und Illustration
5.6 Illustration und Mnemotechnik
5.7 Illustration und Repräsentation
6. Die Mitüberlieferung als Zeugnis für
trägerspezifische Textnutzungsweisen
- 6.1 Überlieferungsverbünde bei den Textzeugen des
Liber de moribus
6.2 Überlieferungsverbünde bei den Textzeugen von
Konrads Schachbuch
6.3 Die Zusammenstellung von Texten in Handschriften der
Zweiten Prosafassung
7. Zusammenfassung der Ergebnisse
Katalog der Textzeugen und Drucke
1. Katalog der Textzeugen des lateinischen Liber de
moribus, der Versbearbeitung Konrads von Ammenhausen
und der Zweiten Prosafassung
- Textzeugen des Liber de moribus des Jacobus
de Cessolis
Textzeugen des Schachbuchs Konrads von Ammenhausen
Textzeugen der Zweiten Prosafassung
2. Katalog der Textzeugen weiterer deutscher Prosa- und
Versbearbeitungen
Literatur
Abkürzungen
Register
Abbildungen
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Einleitung (Auszug)
Das Spätmittelalter kannte eine Vielfalt von
Schriften, mit deren Hilfe das diesseitige Handeln der
Menschen normiert werden sollte. Diese als
Tugenddidaxe zu bezeichnende Gruppe von Texten
bildet einen Bereich der Literatur, der komplexe
Sozialbeziehungen zugleich deskriptiv repräsentiert und
präskriptiv zu gestalten sucht. Im Gegensatz zur
unmittelbaren Normvorgabe durch die Rechtsprechung liefert
die Verhaltensparänese
Begründungszusammenhänge, die etwas über die
Verfahren aussagen, mit denen sich die Menschen einer Epoche
ihre sozialen Lebensverhältnisse vergegenwärtigen.
Tugenddidaxe kondensiert und systematisiert
Verhaltensvorgaben, und während sie
handlungsorientierend wirkt, gibt sie etwas von den
Denkstrukturen ihres Entstehungsumfelds preis.
Zu den populärsten dieser tugenddidaktischen
Schriften zählte der Liber de moribus hominum et
de officiis nobilium sive de ludo scaccorum des
Genueser Dominikaners Jacobus de Cessolis, der im 14. und
15. Jahrhundert eine unvergleichliche Wirkung im
Lateinischen wie in zahlreichen volkssprachigen
Übersetzungen entfaltete. Diese
Schachbücher oder
Schachzabelbücher, wie der lateinische
Traktat und seine Übertragungen gemeinschaftlich
genannt werden, heben sich von den meisten anderen
spätmittelalterlichen Lehrdichtungen dadurch ab,
daß sie einer komplexen Gesellschaftsallegorie, der
Bildlichkeit vom Schachspiel, einen zentralen
textorganisatorischen Platz einräumen, ohne indes
völlig in dieser aufzugehen. Wie nur wenige
vergleichbare Texte operiert damit eines der markantesten
und wirksamsten Beispiele spätmittelalterlicher
Lehrdichtung auf hervorgehobener Ebene mit einem Element
symbolischer Kommunikation.
Symbolische Elemente spielen in Texten, die dem
Normentransfer verpflichtet sind, wie in der Literatur
überhaupt eine gewichtige Rolle, und sie tun dies auf
unterschiedlichen Ebenen. Formen von Symbolisierung
kennzeichnen schon die Mikrostruktur der Texte; viele
tugenddidaktische Schriften arbeiten mit Exempeln, und
bereits diese stellen im Kern einen Mechanismus des
Indirekten dar. Der tatsächlich Belehrte soll aus
der Beispielgeschichte eine allgemeine Verhaltensrichtlinie
ziehen, die er dann wiederum auf seine eigene konkrete
Situation beziehen muß. Allein dieser Sinnschritt
bietet genügend Raum für jenen
Überschuß des Gemeinten, der
symbolische Ausdrucksformen konstituiert.
Vorgehensweise und Methodik
Das Ziel der hier vorgelegten Studie ist es, dem
Zusammenhang zwischen Symbolverwendung und Wertevermittlung
für die Schachzabelbücher als maßgebliche
Textgruppe der tugenddidaktischen Literatur des
Spätmittelalters nachzugehen. Anhand eines
herausragenden Fallbeispiels wird somit ein einzelnes Modell
auf seine gruppeninterne Wandlungsfähigkeit wie seine
Wandlungsresistenz hin geprüft. Damit wird ein neuer
Weg beschritten, denn die bisherige Forschung hat angesichts
der Beständigkeit der Schach-Sozialmetapher in allen
Bearbeitungen niemals die Wandlungsvorgänge untersucht,
die sich bei genauem Blick auf die Überlieferung
erkennen lassen. Zwei Ausgangsbeobachtungen umreißen
das zu bearbeitende Feld und die sich daraus ergebenden
Fragenkomplexe. Zum einen ist zu bedenken, daß die
Ständesymbolik in den mittelalterlichen
Schachbüchern stets eine Doppelfunktion als
gesellschaftserläuterndes Modell und als
textgliederndes Element erfüllte. Die Bildlichkeit ist
mithin nicht allein als eine symbolische Darstellungsweise
der Ständeordnung unter anderen zu analysieren, sondern
jeweils auch auf ihre Präsenz und Durchdringungstiefe
im gesamten Traktat und in seinen volkssprachigen
Übertragungen hin zu befragen. Zum anderen ist
bemerkenswert, daß die überaus lange
Wirkungsdauer zur Folge hatte, daß hier ein
übergeordnetes Systematisierungsmodell über den
Wandel der Zeitläufte hinweg und in disparaten
gesellschaftlichen Realitäten seine Anwendung finden
konnte. Notwendig ist daher eine Verschiebung des
Schwerpunkts der Untersuchungsperspektive von den
Produktionsumständen und der Vorstellung der konstanten
Wirkung eines einmal niedergeschriebenen Textes auf die
Eigenarten und Auffälligkeiten der Rezeption. Erst
durch diesen bislang nicht unternommenen Perspektivenwechsel
wird es möglich, differenzierte Aussagen zum Wirken der
Gesellschaftssymbolik zu treffen und namentlich die
Unterschiede zwischen der lateinischen und der
volkssprachigen Tradition angemessen zu würdigen.
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Zusammenfassung der Ergebnisse (Auszug)
Der Liber de moribus hominum et de officiis
nobilium sive de ludo scaccorum,#139; des Dominikaners
Jacobus de Cessolis weist nach dem Befund der Handschriften
in seiner mittelalterlichen Überlieferung eine
große Einheitlichkeit von Struktur und Inhalt auf, die
auch mit den Übertragungen in die Volkssprachen nicht
verloren ging. Dennoch zeigte sich in der vorgelegten
Untersuchung, daß sich im Zuge der Rezeption der
Schachzabelbücher markante Veränderungen
einstellten, was die Herangehensweise des Publikums an die
Texte und seinen Umgang mit ihnen anbelangt. In diesem
Nebeneinander von Beharrungskraft und Innovation
erfaßten die Wandlungsvorgänge auch die Rolle der
Spielsymbolik, welche die Texte maßgeblich prägt.
Die Schachbildlichkeit erfüllte in den
Schachzabelbüchern eine Doppelfunktion als
textprägendes Strukturmerkmal und als
Gesellschaftsmetapher. Damit war die Rolle, welche die
symbolische Komponente spielte, jedoch abhängig von der
Gliederungskraft der Textstruktur. Änderte sich diese,
wie es in dieser Studie anhand der Rezeption der
unterschiedlichen Bearbeitungen der Schachzabelbücher
gezeigt werden konnte, änderte sich zugleich die Rolle
der Symbolik.
Um diesen Prozeß beobachten zu können, durfte
das Augenmerk nicht – wie das in der Forschung
bislang vorwiegend geschah – einseitig nur auf
die Symbolik gerichtet werden. Eine Studie, welche die
Schachbildlichkeit allein vor dem Hintergrund der
allgemeinen Entwicklung mittelalterlicher
Gesellschaftssymbolik betrachtet hätte, wäre nicht
geeignet gewesen, den Verschiebungen im Gefüge von
Textstruktur und Allegorese nachzuspüren. Statt dessen
war zu beachten, daß die Schachzabelbücher an
zwei Traditionen gleichermaßen teilhaben: an der
Tradition der Sozialmetaphern, hier insbesondere der
Schachmetapher, und an der Tradition der handbuchartigen
Exempel- und Sentenzensammlungen. Notwendig war
dementsprechend die Entwicklung eines polygenerischen
Ansatzes, der beiden Aspekten in der Interpretation
gleichermaßen Rechnung trägt.
Polygenerisch impliziert in diesem Zusammenhang
die Möglichkeit, daß die unterschiedlichen
Bedeutungs- und Traditionsstränge des Textes sich in
ihrer Entwicklung zwar beeinflussen, es aber nicht
notwendigerweise zu einer harmonischen Integration innerhalb
eines größeren Ganzen kommen muß. Gerade
eine rezeptionsgeschichtliche Annäherung an die
Schachzabelbücher eröffnet eine
Deutungsperspektive, welche vorführt, wie bestimmte
Leser- bzw. Nutzergruppen bestimmte Aspekte und Angebote des
Textes unter Vernachlässigung anderer aufgriffen.
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