Christel Meier, Heinz Meyer, Claudia Spanily (Hgg.)

Das Theater des Mittelalters und der Frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation

Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme –
Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496
Band 4

2004, 484 Seiten, 17 Beiträge, 27 Abbildungen, Harteinband
2004, 484 pages, 17 essays, 27 figures, hardcover

ISBN 978-3-930454-46-4
Preis/price EUR 64,–

17 × 24cm (B×H), 1100g

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Zum Inhalt:

Die gegenwärtige Beschäftigung mit dem Theater, ganz gleich auf welche Epoche sie sich richtet, ist bestimmt von der aktuellen Diskussion über die weit gefaßten Begriffe von Performanz und Inszenierung, über die für das Theatermodell der Status eines neuen kulturellen Paradigmas reklamiert wird. Diese Ausgangssituation hat eine Erweiterung des Theaterbegriffes und eine erhöhte Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit zur Folge, der das Programm eines Kolloquiums des Projekts B3 im Sonderforschungsbereich 496 an der Universität Münster über »Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation« zu entsprechen suchte.

Die Beiträge des interdisziplinär ausgerichteten Kolloquiumsbandes, die aus mehreren Philologien und weiteren Disziplinen kommen, formulieren Problemstellungen, die sich quer durch die verschiedenen Formen von Dramatik und Theater des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit ziehen und die Grenzen der Nationalsprachen überschreiten. Sie behandeln verschiedene Dramentypen und sind in einem breiten geographischen Raum transnational angesiedelt. Aus ihrer jeweiligen Perspektive nehmen sie zu den aktuellen Diskussionen über Theatralität unmittelbar oder indirekt Stellung, indem sie die Problematik von Text und Performanz, vom Zeichengebrauch des Theaters – etwa mit der Frage nach Präsenz oder Repräsentanz theatraler Zeichen oder nach symbolischen Formtypen – untersuchen. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Interdependenz von theatraler Interaktion und gesellschaftlichem Handeln und ferner der ›Kollusion‹ von theatraler Aufführung und Zuschauern.

Theorie und Praxis des Theaters werden im Blick auf die Bedingungen der verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen und Situationen vom Hochmittelalter bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts an Beispielen erörtert. Die symbolischen Aktionen des Theaters im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit dienen überwiegend der Präsentation von evaluativen Ordnungskonzeptionen und vorbildlichen Handlungsmodellen, von Wertevorstellungen der an den Theaterveranstaltungen beteiligten gesellschaftlichen Gruppen innerhalb der von ihnen besetzten sozialen Funktionsräume. Auch dieser Aspekt hat in mehreren Beiträgen des Bandes zentrale Bedeutung.


Die Autoren und ihre Beiträge:

Christel Meier-Staubach (Münster):
Einführung zur Fragestellung des Projekts und zum Thema des Kolloqiums

Nikolaus Henkel (Hamburg):
Textüberlieferung und Performanz –
Überlegungen zum Zeugniswert geistlicher Feiern und Spiele des frühen und hohen Mittelalters

Christoph Petersen (München):
Imaginierte Präsenz –
Der Körper Christi und die Theatralität des geistlichen Spiels

Hansjürgen Linke (Köln):
Sozialisation und Vergesellschaftung im mittelalterlichen Drama und Theater

Claudia Spanily (Münster):
Der Mensch im Spannungsfeld guter und böser Kräfte in der »Erfurter Moralität«

Claudia Spanily (Münster):
Die Repräsentanz der Welt in der »Erfurter Moralität«

Wolfram Washof (Münster):
Drama als Gottesdienst –
Homiletisch-katechetische Funktionen und liturgische Elemente des protestantischen Bibeldramas der Reformationszeit

Johanna Thali (Freiburg/Schweiz):
Konfession und Politik –
Überlegungen zum Verhältnis von Theater und Malerei am Beispiel Luzerns

Bart Ramakers (Groningen):
Allegorisch-emblematische Bildlichkeit im Rederijker-Drama –
Die Spiele des Haarlemers Louis Jansz

Jelle Koopmans (Amsterdam):
Les universités contre le roi: Caen 1492 et Toulouse 1507

Cora Dietl (Tübingen):
Repräsentation Gottes – Repräsentation des Kaisers –
Die Huldigungsspiele des Konrad Celtis vor dem Hintergrund der geistlichen Spieltradition

Christel Meier-Staubach (Münster):
Die Inszenierung humanistischer Werte im Drama der Frühen Neuzeit

Fidel Rädle (Göttingen):
Theatralische Formen der Wertekontrastierung im lateinischen Drama der Frühen Neuzeit

Bernd Roling (Münster):
Exemplarische Erkenntnis –
Erziehung durch Literatur im Werk Philipp Melanchthons

Volker Janning (Münster):
Formen und Funktionen des Chorus symbolicus
Zu sinnbildlichen Darstellungen in den Chören der Jesuitenperiochen

Heinz Meyer (Münster):
Zur Präsentation und Interpretation von Sinnbildern auf der Jesuitenbühne

Barbara Mahlmann-Bauer (Bern):
Leo Armenius oder der Rückzug der Heilsgeschichte von der Bühne des 17. Jahrhunderts

Personenregister

Ortsregister


Näheres zu den Beiträgen (Auswahl):

Nikolaus Henkel
Textüberlieferung und Performanz –
Überlegungen zum Zeugniswert geistlicher Feiern und Spiele des frühen und hohen Mittelalters

Die geistlichen Feiern und Spiele zu den Hochfesten der mittelalterlichen Kirche sind nur noch im Medium der Schriftlichkeit erhalten. Hier wird der Versuch gemacht, aus den Schriftzeugnissen Konturen einer lebendigen, performativen Gestaltung dieser frühen Formen des »Dramas« im Raum der Kirche zu gewinnen: Emotionalität in der Stimmführung, das Verhältnis von Gestik und Wort, Gesang und Bewegung, die Semantik der Materialität (Kostüme, Requisiten etc.) sind die leitenden Aspekte des Beitrags.

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Hansjürgen Linke:
Sozialisation und Vergesellschaftung im mittelalterlichen Drama und Theater

Die volkssprachigen Spiele entfalten sich in den Städten. Dort stehen sie im Spannungsfeld zwischen dogmatischer Weltfeindlichkeit und ökonomischer sowie sozialer Dynamik. Mit ihnen wird nicht nur religiöses Glaubens-, sondern auch säkulares Normenwissen wirkungsvoll verbreitet. Die auf aktive Teilnahme des Publikums ausgerichtete Verschaulichung von Heilsgeschichte und Glaubenswahrheiten dient einerseits der geistlichen Katechese, der religiösen Selbstvergewisserung und der affektiven kirchlichen Vergemeinschaftung; andererseits aber zielt sie zugleich auch auf affirmative stadtbürgerliche Sozialisation. Indem die Darbietungen sowohl die Realisation der christlichen Soziallehre im Alltagsverhalten als auch die Gewissenserziehung überhaupt propagieren, dienen sie weiter der Stabilisierung der differenziert arbeitsteiligen und daher im gegenseitigen Vertrauen ihrer Glieder gründenden stadtbürgerlichen Gesellschaft. Das Erziehungsziel ist folglich außer dem gläubigen Christen der gemeinschaftsfähige und sozial handelnde Mensch in Gestalt des rechtschaffenen und verantwortungsvollen Mitbürgers.

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Claudia Spanily:
Der Mensch im Spannungsfeld guter und böser Kräfte in der »Erfurter Moralität«

Am Beispiel der noch unedierten sogenannten »Erfurter Moralität«, die nicht nur mit ihrem enormen Umfang von ca. 18.000 Versen, sondern vor allem auch mit ihrem reichen allegorischen Tugend- und Lasterpersonal (72 Spielfiguren) in der deutschen Theaterlandschaft des Spätmittelalters einzigartig ist, wird die Frage untersucht, welche Funktionen allegorische Spielfiguren im Hinblick auf die Darstellung und Propagierung moralisch-philosophischer Prinzipien, gesellschaftlicher Werte und Ordnungsbegriffe erfüllen können. Mit Hilfe einer Analyse von Auftritten, Reden und Handlungen dieser Personifikationen sowie ihren Beziehungen untereinander und zu anderen Spielfiguren werden die das Spiel leitenden Wertvorstellungen herausgearbeitet und mit einigen wichtigen Tugenden und Laster abhandelnden lehrhaften Schriften des Spätmittelalters verglichen. Der vorsichtige Versuch, das Spiel als eine die Anliegen und Belange einer spätmittelalterlichen Stadt widerspiegelnde Veranstaltung in den stadtgeschichtlichen Rahmen Erfurts einzuordnen, schließt die Untersuchung ab.

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Claudia Spanily:
Die Repräsentanz der Welt in der »Erfurter Moralität«

Die zweite Studie zu der von der Forschung bisher nahezu nicht zur Kenntnis genommenen »Erfurter Moralität« beschäftigt sich mit der Darstellung und Deutung von Welt. Untersucht werden dabei neben den Auftritten der aus Literatur und bildender Kunst bekannten Gestalt Frau Welt (mit verlockender Front und abstoßender Rückseite) weitere Formen der Präsentation von Welt, die das Spiel bietet: der als »Ring der Welt« bezeichnete Schauplatz des Spielgeschehens, die mit »gemeine« oder »verirrte Welt« umschriebene Adressatin der heilspädagogischen Intention des Spiels und die als alter ego der Frau Welt agierende »arme Welt«, die sich zur Wortführerin der vor Gott klagenden Schöpfung macht. An den verschiedenen Darstellungsformen von Welt läßt sich besonders gut zeigen, wie der unbekannte Autor Symbole und symbolhaftes Handeln mit annähernd realistischer Abbildung von Lebenswelt kombiniert und so – die imaginative Kraft des Theatermediums in jeder Hinsicht ausschöpfend – seine Botschaft ausgesprochen wirkungsvoll vermittelt.

   

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Wolfram Washof:
Drama als Gottesdienst –
Homiletisch-katechetische Funktionen und liturgische Elemente des protestantischen Bibeldramas der Reformationszeit

Das protestantische Bibeldrama der Reformationszeit ist im Zusammenhang der programmatischen Aussagen der Bekenntnisschriften zu Predigt und Gottesdienst zu sehen: Homiletisch-katechetische Funktionen, die in der Regel auch den Dramen katholischer Verfasser nicht fehlen, erfahren durch das besondere Gottesdienstverständnis der Reformation eine erhebliche Aufwertung. Aufführungen protestantischer Dramen können daher – wie es der Antistes der Zürcher Kirche Rudolf Gwalther expressis verbis sagt – als Gottesdienst im eigentlichen Sinn bezeichnet werden, da sie der Verkündigung des Wortes Gottes dienen. Treten über die Predigt hinaus weitere liturgische Elemente hinzu – wie Bitt-, Dank-, Lob- oder Klagegebete, liturgische Formeln und vor allem Psalmen- oder Kirchenliedgesang, bei dem das Theaterpublikum sogar aktiv mitwirkt –, verstärkt dies noch einmal den ausgesprochen gottesdienstlichen Charakter des protestantischen Bibeldramas.

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Johanna Thali:
Konfession und Politik –
Überlegungen zum Verhältnis von Theater und Malerei am Beispiel Luzerns

Im Mittelpunkt des Interesses steht die grundsätzliche Frage nach den Beziehungen zwischen Drama und Bildkunst. Die methodischen Implikationen dieser Frage werden anhand von Ausmalungen in Luzerner Patrizierhäusern des 16. Jahrhunderts und den zeitgenössischen Spielen diskutiert. Dabei erweisen sich die Beziehungen als weniger eng, als dies die Forschung postuliert; Text und Bild folgen weitgehend eigenen Traditionen. Vor dem Hintergrund der städtischen Politik aber zeigt sich doch die enge Zusammengehörigkeit von Theater und Malerei. Beide Medien werden von der städtischen Führungsschicht gezielt für ihre politischen Interessen eingesetzt. Gerade das geistliche Spiel dient der Propagierung der aktuellen Ratspolitik, es ist Mittel im Kampf gegen den neuen Glauben und unterstützt die obrigkeitlichen Bemühungen um Disziplinierung des gesellschaftlichen Lebens. Die Malereien lassen sich in diesem Kontext als persönliches Bekenntnis ihrer Auftraggeber zur Ratspolitik verstehen.

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Bart Ramakers (Groningen):
Allegorisch-emblematische Bildlichkeit im Rederijker-Drama –
Die Spiele des Haarlemers Louis Jansz

Ist es möglich, die Literatur der Rederijker humanistisch oder renaissancehaft zu nennen, wenn von einer formalen oder thematischen Nachfolge der antiken Autoren nicht die Rede sein kann? Die Frage ist zu bejahen, wenn man nicht die Imitation im strikten Sinne als Kriterium voraussetzt, sondern nach neuen Bedingungen der Produktion, Funktion und Erfahrung von Literatur fragt. Dies wird anhand von fünf Sinnspielen des Haarlemers Louris Jansz aufgezeigt, der in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts die Funktion eines Dichtmeisters in der Haarlemer Rederijker-Kammer »Die Weinreben« innehat. Der Einfluß des Humanismus bleibt bei ihm unter der Maske einer traditionellen, allegorisch-emblematischen Dramaturgie verborgen. Diese setzt er aber gleichzeitig ein, um seinem Publikum seine moderne, humanistisch inspirierte Sichtweise zu vermitteln. Louris Jansz zeigt so, wie vital und flexibel das ursprünglich mittelalterliche Sinnspiel am Ende des sechzehnten Jahrhunderts noch ist.

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Cora Dietl:
Repräsentation Gottes – Repräsentation des Kaisers –
Die Huldigungsspiele des Konrad Celtis vor dem Hintergrund der geistlichen Spieltradition

Wie aus dem Wortlaut des »Te deum« und dessen Einbindung in Krönungszeremonien und Entrées Royales hervorgeht, stehen im Mittelalter weltliche und geistliche Huldigungsriten miteinander in Berührung. Der Frühhumanist Konrad Celtis nutzt in seinen Huldigungsspielen »Ludus Dianae« und »Rhapsodia« diese Nähe zwischen weltlichem und geistlichem Ritus. Besonders gut gelingt dies bei dem Huldigungsspiel, das in Abwesenheit des Herrschers aufgeführt wird, diesen also (wie Gott im geistlichen Spiel) durch eine Rolle repräsentiert. Celtis entlehnt aus den Huldigungen der Engel an Gott in spätmittelalterlichen Schöpfungsspielen Interpretamenta für den Herrscher: Maximilian erscheint als ein Abglanz Gottes, als in der Mitte der Sphären thronender Weltenherrscher, der wie der christliche Gott auch in mythologischen Bildern beschrieben werden kann. So wie die Engel ihren Schöpfer preisen, so loben in der »Rhapsodia« die Musen und ihre Darsteller ihren »Schöpfer«, den Gründer des Wiener Dichterkollegs.

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Christel Meier-Staubach:
Die Inszenierung humanistischer Werte im Drama der Frühen Neuzeit

An einer Gruppe humanistischer Dramen der frühen Phase wird gezeigt, in welcher Weise humanistische Werte (Sprache/Latinitas, Eleganz der Rede, moralisches Verhalten und richtige Lebenswahl, Präferenzen von Lehrrichtungen und Studienfächern, Vorrangstellung der Poesie, politische Ethik) in jeweils charakteristischen Szenentypen inszeniert und dem Zuschauer vermittelt werden (in Lateinprüfung, Einstufung für das Studium beim Lehrer, Disputation, studentischen Initiationsriten u.a.).

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Fidel Rädle:
Theatralische Formen der Wertekontrastierung im lateinischen Drama der Frühen Neuzeit

Im ersten Teil behandelt Kapitel I.1 (»Das wiederentdeckte Latein auf dem Theater«) die Funktion der lateinischen Sprache als Medium und zugleich Gegenstand der humanistischen Wertepropaganda. In Kapitel I.2 (»Der christliche Wertekonsens und die neue Errungenschaft des Humanismus«) wird das hierarchische Verhältnis von christlicher Weltanschauung und humanistischer Bildung beschrieben, das Kapitel I.3 (»Christlicher Dualismus und das Prinzip der Antithese«) zeigt, wie sich Wertekonflikte durch das formale Mittel der antithetischen Strukturierung, die dem christlichen Denken prinzipiell gemäß ist, auf der Bühne darstellen lassen. Im zweiten Teil (»Dramatische Fälle«) werden an einzelnen Beispielen abgestufte Möglichkeiten solcher Kontrastierung vorgeführt, von der offenen und direkten Didaxe im Bereich der pädagogischen Unterweisung über die grob propagandistische Konfessionspolemik bis zur subtilen Etablierung einer politisch revolutionären Weltanschauung.

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Bernd Roling (Münster):
Exemplarische Erkenntnis –
Erziehung durch Literatur im Werk Philipp Melanchthons

Auch wenn Melanchthon keine Pädagogik der klassischen Sprachen ausformuliert hat, läßt sich aus seinen Werken eine Philosophie der Erziehung rekonstruieren, die vor allem in der Erschließung der griechischen und lateinischen Literatur zur Anwendung gelangt. Psychologie, Rhetorik und Dialektik helfen Melanchthon nicht allein, eine theoretische Rechtfertigung der Auseinandersetzung mit der Antike zu entwickeln, die weder den Primat des Glaubens noch den Vorrang der Heiligen Schrift in Frage stellt, sondern auch Vorgaben für die praktische Vermittlung der Antike zu erschließen. Notitiae naturales, im Geist des Menschen begründete und im Naturgesetz verankerte Ideen, liefern der Tugenddidaxe eine objektive Grundlage. Sie kann vom Lehrer in der Textarbeit herangezogen werden, um unter Zuhilfenahme der loci communes Paradigmen der Tugend zu erarbeiten und dem Evangelium auf diese Weise entgegenzuarbeiten. Melanchthons Kommentierungen der griechischen Epik, der Chorlyrik und der lateinischen Dichtung bestätigen dieses basale Modell. Mithilfe der loci communes reduziert Melanchthon die antike Literatur auf Tugendexempel, die den eingeborenen Begriffen des Naturgesetzes zur Geltung verhelfen und in der imitatio moralisches Handeln ermöglichen. Als imagines vivae sind es für Melanchthon und seine Schüler in Wittenberg vor allem die Gestalten der griechischen Tragödie und der lateinischen Komödie, die der Tugenddidaxe und der Vermittlung elementarer Begriffe dienen können.

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Volker Janning:
Formen und Funktionen des Chorus symbolicus

Der Beitrag untersucht ein Phänomen, das vor allem für das spätere Jesuitendrama charakteristisch ist. Hier wird das Theaterelement Chor oftmals zum Ort und Medium sinnbildlicher Darstellungsformen, die sowohl in der Präsentation symbolischer Gegenstände, Bilder und Kostüme als auch im Auftritt allegorischer, biblischer und mythologischer Figuren bestehen können. Ihre Funktion liegt zum einen in der Erläuterung, Kommentierung oder Spiegelung des Bühnengeschehens und zum anderen im Unterhaltungswert szenischer Aktionen, die in ihrer prächtigen Gestaltung häufig zu den theatralen Höhepunkten der Aufführungen gehören. Die Untersuchung zeigt, daß sich derartige Formen und Präsentationen sinnbildlicher Art auch vielfach in Chören jesuitischer Theaterstücke erkennen lassen, die nur als Periochen erhalten sind, und dort besonders eindrucksvoll von denjenigen Chorszenen bezeugt werden, für die vollständige Texte vorliegen.

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Heinz Meyer:
Zur Präsentation und Deutung von Sinnbildern auf der Jesuitenbühne

Die Untersuchung behandelt im ersten Teil an Beispielen aus den Periochen die Möglichkeiten und Probleme sinnbildlicher Darstellung, und zwar zunächst für jene symbola, die als Dinge und Handlungselemente in das Spielgeschehen integriert sind. Davon zu unterscheiden ist die Präsentation von Sinnbildern bei unterbrochener Dramenhandlung, d.h. in Zwischenspielen und symbolischen Chorszenen. Solche Sonderszenen, von denen die Hauptaktionen des jeweiligen Spiels illustriert und kommentiert werden, stehen hier im Zentrum der Überlegungen. In einem weiteren Abschnitt wird dann die Präsentation von Sinnbildern am Fallbeispiel der symbola für die Vergänglichkeit in einem einheitlichen Corpus von Spielen (Franciscus-Borgia-Dramen) erörtert. Die Untersuchung schließt mit Hinweisen zum Gebrauch von Sinnbildern nach der Dramentheorie und in der Theaterpraxis des späten Jesuitenautors und Sammlers von Periochen und Dramentexten Franciscus Lang.

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