Zum Inhalt:
Das Thema dieses Bandes ist der Zusammenhang zwischen dem
Phänomen der symbolischen Kommunikation und den
gesellschaftlichen Wertesystemen in der Epoche der
Vormoderne vom Mittelalter bis zur Französischen
Revolution. Ausgehend von der Beobachtung, dass in der
Vormoderne der Kommunikation durch demonstrativ-rituelles
Handeln (Ritual, Zeremoniell) ein hoher Stellenwert zukam,
richtet sich das Interesse auf die Frage, wie in diesem
Handeln herrschende Wertevorstellungen zum Ausdruck kamen,
wie sich Wertewandel niederschlug, welche Leistung
symbolische Kommunikation bei der Etablierung und
Stabilisierung, aber auch der Veränderung von Ordnungen
und Wertesystemen erbrachte. Mittels zeichenhafter
Handlungen kommunizierte die Gesellschaft der
europäischen Vormoderne über ihre Bindungen und
Verpflichtungen, akzeptierte Rechte und Pflichten. Durch den
vielfältigen Nachweis der Planung und einer je
spezifischen Konzeption solcher Akte wird unabweisbar, wie
bewusst und reflektiert sich Menschen der Vormoderne dieser
Kommunikationsarten bedienten, wie rational sie sich die
Stabilisierungsleistungen dieser Kommunikation zu Nutze
machten, wie subtil sie überdies die Deutung der
Zeichen bis hin zur ironischen Verfremdung beherrschten. Es
tritt mit anderen Worten eine Reflektiertheit und
Rationalität bei der Verwendung symbolischer Handlungen
vor Augen, die in der Konsequenz die berühmte
Dichotomie Verzauberung – Entzauberung als
Charakteristik der Epochendifferenzen zwischen Vormoderne
und Moderne problematisiert; eine Differenz, die nicht
zuletzt auch aus der vorgeblich geheimnisvollen Welt der
Rituale generiert wurde. Akte symbolischer Kommunikation in
der europäischen Vormoderne waren bereits entzaubert in
dem Sinne, dass mit ihnen sehr bewusst Forderungen und
Ansprüche zur Geltung gebracht wurden, die existentiell
wichtig waren.
Auf Grund dieser Eigenarten erweist sich symbolische
Kommunikation als zentrales Ausdrucksmittel für
Wertevorstellungen aller Art. Ob christliche Demut oder
Rangbewusstsein, ob Freundschaft oder Feindschaft, Dienst
oder Herrschaft, all diese Abstrakta wurden in symbolische
Handlungen und in Artefakte unterschiedlichster Art
umgesetzt, Gedanken wurden in kommunikative Praxis
überführt. Diese kommunikative Praxis ändert
sich und muss sich ändern, wenn sich die
Wertevorstellungen wandeln. Insofern hängt die
Geschichte symbolischer Handlungen eng mit den
Veränderungen der Werte zusammen.
Die Beiträge dieses Bandes gingen aus einer Tagung
hervor, mit der sich der Sonderforschungsbereich 496
Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche
Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen
Revolution der wissenschaftlichen Öffentlichkeit
vorstellte. Die Eröffnung dieses Dialogs ist auf dem
Kolloquium gelungen, und er setzt sich in den Beiträgen
dieses Bandes vielfach fort.
Die Autoren und ihre Beiträge:
Gerd Althoff:
Zeichen Rituale Werte –
Eine Einleitung
Karl-Siegbert Rehberg:
Präsenzmagie und Zeichenhaftigkeit –
Institutionelle Formen der Symbolisierung
Christoph Halbig:
Ethische und ästhetische Werte –
Überlegungen zu ihrem Verhältnis
Jill Kraye:
Pagan Virtue in Pursuit of Christian Happiness –
Renaissance Humanists and the Revival of Classical Ethics
Arnold Angenendt:
Das Offertorium –
In liturgischer Praxis und symbolischer Kommunikation
Philippe Buc:
Noch einmal 918–919 –
Of the ritualized demise of kings and of political rituals in general
Hermann Kamp:
Tugend, Macht und Ritual –
Politisches Verhalten beim Saxo Grammaticus
Hagen Keller/Christoph Dartmann:
Inszenierungen von Ordnung und Konsens –
Privileg und Statutenbuch in der symbolischen Kommunikation
mittelalterlicher Rechtsgemeinschaften
Michail A. Bojcov:
Symbolische Mimesis – nicht nur im Mittelalter
Klaus Schreiner:
Signa Victricia –
Heilige Zeichen in kriegerischen Konflikten des Mittelalters
Horst Wenzel:
Repräsentation und Kinästhetik –
Zur Inszenierung höfisch-ritterlicher Imagination im
Welschen Gast des Thomasins von Zerclaere
Christel Meier:
Prügel und Performanz –
Ästhetik und Funktion der Gewalt im Theater des Spätmittelalters
und der Frühen Neuzeit
Volker Honemann:
Das Schachspiel in der deutschen Literatur des Mittelalters –
Zur Funktion des Schachmotivs und der Schachmetaphorik
Sybille Ebert-Schifferer:
Virtus romana als Stilfrage in einem römischen Freskenzyklus
der Renaissance
Joachim Poeschke:
Virtù Fiorentina –
Cosimo de' Medici als erster Bürger von Florenz
Gosbert Schüßler:
Die Tugend auf dem Felsenberg –
Eine Komposition Pinturicchios für das Paviment des Domes von Siena
Barbara Stollberg-Rilinger:
Knien vor Gott – Knien vor dem Kaiser –
Zum Ritualwandel im Konfessionskonflikt
Stefan Haas:
Die kommunikative und performative Generierung von Sinn in
Initiationsritualen der Frühen Neuzeit am Beispiel der Eheschließungen
Johannes Paulmann:
Popularität und Propaganda
Vom Überleben symbolischer Kommunikationsformen in der
europäischen Politik des frühen 19. Jahrhunderts
Hans-Ulrich Thamer:
Die Wiederkehr des Gleichen oder das Verblassen der Tradition? –
Funktionswandel politischer Rituale im Übergang zur Moderne
Näheres zu den Beiträgen (Auswahl):
Christoph Halbig:
Ethische und ästhetische Werte –
Überlegungen zu ihrem Verhältnis
Die Frage nach dem Verhältnis von ethischen und
ästhetischen Werten kann auf eine ebenso lange wie
spannungsreiche Tradition zurückblicken: Handelt es
sich beim Schönen lediglich um den Schein des Guten
oder um eine autonome Wertsphäre, die es gerade von
moralischen Kriterien freizuhalten gilt? Im ersten Teil des
vorliegenden Beitrags werden einige Stationen dieser
Tradition mit Blick auf die spezifischen Schwierigkeiten in
Erinnerung gerufen, die sich einer Klärung des
Verhältnisses beider Wertarten in den Weg stellen.
Gegenstand des zweiten Teils ist der ontologische Status
ästhetischer bzw. ethischer Werte. Für beide
Wertarten wird eine realistische Deutung vertreten, die
anhand des Problems der Objektivität beider Wertarten
präzisiert wird. Der dritte Teil schließlich geht
auf der Grundlage der erreichten Ergebnisse der Frage nach,
inwiefern moralische Gesichtspunkte für die
Einschätzung ästhetischen Wertes relevant sein
können – wird ein Kunstwerk (z.B. eine Ode auf
Stalin), das eine moralisch verwerfliche Botschaft vertritt,
dadurch ipso facto auch in seinem ästhetischen Wert
beeinträchtigt?
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Jill Kraye:
Pagan Virtue in Pursuit of Christian Happiness –
Renaissance Humanists and the Revival of Classical Ethics
The question of whether pagan virtue had a role to play
in the pursuit of Christian happiness was intensively
discussed throughout the patristic era. Medieval thinkers
also confronted this problem and worked out new solutions,
which lasted well beyond the Middle Ages. During the
Renaissance, however, the renewed vigour with which
classical antiquity was studied brought the issue very much
to the fore, as humanists sought to reconcile their
admiration for the ethical wisdom of the ancients with their
religious faith in the superior morality of Christianity.
This paper examines some of the different ways in which
Renaissance thinkers resolved this dilemma. In some cases,
solutions which had been around for centuries were simply
recycled and adapted to changing circumstances. In others,
novel perspectives emerged. Although the answers which these
humanists came up with were often different from, and even
opposed to, each other, they shared a conviction that this
was a question of crucial importance which moral
philosophers could not afford to ignore.
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Arnold Angenendt:
Das Offertorium –
In liturgischer Praxis und symbolischer Kommunikation
Gabe und Gegengabe ist dank Marcel Mauss auch ein Thema
der Mediävistik geworden. In diesem Rahmen sind eine
Reihe nordamerikanischer Forscher, aber auch der
Niederländer Arnoud-Jan Bijsterveld zu nennen. Im
vorliegenden Beitrag werden Gabe und Gegengabe in der
Liturgie untersucht. Eigentlich wollte das Christentum
wesentlich das geistige Opfer, die thysia
logike. Zudem waren obligat Gaben für die Armen.
Zum Mittelalter hin wird der Opfergang der Messe nach
Gabe und Gegengabe gedeutet und entsprechend
ausgebaut. Die Fälle der Anwendungen und Ausdeutungen
sind immens – davon will der vorliegende Beitrag einen
ersten Eindruck vermitteln.
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Philippe Buc:
Noch einmal 918–919 –
Of the ritualized demise of kings and of political rituals in general
Revisiting the 919 accession of King Henry I, object
of an important methodological debate between Johannes Fried
and Gerd Althoff, this paper argues that the information
provided by Adalbert, Widukind, and Liudprand participate,
partly, of the genre of the Panegyric. Pace Fried, it seems
that their tales should be anchored firmly in a learned,
written culture. Pace Althoff, it seems that their tales
could depart vastly from fact. The relation to truth
characteristic of that literary genre explains how these
medieval authors could produce fictions for audiences that
often included actors in the fictionalized events. The paper
also examines the literary genre of the death of kings, and
the role of tears, so present in 919, and of mournings in
these narratives.
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Hermann Kamp:
Tugend, Macht und Ritual –
Politisches Verhalten beim Saxo Grammaticus
Ausgehend von seinem Bericht über das Treffen
zwischen Friedrich I. und dem dänischen König
Waldemar I. im Jahre 1181, untersucht der Beitrag die
Bedeutung, die den rituellen Akten im Werk des
Geschichtsschreibers Saxo Grammticus zukommt. Dabei zeigt
sich recht schnell, dass die Beschreibung von Ritualen bei
Saxo zunächst dazu dienten, den Tugenden der
Protagonisten und deren konkreten Absichten ein
wirklichkeitsnahes Aussehen zu verleihen und die Frage nach
der Wirklichkeit durch die Frage zu ersetzen, ob das
Geschilderte dem Charakter der handelnden Personen
entsprach. Der zweite Teil der Untersuchung widmet sich der
nur punktuellen Aufmerksamkeit, die Saxo den Ritualen
zukommen ließ. Denn er erwähnte Rituale und
Gesten nur da ausführlicher, wo sie sein Idealbild vom
dänischen Königtum untermauern konnten. Einfach
übergangen wurden Rituale, die etwa eine dauerhafte
Unterordnung Dänemarks gegenüber dem Kaiser
hätten andeuten können. Da Saxo mehrmals von
Ritualen spricht, die nur zum Schein vorgenommen worden
seien, werden diese Äußerungen im letzten Teil
auf ihren ritualkritischen Gehalt hin befragt. Doch von
einer Relativierung der Bedeutung von Ritualen kann keine
Rede sein. Die Äußerungen spiegeln nur die
Erfahrung wider, dass man Rituale mit betrügerischem
Hintergedanken vollziehen konnte, und sind auch als Reflex
einer platonistischen Weltsicht zu verstehen, die
allenthalben den Unterschied zwischen Sein und Schein
betont. Dennoch scheint die Rede vom Schein der Rituale auch
mit dem Umstand in Verbindung zu stehen, dass die
Verpflichtungen und Rechte, die sich mit rituellen Akten
verbanden, seit dem hohen Mittelalter an Komplexität
gewannen, in Verträgen immer detaillierter geregelt
wurden und sie so für die Beteiligten zusehends
wichtiger erschienen als das Ritual, das die in Kraft
setzte.
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Hagen Keller/Christoph Dartmann:
Inszenierungen von Ordnung und Konsens –
Privileg und Statutenbuch in der symbolischen Kommunikation mittelalterlicher Rechtsgemeinschaften
Für die Konstituierung und den Bestand
mittelalterlicher Rechtsgemeinschaften und
Herrschaftsverbände besaßen Akte symbolischer
Kommunikation eine kaum zu unterschätzende Bedeutung.
Auch die Funktion zentraler Schriftstücke und ihres
Inhalts kann oft nur aus ihrer Verwendung in ritueller
Interaktion verstanden werden, was die stark textorientierte
Mediävistik lange Zeit kaum in den Blick genommen hat.
An den Beispielen des Privilegs in hochmittelalterlichen
Herrschaftsverbänden und des Statutencodex in den
italienischen Stadtkommunen demonstriert der Beitrag,
daß sowohl in schriftarmen als auch geradezu
schriftbesessenen Milieus für die politischen
Verbände fundierende Texte in feierlichen
Inszenierungen entstanden, in Kraft gesetzt oder in ihrer
Geltung bestätigt wurden. Am Beispiel früh- und
hochmittelalterlicher Herrscherdiplome zeigt Hagen Keller
auf, welche Handlungsketten sich hinter der schlichten
Urkunde über eine Besitzrestitution verbergen
können und welchen Informationsverlust es bedeutet,
wenn lediglich der Urkundentext vorliegt. Christoph Dartmann
belegt die Bedeutung des performativen in Kraft Setzens des
Gesetzbuches der italienischen Stadtkommunen, das trotz der
scheinbaren Modernität ihres Rechtswesens nur durch
feierliche Eide Geltung beanspruchen konnte. Insgesamt
belegen die Beispiele, daß erst das Ineinander von
Ritual und Dokument verstehen läßt, wie
mittelalterliche Herrschafts- und Rechtsverbände mit
Hilfe schriftlicher Aufzeichnungen Ordnung und Konsens
begründeten und aufrecht erhielten.
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Michail A. Bojcov:
Symbolische Mimesis – nicht nur im Mittelalter
Im Bereich der Machtsymbolik scheint es vielversprechend
zu sein, nicht einzelne Kulturen oder politische Gebilde
separat von einander zu analysieren, sondern ihre
Gemeinsamkeiten in Betracht zu ziehen, und zwar
als Systeme, deren Architektur von der Interaktion zwischen
einem symbolproduzierenden Zentrum und
verschiedenen symbolrezipierenden Peripherien
bestimmt ist. Um die Topographie dieser Komplexe zu
begreifen, muss man vor allem die dominierenden Vektoren der
Entlehnungen im Bereich des Symbolischen ermitteln. Die
Abhängigkeit der Peripherien vom Zentrum in der
statusbringenden Symbolik hängt allerdings nicht
unbedingt mit politischer oder wirtschaftlicher
Abhängigkeit zusammen und setzt auch keine
Bündnisverhältnisse zwischen beiden Seiten
voraus.
Die gesamte poströmische Mittelmeerwelt (mit ihrer
allmählichen Ausweitung in den Norden Europas) stellte
im Bereich der Machtsymbolik etwa bis ins 12. Jh. einen
gemeinsamen und verhältnismäßig
einheitlichen symbolischen Raum dar, wobei die
Formen der Machtrepräsentation in verschiedenen (sowohl
christlichen als auch muslimischen) Peripherien sich nach
solchen Mustern orientierten, welche letztendlich zum
kaiserlichen Hof zu Konstantinopel zurückverfolgt
werden können. Die Hauptursache, warum Konstantinopel
als ökumenischer Musterproduzent der politischen
Symbolik funktionierte, liegt nicht nur in seiner
technischen Überlegenheit in vielen
repräsentativen Künsten
begründet, sondern vor allem auch in der unumstrittenen
Legitimierung durch die römisch-kaiserliche
Traditionen. Im lateinischen Westen wurden die
byzantinischen symbolischen Muster normalerweise zuerst in
der näheren Peripherie, d.h. in Italien
übernommen. Von dort wurden die byzantinischen Ideen in
ihren lokalen Neuinterpretationen in die fernere
weite Peripherie über die Alpen
hinüber vermittelt.
Der vorgeschlagene Zentrum-Peripherie Ansatz
eröffnet einen Weg für breit angelegte
komparatistische Forschungen zur Machtsymbolik in ganz
Europas und im Nahen Osten und ermöglicht zugleich die
Nachteile der bisher vorherrschenden engen
regionalen Fragestellungen zu
überwinden.
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Horst Wenzel:
Repräsentation und Kinästhetik –
Zur Inszenierung höfisch-ritterlicher Imagination im Welschen Gast des Thomasins von Zerclaere
Thomasin von Zerclaere hat seinen Welschen
Gast 1215/16 im Umkreis des Patriarchen Wolfger von
Aquileja als höfische Welt- und Lebenslehre
aufgeschrieben. Ziel dieses Beitrags ist es, die
Wertvorstellungen Thomasins und den Modus ihrer Vermittlung
nicht allein aus den Texten, sondern aus dem
Spannungsverhältnis von Text und Bild zu
rekonstruieren, die eng aufeinander bezogen sind. Vieles
deutet darauf hin, daß der Bilderzyklus
vom Autor selbst oder von seinem ersten Redaktor stammt. Die
These lautet: Das Prinzip des Lernens durch Teilhabe und
Nachahmung, das Thomasin für die höfische Jugend
fordert, wird übertragen in die Interaktion mit Text
und Bild.
Die Zeitlichkeit der Bilder bringt auch den
Betrachter in Bewegung, verlangt eine kinästhetische
Wahrnehmung und ermöglicht die mentale Einübung in
ritterlich-höfisches Verhalten durch Identifikation und
Abgrenzung. Dabei spielt der Gegensatz von
öffentlich-repräsentativem und
nichtöffentlichem Handeln, von äußerer und
innerer Haltung, allegorischen und nichtallegorischen
Personen eine zentrale Rolle. Alle diese Charakteristika
sprechen für die Anschließbarkeit an das
christliche Imaginationstheater, das den Schauraum der
Wahrnehmung von den äußeren Augen in die Seele
verlegt und dem inneren Auge überantwortet. Intendiert
ist eine Modellierung inneren und äußeren
Verhaltens für pfaffen, rîter und vrouwen am
Vorbild des Welschen Gastes, der seinem
Hörer oder Leser in Worten und Bildern
gegenübertritt.
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Christel Meier:
Prügel und Performanz –
Ästhetik und Funktion der Gewalt im Theater des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit
Im Theater des Spätmittelalters und der Frühen
Neuzeit ist das Thema der physischen Gewalt unter den
dramatischen Konfliktaktionen im Spiel prominent. Zugleich
steht es in einer seit der Antike geführten Diskussion
über Grausamkeit auf der Bühne. Da Theater
zugleich Spiegel und Reflexionsmedium gesellschaftlicher
Handlungsprozesse und Werteordnungen ist, wird
Gewaltausübung und Schmerz nach den verschiedenen
Dramentypen der Zeit differenziert, d.h. situations- und
funktionsbezogen dargestellt.
Der Gewalt-Diskurs im Drama
der Übergangszeit umfaßt heilsrelevante Passions-
und Martyriums-memoria sowie Vergegenwärtigung
von Höllenstrafen im Passions-, Weltgerichts- und
Märtyrerspiel, komische und karnevaleske
Prügeleien in der Komödie und im Fastnachtsspiel,
Gewalt in Schule und Universität im
pädagogisch-satirischen Drama, den Agon der
Werte-Allegorien selbst im höfischen
Repräsentationsspiel und den bloßen
hinterhältigen Mord im kritisch-moralisierenden Drama.
Es liegt nahe, vergleichende Reflexionen zum Thema der
Gewalt im modernen Theater seit Artauds Theater der
Grausamkeit anzustellen.
[nach oben / to the top]
Volker Honemann:
Das Schachspiel in der deutschen Literatur des Mittelalters –
Zur Funktion des Schachmotivs und der Schachmetaphorik
Der Beitrag untersucht Bedeutung und Funktion des
Schachmotivs und der Schachmetaphorik in der deutschen
Literatur des Mittelalters. Dabei geht er einleitend auf die
großen Schachtraktate (Übersetzungen des
lateinischen Schachbuches des Jacobus de Cessolis) und den
Schach-Wortschatz ein. Im Anschluß daran werden in
zeitlicher Abfolge wichtige Funktionen in der
mittelalterlichen deutschen Literatur dargestellt:
Schachspielen im Kontext einer politischen
Auseinandersetzung, Schachspielen als Mittel der
Demonstration höfischer Lebensweise, Schachspielen als
Minnemetapher, das Schachspiel als Gesellschaftsmodell
(Gleichheit und Hierarchie), Schach und Tod; Niederlage im
Schachspiel als Todesmetapher.
[nach oben / to the top]
Sybille Ebert-Schifferer:
Virtus romana als Stilfrage in einem römischen Freskenzyklus der Renaissance
Mit der sog. Statuenstiftung Sixtus' IV. erhielten
die im Konservatorenpalast auf dem Kapitol residierenden
gewählten Verteter der römischen Stadtregierung
antike Statuen bzw. deren Fragmente, die dank ihrer bis
dahin bestehenden jahrhundertelangen Aufstellung im
päpstlichen Rechtsbezirk des Lateran Herrschafts- und
Rechtssymbole waren. Diese wurde in den Folgejahren mit
weiteren antiken Spolien und Inschriften zu einer
öffentlichen Aufstellung unter dem Portikus kombiniert,
welche die antik-republikanische Funktion des Kapitols als
Ort rechtsverbindlicher Gesetzespublikation und als Sitz
einer souveränen Verwaltung imitierte.
Im Hinblick auf
das Heilige Jahr 1500 wurde im Inneren überdies ein
alle Repräsentationsräume umfassender
Freskenzyklus in Auftrag gegeben, der Tugenden und
Staatsräson der Römischen Republik darstellte.
Hierfür wurde mit Jacopo Ripanda ein Künstler
gewonnen, der aufgrund seines genauen Studiums der
Trajanssäulenreliefs einen all'antica-Stil in
der Malerei gleichsam zu rekonstruieren versuchte. Die
Episoden der römischen Geschichte im Inneren
behaupteten somit bewußt denselben legitimatorischen
Authentizitätsgrad wie die Antiken unter dem Portikus
des Palastes.
[nach oben / to the top]
Joachim Poeschke:
Virtù Fiorentina –
Cosimo de' Medici als erster Bürger von Florenz
Im persönlichen Auftreten von demonstrativer
Bescheidenheit, trat der ältere Cosimo de' Medici
(1389–1464) nach seiner Rückkehr aus dem
venezianischen Exil (1435) durch eine großzügige
Förderung von Neubauten in Florenz hervor, die alle
Maßstäbe bürgerlichen Stiftungsverhaltens,
wie sie bis dahin gegolten hatten, sprengte und symbolisch
den faktischen Principat des Medici in der Florentiner
Republik vor Augen führte, wobei nicht nur das
Ausmaß der Bautätigkeit, sondern auch der neue,
von antiker Proportionalität und moderner
Rationalität geprägte Stil dieser Neubauten
Aufsehen erregte.
Obwohl diese Bautätigkeit sich
zunächst ausschließlich auf die Förderung
von Kirchen- und Klosterbauten beschränkte und damit
zunächst den Charakter frommer Stiftungen hatte,
erregte sie – ihres Symbolgehaltes wegen –
offenkundig Bedenken bei den Zeitgenossen, so daß sie
der Rechtfertigung gegenüber Kritikern, die darin
lediglich eine Selbstverherrlichung der Familie sahen,
bedurfte. Ihre theoretische Grundlage bezog diese
Rechtfertigung aus der kurz zuvor in Florenz zu neuer
Aktualität gelangten aristotelischen Ethik, wie in dem
Beitrag im einzelnen ausgeführt wird.
[nach oben / to the top]
Gosbert Schüßler:
Die Tugend auf dem Felsenberg –
Eine Komposition Pinturicchios für das Paviment des Domes von Siena
Die weltberühmten Fußbodenbilder des Domes von
Siena stehen in einer langen, in der Kunst der Antike
wurzelnden Tradition figuraler Dekoration christlicher
Sakralbauten. Zu den anspruchsvollen Themen, die seit dem
späten Trecento zur Ausführung kamen, zählt
auch eine großformatige Allegorie im Mittelschiff der
Kathedrale, für deren Entwurf der umbrische Maler
Bernardino Pinturicchio 1505/6 Zahlungen erhielt. Trotz
zeitgenössischer Benennung der Komposition als
»storia dela Fortuna«, womit einengend eine ihrer
beiden Hauptfiguren fokussiert wurde, fehlt bis heute vor
allem eine begründete Identifikation der zweiten,
ungleich wichtigeren Protagonistin, einer jungen Frau, die
auf dem Plateau eines vom Meer umschlossenen Felsenberges
thront.
Wie erstmals detailliert nachgewiesen, handelt es
sich bei dieser auf einem Quader sitzenden Figur um die
personifizierte Tugend. Mit Bedacht wurden ihr zwei antike
Philosophen zugeordnet: Sokrates, der »Erfinder der
Ethik«, und der Kyniker Krates, der seine
Reichtümer ins Meer wirft. Dem Wesen der Tugend
korrespondiert auch der felsige Berg, zentrales Motiv der
Darstellung, den eine Gruppe von zehn Männern in
betonter Abkehr von der lasziv-lockenden Fortuna zu
besteigen unternimmt. Pinturicchios Entwurf entpuppt sich
insgesamt als höchst originelle Verbildlichung
ethischer Topoi. Das ohne Rückgriff auf
Versatzstücke christlicher Ikonographie und
biblisch-theologischer Literatur argumentierende Denkbild,
das durch die für einen Kirchenraum der Zeit gewagte,
monumentale Aktfigur der Glücksgöttin frappiert,
erweist sich als ein herausragendes Zeugnis des sienesischen
Humanismus.
[nach oben / to the top]
Barbara Stollberg-Rilinger:
Knien vor Gott – Knien vor dem Kaiser –
Zum Ritualwandel im Konfessionskonflikt
Karl V. zwang nach seinem Sieg im Schmalkaldischen
Krieg alle unterlegenen protestantischen Fürsten,
Grafen und Städte zu rituellen Unterwerfungsakten.
Diese spektakuläre Serie von kniefälligen Abbitten
stand ganz in der mittelalterlichen Tradition der
deditio. Die Protestanten, die sich auf diese Weise
demonstrativ der universalen, politisch-religösen
Autorität des Kaisers unterwerfen mußten, sahen
sich damit vor ein grundsätzliches Gewissensproblem
gestellt: Die äußere Gehorsamsgeste gegenber dem
Kaiser stand zur Gehorsamspflicht gegenüber Gott in
Gegensatz; das Ritual erschien als Idolatrie.
Der Beitrag
fragt nach den Folgen dieser Erfahrung für das
zeitgenössische Ritualverständnis und ordnet sie
in den Diskurs über das Verhältnis zwischen Geist
und Gebärde im allgemeinen und die Erlaubtheit der
äußeren dissimulatio im besonderen ein
– ein Diskurs, der sich durch die konfessionelle
Spaltung in neuer Weise zugespitzt hatte und ein
verschärftes Mißtrauen gegenüber Ritualen
schlechthin artikulierte.
[nach oben / to the top]
Stefan Haas:
Die kommunikative und performative Generierung von Sinn in Initiationsritualen der Frühen Neuzeit am Beispiel der Eheschließungen
Eheschließungen sind in der Europäischen
Frühen Neuzeit die zentralen Übergangsrituale.
Durch sie wurde die soziale und persönliche
Identität des Einzelnen oder der Einzelnen neu
definiert, und gleichzeitig die Gesellschaft rekonstituiert.
Wesentliche Elemente dieser komplexen Ritualkette
veränderten sich im Verlauf der Frühen Neuzeit:
U.a. wurde die Rolle des Initianten und der Initiantin
stärker, die mystisch aufgeladene Zusammengebung wurde
in die Kirche hinein verlegt, mithin wandelte sich die
Raumsymbolik und der Priester wurde ihr Akteur, der Ritus
wurde um den Wert Reinheit neu gruppiert und
entsexualisiert. Die bisherige Forschung interpretiert diese
Wandlung vor dem Hintergrund der Theoreme Verkirchlichung
und Sozialdisziplinierung als strukturelle Prozesse. Der
ritualhistorische Zugang erlaubt, dies zu relativieren und
die eigenmächtige, mithin autopoietische und emergente
Wirkung von Ritualen herauszustellen. In der frühen
Neuzeit geschah dies dadurch, dass die Rituale komplexe
Kommunikationssituationen waren, deren Medien im
wesentlichen als Performanzen aufgeführte Sprech- und
Körperhandlungen waren. In der Aufführung sozial
normierter Vorgaben entstanden durch den sinngenerierenden
Eigenwert dieser Medien Reibungsverluste des vorgegeben
Sinns, die durch individuelle Intentionen oder durch
zufällige autopoietische Bedeutungszuschreibungen
aufgefüllt werden konnten. In dieser emergenten Wirkung
von Ritualen ist letztlich ihre entscheidende Bedeutung
für historische Entwicklung zu sehen.
[nach oben / to the top]
Johannes Paulmann:
Popularität und Propaganda
Vom Überleben symbolischer Kommunikationsformen in der europäischen Politik des frühen 19. Jahrhunderts
Der Übergang von der Frühen Neuzeit in die Welt
des 19. und 20. Jahrhunderts verlief als
vielschichtiger Prozess. Vor dem Hintergrund der
Transformation von politisch-sozialen Ordnungen werden in
diesem Aufsatz symbolische Kommunikationsformen in den
internationalen Beziehungen im Anschluss an die
napoleonischen Kriege untersucht. Die maßgeblichen
Akteure pflegten nicht nur eine textbasierte
Rationalität, sondern suchten sich auch über
Zeichen und Rituale ihrer Relationen zu vergewissern.
Bestimmte Traditionen höfischer Kommunikation
überlebten die Umbruchszeit bis 1848/49 und wurden
dabei gleichzeitig verwandelt. Offensichtlich hing dies mit
dem Überleben der Monarchie, ihren Institutionen und
Trägerschichten zusammen. Allerdings veränderten
sich sowohl die Legitimation von Herrschaft als auch das
Staatensystem grundlegend. Die Untersuchung des symbolischen
Handelns erlaubt schließlich, einige Schlaglichter auf
das Verhältnis von Inszenierung, Bild und Text zu
werfen, ohne Schriftlichkeit und Ritual vereinfachend
einander gegenüberzustellen. Denn tatsächlich war
die Suche der Könige und Königinnen nach
persönlicher Popularität eng an die
publizistische Ausprägung von Propaganda
gebunden.
[nach oben / to the top]
Hans-Ulrich Thamer:
Die Wiederkehr des Gleichen oder das Verblassen der Tradition? –
Funktionswandel politischer Rituale im Übergang zur Moderne
Haben die auf eine rituelle Verhaltenssteuerung
gerichteten Symbole der Vormoderne ihre Bedeutung für
die Moderne mit ihrem verstärkten Bedarf an rationalen
Verhaltens- und Diskursformen verloren? Die
Französische Revolution jedenfalls stellt die
Notwendigkeit und die Macht der Symbole unter Beweis. Sie
verdeutlicht aber auch den Funktionswandel und den Verlust
an Verbindlichkeit, den politische Rituale in einer Epoche
raschen Wandels erfahren. An drei Fallbeispielen aus der
politischen Symbolwelt der Französischen Revolution
wird die historische Varianz in der Invarianz eines
begrenzten Arsenals ritueller Aktionsformen behandelt. Die
Untersuchung der Eröffnungsrituale der
Nationalversammlung beschreibt Ritualkämpfe als
Ausdruck von politischen Machtkämpfen; das Beispiel der
Wahlen demonstriert das Spannungsverhältnis zwischen
neuen Institutionen und der Persistenz traditioneller
ritueller Handlungsmuster; die kurze Geschichte der
politischen Bankette erzählt vom Bedeutungswandel
überkommener gemeinschaftsstiftender Rituale als Reflex
politischer Veränderung.
Auch die Politik der Französischen Revolution war
auf Verdeutlichung und Sichtbarmachung angewiesen, wenn sie
sich eine dauerhafte Legitimation sichern wollte. Freilich
kam es zu einem raschen Verlust an Verbindlichkeit als Folge
der Politisierung und Pluralisierung der politischen
Deutungsangebote, die sich im Zeitalter der Revolution
entfalteten und seither die Moderne bestimmen.
[nach oben / to the top]
Rezensionen:
» [...] Beiträge von hoher Qualität«
Peter Burschel: Zeitschrift für historische
Forschung 35, Heft 3 (2008), S. 485f.
* * *
Westfälische Forschungen. Zeitschrift des westfälischen
Instituts für Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes
Westfalen–Lippe 2008.
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