Zum Inhalt:
Von der Ehre als dem Lohn der Tugend spricht Aristoteles
im dritten Kapitel des vierten Buches der
»Nikomachischen Ethik« (IV, 3, 7). Im Kommentar
des Thomas von Aquin zum lateinischen Text der Schrift liest
man dazu »Nam honor est praemium virtutis«
(»In decem libros Ethicorum ...«,
Lib. IV, l. viii, n. 748 [510]). In dieser
und ähnlicher Formulierung fand die Sentenz nicht nur
in die »Summa Theologiae« des Aquinaten Eingang
(2. 2, q.103, a.1; q.129, a.4), sondern zeitigte auch weit
darüber hinaus ein vielfaches Echo, so bei Dante
(»De Monarchia«, II, iii, 3), Matteo Palmieri
(»Della vita civile«, Buch IV, 200) und
Cesare Ripa, der sich unter dem Stichwort »Honore«
in der 1603 erschienenen dritten Auflage der
»Iconologia« ausdrücklich auf Thomas berief
und dessen Buch das Bild der »Virtù« auf
dem Einband dieses Sammelbandes entstammt.
Die einer Person aufgrund ihrer virtus bezeigte
Ehrung nicht nur auf deren Lebenszeit beschränkt sein
zu lassen, sondern ihr Dauer zu verleihen, war die
vorrangige Aufgabe literarischer und bildlicher
Denkmäler und nicht zuletzt der Grabmäler, die im
Zeichen des Humanismus mehr und mehr zu
Persönlichkeits- und Ruhmesmälern gerieten. Als
solche entfalteten sie in dem hier ins Auge gefaßten
Zeitraum ein breites Spektrum von Bildsymbolen, in denen
– begleitet von entsprechenden
Inschriften – sowohl allgemeinen als auch
individuellen Wertevorstellungen der Epoche in
vielfältigsten Varianten und Nuancen Ausdruck verliehen
wurde.
Ehrungen dieser Art waren zuallererst ein Anliegen der
Familie und der Familiaren des Verstorbenen, die sich dabei
nicht selten über den ausdrücklichen Wunsch des
Testators hinwegsetzten. Zum Ziel beißender Kritik
machte dieses Eigeninteresse der Hinterbliebenen der junge
Lorenzo Valla in seiner Streitschrift »De
voluptate« (1431), in der er auseinandersetzt,
daß Totenehrungen aller Art nur den Nachlebenden
Freude und Nutzen bereiten könnten (De voluptate II,
ix, 2). In der sozialen Wirklichkeit der Renaissance
zweifellos stärker verwurzelt war der
gemäßigtere Standpunkt, den Leon Battista Alberti
in dieser Frage einnahm. Auf Grabmäler kommt Alberti im
achten Buch seines Architekturtraktates zu sprechen (De re
aedificatoria VIII, 1–4). Als hauptsächlicher
Grund für die Errichtung von Grabmälern wird die
Erinnerung an die Verstorbenen bzw. ihrer Tugenden
genannt. Um dies näher zu erläutern, verweist
Alberti auf das Beispiel der »maiores«. Deren
unterschiedliche Gebräuche werden gegeneinander
abgewogen und damit dem Leser zugleich erstmals so etwas wie
ein historischer Abriß der antiken Bestattungsriten
und Grabmalsformen geboten, woran rund 80 Jahre
später Lilio Giraldi mit seiner Schrift »De
sepulchris et vario sepeliendi ritu liber singularis«
anknüpfen sollte.
Wie bekannt, gewann mit Beginn des 14. Jahrhunderts
das von Alberti als spezifisches Merkmal
römisch-antiker Grabmäler beurteilte Sujet der
»res gestae« erneut an Bedeutung in der
Grabmalplastik, und zwar zunächst ausschließlich
in Italien. Panofsky hat dies als »readmission of the
biographical element« bezeichnet und darin eine von
insgesamt fünf Neuerungen gesehen, die für die
Ikonographie des Renaissancegrabmals und für das in ihr
sich bekundende neue Verhältnis zum Tod und zum
irdischen Ruhm in besonderem Maße charakteristisch
seien. Weitaus häufiger als biographische Reliefs waren
an Grabmälern die zumeist durch weibliche Gestalten
personifizierten Tugenden vertreten, die Panofsky als
»character witnesses« bezeichnet hat. Zumeist
repräsentierten die Tugendkollektive an Grabmälern
vor allem ein gesellschaftliches Ideal, das in erster Linie
dem Stand der Verstorbenen Rechnung trug. Zu den in der
Frührenaissance vorgenommenen Modifikationen des
trecentesken Grundschemas gehörte, daß die
Tugenden statt als Sarkophagträgerinnen nun
überwiegend an den Rahmenpilastern des Grabmals oder am
Sarkophag Aufstellung fanden.
Ein grundsätzlicher Bruch mit dem Reihenschema
erfolgte erst in Michelangelos Entwürfen für das
Juliusgrabmal. Zu den wesentlichen Neuerungen gehörte,
daß man den biographischen Sujets und den
Tugendallegorien zusätzliche Bildsymbole oder
Tugendexempla an die Seite stellte, die auch auf das Ideal
der Einheit von Vita activa und Vita
contemplativa, von Arma et litterae anspielen
mochten. Neu war auch die Aktivierung der Grabfigur, in
deren Haltung und Gestik ebenfalls auf die virtus des
Verstorbenen verwiesen sein konnte.
Schon den Ausführungen Albertis läßt sich
entnehmen, daß der intendierte Symbolgehalt von
Grabmälern ebenso wie deren ästhetische Wirkung
außer von den formalen Qualitäten und den
figürlich-bildlichen Bestandteilen auch vom
Aufstellungsort und dem demonstrierten
äußerlichen Aufwand abhängig war. Mit einer
symbolischen Aussage ist auf allen diesen Ebenen zu
rechnen.
Eben dies verdeutlichen an konkreten Beispielen und aus
unterschiedlichen Blickwinkeln die Beiträge des Bandes.
Erwachsen ist der Sammelband aus einer Tagung, die vom 15.
bis 16. Februar 2002 im Westfälischen Landesmuseum
für Kunst und Kulturgeschichte in Münster
stattfand. Veranstalter war das kunstgeschichtliche
Teilprojekt »Virtus in der Kunst und Kunsttheorie der
italienischen Renaissance« des
Sonderforschungsbereichs 496 »Symbolische
Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom
Mittelalter bis zur Französischen
Revolution«.
Die Autoren und ihre Beiträge:
(Siehe
auch das PDF mit ausgewählten Originalseiten aus dem Buch/
also see the PDF with selected original pages from the book)
Nicolas Bock:
Kanon und Variation–
Virtus an Grabmälern in Neapel und Rom
Damian Dombrowski:
»Cernite«–
Vision und Person am Grabmal Roberts des Weisen in S. Chiara zu Neapel
Birgit Laschke:
Arma et litterae–
Tugendkonzeptionen an neapolitanischen Dichtergrabmälern
Michael Kuhlemann:
Tugendhafte Herrschaft zwischen Renaissance-Ideal und Ritterstolz:
Giovanni da Nolas Grabmal des spanischen Vizekönigs Don Pedro de Toledo
Britta Kusch:
Tugend und convenientia–
Die Begräbnisse und Grabmäler der Florentiner Kanzler
Johannes Myssok:
Bartolomeo Ammannati:
Das Boncompagni-Grabmal im Camposanto zu Pisa
Thomas Weigel:
Begräbniszeremoniell und Grabmäler
venezianischer Großkanzler des
16. Jahrhunderts
Michael Cole:
Cellinis Grabmal–
Poetik und Publikum
Francesco Vossilla:
La Tomba di Baccio Bandinelli alla Santissima Annunziata di Firenze
Thomas Pöpper:
Virtus-Personifikationen an römischen Kardinalsgrabmälern des Quattrocento–
Die Monumente für Antonio Martinez de Chiavez, Astorgio Agnensi und Philippe de Levis
Johannes Röll:
Das Grabmonument Papst Pius' III.
Claudia Echinger-Maurach:
Zwischen Quattrocento und Barock: Michelangelos Entwurf
für das Juliusgrabmal in New York
Jutta Götzmann:
Sepulchra – divitiarum testimonia, non mortis honestamenta.
Zum Grabmal Papst Hadrians VI.
Cristina Ruggero:
Decorum, Varietas, Magnificentia–
Römische Kardinalsgrabmäler des Barock
Näheres zu den Beiträgen:
(Siehe
auch das PDF mit ausgewählten Originalseiten aus dem Buch/
also see the PDF with selected original pages from the book)
Damian Dombrowski:
»Cernite«–
Vision und Person am Grabmal Roberts des Weisen in S. Chiara zu Neapel
Die Inschrift am Grabmal Roberts von Anjou ist
Ausgangspunkt für eine Deutung, die persönliche
virtus, porträthafte Vergegenwärtigung und
jenseitige Schau miteinander in Beziehung setzt.
Während der Betrachter aufgefordert wird, auf den
tugenderfüllten König zu schauen, ist dieser
bereits der Anschauung Gottes teilhaftig.
Eine solche Darstellung kann als monumentale
Bekräftigung der Position Roberts in einer dogmatischen
Auseinandersetzung um den Status der Seligen nach ihrem Tod
und vor dem Jüngsten Tag verstanden werden. Einen
indirekten Beweis für diese Sinngebung liefert ein
– bislang unerkanntes – Porträt
des Königs in Simone Martinis »Tod des hl.
Martin« zu Assisi. Verweist am Robert-Grabmal schon
die dialektische Kontinuität von Verhüllen und
Enthüllen auf die platonisierenden Auffassungen
Petrarcas, so gilt dies erst recht für die spezifische
Auffassung von virtus, die sich laut Inschrift in der
Person Roberts hypostasiert; sie stimmt nahezu wörtlich
mit Petrarcas moralphilosophischer Würdigung des
Königs überein. Auch hatte der Dichter, der mit
Robert eng verbunden war, einen unmittelbaren Zusammenhang
zwischen virtus und visio beatifica
hergestellt. Die von der Inschrift geforderte
Erkenntnisleistung (»cernite«) findet ihr
Korrelat in der voraussetzungslosen
Porträtähnlichkeit der Grabstatue: Die wahre
Substanz der Person Roberts besteht in ihrer
unverwechselbaren Individualität, die Petrarca zufolge
dem Menschen seine unvergleichliche Würde verleiht.
Seine Beteiligung am ikonographischen Programm des Grabmals,
die schon von Panofsky erwogen wurde, dürfte kaum zu
bestreiten sein.
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Birgit Laschke:
Arma et litterae –
Tugendkonzeptionen an neapolitanischen Dichtergrabmälern
Während zahlreiche italienische Künstler des
16. Jahrhunderts in mehr oder minder aufwendig
gestalteten Grabmälern bestattet sind, gibt es
auffallend wenige vergleichbare Monumente für Dichter.
Diesem bisher kaum untersuchten Phänomen kann im
Kontext dieses Kolloquiumsbandes nur an zwei
ausgewählten Beispielen aus Neapel nachgegangen werden,
dem Grabmal des 1530 verstorbenen Dichters Jacopo Sannazaro
in Santa Maria del Parto und dem knapp vierzig Jahre
später errichteten Grab für Bernardino Rota in San
Domenico Maggiore. Neben dem Versuch den spezifischen
sozialgeschichtlichen und kulturellen Kontext als
Voraussetzung für diese Monumente herzustellen, werden
die im jeweiligen Bildprogramm zur Darstellung gebrachten
individuellen Leistungen Sannazaros und Rotas untersucht,
ihre virtus also.
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Michael Kuhlemann:
Tugendhafte Herrschaft zwischen Renaissance-Ideal und Ritterstolz–
Giovanni da Nolas Grabmal des spanischen Vizekönigs Don Pedro de Toledo
Die Fragen nach Aufstellung, Datierung,
Händescheidung und Intention des Grabmals sind in der
Forschung überaus kontrovers diskutiert und bislang
weder im Zusammenhang mit dem neapolitanischen
Herrschaftsanspruch noch mit den umfangreichen Stiftungs-
und Neubaumaßnahmen des Vizekönigs rund um das
alte Herrschaftsareal gesehen worden. Das richtungsbezogene
Knien der beiden Grabfiguren, das vom Chor ausgehend
über das Langhaus von S. Giacomo beziehungsreich
auf den Hafen zielt und damit der asymmetrischen
Eingangssituation von S. Giacomo Rechnung trägt,
macht u.a. deutlich, daß Grabmal und Kirchenneubau
(1540–1547) ein und demselben Konzept verpflichtet
sind. Dafür spricht auch die testamentarische
Verfügung des Vizekönigs von 1542, wonach
jährlich sieben Messen für sein Seelheil in
S. Giacomo gefeiert werden sollten.
Neben den vereinbarten Totengedenkfeiern stellt die
Grabfigur Don Pedros demnach eine zusätzliche bildliche
Memoria dar, bei der der geharnischte Feldherr in
erhöhter Aufstellung hinter dem Hochaltar zur
ritterlichen Leitfigur für all die anderen
Glaubenskämpfer wird, die in den Seitenkapellen ihre
Treue im Kampf gegen die Türken und damit den
Kriegsdienst unter der Führung des Vizekönigs
bezeugen. Obwohl Don Pedro nur als Repräsentant der
habsburgischen Krone fungierte, wird er am Grabmal mit den
antiken Tugenden und den Herrschaftszeichen der
anjouinischen Könige ausgewiesen, so daß er in
Kontinuität zu Neapler Herrschaftsdarstellungen als
berechtigter Nachfolger der vorangegangenen Dynastien
erscheinen mußte. In diesem Zusammenhang können
die unterschiedlichen Stilhöhen, die bislang mit einer
umfangreichen Gehilfentätigkeit erklärt wurden,
mit konkreten Vorbildern in Verbindung gebracht und als
beabsichtigte Verweise im Sinne der Legitimationsstrategie
gedeutet werden.
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Britta Kusch:
Tugend und convenientia –
Die Begräbnisse und Grabmäler der Florentiner Kanzler
Eines der prominentesten Grabdenkmäler der
Florentiner Frührenaissance ist das im nördlichen
Seitenschiff von S. Croce zu Florenz befindliche
Grabmal für den 1444 gestorbenen Kanzler der
Florentiner Republik Leonardo Bruni. In der Forschung blieb
die Frage ungelöst, wie sich sein aufwendiges
Begräbnis und Grabmonument mit den persönlichen
Vorstellungen Brunis, die uns durch sein Testament und
seinen kritischen Brief über das Grabmal Bartolomeo
Aragazzis überliefert sind, in Übereinstimmung
bringen lassen. Der Tenor beider Dokumente ist gleich.
Prächtige Grabmäler werden abgelehnt, weil sie
einen unnötigen Aufwand für die Erinnerung der im
Leben vollbrachten Leistungen darstellen, und generell sei
wohl ein einfaches Grab mit dem Namen des Verstorbenen
ausreichend. In dieser explizit bescheidenen Haltung
wußte Bruni sich in Übereinstimmung mit der von
vielen Humanisten geäußerten Skepsis
gegenüber allem (sepulkralen) Pomp.
In Brunis Testament und in dem erwähnten Brief ist
neben der Bescheidenheit die Angemessenheit
(convenientia) von Begräbniszeremoniell und Grab
eine entscheidende Kategorie für deren Gestaltung und
Beurteilung. Mit ihr sind die sozialen Gewohnheiten der
Totensorge und die intellektuellen Idealvorstellungen
gleichermaßen aufgerufen. In diesem Beitrag soll es
vor allem um erstgenannte gehen und gefragt werden, welches
Begräbnis und welche Art von Grabmal einem Kanzler der
Florentiner Republik angemessen war, wie sich also Vorsorge,
Wahl des Grabplatzes, Leichenbegängnis und
Grabgestaltung dieser Staatsmänner, die zur sozial
hochrangigen Gruppe der Doktoren gehörten,
gewöhnlich vollzogen und welche Alternativen daneben
zur Verfügung standen. Es soll versucht werden, anhand
einer – so bisher nicht vorliegenden –
historischen Übersicht Gemeinsamkeiten und Unterschiede
in den Begräbnissen und Grabmälern der Florentiner
Kanzler aufzuzeigen, und abschließend die Grabsorge
und das Monument Brunis unter dem Gesichtspunkt der
convenientia zu betrachten.
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Johannes Myssok:
Bartolomeo Ammannati:
Das Boncompagni-Grabmal im Camposanto zu Pisa
Bartolomeo Ammannatis 1574 entstandenes Monument für
Giovanni Boncompagni im Camposanto zu Pisa ist als
vermeintlich letztes bildhauerisches Werk des von
religiösen Gewissensbissen geplagten Künstlers
zumeist verdammt oder bestenfalls als Ausdruck einer
übersteigerten Religiosität gesehen worden.
Der Beitrag versucht eine Rehabilitation von Ammannatis
Spätwerk, wofür zum einen der formalen Genese des
Monuments nachgegangen wird, zum anderen die Umstände
aufgedeckt werden, die zur Entstehung des Monuments
führten. Dabei erweist sich der Kenotaph Boncompagni
als ein bedeutendes Monument Papst' Gregors XIII.
– dem Cousin des Verstorbenen und
Auftraggeber – an dem sich exemplarisch die
kirchenpolitische Programmatik des Pontifikats
äußert. Neben der zentral angeordneten
Christusfigur sind die beiden flankierenden Allegorien
hierfür von besonderem Interesse. Mit Blick auf das
Gesamtthema des Kongresses wird nach deren Bedeutung, sowie
allgemein nach der Stellung von Tugendpersonifikationen in
der Kunst der Gegenreformation gefragt. Neben Ammannatis
eigenen programmatischen Aussagen werden hierfür vor
allem Gabriele Paleottis Überlegungen zur Bildverehrung
einbezogen, die eine abweichende Position vertreten.
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Thomas Weigel:
Begräbniszeremoniell und Grabmäler der
venezianischen Großkanzler des
16. Jahrhunderts
Während die mittelalterlichen und
frühneuzeitlichen Grabmäler der Dogen von Venedig,
insbesondere auch diejenigen des 16. Jahrhunderts, als
gut erforscht gelten können, liegen über
diejenigen der venezianischen Großkanzler des
Cinquecento nur spärliche Nachrichten vor, die zudem
nur in Einzelfällen und oft verstreut im Druck
publiziert sind. Dies überrascht um so mehr, als dem
auf Lebenszeit gewählten »doge del popolo«,
einem der höchsten Würdenträger in der
Hierarchie der Seerepublik, nach dem Bericht Francesco
Sansovinos (1581) ein fast identisches
Begräbniszeremoniell zustand wie dem Dogen, und dies,
obwohl es sich bei dem Gran Cancelliere traditionell
nicht um einen Patrizier, sondern »nur« um einen
Angehörigen der gehobenen gesellschaftlichen
Mittelschicht der sogenannten cittadini originari
gehandelt hat. Man könnte in Analogie dazu vermuten,
daß auch die Grabmäler der Großkanzler
entsprechend repräsentativ gestaltet waren. Dies
scheint jedoch – nach allem, was die Recherchen
des Verfassers bislang ergeben haben – eher die
Ausnahme gewesen zu sein.
Nach einem Bericht über die wesentlichen
Bestandteile des Begräbniszeremoniells werden die
Überreste von einstweilen vier, bisher als noch
existent ermittelten, zur Hälfte jedoch nicht mehr
in situ befindlichen Kanzlergräbern in Wort und
Bild dokumentiert, wobei auch jedesmal die zugehörigen
Inschriften transkribiert und (zumindest teilweise)
übersetzt werden. Von den restlichen acht
Grabmälern werden – sofern sich dies aus
Testamenten, unpublizierten Kanzlerviten, Venedig-Guiden und
anderen Quellen ermitteln ließ – zumindest
Angaben zur ursprünglichen Lage, Gestalt und den
ehemals dort angebrachten Inschriften zusammengetragen oder
wenigstens Hinweise auf bereits vorhandene Publikationen der
lateinischen Epitaphien gegeben. Damit werden die
Grabmäler der venezianischen Großkanzler des
16. Jahrhunderts erstmalig im Zusammenhang vorgestellt.
Auf welche Weise vermittels Zeremoniell und Grabmal
performativ oder dauerhaft (z.B. auch in den gedruckten
Leichenreden) den virtutes der betreffenden
Amtsträger gehuldigt wurde, wird – wie im
Blick auf den Titel der vorliegenden Publikation nicht
anders zu erwarten – gebührend
berücksichtigt.
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Thomas Poepper:
Virtus-Personifikationen an römischen
Kardinalsgrabmälern des Quattrocento –
Die Monumente für Antonio Martinez de Chiavez,
Astorgio Agnensi und Philippe de Levis
Bei der Durchsicht des erhaltenen oder rekonstruierbaren
Bestandes an römischen Prälatengrabmälern des
15. Jahrhunderts stellt sich heraus, daß
Tugenddarstellungen hier ausgesprochen rar sind. Es
überwiegen Heiligenfiguren; häufig zieren die
Apostelfürsten die Monumente. Nicht selten bestehen
zwischen den dargestellten Heiligen und den Verstorbenen
persönliche (Namensheilige), devotionale (Ordens- oder
Lieblingsheilige) oder lokale Bezüge (Hauptheilige der
Grabkirchen).
Einen virtus-Zyklus als anschaulichen und
individuellen Persönlichkeitsausweis des Toten zeigen
nur drei bedeutsame und künstlerisch anspruchsvolle
Monumente, nämlich die im Titel genannten. Der Aufsatz
beschreibt deren Befund und begründet – z.T.
erstmals – Zuschreibungen und Datierungen.
Demnach ist auffällig, daß in dem Moment, als die
Papstikonographie die Tugenden für sich
(wieder-)entdeckte und nach 1464 an nicht weniger als vier
Monumenten in Folge »okkupierte« (Gräber
der Päpste Pius II., Paul II.,
Sixtus IV. und Innozenz VIII.), damit zugleich das
antikische virtus-Thema für
Kardinalsgrabmäler bis zur Jahrhundertwende obsolet
geworden war. Die Frage, ob und inwiefern hierbei
möglicherweise eine ästhetische oder inhaltliche
Reserve gegenüber Tugendpersonifikationen oder gar
hierarchische Unterschiede der Kleriker eine Rolle spielten,
wird abschließend mit einem Erklärungsversuch
versehen.
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Claudia Echinger-Maurach:
Zwischen Quattrocento und Barock: Michelangelos Entwurf
für das Juliusgrabmal in New York
Im Spannungsfeld zwischen Quattrocento- und Barockkunst
weckt Michelangelos erster, figurenreicher Entwurf für
das Juliusgrabmal in New York in doppelter Hinsicht die
Aufmerksamkeit: zum einen regt er an, die Gestaltung der
Papstgrabmäler und deren Entwicklung zu untersuchen,
zum andern, die ikonographischen Spezifika des
Juliusmonumentes herauszuheben. An ausgewählten
Beispielen, d.h. am Grabmal von Pius II. und an einem
Entwurf Berninis für dasjenige Papst
Alexanders VII., läßt sich zeigen, daß
beide als Praemium virtutis konzipiert sind, das
spätere sich aber dennoch vom früheren durch ein
Hauptmotiv unterscheidet, und dies ist das Verknüpfen
der um den Verstorbenen versammelten virtù mit
der Totenklage. Michelangelos New Yorker Entwurf weist diese
Neuerung erstmals auf; gedichtete Grabinschriften
könnten ihn dazu inspiriert haben.
Es fällt auf, daß zwei moralische Tugenden die
Flanken des Monumentes, zwei Verkörperungen der
wichtigsten theologischen Tugend, der Caritas, die Front des
Grabmals-modello besetzen: in einem zwischen sie
gesetzten Relief verdichtete der Künstler in einer
mehrschichtig zu lesenden figürlichen poesia den
in den Statuen des Amor Proximi und des Amor Dei
angedeuteten Gehalt. Im Unterschied zu den Grabmonumenten
des Quattrocento finden wir zumindest die
virtù der Front von einer leisen Trauer
bewegt. Dafür entdecken wir den Eichbaum, das Emblem
der Rovere, in einen poetischen Zusammenhang verwoben, der
den Betrachter zugleich rührt und tröstet. Der
auffahrende Wappenbaum lenkt den Blick hinauf zu den
Gestalten des Oberstocks, die, von einem kolossalen
nicchione umfangen, allem Irdischen entrückt
erscheinen. Hier sehen wir statt einer portraithaft
ähnlichen eine schlichte Idealgestalt des Papstes,
dessen Verscheiden selbst den Propheten und die Sibylle des
Dies Irae, Putten und Engel, die den Hingeschiedenen in
ihrer Mitte halten, tief bewegt. Manches ist in dieser
hochdramatischen, durch die Zeremonie der Einsegnung des
Toten und den Wortlaut der Totenmesse, sowie durch
Darstellungen einer Imago Pietatis durch Andrea del
Verrocchio vorgebildet, wenn auch durch Michelangelo
geklärt und spannungsreich verdichtet. Die stark sich
äußernde Gefühlswelt des Barock kann hierin
ihr erstes Exempel sehen.
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Jutta Götzmann:
Sepulcha – divitiarum testimonia, non mortis honestamenta.
Zum Grabmal Papst Hadrians VI.
Papstgrabmäler haben zumeist eine wechselvolle
Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte. Sie wurden
nicht selten auch gegen den ausdrücklichen Wunsch des
Verstorbenen errichtet. Auch Kardinal Wilhelm van
Enckenvoirt widersetzte sich dem Verbot Papst
Hadrians VI., für ein aufwendiges Grabmal zu
sorgen.
Der Beitrag überprüft anhand des
ursprünglichen ikonographischen Programms, wie die
Themenwahl der bildlichen Darstellungen, die Figurenauswahl,
Inschriften und Devisen auf die Persönlichkeit Hadrians
abgestimmt wurden. Für die Deutung des Tugendprogramms
ist auch die Einbeziehung schriftlicher Quellen aus dem
humanistischen Umfeld Hadrians von großer Bedeutung.
Darüber hinaus widmet sich die Untersuchung den
Interessen des Auftraggebers. Die Stiftung des
Buntmarmorgrabmals ist nicht ausschließlich Ausdruck
der hohen Wertschätzung Hadrians durch Enckenvoirt,
vielmehr konkretisiert sich in ihr die Absicht des
Auftraggebers, das Gedenken an seinen Gönner mit der
Sicherung der eigenen memoria zu verbinden. Das
Papstgrabmal war das erste prachtvolle
Ausstattungsstück der Chorkapelle von S. Maria
dell'Anima in Rom, auf deren Vervollständigung sich
Enckenvoirts Mäzenatentätigkeit bis zu seinem Tode
1534 erstreckte.
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Cristina Ruggero:
Decorum, Varietas, Magnificentia – Römische
Kardinalsgrabmäler des Barock
Tugenden an Grabmälern dienen der Veranschaulichung
der positiven Eigenschaften, Qualitäten und
vortrefflichen Lebensführung der Verstorbenen. Ihre
Vielzahl verbildlicht die Bedeutung und Vollkommenheit der
Person. Verfolgt man die Entwicklung vom Mittelalter bis zum
Barock, so stellt man eine zunehmend reduzierte Anzahl der
Tugendpersonifikationen am Grabmal fest, die allerdings
überlebensgroße Ausmaße annehmen. Ihre
Referenzfunktion und Differenzierung manifestiert sich immer
enger in Verbindung mit dem tatsächlichen Abbild des
Verstorbenen, so daß – zumindest in bezug
auf Monumente von hohen kirchlichen
Würdenträgern – die Veranschaulichung
von Tugenden in Zusammenhang mit dem Leben und Wirken des
Verstorbenen im theologischen-religiösen Bereich
gebracht wurde. Einige interessante Varianten von
Tugenddarstellungen werden an drei römischen
Kardinalsgrabmälern aus den 70er Jahren des Seicento
besprochen. Die virtutes der Kardinäle werden
unterschiedlich aufgefaßt, interpretiert und
dargestellt. Sie drücken inhaltlich hohe moralische
sowie geistige Eigenschaften der Verstorbenen aus: von der
»ewigen Anbetung« als Ausdruck einer
ausgeprägten fides (Imperiali), zur caritas
publica als Bereitschaft dem Nächsten zu helfen und
für Wohlstand zu sorgen (Rasponi) bis zur Botschaft
eines integeren tugendhaften Lebens, in dem sowohl weltliche
als auch theologische virtutes durch jeweils
vollplastische und überlebensgroße Darstellungen
hervorgehoben werden (Bonelli).
Neben der Referenzfunktion der Tugenden spielt bei der
Konzeption der Grabmäler auch der Wunsch nach
angemessener Repräsentation im Sinne der
magnificentia eine wesentliche Rolle. Das Grabmal
mußte aufgrund seines Aufwandes und der formalen
varietas dem, einem Kardinal gebührenden
decorum entsprechen.
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