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Moritz Woelk

Benedetto Antelami

Die Werke in Parma und Fidenza

Beiträge zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance
Band 2
Herausgegeben von Joachim Poeschke

1995, 376 Seiten, 194 Abbildungen, broschiert/Fadenheftung
1995, 376 pages, 194 figures, paperback/sewn

ISBN 978-3-930454-01-3
Preis/price EUR 59,–

17 × 24cm (B×H), 800g

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Aus dem Inhalt / from the book:

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Kurzzusammenfassung/short summary
Inhaltsverzeichnis / table of contents
Zielsetzung dieser Arbeit
Zusammenfassung


Kurzzusammenfassung / short summary

Benedetto Antelami, Bildhauer und Architekt in Parma, war die maßgebliche Künstlerpersönlichkeit in Italien an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert. In Auseinandersetzung mit der bildhauerischen Tradition Oberitaliens und mit der französischen Kunstentwicklung, besonders in der Île-de-France, begründete er einen neuen Figurenstil und eine neue Form des erzählerischen Reliefs.

Vorliegende Studie verfolgt sowohl die Entstehung dieses Stils als auch die künstlerische Entwicklung, die sich in der Antelami-Werkstatt von etwa 1175 bis 1215 vollzog. Neben einer eingehenden Diskussion der Hauptwerke in Parma – die Fragmente des Domlettners, das Baptisterium und der Monatszyklus – wird auch deren Verhältnis zu den antelamischen Skulpturen des Domes von Fidenza erörtert.

Gleichwertig neben der Formanalyse steht die Untersuchung der ikonographischen Programme, unter denen insbesondere dasjenige das des Baptisteriums von Parma in seiner inhaltlichen Geschlossenheit ein Novum darstellt.

* * *

The sculptor and architect Benedetto Antelami of Parma was the foremost personality in the Italian artistic community at the turn of the 12th to the 13th century. As a result of his confrontation with the sculptorial traditions of Upper Italy and French artistic developments – especially those of the Île-de-France –, he founded a new style for sculptured figures and a new form of the narrative relief.

This study explores the formation of this style as well as the artistic development which took place in the Antelami workshop from about 1175 to 1215. An in depth exploration of the main works in Parma – the fragments of the cathedral rood-loft, the baptistery, and the month cycle – is followed by a discussion of their relationship to Antelamis sculptures in the cathedral of Fidenza.

An exploration of the iconographical programs, especially that of the baptistery in Parma which with its contextual unity was something entirely new, is handled with equal importance as the formal analysis.

      

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Inhaltsverzeichnis / table of contents

VORWORT
ANTELAMI IN DEN AUGEN DER KUNSTHISTORIKER

1 Vorläufer Nicola Pisanos
2 Summe der Romanik
3 Antelami am Beginn der Gotik
4 Ikonographische Fragen
5 Das Baptisterium im Licht der neuen Restaurierung
6 Zielsetzung dieser Arbeit

DIE EMILIANISCHE SKULPTUR VOR DEM AUFTRETEN ANTELAMIS

1 Die lombardische Tradition
2 Wiligelmo
3 Wiligelmos Nachfolge, Nikolaus und seine Werkstatt
4 Die »Schule von Piacenza«

ZUR KUNST ANTELAMIS

1 Die Prophetenstatuen in Fidenza
2 Die Fragmente des Lettners im Dom von Parma
2.1 Das Kreuzabnahmerelief
Gestalt und Thema des Reliefs
Künstlerische Vorbilder
2.2 Weitere Skulpturen des Lettners
Das Majestasrelief
Die Kapitelle
Die Löwen
2.3 Zur Rekonstruktion des Lettners
2.4 Stil und Programmgestaltung des Lettners
3 Die Skulpturen des Baptisteriums
3.1 Skulpturen und Architektur
Zum Außenbau des Baptisteriums
Das Sockelgeschoß mit den Portalen
Der Innenraum und seine Skulpturen
Baptisterium und gotische Kathedrale
3.2 Thematik der Skulpturen
Das Epiphaniasportal
Die Szenen der Kindheit Christi im Innenraum
Das Gerichtsportal
Die Visionen der Apokalypse
Christus als Weltenherrscher. König David und der Lobgesang der Gerechten – Das Apokalyptische Weib und der Engelskampf – Die Anbetung des Lammes. Das Wasser des Lebens – Die abschließende Himmelsvision
Das menschliche Leben zwischen Zeit und Ewigkeit
Der »contemptus mundi« bei Antelami und im 12. Jahrhundert – Zwischenergebnis – Die kurze Frist des Satans auf der Erde und das Lebensbuch des Lammes – Zusammenfassung
Das Gute und das Böse
3.3 Gestalt der Skulpturen
3.4 Neue Einflüsse aus Frankreich?
3.5 Antelami und die Bauhütte des Baptisteriums: Die Ausführung der figürlichen Skulpturen
3.6 Exkurs: Zur Baugeschichte
Historische Nachrichten
Kann die Kuppel auf einem Planwechsel beruhen?
Bauverlauf
Ergebnis
4 Der Bischofsthron im Dom von Parma
5 Die Madonna des Domes in Fidenza
6 Die Monate in Parma

EXKURSE: WERKE IM UMKREIS DER ANTELAMIWERKSTATT

1 Zur Domfassade in Fidenza
2 Antelami und die Campionesi

ZUSAMMENFASSUNG
Literatur
Abbildungsnachweis
Personenregister
Ortsregister

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ZIELSETZUNG DIESER ARBEIT (Ohne Anmerkungen)

Vorliegende Studie erhebt nicht den Anspruch einer erschöpfenden Monographie. So werden einige Werke, die gelegentlich Antelami zugeschrieben wurden, gar nicht oder nur am Rande besprochen, und die Arbeit konzentriert sich auf diejenigen, welche nach Ansicht des Verfassers unmittelbar von Antelami und dessen Werkstatt geschaffen wurden. Abgesehen von der revisionsbedürftigen Monographie Francovichs, fehlt bislang eine zusammenhängende Stilanalyse der Kunst Antelamis in ihrer zeitlichen Entwicklung zwischen etwa 1175 und 1215. Stattdessen beschränkt sich die Forschung weitgehend darauf, vielfältige Einflüsse festzustellen, von denen der Stil Antelamis geprägt sei, ohne diesen selbst in seiner Eigenart zu beschreiben. Entsprechend unklar ist die Beurteilung der Frage, in welchem Maß Antelamis Kunst zum Ausgangspunkt einer weiterreichenden Entwicklung werden konnte.

Mit den Fragmenten des Domlettners und dem Baptisterium in Parma besitzt man zwei datierte, um rund zwanzig Jahre auseinanderliegende und sicher mit Antelami zu verbindende Werkgruppen. Durch diesen glücklichen Zufall kann bei Antelami die Frage nach einer künstlerischen Entwicklung gestellt werden. Deutlicher als bei der isolierten Betrachtung einzelner Werke und den daran erkennbaren Einflüssen tritt so das Charakteristische seiner Kunst hervor. Die auf das individuelle Leben bezogenen Worte Goethes: »Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt geprägte Form, die lebend sich entwickelt« mögen anachronistisch erscheinen in einer Zeit, die vom Bewußtsein der multifaktoriellen Vernetzung einer besonders aus kommunikationstheoretischer Sicht verstandenen Welt geprägt ist. Dieses Bewußtsein scheint zunehmend auch das Selbstverständnis des Menschen zu bestimmen, der an der individuellen Einheit seiner Person zu zweifeln beginnt. Doch läßt das über eine größere Zeitspanne hinweg gesicherte Werk Antelamis eine Einheit erkennen, die von der Antelami-Nachfolge deutlich unterschieden werden kann. Insofern erlauben seine Werke die Annahme, daß in den Wechselwirkungen zwischen Person und Umfeld die im Leben des Einzelnen sich entwickelnde Individualität durchaus ein Faktor sein kann, der seinerseits auf den zeitgeschichtlichen »Kontext« Einfluß nimmt.

Zusammen mit der Form der Werke sollen auch die dargestellten Themen erörtert werden. Ihre Auswahl dürfte von den Auftraggebern festgelegt worden sein oder muß doch zumindest gemeinsam mit ihnen erfolgt sein, scheint zunächst also nichts über die Kunst Antelamis auszusagen. Doch während es bei Antelamis Vorgängern in der Skulptur der Emilia schwer fällt, von regelrechten »Programmen« etwa bei der Gestaltung einer Portalanlage zu sprechen, wird in seinen Werken eine neue Form von Zusammenhängen und Akzentsetzungen erkennbar, die auch als eine Komponente seines Stils verstanden werden könnte. Wo die thematischen Schwerpunkte eines Programms liegen, ist bei Antelami an der Plazierung und Größe der Darstellungen im Rahmen der Architektur erkennbar. Diese in den Werken selbst vorgegebene Gewichtung soll auch bei der Erörterung der Ikonographie Beachtung finden.

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ZUSAMMENFASSUNG (Ohne Anmerkungen)

Als die frühesten bekannten Werke Antelamis sind die um 1175 zu datierenden Prophetenstatuen der Fidentiner Domfassade anzusehen. Erstmals zeigen sie ein für die italienische Kunst bahnbrechend neues Figurenideal. Nicht mehr aus materieller Spannung zum Reliefgrund oder Block, sondern ausgehend von der eigenen Körperachse sind Statuarik und Gestik der Figuren entwickelt. In neuer Form lösen sich die Figuren von ihrem architektonischen Träger ab und treten zueinander in dialogische Entsprechung. Neu ist, wie sich die Gewandführung zielgerichtet dem Gestus der Figuren unterordnet und auf diesen hinleitet. Das Grundmotiv der Nischenfigur beruht auf proven‡alischen Grundlagen, vielleicht auch auf Anregungen durch spätantike Sarkophage, und Gewandmotive belegen, daß die Propheten bereits die Apostelfiguren des Arler Portikus voraussetzen. Doch die entscheidend neuen statuarischen Qualitäten der Propheten sind nur aus einer Auseinandersetzung Antelamis mit der chartresischen Frühgotik zu erklären, die über erste oberflächliche Kontakte mit dem neuen Stil durch die Meister der sogenannten »Schule von Piacenza« weit hinausgeht. Antike Traditionen, die seit Wiligelmo in der emilianischen Plastik wirksam sind, haben bei Antelami die gegenüber der französischen Kunst stets größere Selbständigkeit der Figuren gegenüber dem architektonischen System gefördert, in das sie eingegliedert werden. Doch eine Auseinandersetzung mit der organischen und kontrapostischen Figurenauffassung oder auch mit physiognomischen Typen antiker Skulpturen, wie sie später für den Meister der Monatsdarstellungen von Ferrara von stilbildender Bedeutung wird, spielt bei Antelami kaum eine Rolle, weder bei den Propheten, noch in späteren Werken.

Die Datierung der Propheten vor das Kreuzabnahmerelief von 1178 ergibt sich aus der Kombination höchster künstlerischer Qualität mit einigen, trotz der elementaren Stilerneuerung, altertümlichen Merkmalen dieser Statuen. Die Körper der Figuren werden vom Gewand weniger umhüllt als aus dessen mit metallischer Härte durchgeführten Motiven aufgebaut. Vom Reliefgrund zwar gelöst und achsial organisiert, wirken sie im Gestus befangener und stärker an die Frontalposition gebunden als die Figuren des Lettners, und bei einem genauen Vergleich läßt sich eine sukzessive Entwicklung vom David über den Ezechiel zur Kreuzabnahme feststellen.

An der Ausführung des nur in Fragmenten erhaltenen Lettners im Parmenser Dom dürften bereits – wie später an der Skulpturendekoration des Baptisteriums und am Monatszyklus – neben Antelami auch andere Bildhauer beteiligt gewesen sein, denen jedoch innerhalb der diszipliniert geführten Werkstatt kaum Gelegenheit gegeben war, eine eigene künstlerische Persönlichkeit zu entfalten. Eine substantielle Stildifferenz ist weder zwischen den Fragmenten des Lettners, besonders der Kreuzabnahme und den drei Kapitellen, noch innerhalb der Skulpturendekoration des Baptisteriums zu verzeichnen. Der Versuch, ein »eigenhändiges« Werk Antelamis von Werken zu unterscheiden, an denen Gehilfen beteiligt waren, ist trotz gewisser Schwankungen in der Ausführung wenig sinnvoll, zumal es abgesehen von der Kreuzabnahme kein als »eigenhändig« gesichertes Werk gibt. Auf eine subtile Händescheidung anhand von Details, wie eckigeren oder runderen Gesichtsformen, häufigerer oder seltenerer Verwendung von Bohrungen etc. wurde darum verzichtet. Angesichts der jeweiligen Stileinheit sowohl des 1178 vollendeten Domlettners als auch des 1196 begonnenen Baptisteriums, wo Antelami mit Sicherheit die Werkstatt geleitet hat, ist es jedoch möglich, um diesen Kernbestand von Werken noch einige andere zu gruppieren, welche die gleichen substantiellen Stilqualitäten besitzen. Die so verstandenen Zuschreibungen erlauben es in methodisch vertretbarer Weise, Antelamis künstlerische Entwicklung in den Grundzügen nachzuzeichnen.

Der Lettner im Dom von Parma hebt sich – so viel kann man trotz der mit seiner Rekonstruktion verbundenen Ungewißheiten sagen – von älteren Skulpturenzyklen der Romanik durch eine neuartige Ordnung und Schwerpunktsetzung in der Verteilung der Themen ab: Löwen und Basilisken als Träger, gemäß Psalm 90,13, alttestamentliche Themen an formal vereinheitlichten Figurenkapitellen und drei zentrale Ereignisse aus dem Neuen Testament, dargestellt jeweils in einem großformatigen Relief an der Brüstung. Die aus antihäretischen Zielsetzungen kaum zu erklärende thematische Konzeption verbindet theologische Systematik und erzählerische Dramatik. Dabei dürften sich die alttestamentlichen Darstellungen der Kapitelle typologisch auf die neutestamentlichen Reliefs an der Brüstung bezogen haben, jedenfalls ist dies bei der Trauer Davids und Naomis über den Tod ihrer Kinder im Blick auf die Kreuzabnahme noch erkennbar. Von den drei Hauptdarstellungen sind das stark beschädigte Relief mit der Majestas sowie das der Kreuzabnahme erhalten, zu ergänzen vermutlich durch die Epiphanie. Neu am Kreuzabnahmerelief ist, wie in einer einzigen, in sich geschlossenen Szene von großer Spannweite eine dramatische Handlung entfaltet wird, die eine Vielzahl thematischer Komponenten enthält, welche teils von grundsätzlicher theologischer Bedeutung sind, teils dazu dienen, die ersteren auf erzählerische Weise dem Betrachter zugänglich zu machen. Kreuzigung und Kreuzabnahme, Ankündigung der Auferstehung, Beginn einer neuen Heilszeit, die Einheit der Kirche sowie die Anteilnahme der Trauernden sind in einer erzählerischen Folge und in einer hierarchischen und zielgerichteten Komposition zusammengefaßt. Die Figuren lösen sich vermöge ihrer achsialen Organisation aus der für die ältere emilianische Plastik typischen, wesenhaften Gebundenheit an den Reliefgrund ab und können so ein neuartiges System von Beziehungen nicht nur von einer Figur zur nächsten, sondern auch in symmetrischen Entsprechungen von einer Seite des Reliefs zur anderen und von der Peripherie zum Zentrum entwickeln. Die neuartige Gliederung der Komposition in übersichtliche und zusammenhängende Bereiche beruht ebenfalls auf dem neuen Figurentyp und auf Anregungen aus Chartres. Wie sich die Dramatik des Geschehens ausgehend von der durch Rahmung und Kreuz festgelegten, die Orthogonalen betonenden Komposition entfaltet, so nimmt die Gestik der einzelnen Figuren ihren Ausgang vom Bezugswert der ruhigen Grundposition der Figur; das Arbeiten mit Vergleichswerten, welche eine gewisse Vereinheitlichung der Darstellung zur Voraussetzung haben, gehört zum neuen Stil Antelamis. Im Majestasrelief wird die apokalyptische Wiederkehr Christi durch die vier Kirchenväter mit der Kirche der Gegenwart verbunden.

Gegenüber den Propheten in Fidenza beginnt mit den Skulpturen des Lettners eine Entwicklung, die sich bis zu den spätesten Werken Antelamis hinzieht: Immer mehr wird das Gewand als eine zunehmend einfacher gestaltete, jedoch stets auf die Gestik und Haltung der ganzen Figur hingeordnete Hülle aufgefaßt, die sich um den Körper legt, der sich als Volumen unter dem Gewandstoff abzeichnet. Das Einspannen der Figur ins Gewand, wie es für die ältere Entwicklung charakteristisch ist, wird ebenso vermieden wie eine ornamentale Verselbständigung von Gewandmotiven. Gegenüber den Skulpturen des Baptisteriums zeichnen sich die des Lettners durch eine goldschmiedehafte Feinheit der Oberflächenbehandlung und durch zierlichere Proportionierung aus.

Aus der Zeit zwischen 1178 und 1196 sind weder in Parma und Fidenza noch in Mailand Werke Antelamis überliefert, die zu dem im Baptisterium erreichten Stand der Entwicklung vermitteln könnten.

Eine Revision der Baugeschichte des Baptisteriums konnte zeigen, daß dieses samt seiner Skulpturen und einschließlich der Kuppel in einer einzigen, ununterbrochenen Baukampagne von 1196 bis 1216 entstanden ist. Lediglich Teile der vierten sowie die fünfte Außengalerie und die bekrönende Laterne auf dem Dach waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertiggestellt. Eine immer wieder postulierte Unterbrechung der Marmorarbeiten von 1248 bis 1259 kann bei kritischer Prüfung nicht verifiziert werden und wäre allenfalls auf Teile des Außenbaus oberhalb der vierten Galerie zu beziehen. Neu an der von vollständiger Durchgliederung gekennzeichneten Architektur ist die strukturelle Einheit von Außenbau und Innenraum, die in vielfältiger Weise miteinander kommunizieren. Diese Struktureinheit spiegelt sich auch im Zusammenhang der Skulpturendekoration wider, welche gleichermaßen das Äußere und das Innere des Baptisteriums umfaßt. Das architektonische Konzept vereinigt ein die vier Hauptrichtungen betonendes Oktogon mit dem Thema einer Rotunde, das besonders im kuppelüberwölbten Innenraum in Erscheinung tritt. Dementsprechend entfaltet das Skulpturenprogramm zunächst eine heilsgeschichtliche Erzählfolge in den beiden durch figurenreiche Tympana ausgezeichneten Hauptachsen des Baus – von Nord nach Süd und von West nach Ost –, um schließlich in einem Kreis apokalyptischer Themen die Skulpturen aller sechzehn Nischenkalotten und Tympana des Innenraums zu vereinen. Dabei steht in den Tympana der Nord-Süd-Achse Maria im Zentrum, in denen der West-Ost-Achse Christus. Die Idee ihrer mystischen Hochzeit im Himmlischen Jerusalem, präfiguriert im Statuenpaar von Salomo und der Königin von Saba an der Nordwestwand, prägt sich so im System der gesamten Dekoration aus.

Wie schon Antelamis Lettner im Dom, bildet das Skulpturenprogramm eine Synthese aus erzählerischen und theologisch-systematischen Komponenten. Die Erzählfolge beginnt am äußeren Nordportal mit dem Alten Testament und Johannes als letztem Vorläufer Christi. Von der Epiphanie führt sie über die Kindheitsgeschichte Christi, mit einem ungewöhnlichen Hinweis auf die Eucharistie in der Szene der Darbringung im Tempel, zu einem Passion und Auferstehung des Erlösers in den Vordergrund stellenden Weltgericht und schließlich zur apokalyptischen Majestas. Zu den Besonderheiten dieser Folge gehört auch die Verankerung des gegenwärtigen Lebens innerhalb der Heilsgeschichte. Wie das Alte Testament zur Epiphanie hinführt, so mündet das an den Pfosten des Westportals mit den Werken der Barmherzigkeit und dem auf die Lebens- und Weltalter bezogenen Gleichnis der Arbeiter im Weinberg thematisierte Leben des Betrachters im Weltgericht. Auch dessen Ikonographie wendet sich mit der Präsentation der Leidenswerkzeuge in direkter Form an den Betrachter. Schließlich wird das vergängliche Leben in der geschaffenen Welt am äußeren Südportal noch einmal zum Ganzen der Heilsgeschichte in Beziehung gesetzt, welche sich von der Schöpfung bis zum ewigen Leben erstreckt. Für die ungewöhnliche Themenwahl dieser Lünette, ein Vanitasgleichnis aus dem Roman von Barlaam und Josaphat, konnte eine Erklärung auf der Grundlage der verbreiteten Contemptus mundi-Literatur, der aus dem Schöpfungsbericht der Genesis herzuleitenden gemeinsamen Darstellung von Sonne, Mond, Tag und Nacht sowie der apokalyptischen Thematik der Skulpturen im Innenraum gegeben werden. Anspielungen auf Ereignisse der Apokalypse sind teils unmittelbar, teils in zweiter Sinnschicht in den Skulpturen des Innenraums erkennbar. Sie gelten besonders den apokalyptischen Thronvisionen, dem Lobgesang der Gerechten, der Verfolgung des Apokalyptischen Weibes durch den Drachen sowie Hinweisen auf die mystische Hochzeit Christi mit seiner Braut, der Kirche, im Himmlischen Jerusalem. Nicht erst durch die Kuppelausmalung oder durch eine allgemein im Mittelalter zu erwartende Symbolik des Kirchengebäudes, sondern durch die Skulpturen in ihrem architektonischen Zusammenhang wird so der Weg ins Himmlische Jerusalem verkörpert. Die Deutung der ganzen Taufkirche als Abbild der paradiesischen Stadt wird darüber hinaus schon in den Skulpturen der Außenportale durch Bezüge zum Schlußkapitel der Apokalypse vorbereitet. Namentlich die in den großen Tympana dargestellten Themen – Geschaffenheit der Welt, Menschwerdung, Tod, Auferstehung und endzeitliche Wiederkehr Christi – begründen auch den Bezug des ganzen Programms auf das Sakrament der Taufe, nicht eine Summe illustrierender Anspielungen auf das liturgische Taufzeremoniell.

Von einer erkennbar laienreligiösen Prägung dieses Programms kann dagegen keine Rede sein, und der apologetische, die Weltflucht des asketischen Eremitenmönchtums in den Vordergrund stellende Roman von Barlaam und Josaphat konnte weder in seiner thematischen Schwerpunktsetzung noch in der Struktur seines Aufbaus ein Vorbild für das Parmenser Programm liefern. Ein anschaulicher Hinweis auf einen Bezug zum politischen Selbstverständnis der städtischen Kommune fehlt. Ebenfalls nicht nachweisbar ist eine häretische oder antihäretische Stoßrichtung des Programms.

Sowohl die Präsentation der Themen als auch der Stil der Figuren bedeuten eine konsequente Weiterentwicklung dessen, was Antelami mit dem Domlettner begründet hatte. Die bereits dort zu beobachtende Ausbildung deutlicher thematischer Schwerpunkte prägt auch das Skulpturenprogramm des Baptisteriums, erkennbar am Aufbau der Außenportale, an der reicheren Ausstattung der Lünetten in den vier Hauptrichtungen des Innenraums und an der Unterordnung des Tierfrieses am Außenbau gegenüber den »großen« Themen. Der neue Realitätsbezug des Programms, zu dem auch ein die menschliche Natur Christi betonendes Gottesbild gehört, steht in Analogie zu einem neuen Realitätszuwachs der räumlich agierenden und in ihrer plastischen Gestalt konkreten Figuren.

Gegenüber den frühen Werken Antelamis ist am Baptisterium neu, daß die Figuren nicht nur ausgehend von ihrer Körperachse entwickelt werden, sondern daß sie auch, bezogen auf die drei Orthogonalen des Quaders, ein dreidimensionales System räumlicher Orientierbarkeit ausbilden. Der Gewinn an räumlicher und plastischer Prägnanz der einzelnen Figuren sowie ihre deutliche Gliederung bewirken eine klarer artikulierte Gestik und damit neue Bezüge innerhalb der Reliefkonfigurationen. Auch das für den Zusammenhang der gesamten Skulpturendekoration wesentliche System räumlicher Entsprechungen, von den Außentympana zu denen des Innenraums sowie zwischen den Lünetten des Innenraums, wird erst durch die neue räumliche Organisation der Figuren ermöglicht.

Zu wesentlichen Merkmalen der Reliefkonfigurationen am Baptisterium zählen das Arbeiten mit variablen Intervallen zwischen den Figuren, der Einsatz vermittelnder Figuren wie dem König Balthasar in der Magieranbetung sowie dialogische Figurenpaare, wie die disputierenden Könige der Wurzel Jesse, oder das Gegenüber der Lünetten mit David und dem apokalyptischen Christus. Antelamis schon im frühen Werk angelegte Methode, die Charakteristik von Einzelfiguren aus ihrem Verhältnis zu einem übergeordneten Ganzen heraus zu entwickeln, prägt auch das Baptisterium.

Das von Antelami entwickelte neue Verhältnis von Außenbau und Innenraum ist strukturell allein mit den gotischen Kathedralen Frankreichs zu vergleichen. Während aber in Frankreich die Skulpturen, abgesehen von Einrichtungsstücken wie Lettnern, besonders am Außenbau in Erscheinung treten und der Innenraum von der Wirkung der farbigen Glasfenster bestimmt wird, spielen die Fenster im Werk des Parmenser Baumeisterbildhauers nur eine Nebenrolle. Die ungewöhnliche Dekoration der Nischenkalotten des Innenraums mit Skulpturen vermeidet den für die französischen Kathedralen charakteristischen Wechsel von einer in plastischen Darstellungen greifbaren Wirklichkeit am Außenbau zum stärker entkörperlichten Raumeindruck im Inneren. In der ikonographischen Konzeption der einzelnen Reliefs hat bei Antelami die erzählerische Folge stärkeres Gewicht als die allegorische Ausdeutung der Szenen. Mit stadtbürgerlicher Weltlichkeit im Kontrast zu monastischer Geistigkeit hat das nichts zu tun, sondern mit einer in Italien auf andere Art als in Frankreich wirksamen Tradition antiker Figurenauffassung.

Der in den architektonischen Formen des Baptisteriums und in seinen Skulpturen wirksame Kontrast zwischen orthogonalen Formen und plastischen Rundungen findet sich in gesteigertem Maß an den Wangen des Bischofsthrons im Dom, die parallel zu den späteren Skulpturen des Baptisteriums, um 1200–05 entstanden sein dürften. Die dramatischen Darstellungen auf den Thronwangen – Georg in höchster Konzentration den Drachen tötend und Paulus in völliger Desorientiertheit von der göttlichen Lichterscheinung getroffen – beziehen ihre Kraft aus diesem Kontrast. Neu ist nun, daß die plastischen Wölbungen und Dehnungen auf die Grundform des Quaders und die Bewegungen der Figuren auf das ihnen innewohnende orthogonale Maß nicht allein bezogen werden, sondern daß diese Kontraste eine dynamische Qualität gewinnen, die über die Portalskulpturen des Baptisteriums hinausgeht. In einigen Figuren des Baptisteriums bereits angelegt, wird in Georg und Paulus auch ein Thema aufgenommen, daß beim späten Antelami zunehmende Bedeutung gewinnt, der Wechsel zwischen dem Sich-Öffnen und Sich-Verschließen einer Figur, ein Wechsel, der besonders bei den für Antelami leitmotivischen Figurenpaaren anschaulich wird: Georg und Paulus, Salomo und die Königin von Saba, Mutter und Kind in der thronenden Madonna von Fidenza. Letztere geht in der Klarheit des räumlichen Aufbaus, in der festgefügten Einheit der Figurengruppe und in der Differenziertheit dieser Einheit durch Gestik und Gewandung der Figuren deutlich über die Portale des Baptisteriums und um einiges auch über die Nischenstatuen von Salomo und der Königin von Saba hinaus.

Am Ende des von Antelami geschaffenen Werkes steht der Monatszyklus in Parma, der sich stilistisch an die spätesten Skulpturen des Baptisteriums, den Fries von Fabeltieren am Außenbau, anschließt. Die Figurenserie als übergeordnete Einheit gibt zwölf Variationen zum Thema der menschlichen Tätigkeit im rhythmischen Lauf des Jahres, von schwerer Arbeit wie dem Fässerschlagen im August bis zur vollkommenen Ruhe des Januar. Nicht nur durch die Gestik der Arme, sondern durch die räumlich differenzierte Bewegung des ganzen Körpers erschließen sich die Monatsfiguren eine neue Dimension. Antikisch-kontrapostische Motive bleiben auch dem späten Antelami fremd. Doch um so instensiver wirken die von einer in seinem Werk zuvor nicht erreichten Plastizität und Körperlichkeit erfüllten Figuren. Mit beiden, oft weit auseinander gestellten Füßen haften sie gleichermaßen am Boden, wodurch innerhalb der sich wendenden, beugenden oder aufrichtenden Figur elastische Spannungswerte entstehen. Die noch immer von den Orthogonalen des Quaders ausgehenden Bewegungen gewinnen an Bedeutung, weil sie retardiert werden, nicht durch eine Bindung an Reliefgrund oder Rahmung, sondern durch den in der Figur selbst angelegten Kontrast zwischen dauerhaftem Verharren und momentaner Bewegung. Neu ist hier, wie am Sockelfries des Baptisteriums, ein durch Widerstände intensiviertes Wechselspiel von Kräften innerhalb der Figur. Als Spätwerke, die gleichsam eine Summe der vom Bildhauer in seinem Werk geleisteten Erneuerung der Kunst ziehen, sind sie Wiligelmos Metopen in Modena vergleichbar, welche die ebenso ernste wie heitere Welt von Akrobaten und Dämonen zum Thema hatten. Die Bedeutung, die Antelami dem in vergleichsweise großem Maßstab vorgetragenen Thema der Monatsarbeiter beilegt, unterscheidet sich von französischen Zyklen ebenso wie von älteren italienischen und ist ein letztes Beispiel für Antelamis neue Hinwendung zur erzählerisch aufgefaßten Realität eines Lebens, das stets eingefügt ist in einen größeren, von systematischer Ordnung geprägten Zusammenhang.

Ursprünglich war der Monatszyklus bei deutlicher Unterordnung der attributhaften Tierkreiszeichen für ein Portal des Domes vorgesehen. Wahrscheinlich bedingt durch den Tod Antelamis um 1210–15 wurde dieses Projekt noch vor Vollendung der Skulpturen aufgegeben. Der Zyklus wurde dann, wie unter anderem ein Stilwechsel in Gestalt und thematischer Auffassung der letzten, mit jahreszeitlichen Tätigkeiten verbundenen Tierkreiszeichen belegt, vielleicht vom Meister der Cremoneser Monate vollendet, und zwar für die – sicher vor der Temperaausmalung des Baptisteriums Mitte des 13. Jahrhunderts, wahrscheinlich schon um 1216 vollzogene – Aufstellung auf der ersten Innengalerie.

Antelamis persönlicher Anteil an der wohl nach Mitte des 12. Jahrhunderts begonnenen Domfassade in Fidenza beschränkt sich auf die beiden frühen Propheten. Die qualitätvolle, jedoch an ältere Vorgaben, darunter die Anlage der drei Portale, gebundene, um 1210–20 begonnene Neugestaltung der Fassade durch den Donninusmeister, in deren Verlauf der größte Teil der antelamischen Skulpturen entstanden ist, setzt – zumindest für den Donninusfries und die Rundnischen der Propheten – bereits Antelamis Monate und den Tierfries des Baptisteriums voraus. Im Unterschied zu den von kommunaler Einflußnahme freien Programmen des Domlettners und des Baptisteriums in Parma ist die Ikonographie der Fidentiner Fassade, neben einigen vom Baptisterium angeregten Themen, stark von lokalen Besonderheiten geprägt: dem Pilgerwesen, der Verehrung des Titelheiligen und der Privilegierung seiner Kirche durch Päpste und Kaiser.

Ausgehend von Traditionen der emilianischen Romanik und der französischen Frühgotik hat Antelami eine italienische Form der Gotik begründet. Lag im 12. Jahrhundert das europäische Kunstzentrum mit der größten Ausstrahlungskraft im französischen Kronland, wo im zeitlichen Gefolge der scholastischen Theologie die Kunst der Frühgotik entstand, so verlagerte es sich an der Wende zum 14. Jahrhundert nach Italien, von der Skulptur zur Malerei Giottos und von der Theologie zur Dichtung Dantes. Was an diesen beiden in die Epoche der Gotik zurückweist, hat letztlich französische Grundlagen. Diese zum ersten Mal nicht in eklektischer Nachfolge, sondern in einer synthetischen Stilbildung für Italien erschlossen zu haben, war die bahnbrechende Leistung Benedetto Antelamis.

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