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Kurzzusammenfassung/short summary
Inhaltsverzeichnis / table of contents
Zielsetzung dieser Arbeit
Zusammenfassung
Kurzzusammenfassung /
short summary
Benedetto Antelami, Bildhauer und Architekt in Parma, war
die maßgebliche Künstlerpersönlichkeit in
Italien an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert. In
Auseinandersetzung mit der bildhauerischen Tradition
Oberitaliens und mit der französischen
Kunstentwicklung, besonders in der Île-de-France,
begründete er einen neuen Figurenstil und eine neue
Form des erzählerischen Reliefs.
Vorliegende Studie verfolgt sowohl die Entstehung dieses
Stils als auch die künstlerische Entwicklung, die sich
in der Antelami-Werkstatt von etwa 1175 bis 1215 vollzog.
Neben einer eingehenden Diskussion der Hauptwerke in Parma
– die Fragmente des Domlettners, das Baptisterium
und der Monatszyklus – wird auch deren
Verhältnis zu den antelamischen Skulpturen des Domes
von Fidenza erörtert.
Gleichwertig neben der Formanalyse steht die Untersuchung
der ikonographischen Programme, unter denen insbesondere
dasjenige das des Baptisteriums von Parma in seiner
inhaltlichen Geschlossenheit ein Novum darstellt.
The sculptor and architect Benedetto Antelami of Parma
was the foremost personality in the Italian artistic
community at the turn of the 12th to the 13th century.
As a result of his confrontation with the sculptorial
traditions of Upper Italy and French artistic developments
– especially those of the
Île-de-France –, he founded a new style for
sculptured figures and a new form of the narrative
relief.
This study explores the formation of this style as well
as the artistic development which took place in the Antelami
workshop from about 1175 to 1215. An in depth exploration of
the main works in Parma – the fragments of the
cathedral rood-loft, the baptistery, and the month
cycle – is followed by a discussion of their
relationship to Antelamis sculptures in the cathedral of
Fidenza.
An exploration of the iconographical programs, especially
that of the baptistery in Parma which with its contextual
unity was something entirely new, is handled with equal
importance as the formal analysis.
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Inhaltsverzeichnis
/ table of contents
VORWORT
ANTELAMI IN DEN AUGEN DER KUNSTHISTORIKER
- 1 Vorläufer Nicola Pisanos
2 Summe der Romanik
3 Antelami am Beginn der Gotik
4 Ikonographische Fragen
5 Das Baptisterium im Licht der neuen Restaurierung
6 Zielsetzung dieser Arbeit
DIE EMILIANISCHE SKULPTUR VOR DEM AUFTRETEN ANTELAMIS
- 1 Die lombardische Tradition
2 Wiligelmo
3 Wiligelmos Nachfolge, Nikolaus und seine Werkstatt
4 Die »Schule von Piacenza«
ZUR KUNST ANTELAMIS
- 1 Die Prophetenstatuen in Fidenza
2 Die Fragmente des Lettners im Dom von Parma
2.1 Das Kreuzabnahmerelief
- Gestalt und Thema des Reliefs
Künstlerische Vorbilder
- 2.2 Weitere Skulpturen des Lettners
- Das Majestasrelief
Die Kapitelle
Die Löwen
- 2.3 Zur Rekonstruktion des Lettners
2.4 Stil und Programmgestaltung des Lettners
- 3 Die Skulpturen des Baptisteriums
3.1 Skulpturen und Architektur
- Zum Außenbau des Baptisteriums
Das Sockelgeschoß mit den Portalen
Der Innenraum und seine Skulpturen
Baptisterium und gotische Kathedrale
- 3.2 Thematik der Skulpturen
- Das Epiphaniasportal
Die Szenen der Kindheit Christi im Innenraum
Das Gerichtsportal
Die Visionen der Apokalypse
- Christus als Weltenherrscher. König David und der Lobgesang der Gerechten – Das Apokalyptische Weib und der Engelskampf – Die Anbetung des Lammes. Das Wasser des Lebens – Die abschließende Himmelsvision
- Das menschliche Leben zwischen Zeit und Ewigkeit
- Der »contemptus mundi« bei Antelami und im 12. Jahrhundert – Zwischenergebnis – Die kurze Frist des Satans auf der Erde und das Lebensbuch des Lammes – Zusammenfassung
- Das Gute und das Böse
- 3.3 Gestalt der Skulpturen
3.4 Neue Einflüsse aus Frankreich?
3.5 Antelami und die Bauhütte des Baptisteriums: Die Ausführung der figürlichen Skulpturen
3.6 Exkurs: Zur Baugeschichte
- Historische Nachrichten
Kann die Kuppel auf einem Planwechsel beruhen?
Bauverlauf
Ergebnis
- 4 Der Bischofsthron im Dom von Parma
5 Die Madonna des Domes in Fidenza
6 Die Monate in Parma
EXKURSE: WERKE IM UMKREIS DER ANTELAMIWERKSTATT
- 1 Zur Domfassade in Fidenza
2 Antelami und die Campionesi
ZUSAMMENFASSUNG
Literatur
Abbildungsnachweis
Personenregister
Ortsregister
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ZIELSETZUNG
DIESER ARBEIT (Ohne Anmerkungen)
Vorliegende Studie erhebt nicht den Anspruch einer
erschöpfenden Monographie. So werden einige Werke, die
gelegentlich Antelami zugeschrieben wurden, gar nicht oder
nur am Rande besprochen, und die Arbeit konzentriert sich
auf diejenigen, welche nach Ansicht des Verfassers
unmittelbar von Antelami und dessen Werkstatt geschaffen
wurden. Abgesehen von der revisionsbedürftigen
Monographie Francovichs, fehlt bislang eine
zusammenhängende Stilanalyse der Kunst Antelamis in
ihrer zeitlichen Entwicklung zwischen etwa 1175 und 1215.
Stattdessen beschränkt sich die Forschung weitgehend
darauf, vielfältige Einflüsse festzustellen, von
denen der Stil Antelamis geprägt sei, ohne diesen
selbst in seiner Eigenart zu beschreiben. Entsprechend
unklar ist die Beurteilung der Frage, in welchem Maß
Antelamis Kunst zum Ausgangspunkt einer weiterreichenden
Entwicklung werden konnte.
Mit den Fragmenten des Domlettners und dem Baptisterium
in Parma besitzt man zwei datierte, um rund zwanzig Jahre
auseinanderliegende und sicher mit Antelami zu verbindende
Werkgruppen. Durch diesen glücklichen Zufall kann bei
Antelami die Frage nach einer künstlerischen
Entwicklung gestellt werden. Deutlicher als bei der
isolierten Betrachtung einzelner Werke und den daran
erkennbaren Einflüssen tritt so das Charakteristische
seiner Kunst hervor. Die auf das individuelle Leben
bezogenen Worte Goethes: »Und keine Zeit und keine
Macht zerstückelt geprägte Form, die lebend sich
entwickelt« mögen anachronistisch erscheinen in
einer Zeit, die vom Bewußtsein der multifaktoriellen
Vernetzung einer besonders aus kommunikationstheoretischer
Sicht verstandenen Welt geprägt ist. Dieses
Bewußtsein scheint zunehmend auch das
Selbstverständnis des Menschen zu bestimmen, der an der
individuellen Einheit seiner Person zu zweifeln beginnt.
Doch läßt das über eine größere
Zeitspanne hinweg gesicherte Werk Antelamis eine Einheit
erkennen, die von der Antelami-Nachfolge deutlich
unterschieden werden kann. Insofern erlauben seine Werke die
Annahme, daß in den Wechselwirkungen zwischen Person
und Umfeld die im Leben des Einzelnen sich entwickelnde
Individualität durchaus ein Faktor sein kann, der
seinerseits auf den zeitgeschichtlichen
»Kontext« Einfluß nimmt.
Zusammen mit der Form der Werke sollen auch die
dargestellten Themen erörtert werden. Ihre Auswahl
dürfte von den Auftraggebern festgelegt worden sein
oder muß doch zumindest gemeinsam mit ihnen erfolgt
sein, scheint zunächst also nichts über die Kunst
Antelamis auszusagen. Doch während es bei Antelamis
Vorgängern in der Skulptur der Emilia schwer
fällt, von regelrechten »Programmen« etwa
bei der Gestaltung einer Portalanlage zu sprechen, wird in
seinen Werken eine neue Form von Zusammenhängen und
Akzentsetzungen erkennbar, die auch als eine Komponente
seines Stils verstanden werden könnte. Wo die
thematischen Schwerpunkte eines Programms liegen, ist bei
Antelami an der Plazierung und Größe der
Darstellungen im Rahmen der Architektur erkennbar. Diese in
den Werken selbst vorgegebene Gewichtung soll auch bei der
Erörterung der Ikonographie Beachtung finden.
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ZUSAMMENFASSUNG
(Ohne Anmerkungen)
Als die frühesten bekannten Werke Antelamis sind die
um 1175 zu datierenden Prophetenstatuen der Fidentiner
Domfassade anzusehen. Erstmals zeigen sie ein für die
italienische Kunst bahnbrechend neues Figurenideal. Nicht
mehr aus materieller Spannung zum Reliefgrund oder Block,
sondern ausgehend von der eigenen Körperachse sind
Statuarik und Gestik der Figuren entwickelt. In neuer Form
lösen sich die Figuren von ihrem architektonischen
Träger ab und treten zueinander in dialogische
Entsprechung. Neu ist, wie sich die Gewandführung
zielgerichtet dem Gestus der Figuren unterordnet und auf
diesen hinleitet. Das Grundmotiv der Nischenfigur beruht auf
provenalischen Grundlagen, vielleicht auch auf
Anregungen durch spätantike Sarkophage, und
Gewandmotive belegen, daß die Propheten bereits die
Apostelfiguren des Arler Portikus voraussetzen. Doch die
entscheidend neuen statuarischen Qualitäten der
Propheten sind nur aus einer Auseinandersetzung Antelamis
mit der chartresischen Frühgotik zu erklären, die
über erste oberflächliche Kontakte mit dem neuen
Stil durch die Meister der sogenannten »Schule von
Piacenza« weit hinausgeht. Antike Traditionen, die
seit Wiligelmo in der emilianischen Plastik wirksam sind,
haben bei Antelami die gegenüber der französischen
Kunst stets größere Selbständigkeit der
Figuren gegenüber dem architektonischen System
gefördert, in das sie eingegliedert werden. Doch eine
Auseinandersetzung mit der organischen und kontrapostischen
Figurenauffassung oder auch mit physiognomischen Typen
antiker Skulpturen, wie sie später für den Meister
der Monatsdarstellungen von Ferrara von stilbildender
Bedeutung wird, spielt bei Antelami kaum eine Rolle, weder
bei den Propheten, noch in späteren Werken.
Die Datierung der Propheten vor das Kreuzabnahmerelief
von 1178 ergibt sich aus der Kombination höchster
künstlerischer Qualität mit einigen, trotz der
elementaren Stilerneuerung, altertümlichen Merkmalen
dieser Statuen. Die Körper der Figuren werden vom
Gewand weniger umhüllt als aus dessen mit metallischer
Härte durchgeführten Motiven aufgebaut. Vom
Reliefgrund zwar gelöst und achsial organisiert, wirken
sie im Gestus befangener und stärker an die
Frontalposition gebunden als die Figuren des Lettners, und
bei einem genauen Vergleich läßt sich eine
sukzessive Entwicklung vom David über den Ezechiel zur
Kreuzabnahme feststellen.
An der Ausführung des nur in Fragmenten erhaltenen
Lettners im Parmenser Dom dürften bereits
– wie später an der Skulpturendekoration des
Baptisteriums und am Monatszyklus – neben
Antelami auch andere Bildhauer beteiligt gewesen sein, denen
jedoch innerhalb der diszipliniert geführten Werkstatt
kaum Gelegenheit gegeben war, eine eigene künstlerische
Persönlichkeit zu entfalten. Eine substantielle
Stildifferenz ist weder zwischen den Fragmenten des
Lettners, besonders der Kreuzabnahme und den drei
Kapitellen, noch innerhalb der Skulpturendekoration des
Baptisteriums zu verzeichnen. Der Versuch, ein
»eigenhändiges« Werk Antelamis von Werken
zu unterscheiden, an denen Gehilfen beteiligt waren, ist
trotz gewisser Schwankungen in der Ausführung wenig
sinnvoll, zumal es abgesehen von der Kreuzabnahme kein als
»eigenhändig« gesichertes Werk gibt. Auf
eine subtile Händescheidung anhand von Details, wie
eckigeren oder runderen Gesichtsformen, häufigerer oder
seltenerer Verwendung von Bohrungen etc. wurde darum
verzichtet. Angesichts der jeweiligen Stileinheit sowohl des
1178 vollendeten Domlettners als auch des 1196 begonnenen
Baptisteriums, wo Antelami mit Sicherheit die Werkstatt
geleitet hat, ist es jedoch möglich, um diesen
Kernbestand von Werken noch einige andere zu gruppieren,
welche die gleichen substantiellen Stilqualitäten
besitzen. Die so verstandenen Zuschreibungen erlauben es in
methodisch vertretbarer Weise, Antelamis künstlerische
Entwicklung in den Grundzügen nachzuzeichnen.
Der Lettner im Dom von Parma hebt sich – so
viel kann man trotz der mit seiner Rekonstruktion
verbundenen Ungewißheiten sagen – von
älteren Skulpturenzyklen der Romanik durch eine
neuartige Ordnung und Schwerpunktsetzung in der Verteilung
der Themen ab: Löwen und Basilisken als Träger,
gemäß Psalm 90,13, alttestamentliche Themen
an formal vereinheitlichten Figurenkapitellen und drei
zentrale Ereignisse aus dem Neuen Testament, dargestellt
jeweils in einem großformatigen Relief an der
Brüstung. Die aus antihäretischen Zielsetzungen
kaum zu erklärende thematische Konzeption verbindet
theologische Systematik und erzählerische Dramatik.
Dabei dürften sich die alttestamentlichen Darstellungen
der Kapitelle typologisch auf die neutestamentlichen Reliefs
an der Brüstung bezogen haben, jedenfalls ist dies bei
der Trauer Davids und Naomis über den Tod ihrer Kinder
im Blick auf die Kreuzabnahme noch erkennbar. Von den drei
Hauptdarstellungen sind das stark beschädigte Relief
mit der Majestas sowie das der Kreuzabnahme erhalten, zu
ergänzen vermutlich durch die Epiphanie. Neu am
Kreuzabnahmerelief ist, wie in einer einzigen, in sich
geschlossenen Szene von großer Spannweite eine
dramatische Handlung entfaltet wird, die eine Vielzahl
thematischer Komponenten enthält, welche teils von
grundsätzlicher theologischer Bedeutung sind, teils
dazu dienen, die ersteren auf erzählerische Weise dem
Betrachter zugänglich zu machen. Kreuzigung und
Kreuzabnahme, Ankündigung der Auferstehung, Beginn
einer neuen Heilszeit, die Einheit der Kirche sowie die
Anteilnahme der Trauernden sind in einer erzählerischen
Folge und in einer hierarchischen und zielgerichteten
Komposition zusammengefaßt. Die Figuren lösen
sich vermöge ihrer achsialen Organisation aus der
für die ältere emilianische Plastik typischen,
wesenhaften Gebundenheit an den Reliefgrund ab und
können so ein neuartiges System von Beziehungen nicht
nur von einer Figur zur nächsten, sondern auch in
symmetrischen Entsprechungen von einer Seite des Reliefs zur
anderen und von der Peripherie zum Zentrum entwickeln. Die
neuartige Gliederung der Komposition in übersichtliche
und zusammenhängende Bereiche beruht ebenfalls auf dem
neuen Figurentyp und auf Anregungen aus Chartres. Wie sich
die Dramatik des Geschehens ausgehend von der durch Rahmung
und Kreuz festgelegten, die Orthogonalen betonenden
Komposition entfaltet, so nimmt die Gestik der einzelnen
Figuren ihren Ausgang vom Bezugswert der ruhigen
Grundposition der Figur; das Arbeiten mit Vergleichswerten,
welche eine gewisse Vereinheitlichung der Darstellung zur
Voraussetzung haben, gehört zum neuen Stil Antelamis.
Im Majestasrelief wird die apokalyptische Wiederkehr Christi
durch die vier Kirchenväter mit der Kirche der
Gegenwart verbunden.
Gegenüber den Propheten in Fidenza beginnt mit den
Skulpturen des Lettners eine Entwicklung, die sich bis zu
den spätesten Werken Antelamis hinzieht: Immer mehr
wird das Gewand als eine zunehmend einfacher gestaltete,
jedoch stets auf die Gestik und Haltung der ganzen Figur
hingeordnete Hülle aufgefaßt, die sich um den
Körper legt, der sich als Volumen unter dem Gewandstoff
abzeichnet. Das Einspannen der Figur ins Gewand, wie es
für die ältere Entwicklung charakteristisch ist,
wird ebenso vermieden wie eine ornamentale
Verselbständigung von Gewandmotiven. Gegenüber den
Skulpturen des Baptisteriums zeichnen sich die des Lettners
durch eine goldschmiedehafte Feinheit der
Oberflächenbehandlung und durch zierlichere
Proportionierung aus.
Aus der Zeit zwischen 1178 und 1196 sind weder in Parma
und Fidenza noch in Mailand Werke Antelamis
überliefert, die zu dem im Baptisterium erreichten
Stand der Entwicklung vermitteln könnten.
Eine Revision der Baugeschichte des Baptisteriums konnte
zeigen, daß dieses samt seiner Skulpturen und
einschließlich der Kuppel in einer einzigen,
ununterbrochenen Baukampagne von 1196 bis 1216 entstanden
ist. Lediglich Teile der vierten sowie die fünfte
Außengalerie und die bekrönende Laterne auf dem
Dach waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertiggestellt.
Eine immer wieder postulierte Unterbrechung der
Marmorarbeiten von 1248 bis 1259 kann bei kritischer
Prüfung nicht verifiziert werden und wäre
allenfalls auf Teile des Außenbaus oberhalb der
vierten Galerie zu beziehen. Neu an der von
vollständiger Durchgliederung gekennzeichneten
Architektur ist die strukturelle Einheit von Außenbau
und Innenraum, die in vielfältiger Weise miteinander
kommunizieren. Diese Struktureinheit spiegelt sich auch im
Zusammenhang der Skulpturendekoration wider, welche
gleichermaßen das Äußere und das Innere des
Baptisteriums umfaßt. Das architektonische Konzept
vereinigt ein die vier Hauptrichtungen betonendes Oktogon
mit dem Thema einer Rotunde, das besonders im
kuppelüberwölbten Innenraum in Erscheinung tritt.
Dementsprechend entfaltet das Skulpturenprogramm
zunächst eine heilsgeschichtliche Erzählfolge in
den beiden durch figurenreiche Tympana ausgezeichneten
Hauptachsen des Baus – von Nord nach Süd und
von West nach Ost –, um schließlich in
einem Kreis apokalyptischer Themen die Skulpturen aller
sechzehn Nischenkalotten und Tympana des Innenraums zu
vereinen. Dabei steht in den Tympana der Nord-Süd-Achse
Maria im Zentrum, in denen der West-Ost-Achse Christus. Die
Idee ihrer mystischen Hochzeit im Himmlischen Jerusalem,
präfiguriert im Statuenpaar von Salomo und der
Königin von Saba an der Nordwestwand, prägt sich
so im System der gesamten Dekoration aus.
Wie schon Antelamis Lettner im Dom, bildet das
Skulpturenprogramm eine Synthese aus erzählerischen und
theologisch-systematischen Komponenten. Die Erzählfolge
beginnt am äußeren Nordportal mit dem Alten
Testament und Johannes als letztem Vorläufer Christi.
Von der Epiphanie führt sie über die
Kindheitsgeschichte Christi, mit einem ungewöhnlichen
Hinweis auf die Eucharistie in der Szene der Darbringung im
Tempel, zu einem Passion und Auferstehung des Erlösers
in den Vordergrund stellenden Weltgericht und
schließlich zur apokalyptischen Majestas. Zu den
Besonderheiten dieser Folge gehört auch die Verankerung
des gegenwärtigen Lebens innerhalb der Heilsgeschichte.
Wie das Alte Testament zur Epiphanie hinführt, so
mündet das an den Pfosten des Westportals mit den
Werken der Barmherzigkeit und dem auf die Lebens- und
Weltalter bezogenen Gleichnis der Arbeiter im Weinberg
thematisierte Leben des Betrachters im Weltgericht. Auch
dessen Ikonographie wendet sich mit der Präsentation
der Leidenswerkzeuge in direkter Form an den Betrachter.
Schließlich wird das vergängliche Leben in der
geschaffenen Welt am äußeren Südportal noch
einmal zum Ganzen der Heilsgeschichte in Beziehung gesetzt,
welche sich von der Schöpfung bis zum ewigen Leben
erstreckt. Für die ungewöhnliche Themenwahl dieser
Lünette, ein Vanitasgleichnis aus dem Roman von Barlaam
und Josaphat, konnte eine Erklärung auf der Grundlage
der verbreiteten Contemptus mundi-Literatur, der aus dem
Schöpfungsbericht der Genesis herzuleitenden
gemeinsamen Darstellung von Sonne, Mond, Tag und Nacht sowie
der apokalyptischen Thematik der Skulpturen im Innenraum
gegeben werden. Anspielungen auf Ereignisse der Apokalypse
sind teils unmittelbar, teils in zweiter Sinnschicht in den
Skulpturen des Innenraums erkennbar. Sie gelten besonders
den apokalyptischen Thronvisionen, dem Lobgesang der
Gerechten, der Verfolgung des Apokalyptischen Weibes durch
den Drachen sowie Hinweisen auf die mystische Hochzeit
Christi mit seiner Braut, der Kirche, im Himmlischen
Jerusalem. Nicht erst durch die Kuppelausmalung oder durch
eine allgemein im Mittelalter zu erwartende Symbolik des
Kirchengebäudes, sondern durch die Skulpturen in ihrem
architektonischen Zusammenhang wird so der Weg ins
Himmlische Jerusalem verkörpert. Die Deutung der ganzen
Taufkirche als Abbild der paradiesischen Stadt wird
darüber hinaus schon in den Skulpturen der
Außenportale durch Bezüge zum Schlußkapitel
der Apokalypse vorbereitet. Namentlich die in den
großen Tympana dargestellten Themen
– Geschaffenheit der Welt, Menschwerdung, Tod,
Auferstehung und endzeitliche Wiederkehr
Christi – begründen auch den Bezug des
ganzen Programms auf das Sakrament der Taufe, nicht eine
Summe illustrierender Anspielungen auf das liturgische
Taufzeremoniell.
Von einer erkennbar laienreligiösen Prägung
dieses Programms kann dagegen keine Rede sein, und der
apologetische, die Weltflucht des asketischen
Eremitenmönchtums in den Vordergrund stellende Roman
von Barlaam und Josaphat konnte weder in seiner thematischen
Schwerpunktsetzung noch in der Struktur seines Aufbaus ein
Vorbild für das Parmenser Programm liefern. Ein
anschaulicher Hinweis auf einen Bezug zum politischen
Selbstverständnis der städtischen Kommune fehlt.
Ebenfalls nicht nachweisbar ist eine häretische oder
antihäretische Stoßrichtung des Programms.
Sowohl die Präsentation der Themen als auch der Stil
der Figuren bedeuten eine konsequente Weiterentwicklung
dessen, was Antelami mit dem Domlettner begründet
hatte. Die bereits dort zu beobachtende Ausbildung
deutlicher thematischer Schwerpunkte prägt auch das
Skulpturenprogramm des Baptisteriums, erkennbar am Aufbau
der Außenportale, an der reicheren Ausstattung der
Lünetten in den vier Hauptrichtungen des Innenraums und
an der Unterordnung des Tierfrieses am Außenbau
gegenüber den »großen« Themen. Der
neue Realitätsbezug des Programms, zu dem auch ein die
menschliche Natur Christi betonendes Gottesbild gehört,
steht in Analogie zu einem neuen Realitätszuwachs der
räumlich agierenden und in ihrer plastischen Gestalt
konkreten Figuren.
Gegenüber den frühen Werken Antelamis ist am
Baptisterium neu, daß die Figuren nicht nur ausgehend
von ihrer Körperachse entwickelt werden, sondern
daß sie auch, bezogen auf die drei Orthogonalen des
Quaders, ein dreidimensionales System räumlicher
Orientierbarkeit ausbilden. Der Gewinn an räumlicher
und plastischer Prägnanz der einzelnen Figuren sowie
ihre deutliche Gliederung bewirken eine klarer artikulierte
Gestik und damit neue Bezüge innerhalb der
Reliefkonfigurationen. Auch das für den Zusammenhang
der gesamten Skulpturendekoration wesentliche System
räumlicher Entsprechungen, von den Außentympana
zu denen des Innenraums sowie zwischen den Lünetten des
Innenraums, wird erst durch die neue räumliche
Organisation der Figuren ermöglicht.
Zu wesentlichen Merkmalen der Reliefkonfigurationen am
Baptisterium zählen das Arbeiten mit variablen
Intervallen zwischen den Figuren, der Einsatz vermittelnder
Figuren wie dem König Balthasar in der Magieranbetung
sowie dialogische Figurenpaare, wie die disputierenden
Könige der Wurzel Jesse, oder das Gegenüber der
Lünetten mit David und dem apokalyptischen Christus.
Antelamis schon im frühen Werk angelegte Methode, die
Charakteristik von Einzelfiguren aus ihrem Verhältnis
zu einem übergeordneten Ganzen heraus zu entwickeln,
prägt auch das Baptisterium.
Das von Antelami entwickelte neue Verhältnis von
Außenbau und Innenraum ist strukturell allein mit den
gotischen Kathedralen Frankreichs zu vergleichen.
Während aber in Frankreich die Skulpturen, abgesehen
von Einrichtungsstücken wie Lettnern, besonders am
Außenbau in Erscheinung treten und der Innenraum von
der Wirkung der farbigen Glasfenster bestimmt wird, spielen
die Fenster im Werk des Parmenser Baumeisterbildhauers nur
eine Nebenrolle. Die ungewöhnliche Dekoration der
Nischenkalotten des Innenraums mit Skulpturen vermeidet den
für die französischen Kathedralen
charakteristischen Wechsel von einer in plastischen
Darstellungen greifbaren Wirklichkeit am Außenbau zum
stärker entkörperlichten Raumeindruck im Inneren.
In der ikonographischen Konzeption der einzelnen Reliefs hat
bei Antelami die erzählerische Folge stärkeres
Gewicht als die allegorische Ausdeutung der Szenen. Mit
stadtbürgerlicher Weltlichkeit im Kontrast zu
monastischer Geistigkeit hat das nichts zu tun, sondern mit
einer in Italien auf andere Art als in Frankreich wirksamen
Tradition antiker Figurenauffassung.
Der in den architektonischen Formen des Baptisteriums und
in seinen Skulpturen wirksame Kontrast zwischen orthogonalen
Formen und plastischen Rundungen findet sich in gesteigertem
Maß an den Wangen des Bischofsthrons im Dom, die
parallel zu den späteren Skulpturen des Baptisteriums,
um 1200–05 entstanden sein dürften. Die
dramatischen Darstellungen auf den Thronwangen
– Georg in höchster Konzentration den
Drachen tötend und Paulus in völliger
Desorientiertheit von der göttlichen Lichterscheinung
getroffen – beziehen ihre Kraft aus diesem
Kontrast. Neu ist nun, daß die plastischen
Wölbungen und Dehnungen auf die Grundform des Quaders
und die Bewegungen der Figuren auf das ihnen innewohnende
orthogonale Maß nicht allein bezogen werden, sondern
daß diese Kontraste eine dynamische Qualität
gewinnen, die über die Portalskulpturen des
Baptisteriums hinausgeht. In einigen Figuren des
Baptisteriums bereits angelegt, wird in Georg und Paulus
auch ein Thema aufgenommen, daß beim späten
Antelami zunehmende Bedeutung gewinnt, der Wechsel zwischen
dem Sich-Öffnen und Sich-Verschließen einer
Figur, ein Wechsel, der besonders bei den für Antelami
leitmotivischen Figurenpaaren anschaulich wird: Georg und
Paulus, Salomo und die Königin von Saba, Mutter und
Kind in der thronenden Madonna von Fidenza. Letztere geht in
der Klarheit des räumlichen Aufbaus, in der
festgefügten Einheit der Figurengruppe und in der
Differenziertheit dieser Einheit durch Gestik und Gewandung
der Figuren deutlich über die Portale des Baptisteriums
und um einiges auch über die Nischenstatuen von Salomo
und der Königin von Saba hinaus.
Am Ende des von Antelami geschaffenen Werkes steht der
Monatszyklus in Parma, der sich stilistisch an die
spätesten Skulpturen des Baptisteriums, den Fries von
Fabeltieren am Außenbau, anschließt. Die
Figurenserie als übergeordnete Einheit gibt zwölf
Variationen zum Thema der menschlichen Tätigkeit im
rhythmischen Lauf des Jahres, von schwerer Arbeit wie dem
Fässerschlagen im August bis zur vollkommenen Ruhe des
Januar. Nicht nur durch die Gestik der Arme, sondern durch
die räumlich differenzierte Bewegung des ganzen
Körpers erschließen sich die Monatsfiguren eine
neue Dimension. Antikisch-kontrapostische Motive bleiben
auch dem späten Antelami fremd. Doch um so instensiver
wirken die von einer in seinem Werk zuvor nicht erreichten
Plastizität und Körperlichkeit erfüllten
Figuren. Mit beiden, oft weit auseinander gestellten
Füßen haften sie gleichermaßen am Boden,
wodurch innerhalb der sich wendenden, beugenden oder
aufrichtenden Figur elastische Spannungswerte entstehen. Die
noch immer von den Orthogonalen des Quaders ausgehenden
Bewegungen gewinnen an Bedeutung, weil sie retardiert
werden, nicht durch eine Bindung an Reliefgrund oder
Rahmung, sondern durch den in der Figur selbst angelegten
Kontrast zwischen dauerhaftem Verharren und momentaner
Bewegung. Neu ist hier, wie am Sockelfries des
Baptisteriums, ein durch Widerstände intensiviertes
Wechselspiel von Kräften innerhalb der Figur. Als
Spätwerke, die gleichsam eine Summe der vom Bildhauer
in seinem Werk geleisteten Erneuerung der Kunst ziehen, sind
sie Wiligelmos Metopen in Modena vergleichbar, welche die
ebenso ernste wie heitere Welt von Akrobaten und
Dämonen zum Thema hatten. Die Bedeutung, die Antelami
dem in vergleichsweise großem Maßstab
vorgetragenen Thema der Monatsarbeiter beilegt,
unterscheidet sich von französischen Zyklen ebenso wie
von älteren italienischen und ist ein letztes Beispiel
für Antelamis neue Hinwendung zur erzählerisch
aufgefaßten Realität eines Lebens, das stets
eingefügt ist in einen größeren, von
systematischer Ordnung geprägten Zusammenhang.
Ursprünglich war der Monatszyklus bei deutlicher
Unterordnung der attributhaften Tierkreiszeichen für
ein Portal des Domes vorgesehen. Wahrscheinlich bedingt
durch den Tod Antelamis um 1210–15 wurde dieses
Projekt noch vor Vollendung der Skulpturen aufgegeben. Der
Zyklus wurde dann, wie unter anderem ein Stilwechsel in
Gestalt und thematischer Auffassung der letzten, mit
jahreszeitlichen Tätigkeiten verbundenen
Tierkreiszeichen belegt, vielleicht vom Meister der
Cremoneser Monate vollendet, und zwar für die
– sicher vor der Temperaausmalung des
Baptisteriums Mitte des 13. Jahrhunderts,
wahrscheinlich schon um 1216 vollzogene –
Aufstellung auf der ersten Innengalerie.
Antelamis persönlicher Anteil an der wohl nach Mitte
des 12. Jahrhunderts begonnenen Domfassade in Fidenza
beschränkt sich auf die beiden frühen Propheten.
Die qualitätvolle, jedoch an ältere Vorgaben,
darunter die Anlage der drei Portale, gebundene, um
1210–20 begonnene Neugestaltung der Fassade durch den
Donninusmeister, in deren Verlauf der größte Teil
der antelamischen Skulpturen entstanden ist, setzt
– zumindest für den Donninusfries und die
Rundnischen der Propheten – bereits Antelamis
Monate und den Tierfries des Baptisteriums voraus. Im
Unterschied zu den von kommunaler Einflußnahme freien
Programmen des Domlettners und des Baptisteriums in Parma
ist die Ikonographie der Fidentiner Fassade, neben einigen
vom Baptisterium angeregten Themen, stark von lokalen
Besonderheiten geprägt: dem Pilgerwesen, der Verehrung
des Titelheiligen und der Privilegierung seiner Kirche durch
Päpste und Kaiser.
Ausgehend von Traditionen der emilianischen Romanik und
der französischen Frühgotik hat Antelami eine
italienische Form der Gotik begründet. Lag im
12. Jahrhundert das europäische Kunstzentrum mit
der größten Ausstrahlungskraft im
französischen Kronland, wo im zeitlichen Gefolge der
scholastischen Theologie die Kunst der Frühgotik
entstand, so verlagerte es sich an der Wende zum
14. Jahrhundert nach Italien, von der Skulptur zur
Malerei Giottos und von der Theologie zur Dichtung Dantes.
Was an diesen beiden in die Epoche der Gotik
zurückweist, hat letztlich französische
Grundlagen. Diese zum ersten Mal nicht in eklektischer
Nachfolge, sondern in einer synthetischen Stilbildung
für Italien erschlossen zu haben, war die bahnbrechende
Leistung Benedetto Antelamis.
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