Kurzzusammenfassung
Inhaltsverzeichnis
Einleitung (Auszug)
Resümee (Auszug)
Kurzzusammenfassung / short summary:
Als »teste divine« rühmt Vasari eine
kleine Zahl hochvollendeter Michelangelo-Zeichnungen, die
mit einer Ausnahme Idealbildnisse zeigen. Schon die
Zeitgenossen schätzten sie ebenso wie die
berühmten Geschenkzeichnungen Buonarrotis als autonome
Kunstwerke. Die vorliegende Studie erörtert erstmals
umfassend die Ziele, die Michelangelo verfolgte, als er die
phantastischen Bildnismotive mit dem Kreidestift zu
Bravourstücken ausarbeitete.
Mit dem Blick auf die Zeichenunterrichtung in Florenz um
1500 kann die funktionale Bindung der teste divine
belegt werden. Weil sie lehrreiche Muster waren, bieten sie
eine Inszenierung der Zeichenkunst, die ausschließlich
zugunsten ihrer Selbstreflexivität wirksam werden
sollte. Die Motive und ihre kunstvolle Umsetzung machen das
Zeichnen – die Einheit aus gedanklicher und physischer
Formfindung, aus disegno interno und disegno
esterno – zum Thema der Blätter. Ferner geben
die teste divine Zeugnis davon, wie Michelangelo
über ritratto und ornato dachte, worin er
den Quell seiner fantasia erkannte, was ihm ein
concetto bedeutete und welche Rolle er dabei dem
disegno beimaß. Die Zeichnungen sind
schließlich herausragende Dokumente der durch den
»principe del disegno« revolutionierten Theorie
und Praxis des Kunstschaffens in der Renaissance.
In systematischen Strichbildanalysen weist die Arbeit
zugleich nach, daß es sich bei fast allen erhaltenen
teste divine um zeitgenössische Faksimilekopien
handelt, die die Adressaten der Originale, Antonio Mini und
Tommaso de' Cavalieri, zur Schulung ihrer eigenen Hand
ausführten.
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Inhaltsverzeichnis:
Vorwort
Einleitung
I Michelangelos teste divine in den Quellen und
ihre Provenienz
- Vasaris Informationen über die teste divine
Die Michelangelo-Zeichnungen der Medici
Weitere Michelangelo zugeschriebene teste divine:
ihre Authentizität und Provenienz
Erste Indizien für die Funktion der teste:
Michelangelo als Zeichenlehrer
II Disegni finiti
- Geschenkzeichnungen
Disegni finiti im späten Quattrocento
Wertschätzung und Charakteristika hochvollendeter
Zeichnungen
Die Wurzeln hochvollendeter Zeichnungen
Zeichentechnik
Die Bezeichnung und Kategorisierung der teste durch
Vasari und die Forschung
Die teste divine als Lehrzeichnungen
Die Geschenkzeichnungen für Tommaso de' Cavalieri und
Vittoria Colonna
Gezeichnete Kunsttheorie
Selbstreflexive Zeichenkunst: Geschenkzeichnungen und
teste divine im Vergleich
III Original oder Kopie: Strichbildanalysen der teste
divine
- Die Strichbildmerkmale authentischer hochvollendeter
Michelangelo-Zeichnungen
Die Strichbildmerkmale von Faksimilekopien
Das Strichbild der teste divine
- Die Faksimilekopien: Tre teste (Uffizien 599 E);
Furia (Uffizien 601 E); Cleopatra (Casa
Buonarroti 2 F); Marchesa (British Museum
1895-9-15-493)
Das Original: Zenobia (Uffizien 598 E)
IV Zeichenunterricht in Florenz: von Alberti bis Allori
- Die ABC-Methode
ABC-Studien im frühen Cinquecento
Musterzeichnungen
Musterzeichnungen in den großen Florentiner
Malerwerkstätten des Quattrocento
Theorie und Praxis des Zeichenunterrichts: die Bedeutung der
Nachzeichnung
Muster- und Nachzeichnungen von Köpfen
V Antonio Mini als Michelangelos Zeichenschüler
- Minis Lehrjahre in Florenz
Michelangelos Geschenk an Mini und Minis Jahre in Frankreich
Die Michelangelo-Zeichnungen in Minis Besitz
- Minis zeichnerisches Werk
Minis Anfängerzeichnungen
Fälschlich Minis Unterrichtung zugeordnete Zeichnungen
Minis Federzeichnungen
Minis Kreidezeichnungen
VI Minis Zeichnungen von teste und donne
divine
- Ashmolean Museum, Parker 323
British Museum 1859-6-25-561
Uffizien 599 E: Tre teste
British Museum 1895-9-15-493: Marchesa
Louvre 684
Uffizien 598 Ev: Zenobia-Verso
British Museum 1859-6-25-547
Windsor 12766v
Uffizien 603 E; Louvre 12299
Uffizien 601 E: Furia
Die Cleopatra und der Conte: Fragliche
Mini-Zuschreibungen
- Casa Buonarroti 2 F: Cleopatra
British Museum 1895-9-15-492: Conte
- Sonstige Bildniszeichnungen
- Casa Buonarroti 3 F
Ashmolean Museum, Parker 322
Ashmolean Museum, Parker 316
Casa Buonarroti 32 A
VII Tommaso de' Cavalieri als Michelangelos
Zeichenschüler
- Casa Buonarroti 2 F: Cleopatra
Windsor 12764; Ashmolean Museum, Parker 315
VIII Motiv und Funktion: die teste divine als
vorbildliche concetti
- Michelangelos Ablehnung des ritratto
Vasaris giudizio universale und Michelangelos alta
fantasia
Das phantastische Idealbildnis im Dienst der Zeichenlehre
Michelangelo als Zeichenschüler
Michelangelos Verständnis von Kunstlehre
Exkurs: Die Faksimilekopie und ihre Wertschätzung
IX Die teste-Motive und das Idealbildnis im
Quattro- und Cinquecento
- Definition der teste-Motive
- Die weiblichen teste divine
Furia
Conte
- Vorläufer der teste-Motive
- Bildnisse auf Münzen, Medaillen und Gemmen
Kriegerbildnisse und teste all'antica im Quattrocento
- Die maniera der teste divine
Theorie der Idealbildniskunst
Das Idealbildnis in Italien: 1470–1530
- Zur zeitgenössischen Bezeichnung von Idealbildnissen
Porträt und Idealbildnis in Florenz
- Michelangelos Heldinnen
Teste divine von Verrocchio und Leonardo
Das Ideal des Häßlichen: der Furia-Kopf
und Leonardo
Motivische Parallelen in Michelangelos Gesamtwerk
Exkurs: Zur Bewertung von Michelangelo-Zeichnungen
- Das kennerschaftliche Urteil am Beispiel der teste
divine
Degenharts Graphologie der Handzeichnung
Perrigs Strichbildanalyse: Darstellung und Kritik der
Methode
Die Sicherung authentischer Michelangelo-Zeichnungen:
Perrigs Verfahren und dessen Schwachstellen
Kritische Anmerkungen zu Perrigs Definition von
Michelangelos Zeichenkunst
Resümee
Literaturverzeichnis
Konkordanz
Register
- Personenregister
Ortsregister
Sachregister
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Einleitung (Auszug):
Michelangelo fertigte eine bemerkenswerte Anzahl
hochvollendeter Zeichnungen (disegni finiti), unter
denen besonders die sogenannten Geschenkzeichnungen
(presentation drawings) herausragen. Eindrucksvoll
dokumentieren diese Arbeiten die hohe Wertschätzung,
die er der Zeichenkunst entgegenbrachte, noch bevor Vasari
den disegno zum geistigen Vater der Künste
erhob. Michelangelo führte seine Freundschaftsgaben,
anspruchsvolle Kompositionen mythologischen und biblischen
Inhalts (Abb. 13, 14, 19–26), so vollkommen aus,
daß sie schon von den Zeitgenossen als autonome
Meisterwerke verehrt wurden. Indem er mit dem Kreidestift
Bravourstücke schuf, nobilitierte er das Medium
Zeichnung. Er löste es souverän aus seiner
angestammten funktionalen Bindung an das Studium und die
Werkvorbereitung. Deutlicher als je ein Werk zuvor
rückten Michelangelos disegni finiti den
Eigenwert von Zeichnungen ins allgemeine Bewußtsein,
obwohl sie eigentlich Exempel seines nicht-öffentlichen
Kunstschaffens sind. Die Forschung schenkte den
presentation drawings auch außerhalb der
großen Werkverzeichnisse und Katalogarbeiten
wiederholt ihre Aufmerksamkeit. Zahlreiche Studien befassen
sich mit der Deutung der Motive und Funktionen dieser
Tommaso de' Cavalieri und Vittoria Colonna gewidmeten Werke.
Eine andere Gruppe hochvollendeter
Michelangelo-Zeichnungen, die von der der presentation
drawings zu trennen ist, wurde bislang vergleichsweise
wenig beachtet. Es handelt sich dabei um eine Reihe zumeist
phantastisch geschmückter Kopfstudien
(Abb. 1–11, 16–18), die Vasari in der
Michelangelo-Vita als »teste divine« rühmt
und deren innovatives Formenvokabular stark auf die folgende
Künstlergeneration wirkte; eine Vielzahl an Kopien und
Nachahmungen spiegelt die ihnen entgegengebrachte
Bewunderung. Das kennerschaftliche Urteil über die
teste divine hingegen war verschiedentlich sogar von
Geringschätzung geprägt. Forscher wie Bernard
Berenson (1865–1959) und Charles de Tolnay
(1899–1981) konnten sich grundsätzlich nur schwer
mit den disegni finiti anfreunden. Die hohe
Präzision, die der Faszination dieser Werke
zugrundeliegt, widersprach der vom Geniekult verzerrten
Vorstellung einer Meisterzeichnung. Eine Zeichnung erschien
den genannten Autoren vor allem dann reizvoll und
aussagekräftig, wenn sie als eine spontan gesetzte und
eilig ausgeführte Skizze ein improvisiertes, aber
treffsicheres Abbild imaginierter Formen liefert. Die
teste divine, die anders als die Geschenkzeichnungen
keine komplexen Gedanken der Liebe und des Glaubens
transportieren, waren der Kennerschaft vermutlich viel zu
banal, als daß sie es für lohnend hielt, deren
Ursprüngen und tieferen Intentionen nachzugehen.
Dennoch fehlte es zugleich niemals an Gespür für
die besondere Attraktivität der
teste-Erfindungen. So ist zum Beispiel bei Luitpold
Dussler (1895–1976) noch dieselbe Begeisterung
für die entrückte Schönheit der prachtvoll
ausgestatteten Frauenköpfe zu spüren, die Henry
Thode (1857–1920) zu euphorischen Beschreibungen
derselben antrieb.
Die teste divine wurden aufgrund ihres hohen
Vollendungsgrades bis in die jüngste Zeit immer wieder
als Untergruppe der presentation drawings
klassifiziert. Von maßgeblicher Bedeutung war dabei,
daß die Quellen ihre Herkunft aus dem Besitz der
Michelangelo-Freunde Gherardo Perini und Tommaso de'
Cavalieri verbürgen. Gestützt auf Vasaris
Überlieferung etablierte sich die These, daß die
Kopfstudien die dilettantischen Zeichenübungen ihrer
Empfänger unterstützen sollten. Sie galten als
Geschenk- und Lehrzeichnungen, die Michelangelo seinen
»amici-allievi« verehrte. Die Annahme, daß
die Rückseiten der teste-Blätter in
mindestens zwei Fällen Skizzen von Meister- und von
Schülerhand vereinen, und weitere zugeschriebene
Studienzeichnungen weckten Interesse an Michelangelos
Aktivität als Vermittler der Zeichenkunst. Konkrete
Antworten auf die Frage, warum und in welchen
Zusammenhängen er seinen Freunden nun ausgerechnet
exempla außergewöhnlicher Idealbildnisse
zeichnete, vermochte die Forschung aber nicht zu geben.
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Resümee (Auszug):
Zwei Freunde Michelangelos, Gherardo Perini und Tommaso
de' Cavalieri, gehörten zu der kleinen Gruppe von
Auserwählten, denen der divino hochvollendete
Zeichnungen zum Geschenk machte. Laut Vasari waren sie im
Besitz einiger Blätter mit teste divine, von
denen insgesamt vier noch zu Lebzeiten Michelangelos in die
Medici-Sammlung gelangten. Obwohl die im Inventar der
Sammlung beschriebenen teste mit
Michelangelo-Zeichnungen auf vier Blättern zu
identifizieren sind, die sich bis heute in Florenz befinden
(Abb. 1–6, 9), können wir nicht davon
ausgehen, daß es sich bei diesen um die Originale
handelt. Weder die nahezu zweifelsfreie Provenienz noch die
Belobigung durch Vasari garantieren die Zeichnungen als
eigenhändige Arbeiten. Daß besondere Skepsis
geboten ist, belegen zwei von Marcello Venusti gefertigte
cartonetti (Abb. 34, 35), die Cosimo I. de'
Medici im Mai 1564 als Michelangelo-Originale entgegennahm.
Er verdankte sie der Vermittlung Vasaris, der die
vermeintlichen Meisterwerke bald darauf pflichtschuldig zu
Pretiosen verklärte.
Von Perinis stolzer Besitzanzeige auf dem
Furia-Blatt (Abb. 5) über Cavalieris
schmerzvolle Trennung von seiner Cleopatra
(Abb. 6) bis zu Vasaris rühmender Bezeichnung der
Darstellungen deutet alles darauf hin, daß die
teste divine unmittelbar als autonome Kunstwerke
geschätzt wurden. Der durch ihre Perfektion geblendete
Betrachter vermutet deshalb eine funktionale Verwandtschaft
der Kopfstudien zu den viel bewunderten Geschenkzeichnungen
und reagiert mit Befremden auf Vasaris Hinweis, sie
hätten der Zeichenlehre gedient. So wie zuvor Jacopo
Bellini, Mantegna, Francia, Botticelli und Leonardo nutzte
Michelangelo das Potential seiner Zeichenkunst, um Werke zu
erstellen, die das Medium Zeichnung aus seinen üblichen
Zweckbindungen lösten. Die hochvollendete Zeichnung
wurde um 1500 als das Darstellungsmittel entdeckt, das die
Möglichkeit eröffnete, innovative, aus freier
Kreativität gewonnene concetti so umzusetzen,
daß sie im privaten Rahmen als kostbare
Kabinettstücke Bewunderung fanden. Künstler wie
Sammler lernten den hohen Kunstwert der disegni
finiti schätzen. Ihnen war bewußt, daß
das gezeichnete Bild ein besonders unmittelbares Zeugnis von
der Inspiration und Imagination seines Schöpfers gibt.
Obwohl auf dieser Einsicht auch die später etablierte,
moderne Bewunderung von Skizzen ruht, galt das Interesse
zunächst vor allem Reinzeichnungen, die niemals Teil
eines Werkprozesses waren.
Die sogenannten presentation drawings, die
Michelangelo für Tommaso de' Cavalieri und Vittoria
Colonna zeichnete (Abb. 13, 14, 19–26),
offenbaren sich als sehr durchdachte Bekenntnisse seiner
neoplatonisch gefärbten Erkenntnissehnsucht. Der Inhalt
der mythologischen und biblischen Darstellungen bedingt die
Art ihrer Umsetzung. Michelangelo signalisiert durch die
präzise Ausarbeitung, wie hingebungsvoll er der im
jeweiligen Motiv angelegten Botschaft verbunden ist. Er
macht dem Betrachter begreiflich, daß das gezeichnete
Ideal ein Spiegelbild der bellezza divina ist, die
ihn zu seinen Schöpfungen inspiriert. Die
Empfänger der Blätter sollten spüren,
daß die darauf niedergezeichneten concetti
Ergebnisse der kreativen Kraft sind, die er aus der
Verbindung zu ihnen und damit aus göttlicher
Schönheit und Liebe gewinnen konnte. Über eine
fein differenzierte Abstufung der Ausarbeitung
– vom non finito der skizzenhaften
Randpartien bis zur hohen Vollendung im Zentrum der
Darstellungen – gibt Michelangelo mit seinen
disegni finiti zudem einen Eindruck von dem
Prozeß seiner schöpferischen Arbeit. Das
heißt: Er illustriert seiner Überzeugung
gemäß kaum weniger eindringlich als bei den
meisten seiner Skulpturen, wie seine durch begnadeten Geist
gelenkte Hand aus der ihr dienstbaren Materie die
imaginierte Form gewinnt.
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Rezensionen:
»Schumacher hat [...] ein unverzichtbares neues
Grundlagenwerk vorgelegt.«
Ulrich Pfisterer, Online-Rezension in
www.sehepunkte.de
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The Burlington Magazin 2009.
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