Aus dem Inhalt / from the book:
(Siehe
auch das PDF mit ausgewählten Originalseiten aus dem Buch/
also see the PDF with selected original pages from the book)
Kurzzusammenfassung/short summary
Inhaltsverzeichnis / table of contents
Einleitung
Zielsetzung der Arbeit
Zusammenfassung
Résumé en Français
Kurzzusammenfassung/short summary
Die frühgotische Skulptur an der Westfassade der
Kathedrale von Sens spielt eine zentrale Rolle innerhalb der
Entwicklung der gotischen Plastik Frankreichs. Sie gilt
heute zusammen mit Laon als das führende
Bildhauerzentrum des antikisierenden Stils um 1200.
Entscheidende Fragen des ikonographischen Programms, der
internen Chronologie der Skulptur und ihres
Verhältnisses zum Bildschmuck anderer gotischer
Kathedralen blieben indes offen. Diesen Fragen geht die
vorliegende Publikation in einer ausführlichen
systematischen Abhandlung nach. Sie lüftet das
Geheimnis des Reliquienzyklus in der äußeren
Archivolte des Johannesportals und klärt die
ursprüngliche Thematik des verlorenen Bogenfeldes sowie
der noch vorhandenen Sockelreliefs am Mittelportal. Ferner
befasst sie sich mit den unterschiedlichen Stilbefunden am
linken Seitenportal und am Mittelportal sowie deren
Voraussetzungen in der Skulptur jener Zeit. Dabei wird die
bislang gültige interne Chronologie der Senser
Portalskulptur korrigiert. Durch den Vergleich der Senser
Skulptur mit derjenigen von Senlis, Mantes, Chartres, Paris
und Laon ergeben sich neue Aufschlüsse über die
Entwicklung der gotischen Skulptur Frankreichs. Für die
Datierung der Kathedralskulptur in Sens ergeben sich neue
präzise Anhaltspunkte. Auch zur Klärung der
umstrittenen Chronologie der Chartreser Querhäuser
trägt die Arbeit bei. Bei der Herleitung der Werkstatt
des Johannesportals findet nun auch die einheimische
Bildhauertradition Berücksichtigung. Die bislang in der
Forschung vertretene Meinung, ganze Bildhauerateliers seien
nach Beendigung eines Projekts geschlossen zur nächsten
Baustelle gewandert, erweist sich als nicht zutreffend.
[nach oben / top]
Inhaltsverzeichnis / table of contents
Vorwort
Einleitung
Stand der Forschung
Zielsetzung der Arbeit
Stadtgeschichte
Bau- und Restaurierungsgeschichte
- 1 Vorgeschichte
2 Errichtung der gotischen Kathedrale
- 2.1 Historische Baunachrichten
2.2 Früheste Kapitellskulptur
2.3 Westfassade
- 3 Der Einsturz des Südturms und seine Folgen
4 Fortbau und Vollendung der Türme
5 Wiederherstellung und Instandhaltung
Portalstruktur
Ikonographie
- 1 Johannesportal
- 1.1 Bogenfeld und Archivolten
- Einführung
Bogenfeld
Archivolten
Resümee
- 1.2 Gewände und Sockelzone
- 2 Sockelzone des Mittelportals
- 2.1 Artes Liberales
2.2 Kalenderzyklus
2.3 Über Laster triumphierende Tugenden
2.4 Zodiakus(?)
2.5 Die Welt des Menschen nach dem Sündenfall und vor dem Zeitalter der Gnade
2.6 Jahreszeiten und Sapientia
2.7 Resümee
- 3 Obere Partien des Mittelportals und Skulptur vom Fassadenobergeschoß
- 3.1 Was beinhaltete das ehemalige Bogenfeld des Mittelportals?
3.2 Exkurs zur Entwicklung des Jüngsten Gerichts in der gotischen Kathedralskulptur von Saint-Denis bis zum Nordquerhaus in Reims
3.3 Obere Partien des Mittelportals
- Das Christusbild
Archivolten
Türpfosten und Zwickelmedaillons
Gewändefiguren
- 3.4 Rekonstruktion des gesamten Mittelportalprogramms
3.5 Skulptur am Fassadenobergeschoß
3.6 Zusammenfassung
Skulpturenstil
- 1 Bogenfeld und Archivolten des Johannesportals
2 Mittelportalsockel
3 Sockel des Johannesportals
4 Obere Partien des Mittelportals
5 Zusammenfassung
Stilistischer Vergleich mit den Skulpturenkomplexen des letzten Viertels des 12. und ersten Viertels des 13. Jahrhunderts
- 1 Woher kam die Werkstatt des Johannesportals? Auf der Suche in Mantes, Senlis, Burgund, Châlons-en-Champagne und Sens
2 Der Brand der Kathedrale von Chartres und seine Bedeutung für die Datierung der Senser Portalskulptur – unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen dem Senser Johannesportal, dem Hiob-Salomo-Portal und dem Gerichtsportal in Chartres
3 Die Beziehungen zwischen dem Sockel des Pariser Weltgerichtsportals und der Skulptur der Senser Westfassade
- 3.1 Bezüge zum Mittelportalsockel
3.2 Bezüge zum Sockel des Johannesportals
3.3 Bezüge zu den oberen Partien des Senser Mittelportals
- 4 Die Kathedralskulptur von Sens und Laon und der jeweilige Einfluß der Antike
5 Verwandtschaft zwischen der Chartreser Querhausskulptur und den oberen Partien des Senser Mittelportals
Die Datierung der Senser Westportale
Anhänge
- 1 Saint-Pierre-le-Vif
2 Sainte-Colombe-lès-Sens
3 Katalog der Skulpturenfragmente
Zusammenfassung
Résumé en Français
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abbildungsnachweis
Personenregister
Ortsregister
[nach oben / top]
EINLEITUNG (Auszug)
Unser bisheriges Bild von der gotischen Skulptur Frankreichs
ist stark von Willibald Sauerländers Forschungen
geprägt. Ihm ist es zu verdanken, daß wir das
reiche Material heute relativ problemlos erschließen
können, und zwar sowohl über das auch ins
Französische und Englische übersetzte Standardwerk
»Gotische Skulptur in Frankreich. 1140–1270«
als auch über eine Vielzahl von Einzelpublikationen.
Leider hat der leichte Zugang über die Literatur zu den
Objekten die Forschung seither nicht etwa belebt – wie
es wünschenswert gewesen wäre –, sondern
fast gänzlich zum Erliegen gebracht. ...
Zu Sens und Laon, die von Sauerländer als die
bedeutendsten Zentren des antikisierenden Stils um 1200
bezeichnet wurden und die seither als Ausgangspunkt der
Chartreser Skulptur gelten, fehlt hingegen eine
systematische Untersuchung und das, obwohl Sauerländer
selbst eingestand, daß hier noch einige Fragen offen
sind und diese sogar selbst formulierte. Vereinzelt wurden
Magisterarbeiten zur Skulptur an den Westportalen der
Kathedralen von Laon und Sens angefertigt ...
Zu Beginn meiner Dissertation zur frühgotischen
Skulptur der Senser Westfassade versprach ich mir sowohl in
stilistischer als auch in ikonographischer Hinsicht neue
Einsichten. Denn obgleich sich Sauerländer bereits
mehrfach mit der Senser Portalskulptur auseinandergesetzt
hat, näherte er sich ihr doch immer nur unter dem
Blickwinkel einer speziellen Fragestellung an, die niemals
Sens selber zum zentralen Thema hatte. Deshalb sind viele
Aspekte bislang unbeachtet geblieben. Diesen im Rahmen einer
Monographie nachzuspüren, war mein Ziel. Damals ahnte
ich noch nicht, daß die Erkenntnisse, die ich dabei
gewinnen sollte, es erforderlich machen würden, das
derzeitige Bild von der Entwicklung der gotischen Skulptur
Frankreichs zu korrigieren. Statt der linear
voranschreitenden, parallellaufenden
Entwicklungsstränge, wie sie Sauerländer z.B. von
der Porte des Valois in Saint-Denis über das linke
Westportal und das Bogenfeld des Mitteleingangs in Mantes
zum Senser Johannesportal oder von den Senser Westportalen
über die Chartreser Querhäuser und Burgund nach
Straßburg rekonstruiert hat, nehme ich nunmehr eine
zumindest temporäre Gleichzeitigkeit der
Großprojekte von Sens, Paris, Laon, Mantes und der
Chartreser Querhäuser an. Damit wird die Annahme, ganze
Bildhauerateliers seien nach Abschluß eines
Skulpturenensembles geschlossen zur nächsten
Kathedralbaustelle gewandert, hinfällig. Vielmehr
muß es bereits während der Ausführung der
jeweiligen Skulpturenportale zu gegenseitigem Austausch
zwischen den einzelnen Bildhauerwerkstätten gekommen
sein, wie dieser auch immer geartet gewesen sein mag. Auf
ein solches Vorgehen deutet auch der einzige dokumentierte
französische Fall jener Zeit hin. ...
Wenn die Zusammenhänge im Stil einzelner
Skulpturenensembles aber nicht durch die Wanderung
arbeitslos gewordener Bildhauer bedingt sind, müssen
diese auch nicht mehr wie bisher in 5- bis
10-Jahres-Schritten datiert werden. Extreme zeitliche
Abstände, wie sie z.B. zwischen dem Westportal von
Senlis und dem Hiob-Salomo-Portal in Chartres auftreten
– trotz stilistischer Analogien sollen sie nach
gegenwärtiger Ansicht über 50 Jahre
auseinander liegen –, schrumpfen auf diese Weise
wieder etwas zusammen.
Am Senser Johannesportal läßt sich die
Handschrift eines Bildhauers nachweisen, der sich in der
Gestaltung von Oberflächen und Gewändern als sehr
flexibel erwies und neben anschmiegsame Kleidung, welche die
Körperformen auf natürliche Weise herausarbeitet,
von schematischen Stilformeln durchdrungene Gewänder
setzte. ...
Von besonderem Interesse waren im Zusammenhang mit Sens die
Beziehungen der Goldschmiedekunst und Buchmalerei des
Maasgebietes zur Monumentalskulptur. Sauerländer
schätzte die Bedeutung dieser Gattung als
Inspirationsquelle für die Monumentalskulptur des
achten und neunten Jahrzehnts des 12. Jahrhunderts sehr
hoch ein. Die ältere Werkstatt des Senser
Johannesportals soll ihr Vokabular im wesentlichen aus der
Maaskunst bezogen haben. Den Impetus zum Stilwandel von den
Archivolten des Johannesportals zu den oberen Partien des
Senser Mittelportals vermutete Sauerländer, ohne es
selbst nachweisen zu können, in der Glasmalerei der
Senser Kathedrale. Geht man hingegen von der
Gleichzeitigkeit verschiedener Werkstätten an
unterschiedlichen Kathedralorten aus, so erklärt sich
dieser Umschwung – wie vermutlich auch der von
Sauerländer bemerkte aber nicht erklärte
Stilwandel am Epiphanieportal in Laon – durch
Einflüsse monumentaler Bildwerke an anderen
Kathedralen. ...
Durch alle Untersuchungen hindurch blieb die Datierung der
Senser Skulptur stets mein wichtigstes Anliegen. In der
jüngeren Forschung hat Nurith Kenaan-Kedar aufgrund
ikonographischer Beobachtungen am Johannesportal
vorgeschlagen, es in die Amtszeit des Senser Erzbischofs
Wilhelm von Champagne (1169–1176) vorzudatieren, und
stützte ihre These mit einer Äußerung
Jacques Henriets, nach der die Fassade bereits 1176, wenn
auch vielleicht noch provisorisch, abschließbar
gewesen sein muß. Die formale und stilistische Analyse
der Bauplastik bestätigt diese Frühdatierung
nicht! Sie verlangt vielmehr eine zeitliche Nähe zu den
Chartreser Querhausportalen ...
Mit dieser Dissertation stelle ich also ein neues Bild von
der Entwicklung der gotischen Skulptur Frankreichs zur
Diskussion und hoffe auf eine Wiederbelebung der
wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dieser aufgrund
der hohen künstlerischen Qualität ihrer Werke
überaus interessanten Thematik. ...
[nach oben / top]
ZIELSETZUNG DER ARBEIT (ohne Anmerkungen)
Die vorliegende Arbeit versteht sich als die erste
systematische Analyse der frühgotischen Skulptur der
Senser Westfassade. Sie beschäftigt sich mit der
Skulptur am Johannesportal, am Mittelportal und am
Fassadenobergeschoß. Nicht berücksichtigt werden
die Marienpforte sowie das Bogenfeld des mittleren Eingangs,
weil beide nach dem Einsturz des Südturms im Jahr 1268
erneuert wurden.
Nach einer wissenschaftlichen Einführung in die
Stadtgeschichte, welche dem Ortsfremden die notwendigen
Grundkenntnisse vermitteln soll, gliedert sich die weitere
Arbeit in vier Teile: die Bau- und Restaurierungsgeschichte
der Westfassade, die Portalstruktur, die Ikonographie und
den Skulpturenstil.
Im Kapitel zur Baugeschichte soll zunächst die
frühe Kapitellskulptur aus dem Inneren der Kathedrale
behandelt werden, um die unmittelbaren Voraussetzungen der
Fassadenskulptur und ihre Eigenschaften zu ergründen.
Der anschließende Teil ist der Architektur der
Westfassade gewidmet, weil zu erwarten ist, daß sie
Aufschlüsse über die Genese der Portale und ihrer
skulpturalen Ausstattung liefert. Es gilt zu klären, ob
der Stadtbrand von 1184 Spuren an ihr hinterlassen hat und
damit tatsächlich als terminus post quem
für die Entstehung der Portale in Frage kommt. Die
ursprüngliche Architektur der Westfassade vor ihrer
teilweisen Erneuerung Ende des 13. Jahrhunderts zieht
damit zum ersten und sicherlich nicht zum letzten
Mal das Interesse eines Wissenschaftlers auf sich.
Erleichtert wird ihre Analyse durch neue, bislang
unpublizierte Bauaufnahmen, mit denen Collette die
jüngste Restaurierung vorbereitet hat. Dabei handelt es
sich um zwei Grundrisse und einen Schnitt durch den Nordturm
sowie um einen Aufriß der Westfassade. Dank Collette
läßt sich auch die Restaurierungsgeschichte des
19. Jahrhunderts inzwischen ohne große Probleme
nachvollziehen. Die von ihm wiederentdeckte Fassadenansicht
des 18. Jahrhunderts spielt bei der Rekonstruktion des
ursprünglichen Skulpturenprogramms am
Fassadenobergeschoß eine große Rolle.
Ergänzt wird sie um ein Photo des Mittelportalsockels
vor seiner Restaurierung Ende des 19. Jahrhunderts aus
dem Archiv des »Centre des Monuments Nationaux« in
Paris.
Im folgenden Kapitel wird die Struktur der
frühgotischen Senser Westportale in ihr
kunsthistorisches Umfeld eingegliedert und gezeigt, welche
unterschiedlichen Traditionen in ihnen fortleben.
Die ikonographische Analyse konzentriert sich auf drei
Fragen. Zuerst geht es darum, das Geheimnis des bislang
nicht befriedigend ausgedeuteten Reliquienzyklus' in der
äußeren Archivolte des Johannesportals zu
lüften und die richtige Leserichtung des Portals
aufzuzeigen, damit das Gesamtprogramm der Täuferpforte
verständlich wird. Beim Mittelportal empfiehlt sich
eine andere Form der Herangehensweise, weil die
Fragestellungen komplizierter liegen. Unter Hinzuziehung
bislang unbeachtet gebliebener historischer Beschreibungen
werden die zum Teil stark beschädigten Darstellungen am
Gewände- und Trumeausockel des Mittelportals
rekonstruiert und gedeutet. Das alte Problem, ob der
mittlere Sockelstreifen eine Kosmographie darstellt oder
aber ihm eine moralische Thematik zugrunde liegt, soll
geklärt werden.
Das Programm der oberen Mittelportalpartien ist hingegen eng
mit der Skulptur am Fassadenobergeschoß verbunden,
weshalb beides gemeinsam betrachtet werden muß. Die
entscheidende Frage lautet, ob das ursprüngliche
Tympanon des Mittelportals einst ein Jüngstes Gericht
oder eine Heiligenthematik darstellte. In diesem
Zusammenhang spielen drei Punkte eine entscheidende Rolle:
1) die zu Beginn des 13. Jahrhunderts einsetzende
Zergliederung eines vielschichtigen Gottesbildes in der Art
des Saint-Deniser Mittelportals in verschiedene, axial
übereinander angebrachte Gottesbilder, die jedes
für sich eine bestimmte Eigenschaft des Gottes
versinnbildlichen. Am perfektesten ist diese Idee an
der südlichen Fassade des Chartreser Querhauses
umgesetzt, doch auch in Sens scheint es Ansätze dazu
gegeben zu haben. 2) Die Unterscheidung zwischen
gegenwärtiger und endzeitlicher Eschatologie und
3) das im 18. Jahrhundert eingeschmolzene, jedoch
per Zeichnung überlieferte, goldene Altarantependium
der Senser Kathedrale, in dem sich ein Abbild des
ursprünglichen Fassadenprogramms erkennen
läßt.
Abschließend wird das Skulpturenprogramm des
Mittelportals noch einmal zusammengefaßt und mit den
Darstellungen an den Seitenportalen und dem
Fassadenobergeschoß die Gesamtbotschaft der
Westfassade rekonstruiert.
In der Stilanalyse steht zunächst die interne
Chronologie der Senser Portalskulptur im Vordergrund.
Nachdem die Skulptur charakterisiert und ihre
Veränderungen aufgezeigt worden sind, wird sie mit den
Skulpturenkomplexen des letzten Viertels des 12. und ersten
Viertels des 13. Jahrhunderts verglichen. Um die
Herkunft der Werkstatt des Johannesportals zu ermitteln,
werden Vergleiche mit den Westportalen der Manter
Kollegiatskirche, der Kathedrale von Senlis, burgundischen
Bildwerken, dem Kreuzgang aus Châlons-en-Champagne und
sechs Säulenfiguren im Senser Museum geführt.
Dabei zeigt sich, daß die bisherige Ableitung der
Senser Werkstatt aus Mantes nicht haltbar ist und statt
dessen die Portale beider Kirchen streckenweise gleichzeitig
geschaffen worden sein müssen. Dies widerspricht der
weit verbreiteten Theorie, die Beziehungen zwischen den
gotischen Skulpturenportalen seien durch wandernde
Werkstätten zustande gekommen und die Portale
müßten in linearer Abfolge nacheinander
geschaffen worden sein. Vergleiche der Senser Portalskulptur
mit dem Sockel des Pariser Weltgerichtsportals und den
Chartreser Querhäusern führen zu derselben
Erkenntnis.
Da in Chartres mit dem Brand der Kathedrale im Jahr 1194 der
einzige Fixpunkt zur Entstehung eines Skulpturenkomplexes
jener Zeit gegeben ist, muß das Senser Ensemble aus
dem Vergleich mit Chartres heraus datiert werden. Deshalb
nimmt er besonders viel Raum ein. Anschließend wird
die daraus gewonnene Datierung unter Hinzuziehung einer
schriftlich überlieferten Reliquientranslation, der
Siegelabdrücke zweier Senser Erzbischöfe, der
Schlußweihe von Notre-Dame in Senlis, der Reimser
Skulptur, für die durch den Brand der Kathedrale 1210
eine weitere sichere Untergrenze existiert, und einiger
italienischer Bauten, wie dem Baptisterium in Parma,
überprüft. Am Ende erscheint nicht nur die
Senser Portalskulptur, sondern auch diejenige von Chartres
in neuem Licht.
Parallelen zur Goldschmiedekunst und zur Glasmalerei werden
nur dort berücksichtigt, wo sie entsprechend
interessant sind, weil sich z.B. die Verwendung der gleichen
Musterbuchvorlage nachweisen läßt. Vor allem
zeigen die Vergleiche, daß sich die Steinbildhauer mit
sehr viel komplizierteren Problemen auseinandergesetzt haben
als die Kleinkünstler, weshalb ihr Hauptausgangspunkt
immer die ältere Monumentalskulptur gewesen sein
muß.
Um die Kathedralskulptur nicht wie sonst üblich vor
allem im Kontext der mittelalterlichen Großbauten zu
betrachten, sondern auch ihre Verwurzelung in und ihren
Einfluß auf die nähere Umgebung zu zeigen, soll
im Anhang überdies die Skulpturenausstattung der beiden
verschwundenen Abteikirchen der Stadt, Sainte-Colombe und
Saint-Pierre-le-Vif, rekonstruiert werden.
Abschließend werden in einem Verzeichnis
sämtliche bekannten von der Kathedrale stammenden oder
mit ihrer Portalplastik verwandten Skulpturenfragmente
zusammengetragen, um zukünftiger Forschung den Zugang
zu diesen über alle Welt verstreuten Kunstwerken zu
erleichtern.
[nach oben / top]
ZUSAMMENFASSUNG (Auszug ohne Anmerkungen)
Die vorliegende Untersuchung zur frühgotischen Skulptur
an der Westfassade der Kathedrale von Sens befaßt sich
mit einem klassischen Thema der französischen Gotik,
spielt doch die Kathedrale von Sens eine zentrale Rolle
innerhalb der Entwicklung der gotischen Plastik Frankreichs.
Wenngleich die Thematik auch in der neueren Forschung
wiederholt behandelt wurde, so blieben doch bis heute
entscheidende Fragen, insbesondere hinsichtlich des
ikonographischen Programms, der internen Chronologie der
Skulptur und ihres Verhältnisses zum Bildschmuck
anderer gotischer Kathedralen offen. Diesen Fragen in einer
ausführlichen systematischen Abhandlung nachzugehen,
war das Ziel dieser Arbeit.
Beabsichtigt war unter anderem, das Geheimnis des bislang
nicht befriedigend ausgedeuteten Reliquienzyklus in der
äußeren Archivolte des Johannesportals zu
lüften und die richtige Leserichtung des Portals
aufzuzeigen. Am Mittelportal galt es, die
ursprüngliche Thematik des verlorenen Bogenfeldes sowie
der noch vorhandenen Sockelreliefs zu klären. Zum
Abschluß sollte das Gesamtprogramm des
Skulpturenschmucks der Fassade entschlüsselt werden. In
der Stilanalyse war vorgesehen, dem noch ungeklärten
Problem der unterschiedlichen Stilbefunde am linken
Seitenportal und am Mittelportal sowie deren Voraussetzungen
in der Skulptur jener Zeit nachzugehen. Ferner war
beabsichtigt zu prüfen, inwieweit Einflüsse aus
der Goldschmiedekunst und der Glasmalerei in der
Kathedralskulptur wirksam geworden sind. Da die Skulptur in
Sens in enger Beziehung zu den Skulpturenportalen in Senlis,
Mantes, Paris, Laon und Chartres steht, war zu erwarten,
daß sich durch die Gewinnung präziser Daten
für die Senser Skulptur auch neue Aufschlüsse
über die Werkstattzusammenhänge innerhalb dieses
umfangreichen Skulpturenkomplexes ergeben würden.
Dem Hauptteil der vorliegenden Untersuchung gehen ein
Abriß über den Forschungsstand, ein Ausblick auf
die Stadtgeschichte sowie ein Überblick über die
Baugeschichte der Kathedrale einschließlich ihrer
Vorgeschichte voraus. Außer auf die historischen
Baunachrichten wird dabei auf die früheste
Kapitellskulptur im Chorumgang der Kathedrale eingegangen.
...
In dem Kapitel über die Beschädigung und
Wiederherstellung der Westfassade werden auch die am
Skulpturenschmuck der Fassade vorgenommenen
zerstörerischen und restauratorischen Eingriffe
rekonstruiert. Mit den bislang wiedergewonnenen
Skulpturenfragmenten der Kathedrale, einer bislang
unveröffentlichten Fassadenansicht aus dem Jahr 1726
sowie der ebenfalls unpublizierten Dokumentation des
Chefrestaurators Bernard Collette zur Restaurierung der
Westfassade in den Jahren 1989 bis 1998 finden dabei
gänzlich neue Unterlagen Berücksichtigung.
Mit der Analyse der Portalstruktur beginnt der Hauptteil der
Arbeit. Es wird herausgearbeitet, daß eine von
burgundisch-champagnesken Wurzeln ausgehende Werkstatt,
welche die oberen Teile des Johannesportals schuf, sich mit
fortschreitender Zeit zunehmend dem Stil der
Île-de-France öffnete. ...
Bei der Untersuchung des ikonographischen Programms ergeben
sich neue Lesarten einzelner Figuren bzw. Szenen sowie eine
neue Gesamtinterpretation des Programms. ...
Durch die Einordnung des hier rekonstruierten Bildprogramms
in die allgemeine Entwicklung der Gerichtsthematik an den
gotischen Kathedralfassaden ergibt sich die Neuartigkeit der
Ikonographie in Sens. ...
Eine ausführliche Analyse des Skulpturenstils ergibt
eine Korrektur der bislang gültigen internen
Chronologie der Senser Portalskulptur. ...
Der Vergleich der Senser Skulpturen mit der
Kathedralskulptur in Senlis, Mantes, Paris, Laon und
Chartres ergibt neue Aufschlüsse über die
Entwicklung der gotischen Skulptur Frankreichs. ...
Bei Vergleichen mit den Bildhauerarbeiten der anderen
großen Kathedralen jener Zeit zeigt sich ferner,
daß die bislang in der Forschung vertretene Meinung,
ganze Bildhauerateliers seien nach Beendigung eines Projekts
geschlossen zur nächsten Baustelle gewandert, nicht
zutrifft. ...
Die Datierung der frühgotischen Skulptur an der Senser
Westfassade kann nur rückwirkend aus dem Vergleich mit
den Chartreser Querhäusern erfolgen, ...
Die Anhänge über die skulpturale Ausstattung der
Senser Abteikirchen Saint-Pierre-le-Vif und Sainte-Colombe
sowie der ausführliche Katalog aller mit ihnen oder der
Kathedrale in Zusammenhang stehenden mittelalterlichen
Skulpturenfragmente geben einen umfassenden Überblick
über die innerstädtische Skulpturenproduktion
jener Zeit. ...
Insgesamt sind die neuen Aufschlüsse über die
Ikonographie und den Stil der Senser Skulptur als die
wichtigsten Erkenntnisse dieser Untersuchung zu erachten.
Übergreifend ist die Korrektur des bisher bevorzugten
Modells von der Entwicklung der gotischen Skulptur
Frankreichs von hoher Relevanz. Es wäre
wünschenswert, daß diese Erkenntnisse die
Diskussion über die gotische Skulptur Frankreichs neu
beleben, handelt es sich doch aufgrund der hohen
Qualität der Werke und ihrer engen Verflechtung
miteinander um eine überaus interessante Thematik.
[nach oben / top]
RÉSUMÉ EN FRANÇAIS (extrait)
La présente étude est consacrée
à un thème classique de l'art gothique
français: les sculptures ornant la façade ouest de la
cathédrale de Sens, édifice ayant joué
un rôle central dans le développement de la
statuaire gothique en France. Bien que ce thème
eût été abordé à plusieurs
reprises par des scientifiques dans les dernières
décennies, certains aspects fondamentaux
– notamment l'iconographie, la chronologie des
portails et leur relation avec les uvres ornant d'autres
cathédrales gothiques – sont restés
jusqu'à présent dans l'ombre. Faire la
lumière sur ces points de manière
systématique et complète: tel est le but de la
présente étude.
L'objectif initial était notamment de percer le
secret de l'histoire des reliques représentée
dans la voussure externe du portail Saint-Jean-Baptiste, et
de déterminer le sens de lecture de ce portail dans
son ensemble. En ce qui concerne le portail central,
l'objectif était de présenter le thème
du tympan aujourd'hui disparu, ainsi que celui des
bas-reliefs du soubassement ayant été
conservés. Dans un troisième temps,
l'étude devait viser à déchiffrer
l'ensemble des sculptures de la façade. L'analyse
stylistique devait se consacrer quant à elle à
une question jamais élucidée jusqu'alors: les
différences de style entre le portail gauche et le
portail central. L'étude devait également
considérer les influences qu'ont pu avoir
l'orfèvrerie et les vitraux gothiques sur la
statuaire de la cathédrale. Les sculptures de Sens
étant en étroite relation avec celles des
cathédrales de Senlis, Mantes, Paris, Laon et
Chartres, on pouvait s'attendre à ce que les
données précises recueillies sur Sens
permettent de nouvelles découvertes quant aux
rapports entre les ateliers de sculpteurs de l'époque
gothique.
La partie centrale de l'étude est
précédée d'un chapitre sur
l'état des recherches et d'un résumé de
l'histoire de la ville et de la cathédrale. Ce survol
historique utilisant des documents écrits
présente également l'ornementation des
chapiteaux du déambulatoire du chur, qui fut
influencée tant par la sculpture bourguignonne que
par celle d'Île-de-France.
Un chapitre spécial est consacré aux
dégradations et à la restauration des
sculptures gothiques de la cathédrale de Sens. Ce
chapitre prend en compte non seulement divers fragments
ayant été retrouvés, mais aussi
plusieurs sources inédites, notamment une vue de la
façade en 1726 et divers documents rassemblés par
Monsieur Bernard Colette, inspecteur général
des Monuments historiques et responsable des travaux de
restauration entre 1989 et 1998.
La partie centrale de l'étude débute par une
analyse de la structure des portails. On y met en
évidence le fait que l'atelier bourguignon-champenois
ayant réalisé les uvres de la partie
supérieure du portail Saint-Jean-Baptiste s'ouvrit
progressivement aux influences venues d'Île-de-France.
...
L'étude iconographique fournit de nouvelles
clés de lecture pour certains détails et
permet une nouvelle interprétation de l'ensemble. ...
La comparaison des sculptures de Sens avec celles des
cathédrales de Senlis, Mantes, Paris, Laon et
Chartres donne de nouvelles indications sur
l'évolution de la statuaire gothique en France. ...
La comparaison avec la statuaire d'autres cathédrales
gothiques dément par ailleurs l'idée
communément acceptée selon laquelle des
ateliers complets seraient allés travailler d'une
cathédrale à l'autre. En ce qui concerne la
chronologie, cela signifie notamment que les grands projets
sculpturaux n'ont pas été
réalisés les uns après les autres, mais
parfois en parallèle. ...
Les sculptures de la façade ouest de la cathédrale de
Sens se caractérisent par leurs emprunts
fréquents à l'Antiquité, cette
particularité s'étant sans cesse
affirmée durant les travaux. ...
Les annexes consacrées aux abbayes de Sainte-Colombe
et Saint-Pierre-le-Vif, de même que le catalogue
présentant les fragments de sculptures
médiévales en rapport avec ces églises
ou la cathédrale, donnent une vue d'ensemble de la
production de l'atelier de Sens à l'époque qui
nous intéresse.
D'une manière générale, les
résultats les plus importants de cette étude
sont les découvertes concernant l'iconographie et le
style de la statuaire de Sens. Il est ainsi possible de
corriger l'idée que l'on avait jusqu'alors de
l'évolution de la sculpture gothique en France. Du
fait de la haute valeur des uvres étudiées et
des rapports étroits qui existent entre elles, on
peut espérer que ces découvertes vont relancer
la discussion sur la sculpture gothique française,
thème d'une richesse considérable.
[nach oben / top]
Rezensionen:
»[...] ce travail démontre une rare
maîtrise et comble une grosse lacune.«
Jean Wirth, Online-Rezension in
www.sehepunkte.de
[nach oben / top]
|