Zum Inhalt:
Die Archäologie spielte seit jeher eine besondere
Rolle zwischen Wissenschaft und Politik. Im
19. Jahrhundert waren Großgrabungen an namhaften
antiken Stätten wichtig für das nationale Prestige
als Kulturnation, und die europäische Mächte
lieferten sich einen wahren Wettstreit im Erringen
bedeutender Ausgrabungskonzessionen und großartiger
Ausstellungsstücke für ihre Nationalmuseen. Doch
das ist nicht die ganze Geschichte: Der deutsche
Reichskanzler Otto von Bismarck hob bei der Erhebung des
Deutschen Archäologischen Instituts zur Staatsanstalt
im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auch
hervor, dass die Archäologie eine internationale
Wissenschaft sei, weil sie das gemeinsame kulturelle
Fundament Europas stärke, für die damalige Zeit
erstaunlich moderne Worte! Archäologie stand also schon
sehr früh im Dienste der Politik, doch als Wissenschaft
blieb sie unabhängig. Dies änderte sich nach den
politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen, die das
Ende des Ersten Weltkriegs hervorbrachte. Politische
Ideologien bemächtigten sich der Archäologie und
trachteten danach, Geschichte umzuschreiben, aus der
internationalen Archäologie wurde eine
»hervorragend nationale Wissenschaft«. Sie war
nicht mehr frei und unabhängig und nahm
beträchtlichen Schaden daran.
Doch wo steht die Archäologie in ihrer
gesellschaftlichen und politischen Bedeutung heute?
Internationale Kooperationen und weltweite Vernetzung von
Institutionen und Wissenschaftlern prägen die
Archäologie inzwischen stärker als manch anderes
Fach. Gleichzeitig wächst das Interesse der
Öffentlichkeit an der Entdeckung der frühesten
Vergangenheit des Menschen; die Medienresonanz zeigt dies
ebenso wie der Besucheransturm der Museen. Und die
Archäologie besetzt heute ein weites Feld von
Aktivitäten, die von hoher politischer Bedeutung sind:
Sie hilft bei der Entwicklung in Rückzugsgebieten,
leistet wichtige Beiträge zum sog. Nation
Building und ist oft der effektivste Türöffner
in den Beziehungen zu schwierigen Ländern.
Großgrabungen im Ausland entwickeln sich von
nationalen Außenposten immer mehr zu Knotenpunkten der
internationalen Forschung. Ähnliches gilt für die
archäologischen Sammlungen in den europäischen
Nationalmuseen, die neue Formen des Umgangs und der
Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern erfordern.
Archäologie schlägt kooperative Brücken im
Umgang mit Beutekunst, wo die Politik sprachlos geworden
ist. Archäologie übernimmt Verantwortung, wenn sie
im Kampf gegen illegalen Antikenhandel klar Position
bezieht. Und Archäologie leistet wichtige Beiträge
beim Erfassen ökologischer Krisen und Katastrophen.
Archäologie ist längst zu einem nicht mehr
wegzudenkenden Element einer modernen und
verantwortungsvollen globalen Kulturpolitik geworden.
Zum Autor:
Geboren 1959 in München, Studium der Vor- und
Frühgeschichte, Provinzialrömischen
Archäologie, Alten und Mittelalterlichen Geschichte an
den Universitäten München, Saarbrücken und
Ljubljana. 1985 Promotion und 1991 Habilitation an der
Ludwig-Maximilians-Universität München. 1990
Zweiter Direktor der Römisch-Germanischen Kommission
des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in
Frankfurt am Main, 1995–2003 Gründungsdirektor
der Eurasien-Abteilung des DAI in Berlin. 1996
Honorarprofessor für Prähistorische
Archäologie an der Freien Universität Berlin. 1998
Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
2003–2008 Präsident des Deutschen
Archäologischen Instituts. Seit März 2008
Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Mitgliedschaften in zahlreichen in- und ausländischen
Akademien. 2011 Wahl in den Orden Pour le Mérite
für Wissenschaften und Künste.
Sein wissenschaftliches Hauptinteresse gilt dem
Kulturwandel in Kontaktzonen Europas und Asiens vom 7. bis
zum 1. Jahrtausend v. Chr., unter besonderer
Berücksichtigung der Sesshaftwerdung des Menschen, der
Metallversorgung früher Gesellschaften und der
Entstehung reiternomadischer Lebens- und
Kulturverhältnisse in der eurasischen Steppe.
Buchpublikationen: Chronologie der Späthallstatt-
und Frühlatènezeit. Studien zu
Fundgruppen zwischen Mosel und Save (Weinheim 1989).
– Studien zur Chronologie und Kulturgeschichte der
Jungstein-, Kupfer- und Frühbronzezeit zwischen
Karpaten und Mittlerem Taurus. Römisch-Germanische
Forschungen 52 (Mainz 1993). – Der Goldberg. Die
metallzeitliche Besiedlung. Römisch-Germanische
Forschungen 57 (Mainz 1998). – Das Zinn der
Bronzezeit in Mittelasien I. Die
siedlungsarchäologischen Forschungen im Umfeld der
Zinnlagerstätten. Archäologie in Iran und
Turan 5 (Mainz 2003) (mit N. Boroffka). – Die
Skythen. Reihe Beck Wissen (München 2009/3).
– Asagi Pinar II. Die mittel- und
spätneolithische Keramik. Archäologie in
Eurasien 18 / Studien im Thrakien-Marmara-Raum 2
(Mainz 2005) (mit H. Schwarzberg). – Die
frühen Völker Eurasiens. Von der Jungsteinzeit bis
zum Frühmittelalter. Reihe Historische Bibliothek
der Gerda Henkel Stiftung (München 2006). –
Humboldt-Forum Berlin. Das Projekt (Berlin 2009) (mit
T. Flierl). – Der skythenzeitliche
Fürstenkurgan von Arzan 2 in Tuva.
Archäologie in Eurasien 26 / Steppenvölker
Eurasiens 3 (Mainz 2010) (mit K. Cugunov und A.
Nagler). – Early Mining and Metallurgy on the
Western Central Iranian Plateau. Archäologie in
Iran und Turan 9 (Mainz 2011) (mit A. Vatandoust und B.
Helwing).
[nach oben / to the top]
|