Zum Inhalt:
Der Wissenschaft ist es von jeher aufgegeben, nicht nur
auf ihren Gegenstand, sondern auch ihr eigenes Tun zu
reflektieren, als Selbstreflexion. Damit kommt auch der
Mensch selbst als Objekt und Subjekt in den Blick. Genauer
gesagt: Das Nachdenken über die in den einzelnen
Fächern, aber auch in den von ihnen untersuchten
Kulturen und Gesellschaften obwaltenden Vorstellungen von
Mensch und condition humaine ist traditionell
Gegenstand wissenschaftlicher Tätigkeit. Das ist nun
gerade in der heutigen Zeit besonders wichtig geworden.
Schon seit Jahren zeichnet sich ab, dass mit rapiden
Entwicklungen in Gesellschaft und Wissenschaft
– als Stichworte lediglich seien Globalisierung,
Informationsgesellschaft und Gentechnologie
genannt – eine zunehmende Zersplitterung von
Experten- und Spezialistentum sowie Kommunikationsprobleme
zwischen den Fächern, aber auch zwischen Wissenschaft
und Öffentlichkeit einhergehen. Dies macht solche
Selbstreflexion besonders notwendig. Die Gerda Henkel
Stiftung ist es gelungen, führende Vertreter von in
dieser Thematik relevanten Disziplinen, für eine
Vorlesungsreihe zu gewinnen und damit gerade diese
Selbstreflexion in die öffentliche Debatte zu
tragen.
Der Sammelband »Das Bild des Menschen in den
Wissenschaften« enthält alle Vorträge aus
dieser Reihe der Gerda Henkel Vorlesungen, die von 1998 bis
2002 in Zusammenarbeit mit der Nordrhein-Westfälischen
Akademie der Wissenschaften in Düsseldorf veranstaltet
wurde.
[nach oben]
Die Autoren und ihre Beiträge:
(Siehe
auch das PDF mit ausgewählten Originalseiten aus dem Buch/
also see the PDF with selected original pages from the book)
Hubert Markl
Zur fortwirkenden Naturgeschichte des Menschen
Ludwig Siep
Ethik und Menschenbild
Martin Honecker
Religion – Naturanlage oder Illusion?
Stefan Wild
Mensch, Prophet und Gott im Koran –
Muslimische Exegeten des 20. Jahrhunderts und das Menschenbild der Moderne
Hans Maier
Alter Adam – neuer Mensch? –
Menschenbilder in der Politik des 20. Jahrhunderts
Hans Belting
Menschenbild und Körperbild
Renate Mayntz
Das Menschenbild in der Soziologie
Ernst-Wolfgang Böckenförde
Vom Wandel des Menschenbildes im Recht
Wolfgang Frühwald
»Die Trübsal am Rande der posthumanen Wüsten« –
Zum Menschenbild in der modernen Literatur
Otto Gerhard Oexle
Das Menschenbild der Historiker
(Die
Beiträge sind auch jeweils als Einzelheft erhältlich)
Besprechungen
Näheres zu den Autoren und ihren Beiträgen:
(Siehe
auch das PDF mit ausgewählten Originalseiten aus dem Buch/
also see the PDF with selected original pages from the book)
Hubert Markl
Zur fortwirkenden Naturgeschichte des Menschen
Die biologische Forschung läßt keinen Zweifel
daran, daß sich die menschliche Spezies während
weniger Millionen Jahre in Afrika aus Tierprimaten, die zur
Gruppe der Menschenaffen gehörten, entwickelt hat. Die
anatomischen, physiologischen, biochemischen und genetischen
Übereinstimmungen zwischen unserer Art und den
überlebenden nächstverwandten Primaten sind
dementsprechend überwältigend groß. Hingegen
erscheint der Abstand hinsichtlich geistiger Leistungen fast
unüberbrückbar. Deshalb kommt einem vertieften
Verständnis dessen, was im Verhalten des Menschen als
Folgen seiner Evolution aus Tierprimaten fortwirken
könnte, besindere Bedeutung zu. Sollten diese
weiterwirkenden Veranlagungen doch auch
Rückschlüsse darauf erlauben, warum sich der so
unvergleichlich geistig begabte Homo sapiens
ausgerechnet aus Affenvorfahren entwickeln konnte.
Zum Autor:
Geboren 1938 in Regensburg, Studium der Biologie, Chemie
und Geographie an der Universität München, 1962
Promotion im Fach Zoologie an der Universität
München. 1963–1967 Wissenschaftlicher Assistent
am Zoologischen Institut der Universität
Frankfurt/Main, Forschungsaufenthalt an der Harvard
University und der Rockefeller University (1965–1966);
1967 Habilitation für das Fach Zoologie an der
Universität Frankfurt/Main, 1968–1974
o. Professor und Direktor des Zoologischen Instituts
der Technischen Hochschule Darmstadt, seit 1974
o. Professor an der Universität Konstanz.
1986–1991 Präsident der Deutschen
Forschungsgemeinschaft und Vizepräsident der Alexander
von Humboldt-Stiftung, 1993–1995 Präsident der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Seit
dem 21. Juni 1996 Präsident der
Max-Planck-Gesellschaft. Neueste Buchveröffentlichung:
»Wissenschaft gegen Zukunftsangst«, Hanser
Verlag, München 1998.
[nach oben]
Ludwig Siep
Ethik und Menschenbild
Unter ein em »Menschenbild« verstehen wir ein
»komprimiertes« Wissen von Eigenschaften des
Menschen, das Konsequenzen für richtiges Handeln
einschließt. Mit einer solchen Verbindung von Fakten
und Werten hat es sowohl die moderne Wissenschaft wie die
moderne Ethik schwer: Die Wissenschaft will wertfrei sein
und die Ethik »weltanschauungsneutral«. Der
Beitrag zeichnet zunächst den Prozeß der Trennung
von Ethik und Menschenbild in der Neuzeit nach. Als Resultat
dieser Trennung beschränkt sich die moderne Ethik auf
Minimalregeln der Konfliktvermeidung zwischen
gleichberechtigten Partnern. Es fragt sich aber, ob dem
Selbstverständnis moderner, wissenschaftsorientierter
Gesellschaften und ihrer Ethik nicht doch ein wertendes
Menschenbild zugrunde liegt. Zentral für dieses
Menschenbild ist die private Glücksversorgung des
autonomen Individuums in einem Prozeß der sozialen und
technologischen Evolution. Die Steuerbarkeit dieses
Prozesses durch gemeinsame Wertentscheidungen und
Zielvorgaben erscheint immer zweifelhafter. Der Beitrag
diskutiert die innere Stimmigkeit, die »Kosten«
und die Alternativen eines solchen Menschenbildes.
Zum Autor:
Geboren 2. November 1942, Studium an den
Universitäten Köln und Freiburg. Promotion 1969
und Habilitation 1976 im Fach Philosophie an der
Universität Freiburg. 1979 bis 1986 ord. Professor der
Philosophie an der Universität-GH Duisburg. Seit 1986
Direktor des Philosophischen Seminars der Universität
Münster. 1976 und 1986 Gastprofessuren in den USA. 1988
bis 1992 Fachgutachter der DFG für Geschichte der
Philosophie. Seit 1993 ord. Mitglied der
Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften;
seit 1995 Mitglied der Zentralen Ethik-Kommission bei der
Bundesärztekammer; seit 1996 Mitglied des Vorstandes
der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in
Deutschland. Hauptarbeitsgebiete: Geschichte der praktischen
Philosophie, Philosophie des Deutschen Idealismus, Ethik,
besonders biomedizinische Ethik.
[nach oben]
Martin Honecker
Religion – Naturanlage oder Illusion?
In der Neuzeit wird strittig, ob »Religion«
überhaupt ein menschliches Grundphänomen ist. Das
neuzeitliche Denken hat nämlich zugleich erstmals einen
Allgemeinbegriff für Religion gebildet und gleichzeitig
die aufgeklärte Religionskritik formuliert. Bis dahin
waren andere Begriffe wie z.B. Glaube (fides),
Frömmigkeit (pietas), Gottesverehrung (cultus
dei) bestimmend. Die aufgeklärte Religionstheorie
suchte erstmals das Gemeinsame aller Religionen in einer
humanen Naturanlage zu erfassen, einem
»religiösen Apriori«. Menschen sind danach
von Natur religiös. Von der Religiosität als
anthropologischen Datum sind freilich die konkreten,
geschichtlich gewordenen Religionen zu unterscheiden, die es
nur als »positive« Religionen im Plural gibt.
Die Religionskritik sucht hingegen Religion als
»Projektion« menschlicher Sehnsüchte und
Wünsche (F. Feuerbach, ihm folgend K. Marx) und als
»Illusion« (S. Freud) zu entlarven. Diese
Spannung zwischen Religion als fundamentalanthropologischer
Gegebenheit und der Bestreitung von Religion seitens der
Religionskritik wurde im 20. Jahrhundert exemplarisch in der
evangelischen Theologie theologisch reflektiert (K. Barth,
D. Bonhoeffer). Der Beitrag erörtert das
Spannungsverhältnis zwischen Offenbarung und Religion,
Evangelium und Religion, Glaube und Evangelium und fragt
nach den anthropologischen Voraussetzungen theologischer und
ideologischer Kontroversen um »Religion«.
Zum Autor:
Geboren 2. Mai 1934 in Ulm/Donau. Studium der
Evangelischen Theologie in Tübingen und Basel.
Promotion 1960 und Habilitation 1965 an der
Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität
Tübingen. Seit 1969 Professor für Sozialethik und
Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen
Fakultät der Rheinischen
Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. 1988–1991
Präsident der Societas Ethica. Mitglied der
Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften
seit 1979. Mitglied des Ethikbeirats beim Bundesministerium
für Gesundheit und der zentralen Ethik-Kommission bei
der Bundesärztekammer. Hauptarbeitsgebiete:
Evangelische Ethik, insbesondere Sozialethik mit
Schwerpunkten in der Wirtschaftsethik und in der
medizinischen Ethik; Fundamentaltheologische Probleme der
Ethik und des Kirchenverständnisses.
[nach oben]
Stefan Wild
Mensch, Prophet und Gott im Koran–
Muslimische Exegeten des 20. Jahrhunderts und das Menschenbild der Moderne
Der Koran ist seit seiner Entstehung im siebten
nachchristlichen Jahrundert das Grunddokument der
islamischen Religion und bis heute allgegenwärtiger
Referenztext der vom Islam geprägten Kulturen. Als
durch den Propheten vermitteltes, aber ungeschmälert
göttliches Wort ist der Koran im radikalsten Sinn und
Wort für Wort göttlich inspiriert. Der
späteren islamischen Theologie gilt der Koran als
ungeschaffenes Wort Gottes und daher als in jeder Hinsicht
unüberbietbarer arabischer text. Der Beitrag stellt die
Grundzüge der im Koran dokumentierten Selbstexplikation
Gottes gegenüber dem Menschen Mohammed dar und
referiert die theologischen und anthropologischen
Dimensionen dieses Diskurses für die Moderne. Das
Menschenbild moderner muslimischer Denker zeigt sich dabei
als in besonderer Weise auf eine moderne Auslegung des
koranischen Texts angewiesen. Gleichzeitig steht es
häufig in Konkurrenz zu den säkularistischen
Menschenbildern einer als westlich dominiert begriffenen
Moderne. Hier liegen die Wurzel für die besonderen
hermeneutischen Probleme zeitgenössischer islamischer
Koranexegese und für bei uns kaum bekannte
innermuslimische Auseinandersetzungen.
Zum Autor:
Geb. 1937 in Leipzig, Studium an den Universitäten
München, Yale-University, Erlangen und Tübingen.
Promotion (1961) und Habilitation (1968) an der
Universität München im Fach Semitistik. Von 1968
bis 1973 Direktor des Orient-Instituts der Deutschen
Morgenländischen Gesellschaft in Beirut/Libanon. Von
1974 bis 1977 Professor für Semitische Sprachen und
Islamwissenschaft an der Universität Amsterdam. Seit
1977 Professor für Semitische Philologie und
Islamwissenschaft an der Universität Bonn. Herausgeber
der Zeitschrift »Die Welt des Islams«.
Hauptarbeitsgebiete: klassische arabische Literatur und
Lexikographie; moderne arabische Literatur und
Geistesgeschichte.
[nach oben]
Hans Maier
Alter Adam – neuer Mensch?–
Menschenbilder in der Politik des 20. Jahrhunderts
Basierten ältere Gesellschaften auf einer
spezifischen Adels- und Ritterethik, die in der Neuzeit in
die allgemeineren Gestalten des honnête homme
und des Gentleman übergeht, so fehlen dem
demokratischen Zeitalter vergleichbare Vorbilder. Gerade
eine Verfassung der Freiheit aller setzt sich aber ein
Mininum an Spielregeln des Freiheitsgebrauchs voraus. Die
Frage nach dem Menschenbild des common man und nach
einem »demokratischen Fürstenspiegel«
begleitet daher die Geschichte der modernen Demokratie seit
ihren Anfängen.
Der Beitrag greift aus diesem Problemfeld drei Themen
heraus: die erstmals von Rousseau aufgeworfene Frage nach
dem Zusammenhang von Anthropologie und Sozialvertrag
(»Émile« und »Contrat
social«, 1762); die Versuche der Totalitarismen des
20. Jahrhunderts, den »neuen Menschen« als
Grundlage einer neuen Gesellschaft zu schaffen, und ihr
Scheitern; endlich die Frage, welche Folgerungen sich daraus
für heutige Demokratien ergeben.
Zum Autor:
Geboren 18.6.1931 in Freiburg im Breisgau. Studien in
Freiburg, München und Paris (Geschichte, Romanistik,
Germanistik). Nach Staatsexamen, Promotion und Habilitation
Professor für politische Wissenschaft an der
Universität München (19621987); von
19701986 Bayerischer Staatsminister für
Unterricht und Kultus; von 19881999 Professor für
christliche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie in
München. Hauptarbeitsgebiete: Verfassungs- und
Verwaltungsgeschichte, Geschichte der christlichen
Demokratie, Kulturwissenschaft und -politik. Im Nebenberuf
Kirchenmusiker.
[nach oben]
Hans Belting
Menschenbild und Körperbild
Der Körper ist derzeit das Leitthema vieler
Debatten, als wollte man sich in der Furcht, seinen Begriff
zu verlieren, noch einmal versichern. Gentechnologie und
kosmetische Chirugie unterwerfen ihn einer neuen
Verfügbarkeit, während Cyberspace und Internet zur
Flucht aus dem Körper einladen. Der Beitrag
verläßt diese Zeitgenössische Szene, um die
nie endende Dynamik der Körperthematik durch die
Geschichte zu verfolgen. Der Körper ist nur das stets
wechselnde Bild, das man sich von ihm macht oder das man an
ihm festmacht. Die Kulturgeschichte des Körpers ist
eine Bildgeschichte im wörtlichen und übertragenen
Sinne. Da der Körper immer gegeben war, hat man ihn
immer anders gesehen. Darin erschließt sich ein
Grundgesetz jeder Anthropologie. Der Körper ist dabei
nicht bloß selbstbezogen als Natur und Organismus,
sondern Träger und Agent des Menschen, der sich im
Körper ausdrückt und am Körper definiert
wird. In diesem Sinne ist das Körperbild mit dem
Menschenbild untrennbar verbunden.
Zum Autor:
Geboren am 7. Juli 1935 in Andernach. Promotion an der
Universität Mainz. 1962–64 Stipendiat an der
Harvard University, 1965 Habilitation an der
Universität Hamburg. 1969–80 Professor für
Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg,
Gastprofessuren an den Universitäten Basel und Wien.
1980–93 Professor für Kunstgeschichte an der
Ludwig-Maximilians-Universität München, in dieser
Zeit Visiting Professor in Harvard und an der Columbia
University in New York (Meyer Schapiro Professor). Seit 1993
Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an
der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. 1994/95
Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin. Mitglied der
Heidelberger Akademie der Wissenschaften, der Academia
Europaea, der Medieval Academy of America und der American
Academy of Arts and Sciences. Mitglied im Orden Pour le
mérite.
Wichtigste Publikationen: Die Oberkirche von San
Francesco in Assisi (1977); Das Bild und sein Publikum im
Mittelalter (1981); Das Ende der Kunstgeschichte? (1983);
Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter
der Kunst (1990); Das Ende der Kunstgeschichte. Eine
Revision nach Zehn Jahren (1995); (mit C. Kruse), Die
Erfindung des Gemäldes (1995); Das unsichtbare
Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst (1998);
Identität im Zweifel. Ansichten der deutschen Kunst
(1999); Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine
Bildwissenschaft.
[nach oben]
Renate Mayntz
Das Menschenbild in der Soziologie
Die Soziologie, so möchte man meinen, kann weniger
als fast alle anderen Wissenschaft ohne ein Bild von der
Natur des Menschen auskommen, ist ihr Thema doch das Handeln
von Menschen und die von Menschen gebildeten Gruppen,
sozialen Strukturen und Systeme. Angesichts dessen ist es
interessant, wenn sich bei näherem Zusehen ergibt, dass
die Soziologen mit ganz wenigen Ausnahmen einen
psychologischen Reduktionismus, d.h. die Erklärung
sozialer Tatbestände durch spontane menschliche
Verhaltensdispositionen und Eigenschaften, ablehnen. Das
bedeutet jedoch nicht, dass die Soziologie ohne ein Bild vom
Menschen auskommt. Zwar betrachten keineswegs alle
Soziologen reale Menschen als Element der von ihnen
analysierten sozielen Systeme. Wo dies jedoch geschieht oder
wo zumindest soziales Handeln gewissermaßen als
soziologisches Elementarteilchen gilt, kommt die Soziologie
nicht ohne eine wie auch immer rudimentäres Bild vom
Menschen aus. Allerdings gibt es in der Disziplin keine
Einigkeit darüber, welche menschlichen Eigenschaften
für die Soziologie von zentraler Bedeutung sind. Hier
steht schon seit länger der homo sociologicus,
der sein Handeln an sozialen Normen orientiert, dem homo
oeconomicus gegenüber, der zwecks Mehrung des
eigenen Nutzens rational zwischen verschiedenen
Handlungsalternativen auswählt. Mehrheitlich jedoch
wird in der Tradition Max Webers der Mensch in seiner
Grundorientierung als weniger festgelegt gesehen, und man
versucht sein Handeln, und was daraus an sozialen
Ereignissen und Prozessen folgt, auf die Wirkung
äußerer sozialer Faktoren
zurückzuführen. Damit betont die Soziologie am
Ende jene Züge, die den Menschen zu einem sozialen, zur
Gruppen- und Gesellschaftsbildung fähigen Wesen
machen.
Zur Autorin:
Geboren 1929 in Berlin. 1950 B.A. am Wellesley College
(USA). 1953 Promotion zum Dr.phil. an der FU Berlin.
Von 1953 bis 1957 am UNESCO-Institut für
Sozialwissenschaften in Köln tätig. 1957
Habilitation an der FU Berlin. 1958/1959 Fellowship der
Rockefeller Foundation, 1959/1960 Visiting Assistant
Professor an der Columbia University in New York. Von 1960
bis 1971 zunächst Privatdozentin und
außerordentliche, später ordentliche Professorin
für Soziologie an der FU Berlin, in dieser Zeit
Gastprofessuren an der University of Edinburgh, an der
FLASCO in Santiago de Chile, Theodor-Heuss-Lehrstuhl an der
New School für Social Research in New York. Von 1971
bis 1985 Professorin für (Organisations-)Soziologie in
Speyer und Köln, dort zugleich Direktorin des Instituts
für Angewandte Sozialforschung, in dieser Zeit
Gastprofessur an der Stanford University. 1977 Ehrendoktor
der Universität Uppsala, 1979 der Universität
Paris X-Nanterre. Von 1985 bis zur Emeritierung in 1997
Direktorin am Max-Planck-Institut für
Gesellschaftsforschung in Köln. Seit 1985
Honorarprofessorin an der Universität zu Köln.
Mitglied des Deutschen Bildungsrates (19661970), der
Studienkommission für die Reform des öffentl.
Dienstrechts (19701973), des Senates der DFG
(19741980).
[nach oben]
Ernst-Wolfgang Böckenförde
Vom Wandel des Menschenbildes im Recht
Im Bereich des Rechts wird das Bild vom Menschen
nachhaltig durch das geltende Recht, in dem und mit dem die
Menschen leben, geprägt. Dieses Bild gewinnt seinen
Ausdruck und seine Gestalt ebenso in den konkreten
Regelungen einer Rechtsordnung wie in deren tragenden
Prinzipien und den diesen zugrundeliegenden philosophischen
Reflexionen. Zugleich ist die Rechtsordnung, die die
Menschen umgibt, ein Faktor ihrer Selbsterfahrung, die ihr
Selbstverständnis und damit ihr Bild von sich selbst
mitbestimmt.
Der Vortrag zeigt auf, in welcher Weise und in welchem
Unfang das Menschenbild im Recht, ausgehend vom 17. und
18. Jahrhundert, einem Wandel ausgesetzt gewesen ist,
wie sich dieser Wandel insbesondere im 19. und
20. Jahrhundert vollzogen hat und welches Bild vom
Menschen in der heutigen Rechtsordnung zum Ausdruck
kommt.
Zum Autor:
Geboren am 19. September 1930 in Kassel. Studium der
Rechtswissenschaft und Geschichte an den Universitäten
Münster (Westf.) und München. Nach der ersten
juristischen Staatsprüfung (OLG Hamm, 1953) Promotion
zum Dr.iur (1956) und Dr.phil (1961). Habilitation 1964 in
Münster, ordentlicher Professor für
öffentliches Recht, Rechts- und Verfassungsgeschichte,
Rechtsphilosophie an den Universitäten Heidelberg
(196469), Bielefeld (196977) und
Freiburg i.B. (seit 1977; Emeritierung 1995).
198396 Richter des Bundesverfassungsgerichts. Mitglied
der Rheinisch-Westfälischen (1970) und der Bayerischen
Akademie der Wissenschaft (1988). Dres.jur h.c. (1987 Basel;
1999 Bielefeld), Dr.theol h.c. (1999 Bochum).
Hauptarbeitsgebiete: Staats- und Verfassungsrecht,
Verfassungstheorie und Verfassungsgeschichte,
Verhältnis von Staat und Kirche sowie Religion und
Politik.
[nach oben]
Wolfgang Frühwald
»Die Trübsal am Rande der posthumanen Wüsten« –
Zum Menschenbild in der modernen Literatur
Der deutsche Klassizismus und die ihm darin folgende
Romantik hat (seit Herder und Goethe) die beiden
phylogenetischen Merkmale des Menschen, die Reflexion des
Sterbens und den Sinn für Schönheit, zur Basis
jenes Humanitätsdenkens gemacht, von dem die Dichter
(vergeblich) hofften, es werde durch die Jahrhunderte
hindurch diskursleitend bleiben. Die »schöne
Menschengestalt« ist der Inbegriff von Humanität,
definiert als das Maß, das den Menschen erst zum
Menschen macht. Die Konstruktion und die Destruktion dieses
Maßes bestimmt die Literatur bis tief in das 20.
Jahrhundert hinein. Höhepunkt der Destruktion ist die
Literatur der unmittelbaren Jahre nach 1945. Mit Wolfgang
Hildesheimers »Marbot. Eine Biographie« (1981)
entschwindet dann die »schöne
Menschengestalt« als Zielvorstellung aus der
Literatur, um jenem Erschrecken vor den Möglichkeiten
und dem Trend der modernen Forschung Platz zu machen, von
dem Gottfried Benn, Durs Grünbein, Adolf Muschg und
viele andere Autoren der Gegenwart berichten.
Zum Autor:
Geboren 1935 in Augsburg. 1958 Staatsexamen in den
Fächern Deutsch, Geschichte, Geographie. 1961 Promotion
im Fach Neuere Deutsche Literaturgeschichte, 1969
Habilitation für dieses Fach in München. Seit 1958
verheiratet mit Viktoria Frühwald, fünf Kinder,
elf Enkelkinder. 19701974 Professor für
Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der
Universität Trier-Kaiserslautern, seit 1974 in
München. 1985 Gastprofessor an der University of
Indiana in Bloomington, 1999 an der Fakultät für
Chemie der Universität Frankfurt am Main.
19821987 Mitglied des Wissenschaftsrates. Januar 1992
Dezember 1997 Präsident der Deutschen
Forschungsgemeinschaft, seit 1999 Präsident der
Alexander von Humboldt-Stiftung. Korrespondierendes Mitglied
der Akademien der Wissenschaften in Göttingen und
Düsseldorf, außerordentliches Mitglied der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Zahlreiche Publikationen zur Literatur des Mittelalters, der
deutschen Klassik, der Romantik und der Moderne, zur
Editionsphilologie, zur Exilforschung und zur
Wissenschaftsgeschichte. Zuletzt: »Zeit der
Wissenschaft. Forschungskultur an der Schwelle zum
21. Jahrhundert«, Köln 1997.
[nach oben]
Otto Gerhard Oexle
Das Menschenbild der Historiker
»Das« Menschenbild der Historiker gibt es
nicht. Denn die Zahl möglicher Bilder vom Menschen, von
denen Historiker sprechen können, ist unbegrenzt und
unbegrenzbar. Der Vortrag nimmt die Perspektive des
Mittelalter-Historikers ein und zeigt die Genese einer
Vielheit von Menschen-Bildern im sogenannten
»Mittelalter«, die individuell, oder auf Gruppen
oder auf »Stände« bezogen sind. In diesen
Befunden wird sehr viel von der Kulturellen
Produktivität Europas sichtbar. Zum anderen
erötert der Vortrag die Frage nach dem Bild des
Historikers von sich selbst, die mit der Frage nach den
»Menschenbildern« in der Geschichte aufs Engste
verbunden ist. Diese Frage führt zur Erkenntnis der
metatheoretischen Mehrdeutigkeit der Welt, die nicht
aufhebbar ist und zu der Einsicht hinleitet, daß die
Historizität der Welt eine ihrer wesentlichen
Dimensionen darstellt.
Zum Autor:
Geboren am 28. August 1939 in Singen a.H. Studium
der Geschichte und der Romanistik an den Universitäten
Freiburg i.B., Poitiers (Frankreich) und Köln.
1965 Promotion zum Dr. phil. an der Universität
Freiburg i.B., 1973 Habilitation an der
Universität Münster für das Fach
Mittelalterliche Geschichte. 1975 Gastprofessor an der
Universität Tel Aviv (Israel). 1975 Wissenschaftlicher
Rat und Professor an der Universität Münster. 1980
Professor an der Universität Hannover. 1987 Direktor
und Wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut
für Geschichte und Honorarprofessor für Mittlere
und Neuere Geschichte an der Universität
Göttingen. Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat u.a.
des Deutschen Historischen Instituts Paris
(1984–1998), des Deutschen Historischen Instituts Rom
(seit 1988), des Max-Planck-Instituts für
europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main, des
Archivs der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin. 1988–1996
Mitglied des Vorstands (Schriftführer) des Verbandes
der Historiker und Historikerinnen Deutschlands. Seit 1990
Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu
Göttingen; seit 1996 Corresponding Fellow der Royal
Historical Society (London), seit 1998 Mitglied der
Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der
Wissenschaften (München), seit 1999 Ehrenmitglied der
Russian Association of Medievalists and Early Modern
Historians (Moskau). 2001 Doctor honoris causa der
Universität Paris I Panthéon/Sorbonne.
– Arbeitsgebiete: Sozialgeschichte des Mittelalters,
Geschichte der Geschichtswissenschaft und der
Kulturwissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert,
Theorie der historischen Erkenntnis.
[nach oben]
Besprechungen:
Neue Zürcher Zeitung – Feuilleton – Samstag, 27.07.2002, Nr.172, 52
Körperbilder
lx. Es sei verräterisch, dass die Klage über
den Verlust des Menschen heute simultan mit der Klage
über den Verlust des Körpers geäussert werde.
Der Kunsthistoriker Hans Belting will es nicht bei diesen
mit »seltsamer Einmütigkeit«
geäusserten Befindlichkeiten bewenden lassen. In einem
ausführlichen Essay untersucht er die Relationen
zwischen »Menschenbild und Körperbild«.
Zunächst: Kann man einen Körper überhaupt auf
ein Bild reduzieren? Wir tun dies aber mit
Selbstverständlichkeit dort, wo wir zu Bildern greifen,
sobald wir vom Körper zu sprechen beginnen. Dabei sei
auf ein weiteres Paradox hinzuweisen: Je mehr heute der
Körper von Biologie, Genetik und Neurowissenschaften
erforscht wird, desto weniger steht er uns in einem
einzigen, symbolkräftigen Bild zur Verfügung. Wer
heute – angesichts der sogenannt
»technischen Möglichkeiten« –
davon spreche, einen »neuen Menschen« zu
züchten, spreche eigentlich davon, dem (alten) Menschen
einen neuen Körper zu geben. Nur eben: Wenig ist
darüber nachgedacht worden, dass die bisherige
Geschichte der Menschendarstellung eine Geschichte der
Körperdarstellung gewesen ist. Daraus lasse sich
schliessen, dass der Mensch so ist, wie er im Körper
erscheint. Jedenfalls sei das Dreieck Mensch –
Körper – Bild nicht auflösbar, wolle man
nicht riskieren, alle drei Bezugsgrössen zu verlieren.
– Der Essay findet sich in einer von der Gerda Henkel
Stiftung herausgegebenen Publikation über das
»Bild des Menschen in den Wissenschaften«.
[nach oben]
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