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Gerda Henkel Stiftung (Hg.)

Das Bild des Menschen in den Wissenschaften

Sammelband zur Vortragsreihe »Das Menschenbild in der Wissenschaft«

Gerda Henkel Vorlesung
Herausgegeben von der gemeinsamen Kommission der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der
Gerda Henkel Stiftung

2002, 276 Seiten, 10 Beiträge, 36 Abbildungen, Leinen/Schutzumschlag
2002, 276 pages, 10 essays, 36 figures, cloth/jacket

ISBN 978-3-930454-31-0
Preis/price EUR 35,–

PDF mit ausgewählten Originalseiten aus dem Buch/
PDF with selected original pages from the book


Zum Inhalt:

Der Wissenschaft ist es von jeher aufgegeben, nicht nur auf ihren Gegenstand, sondern auch ihr eigenes Tun zu reflektieren, als Selbstreflexion. Damit kommt auch der Mensch selbst als Objekt und Subjekt in den Blick. Genauer gesagt: Das Nachdenken über die in den einzelnen Fächern, aber auch in den von ihnen untersuchten Kulturen und Gesellschaften obwaltenden Vorstellungen von Mensch und condition humaine ist traditionell Gegenstand wissenschaftlicher Tätigkeit. Das ist nun gerade in der heutigen Zeit besonders wichtig geworden. Schon seit Jahren zeichnet sich ab, dass mit rapiden Entwicklungen in Gesellschaft und Wissenschaft – als Stichworte lediglich seien Globalisierung, Informationsgesellschaft und Gentechnologie genannt – eine zunehmende Zersplitterung von Experten- und Spezialistentum sowie Kommunikationsprobleme zwischen den Fächern, aber auch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit einhergehen. Dies macht solche Selbstreflexion besonders notwendig. Die Gerda Henkel Stiftung ist es gelungen, führende Vertreter von in dieser Thematik relevanten Disziplinen, für eine Vorlesungsreihe zu gewinnen und damit gerade diese Selbstreflexion in die öffentliche Debatte zu tragen.

Der Sammelband »Das Bild des Menschen in den Wissenschaften« enthält alle Vorträge aus dieser Reihe der Gerda Henkel Vorlesungen, die von 1998 bis 2002 in Zusammenarbeit mit der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften in Düsseldorf veranstaltet wurde.

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Die Autoren und ihre Beiträge:

(Siehe auch das PDF mit ausgewählten Originalseiten aus dem Buch/
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Hubert Markl
Zur fortwirkenden Naturgeschichte des Menschen

Ludwig Siep
Ethik und Menschenbild

Martin Honecker
Religion – Naturanlage oder Illusion?

Stefan Wild
Mensch, Prophet und Gott im Koran –
Muslimische Exegeten des 20. Jahrhunderts und das Menschenbild der Moderne

Hans Maier
Alter Adam – neuer Mensch? –
Menschenbilder in der Politik des 20. Jahrhunderts

Hans Belting
Menschenbild und Körperbild

Renate Mayntz
Das Menschenbild in der Soziologie

Ernst-Wolfgang Böckenförde
Vom Wandel des Menschenbildes im Recht

Wolfgang Frühwald
»Die Trübsal am Rande der posthumanen Wüsten« –
Zum Menschenbild in der modernen Literatur

Otto Gerhard Oexle
Das Menschenbild der Historiker

(Die Beiträge sind auch jeweils als Einzelheft erhältlich)

Besprechungen


Näheres zu den Autoren und ihren Beiträgen:

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Hubert Markl
Zur fortwirkenden Naturgeschichte des Menschen

Die biologische Forschung läßt keinen Zweifel daran, daß sich die menschliche Spezies während weniger Millionen Jahre in Afrika aus Tierprimaten, die zur Gruppe der Menschenaffen gehörten, entwickelt hat. Die anatomischen, physiologischen, biochemischen und genetischen Übereinstimmungen zwischen unserer Art und den überlebenden nächstverwandten Primaten sind dementsprechend überwältigend groß. Hingegen erscheint der Abstand hinsichtlich geistiger Leistungen fast unüberbrückbar. Deshalb kommt einem vertieften Verständnis dessen, was im Verhalten des Menschen als Folgen seiner Evolution aus Tierprimaten fortwirken könnte, besindere Bedeutung zu. Sollten diese weiterwirkenden Veranlagungen doch auch Rückschlüsse darauf erlauben, warum sich der so unvergleichlich geistig begabte Homo sapiens ausgerechnet aus Affenvorfahren entwickeln konnte.

Zum Autor:

Geboren 1938 in Regensburg, Studium der Biologie, Chemie und Geographie an der Universität München, 1962 Promotion im Fach Zoologie an der Universität München. 1963–1967 Wissenschaftlicher Assistent am Zoologischen Institut der Universität Frankfurt/Main, Forschungsaufenthalt an der Harvard University und der Rockefeller University (1965–1966); 1967 Habilitation für das Fach Zoologie an der Universität Frankfurt/Main, 1968–1974 o. Professor und Direktor des Zoologischen Instituts der Technischen Hochschule Darmstadt, seit 1974 o. Professor an der Universität Konstanz. 1986–1991 Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Vizepräsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, 1993–1995 Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Seit dem 21. Juni 1996 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Neueste Buchveröffentlichung: »Wissenschaft gegen Zukunftsangst«, Hanser Verlag, München 1998.

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Ludwig Siep
Ethik und Menschenbild

Unter ein em »Menschenbild« verstehen wir ein »komprimiertes« Wissen von Eigenschaften des Menschen, das Konsequenzen für richtiges Handeln einschließt. Mit einer solchen Verbindung von Fakten und Werten hat es sowohl die moderne Wissenschaft wie die moderne Ethik schwer: Die Wissenschaft will wertfrei sein und die Ethik »weltanschauungsneutral«. Der Beitrag zeichnet zunächst den Prozeß der Trennung von Ethik und Menschenbild in der Neuzeit nach. Als Resultat dieser Trennung beschränkt sich die moderne Ethik auf Minimalregeln der Konfliktvermeidung zwischen gleichberechtigten Partnern. Es fragt sich aber, ob dem Selbstverständnis moderner, wissenschaftsorientierter Gesellschaften und ihrer Ethik nicht doch ein wertendes Menschenbild zugrunde liegt. Zentral für dieses Menschenbild ist die private Glücksversorgung des autonomen Individuums in einem Prozeß der sozialen und technologischen Evolution. Die Steuerbarkeit dieses Prozesses durch gemeinsame Wertentscheidungen und Zielvorgaben erscheint immer zweifelhafter. Der Beitrag diskutiert die innere Stimmigkeit, die »Kosten« und die Alternativen eines solchen Menschenbildes.

Zum Autor:

Geboren 2. November 1942, Studium an den Universitäten Köln und Freiburg. Promotion 1969 und Habilitation 1976 im Fach Philosophie an der Universität Freiburg. 1979 bis 1986 ord. Professor der Philosophie an der Universität-GH Duisburg. Seit 1986 Direktor des Philosophischen Seminars der Universität Münster. 1976 und 1986 Gastprofessuren in den USA. 1988 bis 1992 Fachgutachter der DFG für Geschichte der Philosophie. Seit 1993 ord. Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften; seit 1995 Mitglied der Zentralen Ethik-Kommission bei der Bundesärztekammer; seit 1996 Mitglied des Vorstandes der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland. Hauptarbeitsgebiete: Geschichte der praktischen Philosophie, Philosophie des Deutschen Idealismus, Ethik, besonders biomedizinische Ethik.

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Martin Honecker
Religion – Naturanlage oder Illusion?

In der Neuzeit wird strittig, ob »Religion« überhaupt ein menschliches Grundphänomen ist. Das neuzeitliche Denken hat nämlich zugleich erstmals einen Allgemeinbegriff für Religion gebildet und gleichzeitig die aufgeklärte Religionskritik formuliert. Bis dahin waren andere Begriffe wie z.B. Glaube (fides), Frömmigkeit (pietas), Gottesverehrung (cultus dei) bestimmend. Die aufgeklärte Religionstheorie suchte erstmals das Gemeinsame aller Religionen in einer humanen Naturanlage zu erfassen, einem »religiösen Apriori«. Menschen sind danach von Natur religiös. Von der Religiosität als anthropologischen Datum sind freilich die konkreten, geschichtlich gewordenen Religionen zu unterscheiden, die es nur als »positive« Religionen im Plural gibt. Die Religionskritik sucht hingegen Religion als »Projektion« menschlicher Sehnsüchte und Wünsche (F. Feuerbach, ihm folgend K. Marx) und als »Illusion« (S. Freud) zu entlarven. Diese Spannung zwischen Religion als fundamentalanthropologischer Gegebenheit und der Bestreitung von Religion seitens der Religionskritik wurde im 20. Jahrhundert exemplarisch in der evangelischen Theologie theologisch reflektiert (K. Barth, D. Bonhoeffer). Der Beitrag erörtert das Spannungsverhältnis zwischen Offenbarung und Religion, Evangelium und Religion, Glaube und Evangelium und fragt nach den anthropologischen Voraussetzungen theologischer und ideologischer Kontroversen um »Religion«.

Zum Autor:

Geboren 2. Mai 1934 in Ulm/Donau. Studium der Evangelischen Theologie in Tübingen und Basel. Promotion 1960 und Habilitation 1965 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Seit 1969 Professor für Sozialethik und Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. 1988–1991 Präsident der Societas Ethica. Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften seit 1979. Mitglied des Ethikbeirats beim Bundesministerium für Gesundheit und der zentralen Ethik-Kommission bei der Bundesärztekammer. Hauptarbeitsgebiete: Evangelische Ethik, insbesondere Sozialethik mit Schwerpunkten in der Wirtschaftsethik und in der medizinischen Ethik; Fundamentaltheologische Probleme der Ethik und des Kirchenverständnisses.

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Stefan Wild
Mensch, Prophet und Gott im Koran–
Muslimische Exegeten des 20. Jahrhunderts und das Menschenbild der Moderne

Der Koran ist seit seiner Entstehung im siebten nachchristlichen Jahrundert das Grunddokument der islamischen Religion und bis heute allgegenwärtiger Referenztext der vom Islam geprägten Kulturen. Als durch den Propheten vermitteltes, aber ungeschmälert göttliches Wort ist der Koran im radikalsten Sinn und Wort für Wort göttlich inspiriert. Der späteren islamischen Theologie gilt der Koran als ungeschaffenes Wort Gottes und daher als in jeder Hinsicht unüberbietbarer arabischer text. Der Beitrag stellt die Grundzüge der im Koran dokumentierten Selbstexplikation Gottes gegenüber dem Menschen Mohammed dar und referiert die theologischen und anthropologischen Dimensionen dieses Diskurses für die Moderne. Das Menschenbild moderner muslimischer Denker zeigt sich dabei als in besonderer Weise auf eine moderne Auslegung des koranischen Texts angewiesen. Gleichzeitig steht es häufig in Konkurrenz zu den säkularistischen Menschenbildern einer als westlich dominiert begriffenen Moderne. Hier liegen die Wurzel für die besonderen hermeneutischen Probleme zeitgenössischer islamischer Koranexegese und für bei uns kaum bekannte innermuslimische Auseinandersetzungen.

Zum Autor:

Geb. 1937 in Leipzig, Studium an den Universitäten München, Yale-University, Erlangen und Tübingen. Promotion (1961) und Habilitation (1968) an der Universität München im Fach Semitistik. Von 1968 bis 1973 Direktor des Orient-Instituts der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Beirut/Libanon. Von 1974 bis 1977 Professor für Semitische Sprachen und Islamwissenschaft an der Universität Amsterdam. Seit 1977 Professor für Semitische Philologie und Islamwissenschaft an der Universität Bonn. Herausgeber der Zeitschrift »Die Welt des Islams«. Hauptarbeitsgebiete: klassische arabische Literatur und Lexikographie; moderne arabische Literatur und Geistesgeschichte.

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Hans Maier
Alter Adam – neuer Mensch?–
Menschenbilder in der Politik des 20. Jahrhunderts

Basierten ältere Gesellschaften auf einer spezifischen Adels- und Ritterethik, die in der Neuzeit in die allgemeineren Gestalten des honnête homme und des Gentleman übergeht, so fehlen dem demokratischen Zeitalter vergleichbare Vorbilder. Gerade eine Verfassung der Freiheit aller setzt sich aber ein Mininum an Spielregeln des Freiheitsgebrauchs voraus. Die Frage nach dem Menschenbild des common man und nach einem »demokratischen Fürstenspiegel« begleitet daher die Geschichte der modernen Demokratie seit ihren Anfängen.

Der Beitrag greift aus diesem Problemfeld drei Themen heraus: die erstmals von Rousseau aufgeworfene Frage nach dem Zusammenhang von Anthropologie und Sozialvertrag (»Émile« und »Contrat social«, 1762); die Versuche der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, den »neuen Menschen« als Grundlage einer neuen Gesellschaft zu schaffen, und ihr Scheitern; endlich die Frage, welche Folgerungen sich daraus für heutige Demokratien ergeben.

Zum Autor:

Geboren 18.6.1931 in Freiburg im Breisgau. Studien in Freiburg, München und Paris (Geschichte, Romanistik, Germanistik). Nach Staatsexamen, Promotion und Habilitation Professor für politische Wissenschaft an der Universität München (1962–1987); von 1970–1986 Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus; von 1988–1999 Professor für christliche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie in München. Hauptarbeitsgebiete: Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Geschichte der christlichen Demokratie, Kulturwissenschaft und -politik. Im Nebenberuf Kirchenmusiker.

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Hans Belting
Menschenbild und Körperbild

Der Körper ist derzeit das Leitthema vieler Debatten, als wollte man sich in der Furcht, seinen Begriff zu verlieren, noch einmal versichern. Gentechnologie und kosmetische Chirugie unterwerfen ihn einer neuen Verfügbarkeit, während Cyberspace und Internet zur Flucht aus dem Körper einladen. Der Beitrag verläßt diese Zeitgenössische Szene, um die nie endende Dynamik der Körperthematik durch die Geschichte zu verfolgen. Der Körper ist nur das stets wechselnde Bild, das man sich von ihm macht oder das man an ihm festmacht. Die Kulturgeschichte des Körpers ist eine Bildgeschichte im wörtlichen und übertragenen Sinne. Da der Körper immer gegeben war, hat man ihn immer anders gesehen. Darin erschließt sich ein Grundgesetz jeder Anthropologie. Der Körper ist dabei nicht bloß selbstbezogen als Natur und Organismus, sondern Träger und Agent des Menschen, der sich im Körper ausdrückt und am Körper definiert wird. In diesem Sinne ist das Körperbild mit dem Menschenbild untrennbar verbunden.

Zum Autor:

Geboren am 7. Juli 1935 in Andernach. Promotion an der Universität Mainz. 1962–64 Stipendiat an der Harvard University, 1965 Habilitation an der Universität Hamburg. 1969–80 Professor für Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg, Gastprofessuren an den Universitäten Basel und Wien. 1980–93 Professor für Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, in dieser Zeit Visiting Professor in Harvard und an der Columbia University in New York (Meyer Schapiro Professor). Seit 1993 Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. 1994/95 Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin. Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, der Academia Europaea, der Medieval Academy of America und der American Academy of Arts and Sciences. Mitglied im Orden Pour le mérite.

Wichtigste Publikationen: Die Oberkirche von San Francesco in Assisi (1977); Das Bild und sein Publikum im Mittelalter (1981); Das Ende der Kunstgeschichte? (1983); Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst (1990); Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach Zehn Jahren (1995); (mit C. Kruse), Die Erfindung des Gemäldes (1995); Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst (1998); Identität im Zweifel. Ansichten der deutschen Kunst (1999); Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft.

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Renate Mayntz
Das Menschenbild in der Soziologie

Die Soziologie, so möchte man meinen, kann weniger als fast alle anderen Wissenschaft ohne ein Bild von der Natur des Menschen auskommen, ist ihr Thema doch das Handeln von Menschen und die von Menschen gebildeten Gruppen, sozialen Strukturen und Systeme. Angesichts dessen ist es interessant, wenn sich bei näherem Zusehen ergibt, dass die Soziologen mit ganz wenigen Ausnahmen einen psychologischen Reduktionismus, d.h. die Erklärung sozialer Tatbestände durch spontane menschliche Verhaltensdispositionen und Eigenschaften, ablehnen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Soziologie ohne ein Bild vom Menschen auskommt. Zwar betrachten keineswegs alle Soziologen reale Menschen als Element der von ihnen analysierten sozielen Systeme. Wo dies jedoch geschieht oder wo zumindest soziales Handeln gewissermaßen als soziologisches Elementarteilchen gilt, kommt die Soziologie nicht ohne eine wie auch immer rudimentäres Bild vom Menschen aus. Allerdings gibt es in der Disziplin keine Einigkeit darüber, welche menschlichen Eigenschaften für die Soziologie von zentraler Bedeutung sind. Hier steht schon seit länger der homo sociologicus, der sein Handeln an sozialen Normen orientiert, dem homo oeconomicus gegenüber, der zwecks Mehrung des eigenen Nutzens rational zwischen verschiedenen Handlungsalternativen auswählt. Mehrheitlich jedoch wird in der Tradition Max Webers der Mensch in seiner Grundorientierung als weniger festgelegt gesehen, und man versucht sein Handeln, und was daraus an sozialen Ereignissen und Prozessen folgt, auf die Wirkung äußerer sozialer Faktoren zurückzuführen. Damit betont die Soziologie am Ende jene Züge, die den Menschen zu einem sozialen, zur Gruppen- und Gesellschaftsbildung fähigen Wesen machen.

Zur Autorin:

Geboren 1929 in Berlin. 1950 B.A. am Wellesley College (USA). 1953 Promotion zum Dr.phil. an der FU Berlin. Von 1953 bis 1957 am UNESCO-Institut für Sozialwissenschaften in Köln tätig. 1957 Habilitation an der FU Berlin. 1958/1959 Fellowship der Rockefeller Foundation, 1959/1960 Visiting Assistant Professor an der Columbia University in New York. Von 1960 bis 1971 zunächst Privatdozentin und außerordentliche, später ordentliche Professorin für Soziologie an der FU Berlin, in dieser Zeit Gastprofessuren an der University of Edinburgh, an der FLASCO in Santiago de Chile, Theodor-Heuss-Lehrstuhl an der New School für Social Research in New York. Von 1971 bis 1985 Professorin für (Organisations-)Soziologie in Speyer und Köln, dort zugleich Direktorin des Instituts für Angewandte Sozialforschung, in dieser Zeit Gastprofessur an der Stanford University. 1977 Ehrendoktor der Universität Uppsala, 1979 der Universität Paris X-Nanterre. Von 1985 bis zur Emeritierung in 1997 Direktorin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Seit 1985 Honorarprofessorin an der Universität zu Köln. Mitglied des Deutschen Bildungsrates (1966–1970), der Studienkommission für die Reform des öffentl. Dienstrechts (1970–1973), des Senates der DFG (1974–1980).

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Ernst-Wolfgang Böckenförde
Vom Wandel des Menschenbildes im Recht

Im Bereich des Rechts wird das Bild vom Menschen nachhaltig durch das geltende Recht, in dem und mit dem die Menschen leben, geprägt. Dieses Bild gewinnt seinen Ausdruck und seine Gestalt ebenso in den konkreten Regelungen einer Rechtsordnung wie in deren tragenden Prinzipien und den diesen zugrundeliegenden philosophischen Reflexionen. Zugleich ist die Rechtsordnung, die die Menschen umgibt, ein Faktor ihrer Selbsterfahrung, die ihr Selbstverständnis und damit ihr Bild von sich selbst mitbestimmt.

Der Vortrag zeigt auf, in welcher Weise und in welchem Unfang das Menschenbild im Recht, ausgehend vom 17. und 18. Jahrhundert, einem Wandel ausgesetzt gewesen ist, wie sich dieser Wandel insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert vollzogen hat und welches Bild vom Menschen in der heutigen Rechtsordnung zum Ausdruck kommt.

Zum Autor:

Geboren am 19. September 1930 in Kassel. Studium der Rechtswissenschaft und Geschichte an den Universitäten Münster (Westf.) und München. Nach der ersten juristischen Staatsprüfung (OLG Hamm, 1953) Promotion zum Dr.iur (1956) und Dr.phil (1961). Habilitation 1964 in Münster, ordentlicher Professor für öffentliches Recht, Rechts- und Verfassungsgeschichte, Rechtsphilosophie an den Universitäten Heidelberg (1964–69), Bielefeld (1969–77) und Freiburg i.B. (seit 1977; Emeritierung 1995). 1983–96 Richter des Bundesverfassungsgerichts. Mitglied der Rheinisch-Westfälischen (1970) und der Bayerischen Akademie der Wissenschaft (1988). Dres.jur h.c. (1987 Basel; 1999 Bielefeld), Dr.theol h.c. (1999 Bochum). Hauptarbeitsgebiete: Staats- und Verfassungsrecht, Verfassungstheorie und Verfassungsgeschichte, Verhältnis von Staat und Kirche sowie Religion und Politik.

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Wolfgang Frühwald
»Die Trübsal am Rande der posthumanen Wüsten« –
Zum Menschenbild in der modernen Literatur

Der deutsche Klassizismus und die ihm darin folgende Romantik hat (seit Herder und Goethe) die beiden phylogenetischen Merkmale des Menschen, die Reflexion des Sterbens und den Sinn für Schönheit, zur Basis jenes Humanitätsdenkens gemacht, von dem die Dichter (vergeblich) hofften, es werde durch die Jahrhunderte hindurch diskursleitend bleiben. Die »schöne Menschengestalt« ist der Inbegriff von Humanität, definiert als das Maß, das den Menschen erst zum Menschen macht. Die Konstruktion und die Destruktion dieses Maßes bestimmt die Literatur bis tief in das 20. Jahrhundert hinein. Höhepunkt der Destruktion ist die Literatur der unmittelbaren Jahre nach 1945. Mit Wolfgang Hildesheimers »Marbot. Eine Biographie« (1981) entschwindet dann die »schöne Menschengestalt« als Zielvorstellung aus der Literatur, um jenem Erschrecken vor den Möglichkeiten und dem Trend der modernen Forschung Platz zu machen, von dem Gottfried Benn, Durs Grünbein, Adolf Muschg und viele andere Autoren der Gegenwart berichten.

Zum Autor:

Geboren 1935 in Augsburg. 1958 Staatsexamen in den Fächern Deutsch, Geschichte, Geographie. 1961 Promotion im Fach Neuere Deutsche Literaturgeschichte, 1969 Habilitation für dieses Fach in München. Seit 1958 verheiratet mit Viktoria Frühwald, fünf Kinder, elf Enkelkinder. – 1970–1974 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Trier-Kaiserslautern, seit 1974 in München. 1985 Gastprofessor an der University of Indiana in Bloomington, 1999 an der Fakultät für Chemie der Universität Frankfurt am Main. 1982–1987 Mitglied des Wissenschaftsrates. Januar 1992 – Dezember 1997 Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, seit 1999 Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung. Korrespondierendes Mitglied der Akademien der Wissenschaften in Göttingen und Düsseldorf, außerordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. – Zahlreiche Publikationen zur Literatur des Mittelalters, der deutschen Klassik, der Romantik und der Moderne, zur Editionsphilologie, zur Exilforschung und zur Wissenschaftsgeschichte. Zuletzt: »Zeit der Wissenschaft. Forschungskultur an der Schwelle zum 21. Jahrhundert«, Köln 1997.

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Otto Gerhard Oexle
Das Menschenbild der Historiker

»Das« Menschenbild der Historiker gibt es nicht. Denn die Zahl möglicher Bilder vom Menschen, von denen Historiker sprechen können, ist unbegrenzt und unbegrenzbar. Der Vortrag nimmt die Perspektive des Mittelalter-Historikers ein und zeigt die Genese einer Vielheit von Menschen-Bildern im sogenannten »Mittelalter«, die individuell, oder auf Gruppen oder auf »Stände« bezogen sind. In diesen Befunden wird sehr viel von der Kulturellen Produktivität Europas sichtbar. Zum anderen erötert der Vortrag die Frage nach dem Bild des Historikers von sich selbst, die mit der Frage nach den »Menschenbildern« in der Geschichte aufs Engste verbunden ist. Diese Frage führt zur Erkenntnis der metatheoretischen Mehrdeutigkeit der Welt, die nicht aufhebbar ist und zu der Einsicht hinleitet, daß die Historizität der Welt eine ihrer wesentlichen Dimensionen darstellt.

Zum Autor:

Geboren am 28. August 1939 in Singen a.H. Studium der Geschichte und der Romanistik an den Universitäten Freiburg i.B., Poitiers (Frankreich) und Köln. 1965 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Freiburg i.B., 1973 Habilitation an der Universität Münster für das Fach Mittelalterliche Geschichte. 1975 Gastprofessor an der Universität Tel Aviv (Israel). 1975 Wissenschaftlicher Rat und Professor an der Universität Münster. 1980 Professor an der Universität Hannover. 1987 Direktor und Wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für Geschichte und Honorarprofessor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Göttingen. Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat u.a. des Deutschen Historischen Instituts Paris (1984–1998), des Deutschen Historischen Instituts Rom (seit 1988), des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main, des Archivs der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin. 1988–1996 Mitglied des Vorstands (Schriftführer) des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands. Seit 1990 Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen; seit 1996 Corresponding Fellow der Royal Historical Society (London), seit 1998 Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (München), seit 1999 Ehrenmitglied der Russian Association of Medievalists and Early Modern Historians (Moskau). 2001 Doctor honoris causa der Universität Paris I Panthéon/Sorbonne. – Arbeitsgebiete: Sozialgeschichte des Mittelalters, Geschichte der Geschichtswissenschaft und der Kulturwissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Theorie der historischen Erkenntnis.

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Besprechungen:

Neue Zürcher Zeitung – Feuilleton – Samstag, 27.07.2002, Nr.172, 52

Körperbilder

lx. Es sei verräterisch, dass die Klage über den Verlust des Menschen heute simultan mit der Klage über den Verlust des Körpers geäussert werde. Der Kunsthistoriker Hans Belting will es nicht bei diesen mit »seltsamer Einmütigkeit« geäusserten Befindlichkeiten bewenden lassen. In einem ausführlichen Essay untersucht er die Relationen zwischen »Menschenbild und Körperbild«. Zunächst: Kann man einen Körper überhaupt auf ein Bild reduzieren? Wir tun dies aber mit Selbstverständlichkeit dort, wo wir zu Bildern greifen, sobald wir vom Körper zu sprechen beginnen. Dabei sei auf ein weiteres Paradox hinzuweisen: Je mehr heute der Körper von Biologie, Genetik und Neurowissenschaften erforscht wird, desto weniger steht er uns in einem einzigen, symbolkräftigen Bild zur Verfügung. Wer heute – angesichts der sogenannt »technischen Möglichkeiten« – davon spreche, einen »neuen Menschen« zu züchten, spreche eigentlich davon, dem (alten) Menschen einen neuen Körper zu geben. Nur eben: Wenig ist darüber nachgedacht worden, dass die bisherige Geschichte der Menschendarstellung eine Geschichte der Körperdarstellung gewesen ist. Daraus lasse sich schliessen, dass der Mensch so ist, wie er im Körper erscheint. Jedenfalls sei das Dreieck Mensch – Körper – Bild nicht auflösbar, wolle man nicht riskieren, alle drei Bezugsgrössen zu verlieren. – Der Essay findet sich in einer von der Gerda Henkel Stiftung herausgegebenen Publikation über das »Bild des Menschen in den Wissenschaften«.

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