Zum Inhalt:
Jeder Staat und jede Nation verfügt über
Ursprungsmythen. In ihnen sucht die Gegenwart Rückhalt
an der Vergangenheit für die Gestaltung der Zukunft.
Auch die Europäische Union blickt zurück,
um dem europäischen Haus, das sich abzeichnet, ein
historisches Fundament zu schaffen. Der Vortrag nimmt eine
andere Perspektive ein. Er richtet nicht die Vergangenheit
auf die Gegenwart aus, sucht nicht nach Kontinuitäten,
sondern rückt das Trennende in den Mittelpunkt. Nur so
lässt sich das Neue am heutigen Europa erkennen: ein
politisches Laboratorium, in dem eine
staatenübergreifende föderative Ordnung erprobt
wird, die historisch ohne Vorbild ist.
Föderation zielt auf freiwillige Machtteilung.
Darauf war das Europa der Nationen und Nationalstaaten, wie
es seit dem späten 18. Jahrhundert entstand, nicht
angelegt und seine Vorläufer auch nicht. Jede Nation
erhob Anspruch auf den eigenen Nationalstaat, jeder
Nationalstaat beanspruchte ungeteilte
Souveränität. Wie kam es dazu? Warum erwiesen sich
Nation und Nationalstaat gegenüber allen anderen
staatlichen und gesellschaftlichen Ordnungsmodellen als
konkurrenzlos attraktiv? Zunächst in Europa, dann
weltweit. Welche Erwartungen verbanden die Menschen mit
ihnen? Und welche Versuche wurden unternommen, das Europa
der Nationen und Nationalstaaten über die
Staatengrenzen hinweg handlungsfähig zu machen? Es geht
um die staatliche Bauform des modernen Europa, wie sie im
19. Jahrhundert geformt wurde, und um ihre ideellen
Grundlagen. Vor diesem historischen Hintergrund wird die
Europäische Union als Versuch einer
weltgeschichtlichen Innovation sichtbar.
Zum Autor:
Geboren 1943 in St. Sebastian (Österreich).
Studium der Geschichte, Germanistik, Politikwissenschaft in
Heidelberg. Promotion 1973, Habilitation für neuere
Geschichte 1978 in Würzburg. 1978–1985 Professor
für Sozialgeschichte an der Universität Hamburg,
seit 1985 Lehrstuhl für mittlere und neuere Geschichte
an der Eberhard Karls Universität Tübingen.
1993–1995 Mitglied des Wissenschaftsrates. Fellow des
Wissenschaftskollegs zu Berlin 1994/95. 1996 Gottfried
Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
1997–2000 Mitglied im dreiköpfigen
Gründungsrektorat der Universität Erfurt.
Buchpublikationen: Liberalismus und Demokratie in
Württemberg zwischen Revolution und
Reichsgründung (1974); Zur Freizeit des
Arbeiters. Bildungsbestrebungen und Freizeitgestaltung
österreichischer Arbeiter im Kaiserreich und in der
Ersten Republik (1980); Europa zwischen Restauration
und Revolution 1815–1849 (1985, 5. Auflage
2007); Liberalismus in Deutschland (1988; englisch
2000); »Republik« und
»Republikaner«. Zur historischen Entwertung eines
politischen Begriffs (1993); 1848 und 1918 – zwei
deutsche Revolutionen (1998); Nation, Nationalismus,
Nationalstaat in Deutschland und Europa (2000);
Politikstile im Kaiserreich. Zum Wandel von Politik und
Öffentlichkeit im Zeitalter des politischen
Massenmarktes (2002); Liberalismus und
Sozialismus. Gesellschaftsbilder – Zukunftsvisionen
– Bildungskonzeptionen (2003); Zentralstaat
– Föderativstaat. Nationalstaatsmodelle in Europa
im 19. und 20. Jahrhundert (2003, deutsch u.
polnisch); Liberalismus und Demokratie im Staatsdenken
von Theodor Heuss (2005).
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